Kurze Durchsage

Gedichte & Prosa

Klaus Merz

• Verlag: Haymon Verlag
• Jahr: 2013
• ISBN:
  9783709971178
• Auflage: 1
• Thema: Literatura
• Thema: Literatura general

Kurze Prosa, manchmal nur vier, fünf Zeilen lang, und Gedichte, in denen sich die Handschrift des Autors am deutlichsten zeigt.Mit neuen Gedichten und kurzen Prosastücken sowie einer Auswahl früherer Arbeiten führt Klaus Merz, ein "Meister der literarischen Ökonomie" (Tages-Anzeiger) bis zu seinen Anfängen Mitte der sechziger Jahre zurück. Ergänzt wird die Sammlung durch ein Nachwort von Werner Morlang: Die rund sechzig neuen Texte aus den letzten vier Jahren sind ganz ausdrücklich der Fortsetzung verpflichtet, die der Unaufhörlichkeit der Welt ihren Tribut zollt und bis in die Tiefen unserer Kindheit und in die Höhen unserer bisweilen krausen Träume hinunterreicht. Die zwölf Haikus 'Geografie' zum Beispiel sind höchst bewegliche, reiselustige Texte, dennoch wissen wir spätestens seit der Prosaminiatur 'Vom Reisen': Klaus Merz ist ein Bleibender, will sagen, er bleibt bei den Dingen, die ihn umtreiben, bei der unerschöpflichen Exotik unseres Daseins. Er beharrt auf seinem poetischen und lakonischen 'Weidwerk': Die Witterung eines Wortes, eines Satzes aufnehmen, die wirklich gesagtsein möchten.Das hat mit Jagdzu tun, mit Sehnsucht.Und es kann langedauern.

IV

VERWANDTSCHAFTSGRADE

(1978–1985)

SEPTEMBER

Gezählte Abende

im Freien.

Mit Leuten, Wein,

den schwarzen Oliven.

Mit zunehmenden

Verwandtschaftsgraden.

Und dem Bleistift

im Futteral.

FÜR S.

Seit fünf Uhr

fällt Regen.

Der Horizont macht

kein Aufhebens

von sich.

Überhaupt braucht

ein Liebesgedicht

gar kein Wetter,

Liebste.

MORGENGRAUEN

In einer Kuh durch die Nacht geflogen, es waren auch Kinder dabei. Aus den Flugzeugen grüßten die Passagiere herüber, und die Fleischwände hielten uns warm.

Aber als wir im Baumgarten landeten, stand wieder der Zwerg an der Ecke des Hauses und betrachtete mit steinernen Augen den nahenden Tag.

KINDERFRAGE

Valeria, Kind, das nicht einschlafen kann, wo doch Kinder so lieblich sind, wenn sie schlafen.

Schafgarbe, Honig, nichts hilft, erst nach Stunden endlich die leichte Antwort auf die schwierige Frage des Kindes, ob man Gott mit zwei oder nur einem t schreibe.

ENZYKLOPÄDIE

Vielleicht müßte man von der Brechnuß ausgehen. Von den Samen der Feuerlilie in ihrer kapselartigen Frucht. Von Shakespeares angeblicher Totenmaske im gerissenen Gips.

Oder konsequent bei den Stichwörtern verweilen von Sade bis Termit. Beim thronenden Schöpfergott, der die Welt mit dem Zirkel ausmißt auf einer kleinen, vierfarbigen Reproduktion.

KARTENGRUSS

Ach Tod,

du Luder,

Liebster,

woher nur

nehmen die Menschen

ihre Gesichter

beim Vorübergehen?

ARCHÄOLOGIE

Der gut erhaltene Mensch,

auf den die Torf-

stecher stießen,

trug in der Stirn

eine Eisenspitze, die zwischen

den Augen der Finder

von neuem

zu schmerzen begann.

FÖHN

Plötzlich

diese Verzweiflung,

Geliebte.

Rühr mich nicht an!

Im Handumdrehen weiß man

über nichts mehr Bescheid.

Lauter grüne Bänke

stehen am Horizont,

ein heller Tag.

Und die Jäger

legen ihre Gewehre

auf Wanderer an.

WENIG HOFFNUNG

Auch nachmittags

sitzt niemand im Restaurant,

den man für schuldig

halten könnte.

So harmlos

stehen die kleinen Finger

überall vom Dessert-

löffel ab.

GLÜCK

Diese Zuversicht gestern,

als der Himmel so blau war.

Und sich die Häuser

auf der flachen Hand

balancieren ließen.

WUNSCH

Vielleicht,

daß uns

etwas aufginge.

Einmal.

Per Zufall.

Für immer.

MUSEUM

Alltagsgeräte, alter Schmuck.

In den Vitrinen spiegelt sich

zwischen den Dingen

dein eigenes Gesicht.

Am Fenster steht der Wärter

und betrachtet die Welt.

BOOTSVERMIETUNG

Hinausfahren, sagte die Frau am Steg, könnt ihr in meinen Booten. Die Stunde zum Preis einer Stunde.

Aber wie eng ihr die Maschen der Netze knüpft, darüber will ich nicht wachen.

STADTRUNDFAHRT

Die weißen Läden gegen das späte Licht gestellt. Auch im Vorbeifahren wollen wir die Langsamkeit nicht verletzen:

Ein jung gebliebener König reitet strahlend durch den gepflegten Park. Sein Pferd mit den marmornen Hoden gehorcht ihm aufs Wort.

Daß man uns später vom Fluß aus das Sterbezimmer des Republikaners zeigt, ficht seine Majestät nicht mehr an.

Und die beiden Liebenden im Heck des Showboots melden vor dem Parlament so oder so ihren geheimen Widerstand an.

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Inhaltsverzeichnis

• Cover
• Titel
• Impressum
• Widmung
• I Fortsetzung (1992–1995)
• II Persönliches Arrangement (1992–1995)
• III Standbein Spielbein (1986–1991)
• IV Verwandtschaftsgrade (1978–1985)
• V Apere Stellen (1965–1972)
• Nachwort
• Inhalt