Wien Metropolis
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Wien Metropolis

  1. 284 Seiten
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Wien Metropolis

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Über dieses Buch

"Was du brauchen kannst, das nimmst du dir": In Wien herrscht Goldgräberstimmung, der Zweite Weltkrieg ist vorbei, und verwegene Existenzen sind auf dem Sprung in ein neues Leben. In seinem fulminanten Auftakt zu den "Wiener Dateien" spannt Peter Rosei den Bogen von der Nachkriegskorruption bis in die Villen der arrivierten Geschäftsleute der 80er Jahre. Kunstvoll verknüpft er die Lebensbahnen von Parvenüs und Lebemännern, Professoren und Politikern, Unternehmergattinnen und Erfolgsfrauen zu einem dichten Netz von Beziehungen, in dessen Mittelpunkt die Freunde Alfred und Georg stehen, das Wirtschaftswunderkind und der Anarchist. Ein atmosphärisch dichtes, lustvoll erzähltes Stück Prosa, Porträt einer Stadt, in der alles käuflich und nichts heilig ist …

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783701746101
I. Teil

1. KAPITEL

In der Schönborngasse, im achten Wiener Gemeindebezirk, steht ein fünf Stock hohes Haus an der Ecke zur Josefstädterstraße. Das Haus ist schönbrunnergelb gestrichen und unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den Nachbarhäusern, die allesamt aus der Gründerzeit herstammen. Weibliche Köpfe im Halbrelief – es sind die Köpfe von Göttinnen, deren Namen und Treiben bloß in Vergessenheit geraten sind – schmücken den Fries, der oben, oberhalb der letzten Fensterreihe, als zart gerieftes Band um das Gebäude herumläuft, und aus dem Haar dieser Göttinnen entwirren sich Bänder und Girlanden aus Stuck, die in tändelndem Rhythmus, wie materialgewordene Töne einer leichtfüßigen, etwas abgedroschenen Musik, die Hauswände überspielen. An der Ecke zur Josefstädterstraße, etwa in Höhe des Mezzanin, ist als weitere Dekoration ein überdimensionierter Männerkopf mit wallendem Prophetenbart postiert, dessen weise verschlossene Lippen im Zusammenspiel mit den weit geöffneten, aber blind starrenden Augen keinerlei Botschaft verkünden, es sei denn die einer sich selber verlustig gegangenen Seele mit ihrer heiteren, ja glücksversessenen Adaption an das Dasein.
In dem Haus, in einer kleinen Wohnung im vierten Stock, mit Blick auf die Josefstädterstraße, wohnten die beiden Herren Franz Joseph Pandura und Georg Oberkofler. Vor dem Krieg hatte Oberkofler, schon damals Soldat, allerdings beim noch österreichischen Militär, in der Wohnung zusammen mit seiner Frau gelebt. Noch war den anderen Hausparteien erinnerlich, wie der fesche, großgewachsene Oberleutnant, sein blondes, vielleicht ein bißchen grell aufgemachtes Frauchen am Arm, die breiten Treppen hinuntergestiegen und in einen einladenden, vielversprechenden Abend, einen Sommerabend etwa, zeremoniell und förmlich, wie es sich für einen Offizier gehört, aber nicht unelegant hinausgetreten war.
Die Wohnung bestand nur aus zwei großen Zimmern samt Nebenräumen wie Bad und Küche und stellte in dem Haus an der Schönborngasse eigentlich eine Ausnahme dar. Die Wohnungen zählten nämlich in der Regel vier Zimmer oder mehr und waren herrschaftlich.
Es war auf dem Rückzug der deutschen Armeen in der Gegend von Allenstein in Masuren in Polen, also eher schon dem Ende der Schlachtereien des Großen Krieges zu – die kommenden Monate sollten allerdings besonders blutig werden –, daß im Wohntrakt eines Herrengutes, erst kurz zuvor war es von seinen Bewohnern geräumt worden, sich folgendes zutrug: Die Soldaten einer in Auflösung befindlichen deutschen Kompanie entdeckten ein erleuchtetes Fenster in der Nacht. In der Eile der Flucht hatten die Gutsleute wohl vergessen, gerade diese eine und letzte Lampe zu löschen. Die Soldaten brachen mit ein paar Kolbenschlägen das Hoftor auf und drangen ins Haus ein. Im Kamin im großen Salon fanden sich unter einer dünnblättrigen, brüchigen Schicht von grauer Asche – man hatte wohl Papiere verbrannt – noch Knollen von roter, wärmespendender Glut. Bald hatte einer der Männer die Treppe, die zum Vorratskeller hinunterführte, entdeckt. – Als endlich die Nachhut eintraf, angeführt von keinem anderen als dem Oberleutnant Oberkofler, der Pandura, seines Zeichens Stabswachtmeister, war bereits bei der ersten Gruppe dabeigewesen, da fand der Oberkofler seine Leute und also auch den Stabswachtmeister Pandura schon beim Plündern. Zwar hatte der Pandura alle vorgefundenen Fässer durch gezielte Pistolenschüsse zuschanden geschossen, er hatte aber im Durcheinander nicht verhindern können, daß der eine oder andere sein Kochgeschirr oder sonst ein Gefäß unter den kalt und dunkel herauspritschelnden Weinstrahl gehalten hatte. Der Oberkofler machte auch gar kein Aufhebens von der sich anbahnenden Sauferei, er sagte nur in Richtung Pandura, aber so laut, daß alle es hören konnten: »Wer morgen liegen bleibt, wird eben vom Russen erschossen.« Dann warf er seine Handschuhe auf einen Tisch, setzte sich und streckte die Beine breit aus.
Später am Abend, die Soldaten waren ruhiger geworden, manche hatten sich schon auf dem Boden zusammengerollt oder waren auf irgendeinem Möbel in voller Montur eingeschlafen, saß der Pandura mit einer Flasche klaren Schnapses, die er beiseitegebracht hatte, am jetzt dunklen und vor Kälte knirschenden Fenster und schaute in die Nacht und den seltsam bleich im Mondlicht sich streckenden Garten hinaus: Schnee und Eis bedeckten die Wiesen, die Bäume mit ihrem schwarzen Astwerk glichen Peitschen, die, von unsichtbarer Hand geschwungen, im Frost erstarrt waren. Von hinten trat der Oberleutnant Oberkofler, der, am Kaminsims lehnend, schon die längste Zeit den Pandura betrachtet und beobachtet hatte, an ihn heran und legte ihm, was ganz ungewöhnlich und eigentlich unausdenkbar war, die Hand auf die Schulter und sagte mit rauher Stimme: »Geh schlafen!« – Die Stimme klang freundlich, und rauh nur vom langen Schweigen. Der Pandura fuhr wie elektrisiert herum, sein Erstaunen war aber bloß gespielt, denn eigentlich und im Grund hatte er, wie er da so vor dem Fenster saß, auf ein Herantreten des Oberkofler gewartet.
Die beiden, der Oberkofler und der Pandura, eigentlich von Pandura, kannten einander schon lang: Im Verband der deutschen Wehrmacht hatte man sie bald nach Kriegsanfang derselben Einheit zugeteilt. Allerdings waren sie erst durch eine der Umgruppierungen innerhalb des Regiments, wie sie die großen Verluste notwendig machten, in einen direkten Zusammenhang miteinander gekommen: Über die Jahre hatte der eine nach dem anderen, der andere nach dem einen Ausschau gehalten, sei es an der Feldküche oder bei der Befehlsausgabe, sei es im Kasernenhof oder auf der Bahn, wenn sie zufällig einmal gleichzeitig nach Wien, auf Heimaturlaub abkommandiert gewesen waren. Die Tatsache, daß der eine, Oberkofler, Offizier, der andere, Pandura, bloß Unteroffizier war, hatte natürlich ihrer Bekanntschaft von Anfang an – wenn man denn bloße Blicke schon als Bekanntschaft bezeichnen will – eine zusätzliche Scheu und Wunderlichkeit beigemischt.
Einmal war der Pandura, es war auf dem Vormarsch in der Ukraine, also über zwei Jahre her, von dem Vorfall in Allenstein gerechnet, da hatte der Pandura beim Vorrücken in der Straße irgendeines staubigen Städtchens kurz vor der schmalen Auslage eines Geschäftes gehalten, weil dort – wie ein Mahnmal aus einem anderen Leben – ein Paar Schuhe ausgestellt gewesen war: Im Spiegeln der schmalen Scheibe hatte er den Oberleutnant Oberkofler, der im Dreck der Straße marschiert war, anhalten sehen – und wie der lang und eindringlich zu ihm herübergeschaut hatte. – Später, so gestand zumindest Oberkofler es sich ein, hatte er es sich als Ausrede zugute gehalten, daß der Pandura ja auch aus Wien stammte, ein richtiger Landsmann war, um sich sein auffälliges Interesse für den zu erklären und zu rechtfertigen, denn im Großen und Ganzen war kaum etwas an dem Mann, das die Attraktion plausibel und landläufig hätte erscheinen lassen können.
Eigentlich wirkte der Pandura schmierig, mit seinem breiten, dunkel getönten Gesicht, das fast ein Vollmondgesicht war, mit der pummeligen, untersetzten Figur, mit seinem breitbeinigen, walzenden Gang. Er hielt sich schlecht, was Schmiß und Auftreten anlangte, offenbar aus Bestemm. Er war aber schneidig, wenn es drauf ankam. Ja, der Pandura war tapfer, und er hatte ein Herz. Bei den besonnenen, älteren Soldaten, die oft auch Familien in der Heimat hatten, galt er als Narr. In Momenten der Tollkühnheit verwandelte sich der ganze Mann, wurde der Pandura ein anderer – gerade so, als wenn man einen Löwen aus einem Ochsen hervorgezogen hätte: Besser konnte der Oberkofler es nicht ausdrücken. Der Pandura wurde dann klein und gedrungen vor Kraft, alles an ihm spannte sich und wurde hart; zugleich war der Mann leicht und beweglich, wie die Nadel einer Bussole, wie der Flaum einer Schneeflocke – aber es war klar, daß bei ihm kein Durchkommen sein würde. – Ging es nach vorn, war der Pandura wie ein Schild, hinter dem man sich verstecken konnte.
Die Schlachtfelder stanken nach Leichen. Es war dem Pandura in solchen Momenten offenbar gleichgültig, was denn der Preis sein würde.
In Ruhestellung war er meist verschlossen und in sich gekehrt. Nur der Glanz der großen, braunen Augen verriet, daß etwas in ihm vorging, in seiner Seele. Ein Spieler und ordentlicher Säufer – dieser Pandura! – Es war wohl dieses dunkle und manchmal, stöberte oder störte man den Mann auf, feindselig wild und heiß funkelnde Augenpaar, das den Oberkofler für den Pandura ursprünglich eingenommen hatte.
Bei der Mannschaft war der Pandura wenig beliebt; ganz im Gegensatz zum Oberleutnant Oberkofler. Das Wesen des Pandura war einfach zu unausgeglichen und schroff, sein Hang zur Absonderung zu groß, seine Launen zu jäh, seine Vorlieben zu extrem.
»Eigentlich bin ich auf einem Bergbauernhof im Pinzgau aufgewachsen. Von dem Hof aus hat man zum Wiesbachhorn, zum Schwarzkopf und zum Glockner hinübergesehen. An schönen Sommertagen, vormittags, wenn die Luftmassen über dem Tal noch rein und ungetrübt waren, blitzte und glänzte aus der Tiefe des Tals der Zeller See herauf. Drüben die Ortschaften Bruck und Fusch, als bunte Flecken oder Flicken – wo sie später die Glocknerstraße gebaut haben.«
Der Oberkofler erzählte und schaute den Pandura an.
»Die Verarmung der Arbeiter im Tal unten ist schließlich auch auf die Bauernwirtschaften übergesprungen. Mitten in der großen Krise brachte mich mein Vater an den Zug in Taxenbach: Am Schalter löste er mir eine Fahrkarte nach Wien. Von dort sollte es dann weitergehen gegen Osten, nach Bruck an der Leitha. Dort war die Militärschule damals. Unser Herr Pfarrer aus der Kirche in Sankt Georgen hat mir den Freiplatz vermittelt.« – Der Oberkofler erzählte dem Pandura im Hinterzimmer eines Ausflugslokales im Prater, wo sie trotz des schönen, ja herrlichen Wetters saßen. In der warmen Frühlingsluft, die durch die offenen Fenster hereinströmte, tanzten die Staubkörner, die aus den schlecht geölten, knarrenden Dielen aufstiegen, und sie, die beiden Herren, bestellten sich ein Krügel Bier miteinander und tranken abwechselnd davon.
»Als der Zug bei Lend in die Schlucht hineinrollte und außer den Felsen mit den herunterhängenden, schwarzen Fichtenästen und der finsteren, brausenden Ache neben dem Gleiskörper nichts zu sehen war, kam es mir vor, als führe ich fort von mir selber und in die Hölle hinein. Zumindest hab ich mir als Bub die Hölle so vorgestellt.«
Der Pandura stammte da aus vergleichsweise brillanten und ehemals hochmögenden Verhältnissen. Sein Vater, ein in den letzten Jahren der Habsburgermonarchie, im Ersten Weltkrieg, nobilitierter Großgrundbesitzer, ursprünglich aus Rumänien heraufgekommen und im Handel mit agrarischen Produkten reich geworden, hatte sein Vermögen als Börsenspekulant in den Boomjahren um die Jahrhundertwende noch vervielfacht. Er heiratete eine schöne, aber verarmte Adelige und legte sein Geld in Grundstücken an. Er hatte das Genie oder den Riecher, ganz wie man will, gerade die trostlosen und öden Landstriche, südlich der Haupt- und Residenzstadt gelegen, aufzukaufen, wo auf den kargen Hügelflanken Ziegen- und Schafherden weideten. Gerade sie sollten sich wenig später als wahre Goldgruben erweisen: In den Ziegeleien, die dort errichtet wurden, schlug und brannte man Ziegel zum glänzenden und großartigen Ausbau der aufstrebenden Metropole Wien.
»Ich meine, was ist schon groß dran?!« fragte der alte von Pandura rhetorisch, biß von einem Stück Mandelgebäck ab und trank einen kräftigen Schluck Schampus aus einem schön geschliffenen Kelch mit gedrehtem Stiel nach, um dann fortzufahren: »Wenn eine von euch im Wasser liegt, so in der Badewanne – da kenn’ ich mich aus! – hingestreut das Haar übern Rand – das könnt’s ihr, ihr Luder! – dann schwimmen die feinen Haar um die halb offene Rosen herum, als wenn’s das Herz von der Muttergottes wär! – Als Bub hab ich übrigens einmal die Hostie in der Kirchen beim Abendmahl nicht verschluckt, wie’s Vorschrift ist – das muß noch in Koloschvar gewesen sein, in Rumänien – ja, ich bin mit der Hostie auf der Zunge, den Mund zu, auf den Bahndamm hinaus, es war Sommer und irgendwelche Käfer haben gebrummt, und hab die Hostie, den Leib Christi, auf die Schienen gespuckt. – Und nichts, nichts ist passiert! – Das war vielleicht was, damals.« – Der alte Herr von Pandura schiebt sein Glas über die glatte, reich intarsierte Fläche des in orientalischem Stil ausgeführten, schwarzglänzenden Tischchens mit dem bläulichen Perlmuttstich, lächelt seiner Gespielin, einem prächtigen Rotschopf, zu und schaut dann, an den in der Zugluft tändelnden Stores vorbei, auf den abendlich leeren Graben hinunter.
Der alte Baron liebt nicht nur seine Comtesse, die Gemahlin, bei jeder Gelegenheit, sonders alles, was ihm an Weiblichem in die Quere kommt. Außer Hündinnen und Hendln, wie er gern sagt. – Heute ist eine Arbeiterin aus der Ziegelei, aus dem Ziegelwerk dran. – Je älter er wird, desto lieber hat es der Pandura, wenn die Weiber jung sind. – Eine pummelige Schwarzhaarige ist es heut’, mit einem dicken Watschengesicht. »Aus Bosnien vielleicht? Du – Mostar?« – Sie versteht nicht einmal das. Der alte Pandura stößt sie gegen die Mauer, den Kittel hinauf, und hinein ins Vergnügen.
Die Arbeiterin winselt zuerst ein bißchen; aber dann tut sie brav mit, so richtig; und dann zittern, im Stehen, sogar ihre Schenkel: Der kommt’s, der kommt’s ja wirklich!
Als ihr der Pandura die zehn Schilling hinhält, nimmt sie das Geld mit gesenktem Blick, und ohne Dankschön zu sagen geht sie, am Gürtelband ihres jetzt schief sitzenden und zipfenden Kittels herumnestelnd, zwischen den Unkrautstauden auf dem Weglein fort.
In der ersten Zeit in Wien gehen Oberkofler und Pandura in Ermangelung einer Beschäftigung und eines Budgets für andere Unterhaltungen uferlos spazieren und unterhalten sich beinah Tag und Nacht miteinander. Bei ihren Berichten und Erzählungen kommt das ganze Leben vor, sie überbieten einander an Ehrlichkeit, jeder will offensichtlich dem anderen tatsächlich die Wahrheit über sein Leben, seinen Charakter und seine Absichten offenbaren – aber zu welchem Zweck? Nur und gerade das bleibt im Dunklen.
Wenn endlich der Strom ihres Gesprächs versiegte und sie schwiegen, so doch nur, um nachzudenken, was denn etwa noch fehlte und noch nicht gesagt und berichtet war. Atemlos waren diese Unterhaltungen, vorwärtsdrängend, zerfahren und rücksichtslos. – Sie gehen die Hauptallee im Prater hinunter, nur auf Armlänge getrennt nebeneinander her, über ihren Köpfen verschwimmen die weißen und rosigen Kerzen der Kastanienblüten mit den Massen der prächtig herauswuchernden, im leichten Lüftchen bald hell, bald dunkel wogenden, schon Schatten versprühenden Laubwedel.
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Die drei Herren stießen miteinander an. Während zwei von ihnen, der eine so kerzengerad und großgewachsen, daß er auf die beiden anderen herunterschauen konnte, der zweite von eher kleinem Wuchs, während sie ihre Schnapsgläser, wohl in Erwartung einer neuerlichen Füllung, vor der Brust hielten, hatte der Dritte im Bund, ein abgehetzt wirkender, grauer Mensch, sein Glas schon wieder abgestellt und schaute, das Gesicht dem nur trüb einfallenden Licht zugewendet, zum Gassenfenster hin.
»Das Wetter könnte auch bes...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. I. Teil
  6. II. Teil
  7. III. Teil
  8. Widmung