Fayum und andere Erzählungen
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Fayum und andere Erzählungen

  1. 144 Seiten
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Fayum und andere Erzählungen

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Über dieses Buch

Hans Augustin schildert in seinen Prosastücken "Fayum und andere Erzählungen" eine Welt, in der die Menschen den Boden unter den Füßen verlieren, die an unerwarteten Stellen aufbricht und wo vertraute Strukturen plötzlich zerbrechen. Geschichten über einen Vater, der seinen Sohn, den Bombenattentäter von Oklahoma, vor seiner Hinrichtung besucht; über eine Familie, die im Park ihr Sonntagspicknick einnimmt und Zeuge wird, wie die Welt auseinander bricht; über den Traum von Fayum; oder von einem Bauern, über dessen Hofidylle BSE hereinbricht. Dem Autor gelingt es wie schon in "Grosnyj", die LeserInnen in jene Welten zu entführen, in denen die Geschichten spielen: das Zen-Kloster in China, die nordafrikanische Wüste, die amerikanische Großstadt oder den Tiroler Bauernhof. "Verschenkte Geschichten" nennt Hans Augustin seine elf Prosatexte: Geschichten, denen man eigentlich einen Roman wünschen müsste. Aber er begnügt sich mit einer knappen, zurückhaltenden Schilderung, verzichtet auf ausladende Schilderungen und Charakterisierungen und überlässt es den Leserinnen und Lesern, sich weit über die Geschichten hinaus zu denken, einen "Roman" entstehen zu lassen.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783709973486

Dead End Street

ABC will ein Interview. Exklusiv. Wie alles exklusiv ist im Leben. Ob Bügelfalte oder Gasanzünder.
Sie schicken Bill McVeigh eine Reporterin an den Hals, die seiner früheren Frau ziemlich ähnlich ist. Das irritiert den Mann, aber dafür kann die Rundfunkstation nichts. Sie geht davon aus, daß er weiß, warum sie ein Interview mit ihm machen will.
Ob er es schon wisse.
Aber nein. Er weiß nichts.
Er liest keine Zeitung und sieht sich im Fernsehen nur die Autowerbung an und die Baseballmeisterschaften. Buffalo gegen Walker County.
Sein Sohn habe gestanden.
Tim?
Ihm wird in diesem Augenblick bewußt, daß er schon lange nichts mehr von Tim gehört hat. Zwei, drei Jahre. Oder mehr?
Sein Sohn habe gestanden –
Wo? Oder was?
Sein Sohn habe gestanden, 1995 das Regierungsgebäude in Oklahoma City in die Luft gesprengt zu haben.
Bill McVeigh ist sprachlos. Die Erinnerungsmaschine in seinem Kopf läuft plötzlich auf Hochtouren. Die Polizei bringt jeden zum Reden. Oder zur Verzweiflung.
Aber wie sollten sie es sonst anstellen. Wenn es nur um das Wörtchen Ja geht.
This chickenshit word yes.
War er es oder war er es nicht? Und wenn ja, wer steckt dahinter?
Also strengen sie sich an. Vermeiden alles, was nachher beweisen könnte, wie sie ein bißchen nachgeholfen haben. Mancher tut sich beim Reden eben schwer.
Es ist ein schöner Sonntag im Mai. Seine Frau packt noch ein paar Mineralwasserflaschen in den Picknickkorb. Dann fahren sie am Creek Highway Richtung Norden. Dort oben gibt es Plätze für einen angenehmen Lunch im Freien, ein Schläfchen unter Redwood und einen Waldpfad für den Jungen.
Timothy ist vier oder fünf Jahre alt. Die kleinen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern lassen sich noch glätten.
Im Radio Glenn Miller. Erinnerungen, Erinnerungen. Oh boy.
Weil die Klimaanlage nicht funktioniert, haben sie das Fenster offen. Plötzlich taucht ein Blaulicht auf. Sie schneiden den Wagen McVeighs an den Straßenrand. Alles geht sehr schnell. Die Beamten reißen mit gezückter Pistole die Türen auf, zerren Vater und Mutter aus dem Wagen. Die Mutter kreischt. Einer der Beamten hält ihr den Mund zu. Vater liegt vornüber im Polizeigriff auf der Motorhaube, eine Pistole an der Schläfe. Aus der Brieftasche des Vaters ziehen sie einen Ausweis und den Führerschein.
Timothy sitzt am Rücksitz und sieht einen Film, den er nicht versteht.
Ein vierter Polizist durchsucht das Handschuhfach, die Ablagen, wirft den Inhalt auf den Boden, durchstöbert die Behälter in den Türen, öffnet den Kofferraum. Sieht den Picknickkorb und schreit Nothing.
Da lassen die anderen von Vater und Mutter ab. Timothy sieht Vater weinen, die Mutter hat eine wächserne Haut. Sie schluckt ständig und zittert am ganzen Körper.
Sie stecken die Waffen in ihre Schulterhalfter, einer schiebt seine Schirmmütze mit dem Zeigefinger in den Nacken und sagt Shit. Und Sorry. Und Have a nice day.
So schnell wie sie kamen sind sie wieder weg.
Sie haben den Falschen gefilzt. Für wen haben sie Bill McVeigh gehalten?
Sie dachten, er hätte Waffen für die New Patriots bei sich. So steht es in einem Polizeiprotokoll, das bei der Einvernahme seines Sohnes auftaucht. Aber Bill McVeigh kennt die New Patriots gar nicht. Ihn interessiert Politik nicht.
Das hat Folgen.
Timothy war Zeuge, wie die Macht der größten Demokratie der Welt sich seinen Bürgern zeigt.
Sie fahren bei der nächsten Abfahrt vom Highway ab und nach Hause. Sie reden bis zum nächsten Morgen kein Wort mehr.
Nicht lange danach geht die Mutter weg. Nach Canada. Vater und Sohn bleiben allein zurück. Irgendwann sitzen sie beim Scheidungsrichter. Alles nur noch eine juristische Formsache. Die Mutter riecht fremd. Sie trägt ein Kleid mit gelben, grünen und roten Ahornblättern. Ein Kleid wie Indian-Summer.
Dann steigt sie in ein Auto ein, das am anderen Straßenrand geparkt stand. Ein Mann am Steuer, den Tim nicht kennt. Sie küssen sich und fahren weg. Timothy sieht dem Auto lange nach. Das war’s dann.
In seinem Kopf gibt es eine Stelle, an der ein Licht ausgeschaltet wurde.
Der Garten um das Haus verwildert. Die Vorhänge bleiben oft tagelang zu. Im Geräteschuppen hockt der Geruch vom Benzin des Rasenmähers, alten Autoreifen und toter Blumenerde.
Ich bin auf alles gefaßt. Aber nicht auf das. Zwei junge Uniformierte bringen einen Mann zur Tür herein. Wegen der Glasscheibe zwischen mir und ihnen, in der sich ein flaches Gebäude, ein Baum und ein Stück Mauer spiegelt, hört man nichts. Oder nur über ein Raummikrophon.
Ich sehe kein Gesicht.
Sie hätten mir eine Person unterschlagen können und ich hätte es nicht gemerkt.
Einer der Uniformierten nennt den Namen dessen, den sie in der Mitte führen. Aber ich erschrecke nicht. Es ist der Name meines Sohnes.
Die Spiegelung verursacht mir Unbehagen. Ich bin nahe daran, aufzustehen und das Rollo herunter zu lassen, aber ich weiß nicht, ob es hier überhaupt ein Rollo gibt.
Mein Name klingt mir im Ohr.
Dann stelle ich meinen Blick auf die hinter den drei Personen liegenden Wand. Über ihren Köpfen schwebt eine Uhr. Es ist halb elf.
Der Mensch, den sie an den Achseln festhalten, kommt meinem Sohn ziemlich nahe.
Er hat ganz kurze Haare. Solche hatte mein Sohn nicht, als er sein Zuhause verließ.
Wann war das?
Eine Menge Zeit ist inzwischen vergangen. Der Mensch hinter der Glaswand sagt ins Mikrofon „Vater“, und ich erschrecke im ersten Augenblick, ich fühle mich nicht angesprochen. Er sagt es, als hätte er den ganzen Tag schwer gearbeitet und würde sich nun gerne ausruhen.
Ich blicke den Beamten lange ins Gesicht, ob vielleicht einer von ihnen Vater gesagt hat. Aber das kann ich ausschließen. Solche Gesichter sagen nicht Vater. Und wenn, dann nicht hier.
Es war der Mensch, der nun zwischen ihnen sitzt, und mich ansieht. Aber ich kann mich an diesen Blick nicht erinnern.
Wir sitzen uns gegenüber. Das Tageslicht hinter mir wirft vom gegenüberliegenden Fenster des Gebäudes ein helles Viereck auf das Ziffernblatt. Das Licht flirrt unmerklich. Als ob der Vorspann eines Films anliefe. Ich bin gespannt auf die ersten Bilder. Aber es kommt nichts.
Ich bin nervös. Ich war in meinem Leben noch nie in einem Gefängnis und meinem Sohn noch nie so nahe.
Ich würde gerne, aber ich muß nicht reden. Mein Mund ist trocken. Vor mir auf dem Tisch stehen eine Karaffe mit Wasser und ein Glas. Das Glas steht mit der Öffnung nach unten auf einer Art Bierdeckel. Es wird aufgeschrieben, daß ich um 10.34 Uhr aus einer Karaffe Wasser in ein Glas geschüttet und getrunken habe.
Meine Hände haben gezittert. Dein Vater ist zerbrechlich geworden.
Ich würde gerne deine Hand anfassen, wie um mich zu vergewissern, daß du keine Imitation bist, keine Einbildung, die man an deiner Stelle hierher gesetzt hat. Um mich zu täuschen. Ich denke unwillkürlich an die Bilder im Fernsehen von Oklahoma City. Sie zeigen den weit aufgerissenen Leib des Bundesgebäudes, wie den eines Tieres.
Ich wollte, ich könnte dir helfen. Ich weiß nicht wie. Dich vielleicht entführen. Raushauen, abseilen, mit einem Helikopter und dann abhauen. Aber ich bin für diese Dinge nicht geeignet.
Was immer du getan hast, es ist mir unerklärlich, wieso du hier bist. Stimmt das alles, was in den Zeitungen steht?
Die Reporterin hält Bill McVeigh das Mikrophon hin. Der Kameramann prüft die Lichtverhältnisse. Gut. Kamera ab.
Mr. McVeigh, Ihr Sohn wurde heute wegen des Bombenattentats in Oklahoma City zum Tod verurteilt. Was sagen Sie dazu? Bill McVeigh starrt aus dem Fenster seines Hauses, als wäre er fremd hier. Er sieht einen Ahornbaum, einen Rasen, der gemäht werden müßte, es ist früher Nachmittag, und in dem Film zum Thema Timothy sind die Bilder matt und weit entfernt. Eine Frau taucht in Umrissen auf, das muß Vivien sein, denkt er, Timothy kommt von der Schule und sagt, daß er Ken Forster, den Biologielehrer, eines Tages umlegen wird.
Das sagt er nur so dahin, denkt Bill McVeigh, daran ist nichts, das sind diese verbalen Schienbeintritte der Pubertierenden gegen die Vollpädagogen, denen eine Tracht Prügel für ihre Blödheiten nicht schaden würde.
Aber Ken ist ein Kunde der Autowerkstatt, in der Bill McVeigh arbeitet. Sie kennen sich und vermeiden ein Gespräch über die Leistungen und das Verhalten von Timothy.
Ken wirkt überheblich. Er ist es in Wahrheit nicht. Aber er kann faule Schüler auf den Tod nicht ausstehen. Die nämlich, die könnten, wenn sie bloß wollten. Timothy könnte.
Bill fährt das Auto auf die Hebebühne und sagt beiläufig, ob er nicht ein wenig nachsichtiger sein könnte mit Tim, seine Mutter sei weg und so weiter. Und ein Männerhaushalt habe eben nicht so die Feinheiten für ein Zuhause.
Ken sieht Bill McVeigh mit großen Augen an. Er habe das nicht gewußt, und er werde tun, was möglich wäre. Aber Ihr Sohn ist trotzdem ein faules Aas. Er, Ken, würde ihm für den letzten Stoff noch eine Chance geben.
Aber für Timothy ist das Schulleben zwei Wochen später zu Ende. Er meldet sich ab und jobbt.
Und Bill weiß es nicht.
Wir sind doch eine stinknormale amerikanische Familie. Aber die Normalität stinkt tatsächlich. Kühltruhe, Fernseher, Livingroom, Mikrowelle, einen Revolver im Schrank für alle Fälle, einen Toaster und ein Picknick-Set.
Ich kann ihn nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Ich darf meine Arbeit nicht verlieren, denn dann sitzen wir auf der Straße. Und das kann doch niemand wollen.
Und was die Freunde angeht: Denken Sie doch einmal an Ihre eigene Jugend. Und kommen Sie mir nicht mit der Vernachlässigung der Aufsichtspflicht.
Wir haben einen Kredit und der bezahlt sich nicht von allein ab. Ich muß daneben noch was verdienen, sonst kommen wir nicht durch.
Irgendwann verlor Bill McVeigh seinen Sohn aus den Augen. Das letzte, was er von ihm hörte, war das Schließen der Haustür an einem frühen Morgen. Es war nicht das gewohnte Geräusch, sondern eines, das keinen Zweifel aufkommen ließ, daß Timothy diese Tür für längere Zeit nicht mehr öffnen würde.
So etwas spürt man. Auch ein Mechaniker, der sich um diese Gefühlslagen sonst nicht so kümmert.
Und vormittags kam der Anruf aus dem College, wo Tim sei.
Bill wußte es nicht.
Die Reporterin ist ein Typ Frau, die die drei Ks Kinder, Küche, Karriere unter allen Umständen unter einen Hut bringen will, und wer das unverantwortlich findet oder nicht kapiert, ist reaktionär. Ein Typ Frau, der von Männern spricht, die immer nur das eine wollen und sich einen Dreck um den Abwasch kümmern. Sie will, daß Bill Mc...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Die Schwarze Witwe
  6. Herzrasen
  7. Mein Land ist das Meer
  8. Dead End Street
  9. Fayum
  10. Französische Landschaft
  11. Kalbsherz
  12. Der Riß
  13. Der unauffällige Heimgang des George Turklebaum
  14. Frauenleben
  15. Zanshin no yume
  16. Glossar