Im Bernstein
eBook - ePub

Im Bernstein

Roman

  1. 274 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Im Bernstein

Roman

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die Journalistin Isa Becker ist in die Landschaft ihrer Kindheit zurückgekehrt, hat eine Ideenagentur gegründet und eine neue Liebe gefunden: Greg. Für ein Feuilleton-Projekt fliegt sie nach St. Louis/Missouri, um über Mark Twain zu arbeiten. Als sie dessen Schriften gegen den Krieg entdeckt, löst dies eine intensive Beschäftigung mit den Briefen ihres Vaters aus, der Nationalsozialist war und im Osten gefallen ist. Begleitet von Selbstzweifeln, dringt sie immer tiefer in seine Geschichte ein, legt sie Schicht um Schicht seines kurzen Lebens frei und kommt dem Geheimnis näher, das ihre Mutter in einen frühen Tod trieb. Die Frage nach den Ursachen für seine Begeisterung, die Isa bis zu den Gräberfeldern Russlands führt, mündet in der Auseinandersetzung mit dem Irakkrieg. "Kein Krieg ist zu Ende. Er setzt sich fest und zeugt sich fort", heißt es im Buch. Die Autorin nähert sich diesem Phänomen in einem zwischen den Genres wechselnden Text und lässt authentische Dokumente und Fiktion, Zeit- und Liebesgeschichte ineinanderfließen. Der Roman führt an die Ufer des Mississippi, der Donau und der Wolga und lenkt den Blick abseits der historischen Ereignisse auf drei vielfach aufeinander bezogene Frauenschicksale. Brita Steinwendtner erzählt von Irrwegen und Hoffnungen im Rad der Geschichte.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Im Bernstein von Brita Steinwendtner im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Literatura & Literatura general. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2013
ISBN
9783709977552
MISSISSIPPI
Isa hieß eigentlich Isolde.
Auch wenn es heiß war, liebte sie lange Ärmel.
Sie ging durch ihr Leben und war noch nicht angekommen.
Augusthell wurde sie geboren, aber was für ein Tag ist heute.
Und einmal, als sie einen neuen Anfang suchte, wieder einmal einen Anfang, faßte sie einen Entschluß, den andere und sie selbst zwar als lächerlich und unsinnig empfanden, den sie aber schließlich als Konsequenz verteidigte, an den sie sich mit der Zeit gewöhnte und den sie gegen alle berechtigten Einwände als eine Art von Befreiung deutete: Sie nahm den Vornamen Isa an und verbot allen Freunden, sie Isolde zu nennen.
Isolde, klebriges Nolimetangere im Hirn, hingeschleuderter Samen im Sommer. Klette an den Knochen. Isa scheute sich jedoch auch jetzt noch, die Entscheidung ihrer Eltern gänzlich zu mißachten, das Glück der ersten Gewißheit, die Ungeduld des Erwartens und das zärtliche Fragespiel um Geschlecht und Namen. So hatte sie nach einem Wort gesucht, das dem ursprünglichen nahe war.
Isolde ist doch ein schöner Name, sagte Gunther, der Bruder. Sie war eine irische Königstochter, sie war sechzehn und trieb es mit Tristan, aber sie kann nichts dafür, daß ein Diktator sie mißbrauchte. Der Name ist doch unschuldig wie jeder andere.
Glaub ich nicht, Gunther. Der Mißbrauch dringt ins Mark der Worte.
Du machst alles so halb-halb, Soldi. Wenn du schon mußt, dann nenn dich gleich Adelheid oder Yvonne oder Beverly.
Nein, sagte Isa, nicht ganz anders. Nur ein kleines Zeichen setzen. Ich bin noch nicht fertig.
Womit?
Mit den gebrochenen Flügeln.
image
Isa suchte also, wie so viele, einen Neubeginn.
Es war nicht ihr erster.
Der Vater war im Krieg gefallen. Die Mutter starb, als sie vierzehn war. So wuchsen Isa und Gunther bei den Großeltern auf. Nach der Hauptschule begann Isa zunächst eine Schneiderlehre – daß du dich durchbringen kannst, wenn wieder Krieg ist, hatte die Mutter gesagt –, wechselte schließlich in die Oberstufe eines Gymnasiums und studierte später in Wien Biologie. Sie wollte sich auf Insekten spezialisieren. Nach drei Semestern brach sie ab und begann ein Studium der Geschichte und Philosophie, das sie ebenfalls nicht beendete. Anschließend ging sie für ein Jahr als Au-pair-Mädchen nach Paris, dann nach Los Angeles.
Als sie mit fünfundzwanzig nach Wien zurückkehrte, nahm Isa eine Stelle bei einer Tageszeitung an. Sie machte, da sie flexibel und schreibbegabt war, schnell Karriere. Nach einigen Jahren schickte man sie als Korrespondentin nach Frankreich und ernannte sie, als sie zurückkehrte, zur stellvertretenden Leiterin der Kulturredaktion mit Schwerpunkt Ausland. Als sie dreiunddreißig war, heiratete sie den aufstrebenden Rechtsanwalt Laurenz Becker.
Nach acht Jahren wurden sie geschieden.
Dann kamen die Jahre der Libertinage. Dann kam der Überdruß.
Schließlich verließ sie Wien und kehrte nach Oberösterreich zurück, wo sie geboren und aufgewachsen war, und gründete in Linz ihr eigenes Büro.
So schnell ließe sich ein Leben erzählen.
So läßt es sich nicht erzählen. In einem Labyrinth entscheiden nicht die Schritte zwischen den Hecken, sondern die Besessenheit, den Ausgang zu finden. Und die Zeit trägt einmal die Farbe des Bernsteins und einmal Nachtschwarz.
image
„Idea-Agency Isa E. Becker“ stand auf dem Messingschild neben dem Eingang. Die Agentur lag im vierten Stock eines Linzer Bürgerhauses aus dem 17. Jahrhundert an der Ecke Hauptplatz–Klostergasse. Die Fenster gingen nach Sonnenaufgang und nach Süden, es war hell. Der Parkettboden trug die Schritte vieler Generationen. Die hohen Räume bargen den Atem derer, die hier gelebt und geliebt hatten.
Es war gut, selbständig zu sein. Kein täglicher Streit mehr um Silben, Zeilen und zunehmende Popularisierung. Keine Intrigen. Der Einfall zu diesem Büro für Ideen, die etwas abseits, aber dennoch in der Luft lagen, die das Augenmerk unterschiedlichster Magazine und ihres jeweiligen Publikums erregen konnten, war Isa aus naheliegenden Gründen gekommen. Schon als Journalistin war sie dafür bekannt, auch beneidet worden, daß sie in den Redaktionssitzungen die besten Ideen hatte und die interessantesten Themen vorschlug, die in der Folge aber häufig von Kollegen bearbeitet wurden, was sie erboste. Ihr Gespür für Aktualität wußte sie nun zu ihrer eigenen finanziellen Basis zu machen.
Im Lauf der Jahre hatte sich Isa einen Namen gemacht und arbeitete für internationale Zeitschriften und Hochglanzmagazine. Die rigorose Sparpolitik der Medienkonzerne – weniger Mitarbeiter, Auslandsreisen, Aufwandsentschädigungen – war ihre Chance: Sie machte die zeitraubenden, aufwendigen Recherchen im Vorfeld, erstellte Treatments, manchmal sogar handliche Booklets, und überließ den jeweiligen Redaktionen die kostensparende Ausführung. Die Idea Agency brachte ihr zwar keinen Reichtum, aber Isa konnte ganz gut davon leben. Und sie gab ihr die Freiheit und das Vergnügen, sich nur mit Themen zu beschäftigen, von denen sie glaubte, daß sie sie selbst weiterbringen würden.
Wohin, das wußte sie selbst nicht. Aber weiter in der Geschichte ihres Lebens, im Aufglimmen und Verlöschen ihrer Hoffnungen. Vielleicht auch in ihrer Geschichte mit Greg.
image
Isa bewohnte ein kleines Haus außerhalb von Linz, in einem Dorf, das fast schon zum Vorort der expandierenden Stadt geworden war. Das Hügelhaus, wie sie es nannte, lag über dem Rodltal, durch das der starke Pendlerverkehr morgens ab halb sechs Uhr Richtung Linz zog und spätnachmittags über den Saurüssel wieder zurück in das nordwestliche Mühlviertel strömte. Der Wind trug den Lärm bis zu ihr hinauf, aber, durch eine Reihe von Fichtenbäumen abgeschirmt, sah sie die Autokolonnen nicht, und sie gewöhnte sich so sehr an das Rauschen, daß sie es nicht mehr hörte. Nur das dreimalige Tuten der Lokalbahn riß sie mitunter aus dem Schlaf, wenn der Zug den Berg abwärts bremste und sein Signal ausstieß, bevor er die Landstraße kreuzte.
Rund um das Haus standen Obstbäume, uralt, gebrechlich manche, mit Misteln befallen oder mit großen Löchern in den Stämmen, in denen Wespen und Insekten wohnten. Im Herbst trugen die Äpfel schwarze Rinnspuren vom regennassen Moos und den Flechten der oberen Äste. Eine Malerin hatte dieses Haus in den ersten Nachkriegsjahren erbauen lassen. Auf den verworrenen Wegen des Lebens fiel es später an Isas Großmutter. Es war feucht im Keller und an der Nordseite, porös die Wände aus der schlechten Zeit, undicht die Fenster, aber von einem Zauber, der alles andere unwichtig machte. Da geht mir das Herz auf, hatte die Großmutter immer gesagt, wenn sie hier war. Ja, aufgehen wie eine böhmische Buchtel aus Germ-teig, dachte Isa, und sie war glücklich.
In Sommernächten saß Isa oft spätabends noch auf der Hausbank, die nur ein abgegriffenes Lärchenbrett war. Die Wärme des Tages drang vom Mauerwerk her in ihren Rücken, die Wärme und ein Vertrauen, das sie eins werden ließ mit den funkelnden Sternen, den ortlosen Gräbern und mit dem Plan ihres Lebens, ganz einfach eins werden, auch wenn es das nicht gab und es trotzdem war.
In den Fugen der Wände lag Erinnerung.
Die Mutter hatte sich in den letzten Jahren ihres Lebens während der Sommermonate hierher zurückgezogen, und Isa, damals zehn, zwölf Jahre alt, war immer mit gewesen. Gunther war schon mit seinen Freunden unterwegs.
Sommer, Hitze, Badeschaffl aus Blech zum Kühlen der Haut, Heuduft, Bauernbrot, reifendes Obst. Dorfkinder, Schlehdornhecken und Waldversteck, erste Berührungen und wache, schwüle Nächte, in denen die Hitze vom Dach in die Räume niederstieg und sich die Vorhänge erst im leichten Morgenwind zu bewegen begannen. Schleier über den Erwartungen.
Isa liebte diese Sommer.
Zugleich waren sie, über das erste Erzittern von Haut und Lippen hinaus, noch auf andere Weise irritierend und doppelbödig. Allein mit ihrer Mutter, keimte in Isa etwas auf, das sie nicht benennen konnte, das sie aber in sich aufnahm wie die Luft über den verdorrenden Wiesen. Etwas, das wahrscheinlich immer schon in ihr gewesen war, ein dunkler Untergrund, der in das Neugeborene eingesunken sein mochte seit jenem Augenblick, als die Mutter die Todesnachricht aus Rußland erhielt, ihre Trauer jedoch weiter auszuholen schien, in etwas Unsagbares hinein.
Es war das Nicht-an-das-Leben-glauben-Können.
Es war der Verlust eines Vertrauens, das wir brauchen, um sagen zu können: ich und die Welt. Es war die Stille, in der die Mutter umging. Das sanfte, das leisere Lachen. Es war das Neigen ihres Kopfes, wenn ihr feines, blondes Haar über die Wangen fiel. Es war die in den leeren Raum noch weiter ausschwingende Bewegung nasser Hände nach dem Abstreifen an der Schürze; Bewegung, die im Unbestimmten, Nutzlosen verlief. Und es war die zärtliche Traurigkeit, die wie der Flügelschlag eines Insekts war, wenn die Mutter abends über Isas Stirne strich.
Nicht, daß die Mutter bedrückt gewesen wäre. Sie war eine fröhlich wirkende Frau, unternehmungslustig und beliebt. Es gab damals auch einen Stiefvater. Er kam nie ins Hügelhaus. Er war nur eine Episode. Die Mutter erzählte selten, aber mit Innigkeit vom Vater. Mitunter zündeten sie eine Kerze an und sprachen von Rschew, wo er in russischem Land lag, das sie nicht kannten. Aber in diesem innigen Beisamm...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Widmung
  4. Impressum
  5. Inhalt
  6. MISSISSIPPI
  7. THANATOS
  8. DONAU
  9. HYPNOS
  10. WOLGA