Sunrise
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Sunrise

Erzählung

  1. 96 Seiten
  2. German
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Sunrise

Erzählung

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der Hollywood-Boulevard in Los Angeles bei Sonnenaufgang: Der Vagabund Leo Pomerantz überquert die Fahrbahn, die Tänzerin Rita Luna tritt aus einem Striptease-Lokal auf den Gehsteig, und auf der anderen Straßenseite steht - der Tod. Seine Sichel, mit der er Leo treffen wollte, verfehlt ihr Ziel und bringt stattdessen Rita zur Strecke. Die will sich mit dieser Ungerechtigkeit nicht abfinden und bittet den Tod um eine zweite Chance. Also ordnet der einen ungewöhnlichen Wettbewerb an, um zu entscheiden, wer sein Leben lassen muss...Michael Köhlmeier erzählt raffiniert und mit verlässlichem Gespür für eine gute Geschichte - amüsant, tiefgreifend und gleichzeitig von einer wohltuenden Gelassenheit.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783709975848

„Hör zu“, sagte Richard, „ich erzähle dir die Geschichte von Leo Pomerantz, Rita Luna und dem Dünnen.“
„Dem Dünnen?“ fragte ich.
„Sagte ich doch.“
„Dünner noch als du?“
„Ungefähr gleich dünn, würde ich sagen. Zufrieden?“
Wir hatten eine Münze geworfen, ich weiß nicht, was für eine Münze es war, sie gehörte Richard. Kopf hatte er gewettet, und Kopf war gefallen. Also durfte er erzählen, und ich mußte mich um die Autos kümmern.
„Kennst du den Hollywood-Boulevard?“ fragte er.
„Kann sein“, sagte ich.
„Kennst du ihn morgens um sieben? Wenn du ihn nämlich morgens um sieben nicht kennst, dann kennst du ihn gar nicht. Der Hollywood-Boulevard morgens um sieben, der sieht folgendermaßen aus. – Hörst du zu?“
„Aber ja, Richard.“ Ich war nämlich aufgesprungen und mit ausgebreiteten Armen an die Fahrbahn gelaufen. So macht man das nachts. Zeigt Not an. Nützte aber nichts in diesem Fall. VW Golf mit Stoffverdeck, wahrscheinlich weiß oder beige. „Ich hör schon zu, Richard“, sagte ich und setzte mich wieder neben ihn an die Leitplanke. „Erzähl ruhig weiter!“
„Gut. Also der Hollywood-Boulevard am Morgen sieht im Prinzip genauso aus wie am Nachmittag.“
„Es kommt aber am Morgen etwas Besonderes dazu – das meinst du.“
„Ja, das meine ich.“
„Was kommt denn am Morgen Besonderes dazu, Richard?“
„Die Leute fühlen sich morgens um sieben anders als am Nachmittag, sagen wir so um fünf. Das ist es. Sie sind müde. Sie waren entweder noch gar nicht im Bett, oder sie sind zu früh raus. Das ist in jeder Stadt so, da unterscheidet sich Los Angeles von keiner anderen Stadt der Welt. Über der Stadt hängt Nebel. Kannst du dir das vorstellen? Du kannst es nicht, es ist nämlich dieser verlogene Nebel, der sich aufführt, als wäre er Bewölkung. Der Hochstapler unter den Nebeln. Der Großkotz unter den Nebeln. Ja, man muß das so hart formulieren. Da nützt dir keine Erfahrung, du wirst ihn für Wolken halten, bis zehn Uhr wirst du denken, es sind Wolken heute. Bedeutende Meteorologen haben sich von diesem Nebel hinters Licht führen lassen ... Gib doch zu, du kennst Los Angeles gar nicht!“
„Kaum, du hast recht, eigentlich kaum.“
„Aus Filmen kennst du die Stadt. Stimmt’s?“
„Hauptsächlich.“
„Also dann hör zu! Am Morgen sind die Straßen naß. Das ist nicht schwer, sich vorzustellen. Der Hollywood-Boulevard ist eine von den Straßen, die am Morgen besonders naß sind. Er wird nämlich mit Hochdruck naß gemacht. Es kommen die Spritzwagen, die für Sauberkeit zuständig sind, und besorgen das. Die Männer, alles totale Profis, können den Druck regulieren. Es gibt fünf Stufen am Gerät. Der Hollywood-Boulevard, der ja früher vornehm gewesen ist, wird heute mit Stufe vier abgespritzt. Das heißt, er ist nicht mehr vornehm. Er ist verdreckt, eingeschmiert mit Unrat von der klebrigsten Sorte. Die messingumrahmten Sterne, in denen die Namen der Stars stehen, ziehen den Schmutz besonders an, könnte man meinen. Manchmal ist so einer völlig mit zerstampften Pommes frites zugedeckt. Charlie Chaplin oder Mae West. Kannst du nicht mehr lesen. Als ob es die nie gegeben hätte. Charlie Chaplin und Mae West, stell dir vor! Die müssen dann freigespritzt werden. Mit Stufe vier. Für Hollywood-Boulevard gilt Stufe vier. Das ist eine Stufe unterhalb der Slums. Aber dort wird gar nicht gespritzt. Zum Beispiel in Watts. Dort spritzt niemand. Deshalb bleibt Stufe fünf plombiert. Die Männer sind übrigens allesamt Schwarze, und sie betreiben Bodybuilding. Jedenfalls in der Zeit, in der meine Geschichte spielt, waren die Spritzmänner am Hollywood-Boulevard alle schwarz, und alle haben sie Bodybuilding betrieben und alle waren sie totale Profis. Spielt in meiner Geschichte aber keine Rolle. – Also flott jetzt: Leo Pomerantz wohnte nämlich in der Nähe des Hollywood-Boulevards. Darum erzähle ich das ja auch alles. – Sagt man bei euch flott oder in Dänemark?“
„Bei uns, Richard. Ja.“
„Flott! Mit Doppel-t?“
„Mhm.“
„Flott-ä! Flott-ä! Sehr gut! Wie abgeschossen. Am Ende des Wortes haut es einen an die Mauer ... Seine Freunde nannten ihn Sneezy. Das ist ein Zwerg aus Disneys Schneewittchen. Zu jener Zeit, in der die Geschichte spielt, schlief Leo Pomerantz sehr wenig, und wenn er schlief, war es ein dünnes, flottes Dahindämmern, und das brachte er im Schutz von drei mannshohen Ölfässern hinter sich. Neben einer Garage in der Whitley Avenue. Das war sein Ruheplatz seit gut zwei Monaten. Ein guter Ruheplatz, das muß betont werden, einer der besten sogar. Er gab acht auf ihn, pflegte ihn. Der Platz war ein perfektes Versteck. Die Ölfässer standen an einer Mauer, sie hatten eine merkwürdige Form, sahen aus wie Gaskartuschen, die man beim Camping verwendet, wie diese Schokoladenhauben, die es bei euch in den Zigarettengeschäften zu kaufen gibt, die Schwedenbomben heißen, nur daß die Ölfässer eben mannshoch waren. Drei waren es, wie gesagt, und die standen dicht an der Mauer. Aber es sah nur so aus, als stünden sie dicht an der Mauer, weil die Mauer nämlich schief war. Dank eines Erdbebens. Und so war hinter den Ölfässern ein Schlupf, den man von außen nicht sehen konnte. So einen Ruheplatz hatte sich Leo Pomerantz jahrelang ausgedacht, erträumt, muß man schon sagen, und schließlich hatte er ihn gefunden. Leo war also einer der ganz wenigen Menschen in dieser Stadt, die von einem Erdbeben profitierten. Er tarnte den Platz mit Abfällen und Gerümpel. Vor das Loch, durch das er hinter die Fässer kroch, schob er einen Karton, voll mit besonders ekelhaften Gemüseabfällen. Es war ein liebenswertes Zuhause in bester Lage, nur vierundfünfzig Schritte vom Hollywood-Boulevard entfernt. An der Ecke war ein Pub, das in den zwei Monaten, seit Leo Pomerantz in der Gegend war, bereits dreimal den Besitzer gewechselt hatte und zur Zeit Old Jingleballicks hieß. Der dauernde Besitzerwechsel war ein Segen für Leo, denn der jeweils neue Besitzer wußte nicht, wer von der Kundschaft bei seinem Vorgänger Lokalverbot gehabt hatte. Vorne am Hollywood-Boulevard war das Fame Café, Leos Frühstückslokal, und dorthin bewegte er sich an jenem Tag, an dem meine Geschichte spielt, und es war sieben Uhr am Morgen ...“
„Entschuldigung, Richard. Es war sieben Uhr am Morgen – merk dir das. Bin gleich wieder da!“ – Zwei Schritte in die Fahrbahn, Arme hoch, Augen mitten in die Scheinwerfer, was dich halbblind macht, Mund weit offen, als ob du schreist ... Nützte wieder nichts. Fuhr einfach weiter. BMW, Baujahr 88, schätzte ich, dunkel, deutsches Nummernschild.
„Gut, Richard. Weiter! Es war sieben Uhr am Morgen ...“
„Ja, es war exakt sieben Uhr. Leo war einigermaßen nüchtern an diesem Morgen, mußt du wissen, und bis Mittag wollte er es bleiben. Vielleicht sogar bis eine Stunde über Mittag. Es waren nämlich erst wenige Tage vergangen, seit er sein Spiegelbild gesehen hatte. Das war auf der Toilette im Old Jingleballicks gewesen. Oh, das hatte ihn nachdenklich gemacht! Ich bin zweiundfünfzig, hatte er sich gesagt, und ich sehe aus wie achtundsechzig. Das sind sechzehn Jahre Schnaps. Darum hat er sich vorgenommen, sein Leben zu ändern. Sein Ziel war: in einem Jahr auszusehen wie dreiundfünfzig. Wie null Jahre Schnaps. Das war sein Ziel. Es ist nämlich wichtig für die Geschichte, zu wissen, daß Leo Pomerantz ein Ziel in seinem Leben hatte. Und zwar ein nobles Ziel: sich zu reinigen von allem Bösen und jünger zu werden oder so oder gleich alt, du verstehst schon, was ich meine. Und warum das Ganze? Das müßte jedem klar sein ...“
„Ich wüßte jetzt im Augenblick nicht hundertprozentig warum, wenn ich ehrlich sein soll.“
„Nicht? Nicht. Gut. Um so besser. Bleiben wir mit der Nase direkt an der Geschichte. Ist viel besser. Was will Leo? Leo Pomerantz, genannt Sneezy, will den Hollywood-Boulevard überqueren und ins Fame Café gehen, um dort, wie er sich fix vornimmt, einen Fruchtsaft zu trinken. Mit dem linken Fuß steht er auf dem Stern von Maureen O’Hara, den rechten hebt er über den Rand des Gehsteigs ... da plötzlich ... – Bleib sitzen, der nimmt uns eh nicht mit!“
Es war ein Toyota Corolla, wahrscheinlich ein Mann, ziemlich sicher allein.
„Hätte sein können“, sagte ich, „daß der genau der eine von den zweien war, die statistisch gesehen in einer Nachtstunde anhalten.“
„Kann sein, ja ... Hätte sein können.“
Richard war der Meinung, daß Autostop in der Nacht eine zwar langwierigere, aber dafür einträglichere Sache sei. Wer in der Nacht fährt, fährt weit, pflegte er zu sagen. Wer dich also in der Nacht mitnimmt, nimmt dich weit mit.
„Plötzlich“, fuhr Richard in seiner Geschichte fort, „plötzlich sieht Leo Pomerantz einen langen, dünnen Mann, der ihm von der anderen Seite des Hollywood-Boulevards zuwinkt. Der Mann hält einen blinkenden Gegenstand in der Hand. Leo kann nicht erkennen, was es ist. Ein interessanter Gegenstand auf alle Fälle. Leo interessiert sich nämlich für Gegenstände. Unter Gegenständen versteht er in erster Linie Werkzeug. Leo hat jahrelang als Zimmermann gearbeitet, mußt du wissen. Nicht als Zimmermann, genaugenommen, sondern als Handlanger. Nachdem er aus der High-School geflogen war. Den halben Strand von Malibu hat er zusammengenagelt. Der Geruch von red wood, das hätten seine glücklichen Jahre werden können ... – Die ersten Strahlen der Morgensonne spiegeln sich in dem Gegenstand, den der Mann auf der anderen Seite des Hollywood-Boulevards in der Hand hält, sie blenden Leo Pomerantz. Und das, mein Freund, wird wohl der Grund dafür gewesen sein, daß er nicht auf den Kombi achtete, der von links dahergebraust kam. Und dieser elende Kombi, schlechte Reifen wahrscheinlich, der rutscht beim Bremsen auf der nassen Fahrbahn – Sneezy ist bereits mitten auf der Straße –, und im selben Augenblick, in eben genau diesem Augenblick, muß man sagen, holt der dünne, lange Mann auf der anderen Seite des Hollywood-Boulevards mächtig aus und wirft – wirft seine Sichel ...“
„Ist etwas, Richard?“
„Nein, warum?“
„Weil du eine Pause läßt.“
„Es ist wegen der Wirkung.“
„Verstehe.“
„Es war der Tod. Kriegt man das mit? Der mit der Sichel war der Tod.“
„Schon. Doch. Klar. Kriegt man mit. Auf ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Widmung
  3. Start
  4. Michael Köhlmeier
  5. Zum Autor
  6. Impressum