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Erzählungen und Skizzen

  1. 288 Seiten
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Erzählungen und Skizzen

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Über dieses Buch

Der ideale Einstieg in die wunderbar wunderliche Welt des Fritz von Herzmanovsky-Orlando: kurz, kurios, klassisch, komisch! Kakanien in kleinen Dosen.DIE WELT DES FRITZ VON HERZMANOVSKY-ORLANDO ist ein Kabinett von Kuriositäten, ein Sammelalbum des Sonderbaren, ein Bilderbogen des Bizarren. Sie ist bevölkert von Figuren, weniger von Menschen - von Exemplaren, Gestalten und Ausgeburten. Was ihm einfällt, ist unbedingt ausgefallen. Was er beschreibt, ist Karikatur. Kurz und gut, seine Welt gleicht einem wunderlichen Tiergarten: Treten Sie ein, schauen Sie sich um! Sie werden staunen, wenn Sie sich plötzlich selbst gegenüberstehen. Band 2 der "konzentrierten Werkausgabe" enthält eine Auswahl von Erzählungen und kürzeren Prosastücken. Viele davon zählen zu Herzmanovskys beliebtesten Werken und sind längst klassisch: "Der Kommandant von Kalymnos", "Apoll von Nichts", "Onkel Tonis verpatzter Heiliger Abend", "Die Wurstmaschine" und viele andere mehr. Hier haben Sie die Welt von von Herzmanovsky-Orlando im Kleinen, ein Käfig voller Narren: Freuen Sie sich auf Pater Kniakal, Cavaliere Huscher und Chinesius von Schluck!

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Information

Verlag
Residenz
Jahr
2013
ISBN
9783701743650

Apoll von Nichts

Der bevollmächtigte Minister Franz Georg Karl Fürst von Metternich, des noch berühmteren Staatskanzlers Vater, hatte mit dem Erzeuger Apolls dieselbe Amme gemein. So konnte es nicht fehlen, dass später auch der Milchbruder zu hohen Ehren und Würden gedieh und im Sonnenglanze der barocken Exzellenz Ordensstern auf Ordensstern ansetzte, einen bunter und farbensprühender als den andren.
Natürlich wurde auch er mit schönen Titeln bedacht und in wohldotierte Ämter eingewickelt wie in ein Federbett, mollig gefüllt mit den Daunen des Reichsadlers, der dräuend seine Häupter nach Aufgang und Untergang wendet, ein Schreck seiner Feinde. Doch wem es wohl wollte, auf den blickte dieses goldene Vieh gar gnädig herab; so auch auf den pflichttreuen jungen Beamten, dessen Leistungen seinem angesehenen Namen alle Ehre machten und der bei Hoch und Nieder im gleichen Maße beliebt war. Auf dem Pfade der Liebe blühte dem Sonntagskinde nicht minder das Glück.
Ein nicht mehr ganz junges Edelfräulein war es, der der Ordenstrahlende in die trüben Äuglein stach; und wenn auch diese Äuglein trüb waren, so war doch ihr Name voll Glanz. Mariä Heimsuchung schrieb sie sich, Mariä Heimsuchung von Windhuth zu Scheuenpauch. Die sehr energischen alten Windhüthe setzten bei hoher Stelle die Verlobung mit dem noch etwas zögernden Freier durch, und fünfzehn adelige Zeugen besiegelten in steifer Würde den Heiratskontrakt.
Allerdings, das Lächeln Aphroditens umschwebte das Bräutlein nicht; dafür erschien sie am Polterabend von sieben feuchtnasigen Nichtlein neckisch an Perlenketten geführt, deren Glieder Stück für Stück groß waren wie böhmische Erbsen. Da schmunzelte der selige Nichts und zeugte bald darauf Apoll, unseren Helden.
Im prunkvollen Halbdunkel eines Wiener Palastes wuchs das Knäblein heran.
Goldstaubendes Sonnenlicht huschte über chinesisches Porzellan und ließ da den feisten Bauch einer Pagode aufleuchten, zeigte dort auf den Gobelins das bärtige Haupt eines Türken, einen mit Amoretten spielenden Panther oder das bunte Fleisch üppiger Nymphen.
Zwischen ragenden Schornsteinen, die wie kleine Ritterburgen auf den steilen Dächern thronten, sah das Kind das Wundergestein des Stephansturmes einmal durchsichtig wie blauen, fernen Rauch, das andermal rosenrot oder pfirsichfarben, dass dem kleinen Mann der Mund nach dem vermeintlichen Zuckerwerk nur so wässerte. Waren doch die Kinder aus guten Häusern damals fast noch dümmer als sie heute sind und überaus genäschig. So hockte Apollchen auch am liebsten in der schwarzgewölbten Küche, wo die Köchin Bibiana aus goldroten Kupferformen Torten zauberte, üppig wie kleine Grabkapellen, wo es schmorte, rumorte und gar herrlich roch. Ein alter blinder Jagdhund drehte den Bratspieß am Herde jahraus, jahrein; dieser traurige Betrieb stellte sein Gnadenbrot vor. Vom vielen Schleckerwerk ward dem kleinen Hosentrompeter manch Zähnlein schlecht. Dann musste man den grässlichen Gang zum Herrn Hofzahnarzt tun, der im zweiten Stockwerk des vornehmen Hauses wohnte und der sich Gelindus Knacker von Nussheimb schrieb.
Was für schauerliche Stunden im Wartezimmer! Ein lebensgroßer Heiland hing dort und daneben, gleichfalls altersgeschwärzt, ein Ölbild, wo zum Gaudium turbangeschmückter Heidenkönige der heiligen Lucia die Zähne von affenartigen Henkersknechten ausgebrochen wurden. Wenn dann die Türe aufging und der geistliche Assistent erschien – ein schwarzbestoppelter Jesuit – welch ein Schreck! Der führte den Knaben mit vorgehaltenem Kruzifix zum Marterstuhl, wo der kleine Patient mit Gurten umständlich festgeschnallt wurde – welch ein Graus! Der kurzsichtige alte Herr tropfte ihm regelmäßig zuerst mit dem Wachsstock in den Hals, als Vorspiel zu all den Schrecken barocker Zahnheilkunde.
Sonst floss seine Kindheit ruhig dahin. Auch ein Schwesterchen ward ihm später dazubeschert, damit Apollchen eine Gespielin habe. Man nannte sie Radegunde.
Ward da das Leben schön! Wenn nur die irren, verzweifelten Schreie nicht gewesen wären und das gedämpfte wilde Trampeln von Nussheimbs herüber ... Dann klammerten sich die Kinder eng aneinander und schauten zum Fenster hinaus auf die Straße, wo Tag für Tag verschwollene Hoheiten vorfuhren, die man kaum zum Verlassen der Equipagen bringen konnte.
Viele Jahre später, als die alten Nichtse in der bequemen Familiengruft ruhten und mit etwas süffisantem Ausdruck – sie waren balsamiert – dem Jüngsten Gerichte entgegenschlummerten, konnte man noch immer die Geschwister in derselben Wohnung beobachten, freilich bei gründlich veränderter Einrichtung.
Es, war ja durch das emsige Wirken unserer großen Geister der Klassizismus sogar bis Wien gedrungen! Man ersetzte im Zusammenhang damit alles, was man früher aus Silber oder Bronze zu formen pflegte, durch Gips und den neuentdeckten Zinkguss; die Gobelins und die vergoldeten Möbel verschenkte man an arme Leute und sorgte für strenges, möglichst unbeholfenes Mobiliar in öden Zimmern. Die Schalmei des Rokoko wich der nussbaumenen Leier, der bebänderte Hirtenstab dem Spucknapf, und lange Schafsnasen ohne Hinterkopf verkörperten für damals das Schönheitsideal der Antike.
Wie freute sich Apoll gerade jetzt seines stilvollen Namens und segnete die Eltern, die unter schweren Kämpfen ihm dieses Gut erworben. Hatte sich doch die Geistlichkeit gegen die unerhörte Zumutung eines so götzendienerischen Namens aus Leibeskräften gewehrt, im nie ermüdenden Kampf gegen das immer wieder aufflackernde Heidentum, das wenige Dezennien später den dämonischen Hintergrund zum – scheinbar! – so harmlosen Biedermeiertum abgeben sollte.
Der Taufakt erfolgte auch erst, als man den alle Romantik auslöschenden Namen „Alois“ mit in den Kauf nahm. Dieser Name, den wohl das verliebteste Mädchen kaum jemals in den Blumenduft einer Mondnacht haucht oder auf dem Butterbrot isst, wirkte auch in unserem Fall ähnlich wie ein leichter Zusatz von Abschöpffett zu Ambrosia und paralysierte alle Gefahren eines plötzlich ausbrechenden Olympiertums.
Apoll hieß aber nicht nur Apoll, sondern er sah später, als er die Mitesserepoche glücklich überwunden hatte, ganz fabelhaft aus, so gipsern, dass um den Lebendabguss seiner Büste sich jede Glyptothek gerauft haben würde. Besonders stark wirkte sein leeres Auge. Nicht minder wäre er auch die begehrte Zierde jedes bürgerlichen Wohnzimmerofens gewesen, was wir zur Steuer der Wahrheit beifügen müssen. Als Mensch war er feierlich und gemessen, von strengem Lebenswandel und überaus verschlossen. Zuckerwerk naschte der nunmehr ganz erwachsene Apoll wohl nicht mehr; dafür aber trank er Karlsbader Wasser aus steinernen Plutzern. Tag für Tag. Da dran war seine Küche schuld, sicher die schlechteste im damaligen Wien.
Der Urheber dieses Verhängnisses war, um es geradeheraus zu sagen, ein Bruder Metternichs, Prinz Wenzel Hasdrubal, der seinerzeit als Botschafter an den Hof zu Peking geschickt wurde, mit dem strengen Auftrag, den Kaiser Kiakhing zu bekehren und das dortige Polizeiwesen im Sinne Österreichs zu organisieren, was beides misslang. Der hohe Herr wurde aus Langeweile zum leidenschaftlichen Amateurkoch und verfasste ein artiges Büchlein: „Der erbländisch Unterennsische Hof-Koch in Sina“, das er mit nach der Heimat brachte. Auf dem Totenbette – er hatte sich den Petschiliwurm eingewirtschaftet – legte er dieses sein Lebenswerk der späteren Erbtante Apolls ans Herz. Sie, eine überspannte alte Jungfer, die den prunkvollen Prinzen Wenzel abgöttisch liebte, kochte nur noch danach, jubilierte aber bald – ein Opfer unbehebbarer Verdauungsstörungen – als buntbeflügeltes Engelein an den Stufen des Thrones Gottes.
Ihr sehr bedeutendes Erbe war durch eine geschickte Testamentsklausel mit einem bitteren Stachel versehen: dass Neffe und Nichte sich verpflichten mussten, ihr Leben lang ausschließlich nach den Rezepten des Kochbuches zu essen.
Murrend, aber gefasst nahmen die Erben die Verpflichtung auf sich, weil ohnedies damals kein Testament als juridisch einwandfrei galt, das nicht irgendwelche peinliche, am liebsten aber unerfüllbare Bestimmungen enthielt.
Man aß nicht nur schlecht; auch Personalmangel machte sich bald fühlbar, denn die weichherzigen Dienstboten von damals konnten die „arme Herrschaft“ einfach nicht so leiden sehen und kündigten, einer nach dem anderen.
Was Wunder, wenn die Geschwister reizbar und nach und nach etwas sonderbar wurden?
Ja, Geld allein macht nicht glücklich, das sieht man in unserem Falle besonders deutlich, wenn auch nicht geleugnet werden soll, dass es manche Miseren aus dem Weg räumen hilft. Und so eine Misere kam eines Tages ganz unvermutet.
An einem wundervollen Maienmittag war es.
Radegunde rief Apoll zum Essen. Er klappte den „Wohlinstruierten Salonlöwen“ zu, ein Werkchen, das sich bei allen Kavalieren größter Beliebtheit erfreute, und folgte der Schwester zu Tisch. Etwas bänglich wie immer; doch kaum saß er, sprang er wieder auf, angeblich um den Kanarienvogel Lili-pendi zu füttern.
„Apoll“, klang es leise mahnend, „die Suppe wird kalt.“
„ ‚Hasenpöpelchen in blauem Einlauf‘. Was zum Kuckuck ist das?“ Verekelt griff er zum Menu. „Und dann ‚Baumwanzen in Madeira‘ vor den ‚Schweinsembryonen mit Kälberaugen in Aspik‘. Ei ja, ta, tata ... Was gibt’s denn wenigstens außertourlich als Dessert?“
„ ‚Fischschuppen in Rosenwasser‘!“
„Was? Das ist ja fast noch schlimmer als vorige Woche die ‚Falsche Trüffelpastete aus Hundenasen‘! ... da soll doch der Teufel den verfluchten Prinzen Wenzel und die mannstolle ...!“
„Aber Apoll, heut ist doch der Geburtstag vom lieben Tantchen!“
„Ach so!“
„Das letzte Geburtstagserinnerungsessen ist ohnedies eine Blamage gewesen. Die Mandrillgesäße, die wir uns um teures Geld verschrieben hatten, waren nicht mehr frisch und ganz farblos.“
„Weil du aber auch keinen Kren dazugegeben hast, Radegunde.“
„Ja, damals haben auch bloß die ‚Falschen Teufelsschwänze in Gelee‘ die Sache herausgerissen! Aber jetzt, Apoll, iss, es wird sonst alles kalt!“
Und wie gewöhnlich legten sich die Geschwister eifrig vor, und fast schien es, als ob sie in emsigem Schmausen begriffen wären, als unerwartet die Türe höchst unzeremoniell aufgerissen wurde und das Stubenmädchen Portiunkula mit hervorgequollenen Augen zum Tische stürzte. Die Geschwister sprangen angstvoll auf und blickten fragend auf das Mädchen. Portiunkula formte mit den Lippen klanglose Worte und glotzte zitternd auf die Herrschaft. Endlich kam es schluchzend heraus: Im Zimmer der verstorbenen Tante Adelgunde stehe ein splitternacktes Fräulein im Papierkorb.
„Apoll, hast du Worte ...?“
„Aber das ist doch unpassend!“
„Sehr, sehr, lieber Bruder.“
„Ja, Radegunde! Ob wir sie kennen? Vielleicht ein Besuch? Aber in der Toilette? – allzu légère, allzu légère –“
„Sehen wir einmal nach.“
Und sie gingen, Apoll das Haupt mit einer Serviette verhüllt. Richtig. Es war genau so, wie es das Mädchen berichtet. Ein pudelnacktes Fräulein stand im Papierkorb und musterte lange wortlos die Eingetretenen mit dem Lorgnon, das sie schließlich gelangweilt zuklappte. Dann begann sie: „Arethusa Freifräulein von Fyrdraugh. Vor zehn Minuten verordnete mir ein dressierter Zeisig, der, Eigentum eines blinden Leiermannes, gegen geringes Entgelt Zettelchen zieht und sie einem überreicht – ich bin etwas abergläubisch –, Fußbäder in Papierschnitzeln. Als Fräulein der Tat erkundigte ich mich beim nächsten Polizisten, wo es in der Nähe reichlich Papierschnitzel, womöglich adeliger Provenienz geben dürfte, und da nannte man Ihre Adresse. Ein Schlosser öffnete, hier bin ich!“
Die Geschwister schwiegen wie versteinert. Die Augen Apolls hielt Radegunde noch immer verhüllt. Sie war gerade im Begriff, gegen den jungen, nebenbei bemerkt überaus hübschen Eindringling ein heftiges Wort des Vorwurfes zu richten, als unvermutet zwei stutzerhaft gekleidete Herren ins Zimmer getänzelt kamen. Beide hatten drapfarbene Beinkleider, bloß die Fräcke waren verschieden. Abendrot der eine, resedagrün der andere. Zylinderhüte aus feinstem Florentiner Geflecht schwangen beide zierlich in den Händen, je ein Paar Glacéhandschuhe dazugeklemmt. Die schnatterten um das Fräulein, ohne auch nur die geringste Notiz von den Geschwistern zu nehmen. Indigniert wehrte das junge Mädchen die Annäherungen der Herren mit der Lorgnette ab.
Die Szene war im höchsten Grad anstößig; nur gut, dass der Papierkorb breite rote Flanellborten am Rande hatte, die mit viel Glück einen Wall gegen die schlimmste Verletzung der guten Sitten bildeten.
Die frech eingedrungenen Libertins beteuerten, endlich, endlich das Glück zu haben, ihr, der Herrlichsten, der sie schon seit Wochen nachstellten, nahen zu dürfen, und sie sähen selbstverständlich über das Legere der Toilette hinweg ...
„Nicht genieren, Katzi!“
Ein durchdringender Blick traf den Resedagrünen, der sich so weit vergessen hatte. Und der Zorn der nackten Baronesse wuchs sichtlich; endlich war er so gewachsen, dass sie drohend aus dem Korb sprang, dabei aber nicht außer Acht ließ, die ins Auge springenden Blößen mit einem rasch an sich gerissenen Schriftstücke zu bedecken. „Um des Himmels willen, mein Testament!“, kreischte im selben Momente Apoll verzweifelt auf, der die ganze Zeit hindurch durch die Finger Radegundes alles mitangesehen hatte. „Das geht doch zu weit, ich bin indigniert, ja, wirklich höchst indigniert ... Meine Herren! Man stellt sich wenigstens vor, wenn man jemanden besucht ... ich grolle ernstlich.“ Doch die beiden Gecken, denen sich während dieser Szene noch ein dritter in Königsblau angeschlossen hatte, sahen den Hausherrn eisig schweigend an und wendeten sich hochmütig von dem Nervösen ab, der wie besessen im Zimmer herumraste. Radegunde biss in ihr Spitzentüchlein und klingelte, dem Fräulein beim Ankleiden zu helfen.
Ein Paravent mit großen Papageien, die gegen Reichsadler kämpften, wurde um den sonderbaren Badegast aufgestellt. Auch Radegunde und eine Zofe verschwanden hinter dem Gestell, um nach wenigen Minuten wieder hervorzutreten und das nunmehr überflüssige Testament dem Bruder auszuhändigen.
Er wies es von sich: Jetzt sei das Testament entweiht, er wolle es nicht mehr haben, unter keinen Umständen! Während Radegunde so mit dem sich eigensinnig immer mehr verrennenden Apoll stritt, war die junge Baronesse tadellos angezogen erschienen und verschwand, von den drei Kavalieren umkomplimentiert, aus der Türe. Alle, ohne den geringsten Abschied von ihren Wirten zu nehmen. Vernichtet sank Radegunde in einen Fauteuil. Unweit von ihr legte Apoll das Testament mit einer Feuerzange auf den Schreibtisch, was dem nervös Zitternden nicht recht gelingen wollte.* Da ging abermals die Türe auf, und ein vierter Kavalier erschien, marillenfarben mit Straußfederndreispitz, und fragte, ob nicht eben jetzt drei steirische Barone da gewesen wären. Das war zu viel!
Apoll wies gurgelnd vor Wut auf das Testament und warf gegen den neugierigen Frager die Feuerzange, die leider nur zu gut traf. Mit dem Rufe „Du hast den letzten Montpreyss-Igelfing getötet!“ sank der junge Edelmann blutüberströmt zusammen. Die Geschwister sahen einander totenbleich an. Radegunde stand zitternd am Schreibtisch; ihre Hand irrte bald zum Rosenkranz, bald zum Riechsalz; ihre Augen waren angstvoll geweitet.
Dem Unseligen, der seines Letzten Willens wegen zum Mörder geworden, hatte sich das Haar vor Entsetzen gesträubt. Irre Worte lallend, presste er den Handrücken auf die Stirne. Und jetzt ... was ist das? Das klagende Wimmern einer Glocke, das immer lauter, greller wird ... Sol...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Cavaliere Huscher oder von Ybs verhängnisvolle Meerfahrt
  5. Apoll von Nichts
  6. Der Kommandant von Kalymnos
  7. Kleine Geschichten um Gustav Meyrink
  8. Pater Kniakals erbauliche Predigt
  9. Beethovens letzte Magd
  10. Onkel Tonis verpatzter Heiliger Abend
  11. Onkel Toni und Nietzsche
  12. Onkel Toni und die Klistierspritze
  13. Das Unheil breitet seine Fittiche über die Familie Watzka aus
  14. Das Familienbild
  15. Der Zwerg im Nebel
  16. Linz
  17. Der konfuse Brief
  18. Chinesius von Schluck
  19. Ein Herzensbedürfnis
  20. 5000 Seelen
  21. Die Wurstmaschine
  22. Herbst
  23. Stille Nacht, heilige Nacht
  24. Der Tod des Tizian
  25. Karpfe Huber
  26. Et in Styria Dionysos
  27. Ballettschlussbild
  28. Dramenende
  29. Oheims Tod
  30. Leuchtwursts Geheimnis
  31. Das kategorische Kusch
  32. Nachwort
  33. Inhalt