Kein Weg nach Rom
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Kein Weg nach Rom

Ein Reisebuch

  1. 171 Seiten
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Kein Weg nach Rom

Ein Reisebuch

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Über dieses Buch

Das Nicht-, das Nie-und-nirgendwo-Ankommen ist das Thema von Jürg Amanns Reisebuch "Kein Weg nach Rom". Einer, der immer fort muss, um zu erfahren, dass er heim will, der den Rändern der Welt entlanggeht, um zu begreifen, dass er nach seiner Mitte sucht, ist seine Figur. Amann gewinnt sein Material aus seinen über die Jahrzehnte geführten Reisetagebüchern, er fügt es zusammen zu einem langen Brief "nach Hause". Das ist der Fluchtpunkt, im doppelten Wortsinn. Von da zieht es seinen Reisenden weg, dahin zieht es ihn wieder zurück. In dieser Grundspannung oszilliert die Schreibbewegung, die die Fluchtbewegung nachzeichnet. Irland, England, Berlin, Wien, die französische Atlantikküste, Italien, Amerika geraten dabei u.a. in den Blick. Alle Wege führen nach Rom, sagt das Sprichwort. Kein Weg führt nach Rom, ist Amanns Antwort.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783709973127

ROM

Nur ein erstes kleines Zeichen. Dafür, daß ich da bin. Und daß ich den Cappuccino an der Piazza del Popolo auftragsgemäß getrunken habe. Und eine Reminiszenz an die Fahrt im Speisewagen Wien - Rom. Österreichisches Personal, österreichisches Angebot, aber schon tief in Italien. Ein vornehmer älterer Herr bestellt einen Kaffee. Un caffè latte. Der Kellner sagt, si, und bringt ihm einen Cappuccino. No, no, sagt der Italiener, questo è un cappuccino, un caffè latte ho ordinato, siamo in Italia, qui! Na, sagt der Kellner, in breitestem Wienerisch, dann behaltens den Cappuccino, Kaffee is es eh, i bring Ihnen no ö Milch, und die hauens eini. Was habe ich gesagt von den Wienern?
Für die Worte ist der Postweg von Rom nach Uetikon ja eigentlich viel zu weit. Die lösen sich doch in Luft auf, bis sie bei Dir sind. Und über die italienische Post braucht man erst recht kein Wort zu verlieren, vor allem nicht auf dem Postweg, das verliert sich unterwegs ohnehin. (Gerade lese ich in der Zeitung, daß zwei Briefe aus Italien ihren Adressaten nach fünfundvierzig Jahren doch noch erreicht haben.)
Trotzdem will ich nicht aufhören, Dir Vorboten aus jenem Garten zu schicken, in den Du bald eintreten wirst. Diesmal ist es das Blatt eines Zitronenbaums. Ja, ich bin hier im Land, in dem die Zitronen blühen. Ich weiß zwar nicht, wann, denn jetzt reifen schon die Früchte. Die ich Dir aber nicht schicken kann.
Der erste Traum neulich in Italienisch. Ich habe ihn nicht verstanden. Dann hatte ich einen Traum, in dem ich mit meinem Regenschirm unterwegs war. Ich weiß aber nicht, wohin, weil das Ziel in dem Teil des Traumes lag, den ich nicht mehr träumte. Und es gibt Träume, in denen ich atemlos die ganze Zeit herumlaufe. Ich weiß nicht, woher ich komme, ich weiß nicht, wohin ich eile. Die Hoffnung ist gering, daß ich es unterwegs herausfinde, an irgendeiner Kreuzung, an irgendeiner Verzweigung. Weil ich nicht weiß, wie weit es noch ist, kann ich nicht ablassen zu laufen. Das einzige Ziel ist das Aufwachen. Aber das kommt nicht in Sicht.
Rom ist eine Stadt, die müde macht. Oder jedenfalls einen Müden nicht weniger müd. Die viel zu viel hat von allem. Zuviel Kunst, zuviel Leben.
Auch habe ich schon zuviele Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge gesehen, nicht nur in dieser Stadt. Es ist ja nicht so, daß die Welt gerettet würde durch einen von ihnen. Und auch der Aufgang des Sichelmonds, wie heute über der Via dei Condotti, von der Höhe der Spanischen Treppe aus, mit seinem milderen Licht, kann mich nicht täuschen.
Je näher mir die Menschen kommen, um so älter werden sie. Das ist die Folge meiner Kurzsichtigkeit. Mein persönliches Relativitätsgesetz. Wenn sie sich wieder entfernen, werden sie wieder jünger. Nur bei Dir ist es umgekehrt.
Schlimmer Traum heute nacht: Du wolltest mir sterben. Zuerst war es mein Großvater, von dem ich annahm, daß er schon tot in meinem Koffer lag. Aber als die Behörden kamen, um den Koffer zu öffnen, warst Du es, in einem gelben Ölzeug, die neben einem jungen Mädchen, das wir vorher vergeblich gesucht hatten und das sich zum Spaß ebenfalls ein gelbes Ölzeug übergezogen und neben der Leiche versteckt hatte, lag. Es war ein einziges Erkennen: aha, hier war das Mädchen, aha, es ist gar nicht der Großvater, sondern Du bist es, und: Du bist aber zum Glück nicht ganz tot, Du bewegst Dich, die Nähe des lebendigen Mädchens hat Dich am Leben gehalten. Ich stürzte mich hin, ich richtete Dich auf, ich zog Dir das Ölzeug aus, ich umarmte Dich, ich küßte Dich, ich versuchte, Dir warm zu geben; aber Du warst todmüde und blaß und schmal und hattest keine Kraft in den Gliedern, wie eine junge Pflanze, die schon zu lange kein Wasser mehr bekommen hat, drohtest Du mir immer wieder zu entgleiten und in Dich zusammenzusinken. Magst Du nicht mehr? fragte ich Dich, und Du wimmertest und hattest Tränen in den Augen und schütteltest leise den Kopf. Aber ich ließ Dich nicht aus den Armen, ich hauchte Dir Leben ein, mit all meiner Liebe, und schließlich lebtest Du wieder mit mir, warst fröhlich, warst neugierig, warst jung, warst lebendig, wie Du es eben bist; aber die Drohung blieb.
Jemand hat sich zu Tode erschrocken, sagt man. Ich glaube, das kann man wirklich.
Mit Rom habe ich inzwischen einen modus vivendi, wenn auch keinen modus amandi gefunden. Hier herrscht der Dummheitslärm und der Geistesdreck. Ich habe noch keinen Ort erlebt, an dem so viel geredet und so wenig gesagt wird. Dieses Volk ist über den Zustand der Pubertät noch nicht hinausgekommen. Der Schwerpunkt seiner Identität liegt auf der Poebene oder auf der Brusthöhe, je nach Geschlecht. Am Fernsehen, danach befragt, worin sich seiner Meinung nach die weibliche Seele am meisten ausdrücke, hat ein junger Mann tatsächlich im „Brustton“ der Überzeugung verkündet: in einem großen Busen. Hier mußt Du Dir nur ein Buch unter den Arm klemmen, schon bist Du der geistige Mittelpunkt. Weil alle andern nur Modesäcke herumschleppen, den lieben, langen Tag.
Rom ist eine Frau, die träg auf dem Rücken liegt, überall gebräunt, bis in den letzten Hautwinkel hinein, in verschiedenen Brauntönen, nur die Kuppeln der gewaltigen Brüste sind hell geblieben und thronen stolz und uneinnehmbar über allem. Aber die Rechnung geht so nicht auf, es sind unzählige Frauen, und die Männer laufen aufgeregt zwischen ihnen herum, schreien nach ihnen und hoffen doch, daß sie sich als die Mutter herausstellen.
Rom ist ein heruntergekommenes, drittrangiges Theater, in dem geschrien und mit dem Kopf gewakkelt und mit den Händen gefuchtelt wird. Man tritt auf die Straße und wohnt einer Theateraufführung bei. Man betritt das Kaffeehaus (das einzige, das es gibt) und wohnt einer Theateraufführung bei. Man geht in die Kirche und wohnt einer Theateraufführung bei. (Aber die Welt verträgt das nicht mehr, daß man sich damit begnügt, sie für ein Theater zu halten. Dazu ist ihre Lage zu ernst. In diesem Theater wird bald der eiserne Vorhang heruntergehen. Wenn es nicht sogar ganz geschlossen wird.)
Rom ist ein riesiger Hühnerstall. Ein paar Millionen Hennen und ein paar Millionen Gockel. Und der Rest, die Küken, übt sich in nichts anderem, als möglichst schnell Hahn oder Henne zu sein. Man ist zurückversetzt in die Steinzeit der Liebe: Ich lege meine Hand auf dich, du bist mir. Die Brutalität, mit der die Männer den Arm um oder die Hand auf ihre Frauen legen, das gibt es bei uns auch. Aber hier scheint es von allen akzeptiert zu sein, auch von den Frauen selbst. Ein sehr roher Zustand des Geschlechterverhältnisses. Diese Frauen, die immer an den Lippen der Männer hängen, wie immer dumm es auch sein mag, was aus ihnen herausquillt, wie lange gibt es sie noch? Und wie lange die Männer, die sich vor ihnen lächerlich machen, die sich auf die Brust schlagen, die auf den Knien herumkriechen für so eine Frau? Weil sie das Zentrum ihres Schoßes für das Zentrum der Welt halten? (Und die – männlichen – Künstler, die bis ins Alter oder im Alter wieder nichts anderes wollen als zurück in diesen Schoß und nichts anderes darstellen als ihn? Wozu da auf der Welt gewesen sein? Wozu da gelebt haben?) Solange die Frauen jedenfalls bereit sind, für die Männer Röcke zu tragen, werden sie sich auch nicht aus ihrer Geschlechterrolle emanzipieren.
Das Schlimme ist ja nicht, daß die Söhne ihre Mütter überall hin geleiten, den Regenschirm in der linken Hand (geschlossen, es regnet ja nicht, und hier im Café Greco schon gar nicht), das Schlimme ist, daß die Mütter an den Armen der Söhne so viel entschlossener wirken als ihre Söhne, so viel kräftiger, mit so viel mehr Lebenskraft ausgestattet scheinen als sie.
Seltsam, je länger ich hier bin, um so mehr kommt mir manchmal Italienisches, das ich von weitem höre und das von der Luft nur ungenau übertragen wird, wie Unverständliches in der eigenen Sprache vor. Manchmal ist es auch sehr erheiternd, all diesen vorlauten Sprechern der romanischen Sprachen unter der (anachronistischen) Voraussetzung zuzuhören, daß sie eigentlich Lateinisch sprechen wollen, es aber nicht mehr können. Wie hilflos einem ihre Wortbildungen (ihr ständiges „molto“ z.B.), ihre Wendungen (all diese Konstruktionen mit „molto“) vorkommen und wie überlegen man sich ihnen da plötzlich fühlt, nicht obwohl, sondern weil man ihre Sprache nicht spricht (aber durchschaut). Meine Überlebensstrategie gegen die Römer.
Sonntag, alles geschlossen, ganz Rom auf der Straße. Ich zwischendurch auch, weil ich ja nicht immer allein in der Wohnung sein kann. Dieses Geschiebe, dieses Getriebe und dieser Lärm. Keinen einzigen sinnvollen Satz habe ich bisher auf Italienisch gehört. Und glaube mir, ich hätte ihn schon verstanden, so gut kann ich die Sprache. Die Römer haben sich nichts zu sagen, aber sie sagen es laut. Und im Kopf und am Leib haben sie nichts als: moda, moda, moda. Wenn Du dann kommst, bring farbige Sachen mit, vor allem farbige Strümpfe. Ich kann sie nicht mehr sehen, diese schwarzbespannten, sündeverheißenden Beine. Vor lauter Beinen sieht man ja die Frauen nicht mehr. Die ganze Stadt ist voll davon. Als ob an ihrem Ende (am Ende der Beine) der Sinn der Welt läge. Aber vielleicht ist es ja wahr, und die ganze Kultur war eine Täuschung. Dann ist es auch gut, daß der Weg dahin schwarz ist.
Manchmal, aus dem Lärm heraus, durch den Lärm hindurch, glaubt man doch plötzlich etwas wie eine Musik zu hören. Aber dann ist es doch nur die Polizei-Sirene. Dieser Lärm, dieser Dreck. Kein Gefühl für die Verletzungen der Welt. Ostia antica! Dieses Rom gefällt mir. Das stille, unter Pinien.
Endlich ein Regen, der die Straßen von diesen Menschenmassen leerspült!
Nun bin ich doch wieder stehengeblieben und habe dem Sonnenuntergang zugeschaut. Nachher halb blind vor Trauer und plötzlich fehlendem Licht. Dafür noch jetzt, auf das Papier geworfen, die Röte des Sonnenflecks.
Es gibt hier Augen, die sind so dunkel, daß man in sie nicht hineinsieht. So daß man auch nicht weiß, wie tief sie sind. Es braucht ja nicht viel. Immer einmal wieder ein Mensch, der mich wahrnimmt, und ich kann leben an einem Ort. Aber wie soll man ihn kennenlernen, muttersprachlosseelenallein, wie man ist? Wenn es eine Auferstehung des Leibes gibt, mit welchem Leib stehen wir auf? Mit dem wir gestorben sind oder mit einem älteren oder jüngeren? Gibt die Kirche darauf eine Antwort? Ich bin schon zu lange in der Wüste. Die Zeit der Anfechtungen. Aus dem Horizont wachsen die Bilder. Und nachts brennt der Himmel. Vierzig Tage sind lang. Die Versuchung zu fliegen ist groß.
Ich will keine Sehenswürdigkeiten mehr sehen. Die Sehenswürdigkeiten sind die Menschen. Trotz allem: Ein Modigliani-Gesicht. Ein vierzigjähriger ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. PORTRUSH
  4. LONDONDERRY
  5. MANCHESTER
  6. LONDON
  7. WIEDER LONDON
  8. DUBLIN
  9. NÜRTINGEN
  10. VIEUX-BOUCAU
  11. BERLIN-WANNSEE
  12. NOCH EINMAL: BERLIN-WANNSEE
  13. WIEN
  14. ROM
  15. STUTTGART
  16. BERLIN
  17. OBERLIN, OHIO
  18. NEW YORK
  19. OBERLIN AGAIN
  20. Impressum
  21. INHALT