Zimmer zum Hof
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Zimmer zum Hof

Erzählungen

  1. 80 Seiten
  2. German
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Zimmer zum Hof

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Acht neue Geschichten des preisgekrönten Autors, in denen das Leben im wahrsten Sinn des Wortes zur Sprache kommt. Das Leben mit all seinen Facetten, so verrückt und absurd, so grausam und endlich, so berührend und einzigartig, so unfassbar und undurchschaubar...Ein Schriftsteller bekommt über Jahre hinweg Briefe von jemandem zugesandt, der sich nicht zu erkennen gibt. Er hofft, mit Hilfe eines Graphologen das Rätsel lösen zu können.Ein Kongressteilnehmer in einem Hotelzimmer mit Fenster zum Hof verwechselt Eros mit Thanatos.Ein Ehemann erwacht aus einem orgiastischen Traum und trägt von da an das Bild seiner Traum-Frau mit sich.Ein alter Mann schiebt den leeren Rollstuhl seiner verstorbenen Frau vor sich her und bilanziert ihr gemeinsames Leben.Ein Angestellter befindet sich im World Trade Center, während es brennt und zusammenstürzt. Er erfährt via TV von der Katastrophe, deren Teil er selber ist.Wie Jürg Amann knapp und klar vom Unerklärlichen erzählt, ist große literarische Kunst und Lesevergnügen zugleich.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783709975107

ROLLSTUHLSTÜCK

Für Stefan Schön

Da! sagt der alte Mann: Da! Da ist es gewesen. Da muss es gewesen sein. Von hier aus müsste man es schon sehen. Wenn man noch etwas sehen würde. Da drüben wären die Bäume. Die alten Pappeln. Zwei, drei. Silberpappeln. Da waren sie. Da sind sie gewesen. Hohe, alte Bäume. Lange Schatten. Morgens und abends natürlich. Nach Westen und Osten. Westen und Osten? Ja. Oder Nordwesten und Nordosten. Je nachdem, wann genau. Wie früh oder wie spät wir dran waren. Dran waren mit was? Dran waren mit uns. In jenem lange vergangenen Sommer. In jenem lange vergangenen langen Sommer. Erinnerst du dich? Das Silbergeflüster der Blätter. Das Geflüster der silbernen Blätter. Die silberne Unterseite der zitternden Blätter. Entsinnst du dich? Weisst du noch? Hinter dem alten Haus. Altes Haus? Damals waren wir jung. Weisst du noch, wie jung wir damals waren?! Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.
Aber er redet. Auf den Rollstuhl gestützt, den er vor sich herschiebt, redet er. Ohne Unterlass. Unablässig. Vor sich hin. Mit jemandem, der nicht zu sehen ist. Mit jemandem, den wir nicht sehen.
Da drüben irgendwo, sagt er. Zum Beispiel. Wahrscheinlich. Es ist nicht alles zu verstehen, was er sagt. Da drüben, neben dem alten Haus. Im Schatten der Silberpappeln. Er schaut hinüber. Hinüber, wo immer das ist, wo immer das sein mag. Auf etwas, das nicht zu sehen ist. Auf etwas, das nur er sieht, wenn überhaupt.
Nichts mehr zu sehen wahrscheinlich, sagt er. Zu lange her wahrscheinlich. Zu lange her seither. Gras darüber gewachsen. Er bleibt stehen. Er horcht. Vielleicht dem Wachsen des Grases nach. Er geht weiter. Winzige Schritte. Noch nicht ganz da vielleicht, sagt er. Noch nicht ganz angekommen. Er bleibt stehen. Er lacht. Angekommen. Er fährt mit dem Handrücken über die Augen. Trübe Aussicht. Grauer Dunst, Grauer Star, sagt er. Trübe Augen, trübe Zeiten.
Weit gegangen seither, sagt er: Weit gekommen. Weit gekommen, mit dir und mit mir. Viel herumgekommen, viel herumgefahren, viel erfahren, wir zwei. Nicht wahr, altes Haus? Altes Gefährt? Alles vor uns gehabt, alles hinter uns gebracht. Na ja, nichts Besonderes. Das Übliche. Wie die anderen auch. Niemals müde geworden. Nicht wahr? Alte Fregatte!
So spricht er, allein, mit sich, mit seinem alten Rollstuhl, auf den er sich aufstützt, den er vor sich herschiebt, Schritt für Schritt. Mit dem er ein beinahe familiäres Verhältnis pflegt. Ein freundfeindliches oder feindfreundliches, gleichviel.
Alte Fregatte! sagt er, oder: altes Schlachtschiff!, liebevoll, schmeichelnd, es klingt wie ein Kosename. Wir haben manche Schlacht zusammen geschlagen, sagt er. Manches Gewässer miteinander befahren. Erinnerst du dich? Nicht gerade die sieben Weltmeere, nein. Das nicht. Aber doch. Immerhin. Rhein, Mosel zum Anfangen. Unsere Jungfernfahrt! Dass ich nicht lache. Jungfernfahrt! Nicht schlecht. Unsere Hochzeitsreise, sagt er. Mit wem spricht er? Wem sagt er das?
Er ist stehengeblieben. Im Hafen der Ehe gelandet, sagt er. Glücklich, wie man sagt. Glücklich, unglücklich, sagt er. Wie immer. Wie alles. Wie wir auch. Wie auch wir, da drüben, erinnerst du dich? Wie auch unser Geheimnis dort drüben. Glücklich, unglücklich, wie sollte es anders sein. Nicht mehr zu sehen, wahrscheinlich. Noch nicht zu sehen, vielleicht. Unter den Pappeln. Hinter dem Haus. Vorzeitig. Viel zu schnell jedenfalls. Viel zu schnell jedenfalls für mich. Du wolltest das ja. Fort von da drüben. Weg von da, wo du herkamst. Wo wir herkamen. Mit Pauken und Trompeten. Oder wenigstens mit Glocken. In Weiss und mit Aufgebot, wie es sein muss. Mit allem Drum und Dran, wie es offenbar sein muss. Auf der Diretissima aus dem Garten Eden in den Ehestand. Garten Eden? Na ja. Warum nicht? War das etwa kein Garten Eden, da drüben? Unter den Pappeln? Hinter dem alten Haus? Hinter der alten Scheune? In der die Mostbirnen lagerten? Nicht mehr zu sehen, noch nicht, vielleicht.
Gegen die ganze Verwandtschaft. Gegen meine ganze Verwandtschaft jedenfalls, sagt er. Mit einer Unehelichen! Allein schon das Wort! Ich höre es noch. Wie sie mir mit diesem Wort in den Ohren lagen. Ehe mit einer Unehelichen! Hörst du das nicht? Eine Unmöglichkeit! Dein Vater war gar nicht gekommen. Oder erst im letzten Augenblick. Als alles schon vorbei war. Beim Auszug aus der Kirche. Aus der Herzjesukirche, was für ein Wort! Da stand er plötzlich da, ganz hinten, und drückte dir im Vorbeigehen dieses Bündel Noten in die Hand. Dieses sagenhafte Bündel Noten, mit dem wir dann unser Leben … Na ja. Das, was dann daraus … Das war schon alles. Das war’s schon gewesen. Nicht einmal eine Krawatte hatte er sich umgebunden für uns. Für dich. Dann wurde er nicht mehr gesehen, dein Herr Vater. Französischer Abschied, wie man sagt. Schmerzlich für dich. Schmerzvoll für dich, selbstredend. Hatte sich losgekauft, der feine Herr, sagt er, selber ein feiner Herr. Ein wenig heruntergekommen vielleicht.
Für einige Augenblicke ist er stehengeblieben, jetzt setzt er seinen Weg fort, mit kleinen Schritten. Was soll’s, sagt er im Weitergehen. Wir haben uns unsere Rheinfahrt damit finanziert. Rhein, Mosel, und noch ein paar Dinge dazu. Noch sonst ein paar ganz schöne Dinge. Jungfernfahrt auf dem Rhein! Zum Lachen. Entjungferungsfahrt auf der Mosel! Das hätte unserer Verwandtschaft vielleicht gefallen. Lächerlich. Hatten wir alles schon hinter uns. Lag alles längst hinter uns. Da drüben irgendwo. Im Gras, das wir zerdrückt hatten, ein ums andere Mal. Unter den Silberpappeln. Hinter der Scheune, in der die Mostbirnen gärten, deren Duft uns die Köpfe verdrehte. Er macht eine Geste des Zeigens. Er weist mit dem ausgestreckten Arm beim Gehen ins Ungefähre. Nicht mehr zu sehen vielleicht. Nicht mehr zu sehen wahrscheinlich.
Und die Steine, die uns meine Verwandtschaft in den Weg gelegt hatte, sagt er, und die Knüppel, die uns meine Eltern und meine Geschwister zwischen die Beine geschoben hatten, liebenswürdigerweise, hatten wir am Ufer zurückgelassen.
Die Klippen genommen, sagt er. Die Tiefen und Untiefen. Alle Hindernisse umschifft. Oder doch beinahe alle. Er zögert. Havarie am Rheinknie, sagt er dann. Havarie am Rheinknie bei … Weiss ich nicht mehr. Auf Grund gelaufen in … Fällt mir jetzt nicht mehr ein. Tut nichts zur Sache. Seichte Gewässer. Von Bord gegangen jedenfalls rechtzeitig. Nicht über Bord, von Bord. So spricht er. Zu Fuss gegangen fortan. Barfuss manchmal sogar. Bar jeder Illusion nach der anfänglichen Euphorie. An Land jedenfalls. Auf dem Boden der Realität. Auf dem harten Boden der Realität, wie man sagt. Auf den Felgen zuweilen. Nicht wahr, altes Wrack? Altes Gefährt? Überholungsbedürftig. Erholungsbedürftig, selbstredend, bisweilen. So spricht er auch.
Weitergegangen, weitergekommen, weitergefahren. Irgendwie, immer. Immerhin. Allen Gefahren getrotzt. Alle Gefahren gemeistert. Mit allen Gefahren schliesslich irgendwie fertig geworden.
Alte Gefährten, sagt er. Er ist stehengeblieben, aber er geht schon wieder weiter. Ruckend. Immer hinter dem Rollstuhl her. Kaum dass er vorwärtskommt. Uns manchmal verfahren natürlich, sagt er. Hoffnungslos, wie man sagt. Verfahren, alles, manchmal, scheinbar. Hoffnungslos, was einmal hoffnungsvoll begonnen hatte. Das Übliche. Hoffnungsvoll, hoffnungslos wie alle. Wie die meisten. Er legt die Worte auf die Waage. Auf die Gold- oder Silberwaage. Hoffnungslos verfahrene Situationen manchmal. Scheinbar manchmal. Trotzdem weitergegangen. Trotzdem weitergekommen am Ende. Immer. Wie auch immer. Nicht wahr, altes Gestell? Klappergestell!
Viel gesehen, sagt er, grosse Dinge, trotz allem. Trotz was? Trotz allem!
Gelandet, aber nicht gestrandet. Das immerhin. Das immerhin nicht. An Land gegangen. Auf sicheren Boden, wie man sagt. Auf sicherem Boden, wie wir dachten. Denkste! Wie gewonnen, so zerronnen. Wie? So! Boden unter die Füsse gewonnen, Boden unter den Füssen verloren. An Land gegangen, aber kein Land genommen. Keine Landnahme unsererseits, nie. Absichtlich, unabsichtlich, wer weiss? Schwein gehabt jedenfalls. Schwein gehabt irgendwie. Eigenheimträume geplatzt glücklicherweise. Irgendwie. Immer wieder. Endgültig am Ende. Glück im Unglück, wie man sagt. Niemals sesshaft geworden. Niemals sitzen geblieben. Nicht aufeinander hocken geblieben, sagt er, altes Gespons; altes Gespenst.
Um die Kinder glücklich herumgekommen. Mit knapper Not. Mit genauer Not, sagt er. Haarscharf am Tor vorbei. Der Beruf ernährte ja kaum seinen Mann. Geschweige denn die Frau. Na ja, war ja auch mehr eine Berufung. Nicht zu reden von der Familie. Familie, was für ein undenkbares Wort. Knapp daran vorbei. Kaum der alten entronnen, beinahe in eine neue hineingestolpert. Meinerseits jedenfalls. Du hast das ja ein wenig anders gesehen. Du hast ja auch keine Familie gehabt. In die Familienfalle gegangen. In die Liebesfalle gegangen, beinahe. Haarscharf am Eigentor vorbei. Haben ja nicht aufgepasst, damals. Von Anfang an, von Anfang an nicht, oder wie man das sagen soll. Unter den Pappeln. Da drüben. Im Gras. Hinter dem alten Haus. Als wir noch kein eigenes Haus hatten. Haus ist gut. Kein gemeinsames Dach über dem Kopf. Später in den Betten, in denen wir es miteinander trieben. Die ganze Zeit über. Sooft wir konnten, sagt er. Sooft ich konnte. Solange es eben ging. Nie auf das Kind aufgepasst. Wegen des Kindes aufgepasst. Gegen das Kind aufgepasst, oder wie man da sagt. Abgegangen einmal eines. Vorzeitig. Aus dem Fahrgestell gefallen. Blinder Passagier. Beim Heubeerenpflücken. Ein Mädchen, das war schon zu sehen gewesen. Beim Bücken dir in die Hose gegangen. Flutsch, aus. Wir hatten gar nicht gewusst, dass du es hattest. Ins Gras gefallen. Ins Gras gebissen. Grosser Schmerz trotz allem. Vor allem für dich.
Er ist stehengeblieben. Einen Augenblick lang ist es still, dann spricht er weiter.
Abgetrieben, sagt er. Später. Einmal, eines. Geschlecht unbekannt. Geschlecht noch nicht zu sehen, in...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. INHALT
  5. EIN PAAR BRIEFE
  6. ZIMMER ZUM HOF
  7. REISENDER NACH NORDEN
  8. DIE TRAUMFRAU
  9. LIEBER VATER
  10. ROLLSTUHLSTÜCK
  11. DIE SORTIERERIN
  12. IM TURM