Gewinn für alle!
eBook - ePub

Gewinn für alle!

Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft

  1. 192 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Gewinn für alle!

Genossenschaften als Wirtschaftsmodell der Zukunft

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die WIRtschafterWo die Verkäufer auch Käufer sind, macht Betrug am Kunden keinen Sinn. Das genossenschaftliche Wirtschaften hat dem kapitalistischen Wettbewerb nicht nur diese Vertrauensbasis voraus: Vom gemeinsamen Ziel angetrieben, sind Genossenschaften oft Innovationsmotoren. Und nicht selten koppeln sie ihr wirtschaftliches Handeln an ein politisches Ziel. Was sich anhört wie ein paradiesischer Zustand, wird weltweit seit mehr als hundert Jahren täglich und erfolgreich umgesetzt. Dieses Buch zeigt, wie wir mit Genossenschaften den Kapitalismus überwinden können.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Gewinn für alle! von Konny Gellenbeck im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Politik & Internationale Beziehungen & Politik. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Verlag
Westend
Jahr
2012
ISBN
9783864890116
Aus der Geschichte der solidarischen Ökonomie
Einer für alle, alle für einen: Visionäre, Vordenker, Gründer
Über Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Hermann Schulze-Delitzsch, Ferdinand Lassalle, Charles Fourier und Fürst Pjotr Kropotkin.
Mathias Bröckers
»Man nennt die Vereine nach meinem Namen. Ich habe dieselben indes nicht erfunden. Der erste Verein war ein Kind unserer Zeit, aus der Not geboren. Ich habe nur die Patenstelle dabei übernommen«, hatte Friedrich Wilhelm Raiffeisen einst festgehalten, ganz in der pflichtbewussten Bescheidenheit eines preußischen Beamten und Christenmenschen. Doch seine Schrift Die Darlehnskassen-Vereine als Mittel zur Abhilfe der Noth der ländlichen Bevölkerung, sowie auch der städtischen Handwerker und Arbeiter, 1866 in Neuwied erschienen, war die Initialzündung für mittlerweile mehr als 330 000 Genossenschaftsbanken in aller Welt – und machte Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888) zu dem heute international bekanntesten Pionier des Genossenschaftswesens. Als Kommunalbeamter und Bürgermeister in einer verarmten Landregion des Westerwalds gründete er 1847 einen »Brotverein« zur Bekämpfung der Hungersnot und einen »Hilfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte«, um die Bauern unabhängig von den Krediten von »Wucherern« zu machen. Sie sparten ihr Geld gemeinsam und konnten es sich im Bedarfsfall zu günstigen Konditionen ausleihen. Raiffeisens Projekte waren zu Anfang über Spenden finanziert, aus seinem christlichen Menschenbild heraus appellierte er an die Nächstenliebe vor allem der Reichen, was aber nur kurze Zeit erfolgreich war.
Auf Wohltätigkeit aber ließ sich auf Dauer nicht bauen, so dass Raiffeisen in seinem Buch von 1866 im Vorwort feststellte: »Die hier vorgeschlagenen Vereine gründen sich auf die unbedingteste Selbsthilfe. Letztere bewirkt die Entfaltung sowie die möglichst ausgedehnte Anwendung und Nutzbarmachung der Kräfte der Bevölkerung und des Bodens.« Aus diesen Anfängen wuchsen die Universalgenossenschaften in ländlichen Regionen, die bis heute als Raiffeisen-Organisationen bekannt sind und Landwirte außer mit Betriebskapital auch mit Saatgut, Düngemitteln und Maschinen ausstatten. In über hundert Ländern arbeiten mehr als 900 000 Genossenschaften mit über 500 Millionen Mitgliedern nach Raiffeisenprinzipien, auch wenn die strengen Regeln des Gründers längst nicht mehr überall eingehalten werden.
So sah Raiffeisen ehrenamtliche, unentgeltliche Arbeit für die Genossenschaft als unabdingbar an, nur der Geschäftsführer sollte bezahlt werden, und Gewinne sollten grundsätzlich in das unteilbare Gesamtvermögen der Genossenschaft eingehen. Die Auszahlung einer Dividende lehnte er ab, ebenso wie überregionale Großgenossenschaften. In der lokalen Begrenzung – eine Gemeinde = eine Pfarrei = eine Genossenschaft – sah Raiffeisen ein wichtiges Grundprinzip: Wo jeder jeden kennt, kann die Bonität eines Kreditnehmers optimal eingeschätzt werden, das Ausfallrisiko und damit die Kosten des Bankgeschäfts sind gering, die Konditionen deshalb für alle Mitglieder günstig.
»Eine eigene Bank ins Leben zu rufen, … um die aus dem Bankverkehr entspringenden Vorteile den Vereinen selbst zuzuwenden und für diese die ganze Einrichtung so zu treffen, dass sie den Bedürfnissen derselben entspricht«, dieser Plan Raiffeisens ging nicht nur auf, er ist im Zuge der Bankenkrise in jüngster Zeit und angesichts der Scharen neuer Kunden bei Genossenschafts- und Raiffeisenbanken auch nach 150 Jahren wieder höchst aktuell geworden.
»Nur die Selbsthilfe aus eigener Kraft und eigener Verantwortung ist die Grundlage einer gesunden Entwicklung«
Wie viele große Erfindungen unabhängig voneinander zur gleichen Zeit gemacht wurden, hatte auch das Wirtschaftsprinzip der Genossenschaften und Genossenschaftsbanken zwei große Entdecker und Pioniere, die zeitgleich, aber ohne direkten Kontakt ihre Systeme entwickelten: der eine, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, als christlicher Landbürgermeister aus dem Motiv der Nächstenliebe, der andere, Hermann Schulze-Delitzsch (1808 – 1883), als liberaler Politiker und Jurist mit Blick auf eine soziale Marktwirtschaft.
Als Richter hatte er die Not der kleinen Handwerksbetriebe in der Region kennengelernt und 1849 in seinem sächsischen Heimatort Delitzsch eine Einkaufsgenossenschaft für Schuhmacherbetriebe ins Leben gerufen. Bald darauf entwickelte er die ersten Vorschuss- und Kreditvereine, um Kapital für Investitionen und den Aufbau von Vertriebs- und Produktionsgenossenschaften zu beschaffen. Als Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses und später des Reichstags setzte er 1867 das erste deutsche Genossenschaftsgesetz durch, mit dem Genossenschaften ihre gesetzliche Basis und Rechtsfähigkeit als juristische Person erhielten und das zum Vorbild für ähnliche Gesetze in zahlreichen Ländern der Welt wurde.
Anders als Raiffeisens Modell, das an der Landbevölkerung und ihren Bedürfnissen ausgerichtet war, richtete sich Schulze-Delitzsch eher an kleine und mittlere Gewerbetreibende, deren Existenz durch die beginnende industrielle Massenproduktion bedroht war. Er appellierte weniger an Gemeinsinn und Nächstenliebe, sondern an Eigennutz und Selbsthilfe durch Kooperation. Während Raiffeisen seine Genossenschaften durchaus auch als moralische Anstalt zur Förderung des Gemeinsinns der Mitglieder und der christlichen Ideale betrachtete, hatte für Schulze-Delitzsch das individuelle Erwerbsstreben Vorrang vor gemeinnützigem Handeln. Mit seiner strikten Ablehnung staatlicher Einmischung ebenso wie von Wohltätigkeit und seinem entschiedenen Eintreten für autonome Selbsthilfe und Selbstverantwortung vertrat er nicht nur ein anderes Wertekonzept als Raiffeisen, sondern stand auch in Opposition zu Genossenschaftstheoretikern wie Ferdinand Lassalle, Karl Marx, Friedrich Engels und auf der anderen Seite Otto von Bismarck. Genossenschaftsgründungen »von oben« – gleich ob sie nun vom Reichskanzler Bismarck oder vom Sozialdemokraten Lassalle propagiert wurden – widersprachen für Schulze-Delitzsch dem Selbsthilfe- und Selbstverantwortungsgedanken und damit dem Grundprinzip der Genossenschaften: »Almosen erschlaffen, korrumpieren den Empfänger, lähmen Unternehmensgeist und Verantwortungssinn; öffentliche Subventionen bedeuten überdies stets den unredlichen Griff in die Taschen anderer; nur die Selbsthilfe aus eigener Kraft und eigener Verantwortung ist die Grundlage einer gesunden Entwicklung.«1
Der Staat hatte in Schulze-Delitzschs Vorstellung nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, nicht aber selbst zum obersten Genossenschaftler zu werden. Die »Gleichschaltung« der Genossenschaften durch die Nazis ebenso wie die Zwangskollektivierungen in den sozialistischen Ländern haben die Richtigkeit dieses libertären Gebots der Staatsferne später deutlich herausgestellt. Dafür musste sich Schulze-Delitzsch von Lassalle, seinem Gegner im »Systemstreit« um das Genossenschaftswesen, zwar als »Manchester-Mann« beschimpfen lassen – und von Marx und Engels als »Sparkassenmännchen« –, tatsächlich war er aber als fortschrittlicher Demokrat und liberaler Sozialreformer alles andere als ein Vertreter des Raubtierkapitalismus. Dass es allerdings durch die heraufziehende Industrialisierung für einige Schichten der Bevölkerung schwierig oder unmöglich wurde, sich mit Selbsthilfe über Wasser zu halten, und sich Schulze-Delitzschs dogmatische Ablehnung staatlicher oder wohltätiger Hilfe als obsolet erwies, dieser mit harten Bandagen geführte Systemstreit ist heute weitgehend nivelliert. Der von Raiffeisen geprägte Begriff »Hilfe zur Selbsthilfe« ist ebenso selbstverständlich wie die von Hermann Schulze-Delitzsch erfundenen Mikrokredite an Gewerbetreibende: Ihre Wiederentdeckung in Asien wurde 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Selbsthilfe oder Staatshilfe ?
Produktionsgenossenschaften in Arbeiterhand, finanziert durch Staatskredite: Das war neben der Forderung nach demokratischem Wahlrecht das Programm, mit dem sich der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, der Vorläufer der SPD, 1863 formierte und zur Wahl antreten wollte. Doch was die Frage der Genossenschaften betraf, hatte ihr Chef, Ferdinand Lassalle, in einem Abgeordneten der liberalen Deutschen Fortschrittspartei, Hermann Schulze-Delitzsch, einen gefährlichen Gegenspieler, der in den Arbeiterbildungsvereinen und in der Öffentlichkeit erfolgreich für die neuen Kredit- und Konsumgenossenschaften warb. Statt mit Krediten »von oben« sollten die Arbeiter für Selbsthilfe und Solidarhaftung das nötige Kapital selbst ansparen und sich unabhängig von staatlicher Wohltätigkeit machen.
Für Lassalle war das »haarsträubender Blödsinn«, und seine ätzenden Polemiken gegen die »kleinbürgerliche Seele« des »Sparapostels« Schulze-Delitzsch, der den Arbeitern Mittelstandsillusionen vorgaukele, ließ er sogar dem politischen Hauptgegner Otto von Bismarck zukommen. Denn auch der witterte in den neuartigen Selbsthilfeprojekten große Gefahr, allerdings von anderer Seite. Bismarck sah in den von Schulze gegründeten Kreditvereinen die »Kriegskassen der Demokratie, die unter Regierungsgewalt gestellt werden müssen«.
Dass die Lösung der sozialen Frage nur einem starken Staat obliegen könne, darin waren sich der preußische Kanzler und der erste Führer der Sozialdemokraten durchaus einig. Während Bismarck in den Genossenschaften Tarnorganisationen der gescheiterten Revolution von 1848 und die Gefahr demokratischer Unterwanderung fürchtete, kratzten sie für Lassalle nur an der Oberfläche der sozialen Frage. Mit Sparvereinen, Gemeinschaftsläden und Kooperation von Kleinbetrieben ließen sich die Fragen der Produktion und der Lohnabhängigkeit nicht lösen, ebenso wenig wie mit Selbsthilfe und Selbstverantwortung der Arbeiterschaft. In »Produktivassoziationen« mit staatlicher Unterstützung sah Lassalle die einzige Möglichkeit zur Aufhebung des »ehernen Lohngesetzes«.
Die Debatte um Selbsthilfe oder Staatshilfe dauerte auch nach Lassalles frühem Tod bei einem privaten Duell 1864 weiter an. Das von Schulze-Delitzsch im preußischen Landtag immer wieder eingebrachte Genossenschaftsgesetz scheiterte bis 1867 mehrfach an Bismarcks Veto, der die Gründung von Genossenschaften nur unter staatlicher Konzession und Kontrolle zulassen wollte. Und die Nachfolger Lassalles in der sozialdemokratischen Partei wie auch der radikaleren kommunistischen Parteien standen den Kredit- und Konsumgenossenschaften noch jahrzehntelang eher skeptisch gegenüber. Erst um 1900 setzte ein Boom »roter« Konsum-, Spar- und Wohnungsbaugenossenschaften ein. Kurz zuvor hatte der Berliner Arzt und Sozialökonom Franz Oppenheimer, der spätere Doktorvater Ludwig Erhards, sein genossenschaftliches Transformationsgesetz formuliert, nach dem Produktionsgenossenschaften in marktwirtschaftlicher Konkurrenz nur bestehen können, wenn sie sich auch ihren Absatz über Konsumgenossenschaften sichern. Dass aber auch diese Kombination nicht unbedingt ausreicht und staatliche Kontrolle und »Planwirtschaft« keinen genossenschaftlichen Erfolg garantieren, haben die Misserfolge der sozialistischen Zwangskollektivierungen in den folgenden Jahrzehnten gezeigt. Die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstorganisation, so zeigt die Geschichte, können nicht durch »Fürsorge« von oben ersetzt werden.
Phantasie an die Macht
Wer »Phantasie an die Macht« für ein Motto alternativer »Aussteiger« der 1970er Jahre hält, liegt durchaus richtig. Erdacht und ausgegeben wurde die Parole indessen schon 150 Jahre früher: von Charles Fourier. 1772 in eine reiche Familie geboren, hatte Fourier im Zuge der Französischen Revolution sein gesamtes Vermögen verloren und musste sich nahezu sein Leben lang mit zahlreichen Jobs durchschlagen. Seine Vorstellung einer gesellschaftlichen »Harmonie«, die nach gleichsam mechanischen Gesetzen wie die Newtonsche Himmelsmechanik gebaut werden könne, wenn sich die Menschen in großen Kommunen, als Lebens-, Liebes- und Arbeitsgemeinschaften organisieren, wurde von seinen Zeitgenossen zwar als »Spinnerei« abgetan. Aber seine Vision dieser Kollektive, die er »Phalanstère« nannte (aus gr. Phalanx, »Kampfeinheit«, und lat. Monasterium, »klösterliche Gemeinschaft«), inspirierte nicht nur Marx und Engels zu ihren Vorstellungen einer kommunistischen Zukunftsgesellschaft.
In seinem Hauptwerk Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen (1808) entwickelte Fourier das Modell von Produktions- und Wohnkollektiven, in denen die Schwere und Last der Arbeit in Lust und Leidenschaft verwandelt werden sollten. Bedingung dafür sei, so schreibt er, eine möglichst heterogene Zusammensetzung der Kollektive: »Sie bestehen aus Personen, die sich in jeder Hinsicht voneinander unterscheiden, in Alter, Besitz, Charakter, Verstand et cetera. Die Mitglieder müssen so gewählt werden, dass sie miteinander kontrastieren und eine Stufenfolge von reich zu arm, von gebildet zu unwissend (von jung zu alt) et cetera ergeben. Je größer und abgestufter die Unterschiede sind, um so mehr fühlt sich die Gruppe zur Arbeit hingezogen, erhöht sich ihr Gewinn und erzeugt soziale Harmonie.« Nach Fouriers Überzeugung entsteht gesellschaftliche Harmonie nicht durch Unterdrückung von Trieben, sondern durch ihr Ausleben. Die protestantische Arbeitsethik, die körperliche Liebe zu einer Art Belohnung degradiert, kritisiert er als
»Zerstückelung«. Die in jedem Individuum anders gearteten ökonomischen und nach Herrschaft strebenden emotionalen und sexuellen Leidenschaften sollen stattdessen in diesen heterogenen Kollektiven durch die jeweiligen Anziehungs- oder Assoziationskräfte harmonisiert werden und so das Talent, die geistigen Fähigkeiten und das emotionale Leben jedes einzelnen zum Wohle des Ganzen fördern.
Auch wenn die meisten Kollektive, die nach Fouriers Modell ab 1832 gegründet wurden, sich relativ schnell wieder auflösten, wirkten seine Ideen in vieler Hinsicht fort. Als Schöpfer und Apologet der Begriffe »Feminismus« und »freie Liebe« wie auch mit seiner Erfindung des »bedingungslosen Grundeinkommens« haben sie gesellschaftliche Reformbewegungen angeregt, die bis heute wirksam sind. Nicht nur die vielfältigen Kommune- und Kollektivexperimente der vergangenen 200 Jahre gehen auf diesen Vordenker der Genossenschaften zurück, auch für die Kultur und Kunst, etwa der Surrealisten und Situationisten, spielten Fouriers Ideen eine wichtige Rolle. Sein Ansatz, dass eine Befreiung der Arbeit ohne eine Befreiung der Sexualität nicht möglich ist und vice versa, wird ein Jahrhundert später von Wilhelm Reich und danach von den Theoretikern der Frankfurter Schule (Herbert Marcuse) wieder aufgegriffen. Doch seine Forderung der Emanzipation ist auch nach 200 Jahren noch immer nicht in allen Köpfen angekommen: »Die Harmonie entsteht nicht, wenn wir die Dummheit begehen, die Frauen auf Küche und Kochtopf zu beschränken. Die Natur hat beide Geschlechter gleichermaßen mit der Fähigkeit zu Wissenschaft und Kunst ausgestattet.«
Gegenseitige Hilfe
Nachdem Fürst Peter Kropotkin (1842 – 1921) als Spross eines alten russischen Adelsgeschlechts die militärische Eliteschule als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, ließ er sich statt auf die Karriereleiter in St. Petersburg zu einem Kosakenregiment in das damals noch unkolonisierte Sibirien versetzen, wo er fünf Jahre lang geographische Studien und Naturbeobachtungen betrieb. Nach seinem Austritt aus dem Militär studierte er Geographie und wurde durch wissenschaftliche Veröffentlichungen bekannt.
Bei seiner ersten Auslandsreise lernte er 1872 die genossenschaftlich arbeitenden und egalitär organisierten Uhrmachervereinigungen im Schweizer Jura kennen. Fortan versuchte er, diese Ideen in Russland zu verbreiten, worauf er 1874 von der zaristischen Geheimpolizei verhaftet und in Festungshaft genommen wurde. Nach einem spektakulären Ausbruch konnte er 1876 nach London fliehen und bekam als renommierter Geograph eine Anstellung bei der Zeitschrift Nature. Als Antwort auf die zu dieser Zeit einsetzende Überbetonung der Thesen Darwins vom »Kampf ums Dasein« und »Überleben des Stärkeren« verfasste Kropotkin eine Artikelserie, aus der 1902 sein berühmtestes Buch wurde: Gegenseitige Hilfe in der Tierund Menschenwelt. Sein Blick ist dabei weniger auf Einzelwesen, sondern auf deren Kooperationen und Verbünde gerichtet, die er bei seinen Beobachtungen in Sibirien nicht nur in der unberührten Natur, sondern auch in Form von »unzivilisierten«, noch halb nomadisch lebenden Stämmen menschlicher Bewohner erlebte.
Kropotkin konnte bei seinen Studien, obwohl er »emsig darauf achtete, nicht jenen erbitterten Kampf um die Existenzmittel zwischen Tieren, die zur gleichen Art gehören, entdecken. Und es war dieser Kampf, der seitens der meisten Darwinisten – keinesfalls aber ständig von Darwin selbst – als das typische Kennzeichen des Kampfes um das Dasein und als Hauptfaktor der Entwicklung betrachtet wurde.«
Kropotkin leugnet nicht das natürliche »Fressen und Gefressenwerden«, er macht nur deutlich, dass dies nur die eine Seite der Evolutionsmedaille sei: Fitness beim »survival of the fittest« bedeutet nicht maximale Stärke und Rücksichtslosigkeit, sondern optimale Fähigkeit zur Kooperation und Anpassung an das Gesamtsystem. Kropotkin kritisiert Rousseaus idealisiertes Menschenbild vom »edlen Wilden« ebenso wie Thomas Hobbes These, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei und nur mit Gewalt von oben gebändigt werden könne. Der natürliche Zustand des Menschen ist für ihn nicht einer des Kampfes, sondern einer der Verbundenheit, die nach Kropotkins Analyse im Lauf der Geschichte zerstört wurde: durch die Ausdehnung des Staates in die dörflichen Selbstverwaltungsstrukturen hinein und weil durch die Privatisierung des Gemeineigentums zum Nutzen weniger Herrschafts- und Machtsysteme entstanden.
Die Theorie Kropotkins fand in der biologischen Wissenschaft seiner Zeit wenig Anklang, und die sozial- und gesellschaftstheoretischen Plädoyers des erklärten Anarchisten – für Selbsthilfe und Selbstverwaltung und gegen staatliche Autorität und Einmischung – stießen 1918 ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Einleitung: Gewinn für alle
  6. Genossenschaften heute
  7. Aus der Geschichte der solidarischen Ökonomie
  8. Die Wiederkehr der Commons
  9. Anmerkungen und Literatur
  10. Adressen und Links
  11. Die Autorinnen und Autoren