Armes Deutschland
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Armes Deutschland

Neue Perspektiven fĂŒr einen anderen Wohlstand

  1. 243 Seiten
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Armes Deutschland

Neue Perspektiven fĂŒr einen anderen Wohlstand

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Über dieses Buch

Armut geht uns alle an.Hartz IV, Kinderarmut und der Abbau von Sozialleistungen stellen uns vor eine Zerreißprobe. Noch nie lebten so viele Menschen in Armut. Noch nie wirkte die Politik so hilflos. Statt ArmutsbekĂ€mpfung gibt es Attacken gegen die Armen und Ausgrenzung statt Problemlösungen. Der Sozialstaat droht zu kollabieren. Doch noch gibt es eine Chance fĂŒr diese Gesellschaft.Deutschland steht vor dem Scheideweg. Noch nie lebten so viele Menschen in Armut. Statt die Probleme energisch anzupacken, geht die Politik den kalten Weg der Ausgrenzung. Doch wo Millionen von Menschen ausweglos im Abseits belassen werden, geraten die Fundamente der Bundesrepublik selbst ins Wanken. Ulrich Schneider analysiert die Spaltung der Gesellschaft. Er beschreibt das politische Scheitern und die Strategien und Tricks, mit denen sich die Akteure aus der Verantwortung stehlen. Und er sagt, wie eine andere Politik aussehen könnte und mĂŒsste. Es geht um Perspektiven - fĂŒr jeden einzelnen Menschen und fĂŒr das Land.

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Information

Verlag
Westend
Jahr
2012
ISBN
9783938060803
KAPITEL FÜNF
Ganz ohne Theorie geht’s nicht: Über den Staat
Um zu verstehen, was Schröder, Clement, Fischer und Co. zu Hartz IV getrieben hat, warum Hartz IV niemals eine Lösung fĂŒr die Armutsproblematik hat sein können und warum heute so mit den Armen umgegangen wird, wie mit ihnen umgegangen wird, ist es nötig, sich einige Grundmuster staatlichen Handelns klarzumachen. Was treibt den Staat an? Welchen Regeln folgt er? In welchen ZwĂ€ngen steckt er? Und wie versucht er aus diesen herauszukommen? Es hilft nichts, aber ganz ohne Theorie geht es nicht 

Operation gelungen, Patient tot: Die Renten sind unsicher
» Operation gelungen, Patient tot. « Nur allzu oft folgen sozialpolitische Initiativen leider genau diesem alten Kalauer. Bestes Beispiel dafĂŒr ist die Rentenpolitik: Seit Jahrzehnten schon zeichnete sich das Dilemma ab, vor dem unser umlagefinanziertes Rentensystem nun steht. Seit den siebziger Jahren ist die Geburtenrate spĂ€rlich. Immer mehr Älteren stehen immer weniger JĂŒngere gegenĂŒber.1
Hinzu kommt, dass die Rentner dank des medizinischen Fortschritts immer Àlter werden und immer lÀnger ihre Rente beziehen. Die Arbeitslosenquote lÀsst das VerhÀltnis noch schlechter aussehen, da es letztlich nicht auf ErwerbsfÀhige, sondern auf
ErwerbstĂ€tige, also auf Beitragszahler ankommt. Gleich von mehreren Seiten gerĂ€t unser gesetzliches Rentensystem damit unter Druck. Eine niedrigere Arbeitslosenquote wĂŒrde das Problem sicher etwas entschĂ€rfen, doch mittel- und langfristig nicht lösen. Denn wer BeitrĂ€ge einzahlt, will im Gegenzug spĂ€ter auch eine Rente beziehen. Ohne ProduktivitĂ€tsfortschritte (die wir zum GlĂŒck immer hatten und haben) und ohne eine soziale, vorausschauende und gerechte Verteilungspolitik (die wir leider nicht haben ) muss unser System zwangslĂ€ufig in Probleme geraten.
Bereits im Bundestagswahlkampf 1986 sorgte diese Erkenntnis fĂŒr erhebliche Unruhe. Der damalige Arbeitsminister Norbert BlĂŒm sah sich im April 1986 genötigt, höchstpersönlich auf dem Bonner Marktplatz Plakate zu kleben mit der Aufschrift: »Denn eins ist sicher: die Rente.« So ganz sicher allerdings wohl doch nicht: Nur drei Jahre spĂ€ter kam die erste große Rentenreform. Von einer »historischen Stunde« sprach der Arbeitsminister und meinte damit die Tatsache, dass sich kĂŒnftige Rentenerhöhungen nicht mehr an den Bruttolöhnen, sondern an der in der Regel niedrigeren Nettolohnentwicklung orientieren sollten. Andernfalls sah man schon fĂŒr die neunziger Jahre erhebliche Probleme auf die Rentenkasse zukommen. So jedoch hatte man erst einmal zehn Jahre Ruhe.2
Zum Ende seiner Amtszeit, 1998, erfand BlĂŒm dann den sogenannten Demographiefaktor. Er wurde in die Rentenformel eingebaut und sollte der demographischen Entwicklung in soweit Rechnung tragen, als er das Rentenniveau von 70 auf 64 Prozent des Durchschnittsverdienstes absenken sollte, um damit die Kosten fĂŒr die lĂ€ngeren Laufzeiten der Renten auszugleichen. Noch bevor der Demographiefaktor in Kraft treten konnte, kam Rot-GrĂŒn ans Ruder und schaffte ihn gleich wieder ab.
Nur drei Jahre spĂ€ter ersetzten sie ihn allerdings durch den »Riesterfaktor«, benannt nach dem damaligen Arbeitsminister Walter Riester. Im Grunde genommen war das der BlĂŒmsche Demographiefaktor in einem etwas anderen Outfit. Zu ihm gesellte sich 2004 der sogenannte » Nachhaltigkeitsfaktor «. Ziel dieser fĂŒr den Laien völlig unverstĂ€ndlichen Rechenfaktoren war allein die Absenkung des Rentenniveaus von 53 Prozent im Jahre 2005 auf 46 Prozent bis zum Jahr 2020.
Allerdings liegen solchen Berechnungen 45 Versicherungsjahre zugrunde. Wer hat die noch? Geht man in den Berechnungen stattdessen von 40 Beitragsjahren aus, was der RealitĂ€t schon etwas nĂ€her kommt, schrumpft das Sicherungsniveau bis 2020 auf nur noch 37 Prozent und bis 2040 sogar auf höchst bescheidene 34 Prozent.3 Die Rente des Durchschnittsverdieners bewegt sich damit gefĂ€hrlich in Richtung Basissicherung. Der ParitĂ€tische Wohlfahrtsverband rechnete vor, dass bereits im Jahre 2023 die durchschnittlich ausgezahlte Rente nicht mehr höher sein dĂŒrfte als die Altersgrundsicherung und warnte eindringlich vor einer neuen Altersarmut.4 Um dieser zu entgehen, empfahl Riester die »Riester-Rente«, eine zusĂ€tzliche private Rentenversicherung mit staatlicher Förderung. HartnĂ€ckig ignorierte er, dass diejenigen, die sie am dringendsten brĂ€uchten – nĂ€mlich Menschen mit sehr kleinen Verdiensten und spĂ€ter dementsprechend niedrigen Renten –, froh sind, wenn sie finanziell ĂŒberhaupt ĂŒber den Monat kommen. FĂŒrs Riestern bleibt da nichts ĂŒbrig. Doch kaum jemand in der Politik sieht bis heute Nachbesserungsbedarf.
Was also war passiert? Am Anfang stand das Problem, dass immer weniger Junge immer mehr Alte mitfinanzieren mĂŒssen. Es war die bange Frage der Menschen, ob sie im Alter dann wohl noch auskömmlich versorgt sein wĂŒrden, die BlĂŒm zu seiner Plakataktion veranlasste. Nachdem sich die Politik der Angelegenheit angenommen hatte, spielte diese Sorge jedoch im Grunde keine ernsthafte Rolle mehr. Stattdessen rĂŒckte die Frage in den Mittelpunkt, wie angesichts der demographischen Entwicklung verhindert werden kann, dass die BeitrĂ€ge zur Rentenversicherung in die Höhe schießen und die deutsche Wirtschaft belasten. Bei Riesterfaktor und Nachhaltigkeitsfaktor ging es ausschließlich darum, Einnahmen und Ausgaben in eine langfristige Balance zu bringen – und zwar durch ein Absenken der Renten. Wer kann, sollte halt privat noch was zur Seite legen, der Staat wĂŒrde auch etwas zuschießen. Und wer nicht kann, hat eben Pech gehabt.
FĂŒr die nĂ€chsten Jahrzehnte ist damit heute schon eine hohe Altersarmutsquote vorprogrammiert. Welchen Sinn das gesetzliche Rentensystem dann noch haben soll, muss ernsthaft gefragt werden. Doch ist es auf jeden Fall stabil. Wie gesagt: Operation gelungen, Patient tot.
Das Hemd ist immer nÀher als der Rock: Auch der Staat hat Eigeninteressen
AbsurditĂ€ten dieser Art finden wir reichlich in der Sozialpolitik. Das ist kein Zufall. Hinter solcher Selbstzweck-Politik steckt durchaus System. »Das Hemd ist nĂ€her als der Rock« – dieser Spruch kann geradezu als Leitsatz fĂŒr diese Politik gelten.
Man darf es sich Ă€hnlich vorstellen wie beim Fußball: Fußball ist ein wunderschöner Sport. Allen, die im FußballgeschĂ€ft tĂ€tig sind, vor allem den Spielern, darf unterstellt werden, dass sie diesen Sport lieben und nichts lieber tun, als einen schönen, ansehnlichen Fußball zu spielen. Mit tollen Toren, weiten Flanken, genialen SpielzĂŒgen und spektakulĂ€ren Dribblings. Man spielt allerdings im Profilager. Schöner Fußball hin oder her – was am Ende zĂ€hlt fĂŒr den Klassenerhalt, fĂŒr das Erreichen der internationalen Turniere und vor allem fĂŒr das wirtschaftliche Wohlergehen des Vereins, sind Siege. Was nĂŒtzt der schönste Offensivfußball, wenn er direkt an das Tabellenende fĂŒhrt? Idealerweise kommt alles zusammen: schöner Fußball, Siege und wirtschaftlicher Erfolg. Muss aber nicht. Disziplin und Taktik gehen auf dem Platz im Zweifelsfall vor impulsiver Leidenschaft und dem Zug zum Tor. Und wer das nicht einsehen will und damit den Sieg gefĂ€hrdet, der findet sich ganz schnell auf der Reservebank wieder. Das Hemd ist halt immer nĂ€her als der Rock.
Ganz Ă€hnlich funktioniert es auch in der Politik. Viele Menschen treffen wir dort, mit vielen verschiedenen Überzeugungen ; mal mehr, mal weniger inspiriert; mal originell, mal eher unauffĂ€llig ; mal Profis, mal eher verirrte Amateure. Alle wollen sie Einfluss nehmen auf die Lebensbedingungen und Spielregeln in diesem Land, und alle haben sie eine Botschaft. Und selbst wenn diese Botschaft nicht mehr als parteigeschulte Politrhetorik sein sollte – eine Botschaft bleibt sie doch. FĂŒr diese setzen sich unsere Politiker ein, mal mehr, mal weniger leidenschaftlich 

FrĂŒher oder spĂ€ter mĂŒssen all diese Menschen mit ihren eigenen oder angeeigneten Ideen lernen, dass es auch in der Politik vor allem darum geht, den Sieg zu sichern. Die hehren Ideen und Botschaften mĂŒssen da im Zweifelsfalle hintanstehen. Erst einmal mĂŒssen Mehrheiten organisiert werden. Dazu sind eine Menge Kompromisse und GefĂ€lligkeiten nötig. Gute Argumente allein helfen da wenig. Geraten unsere Politiker gar in RegierungsnĂ€he oder sogar in Regierungsverantwortung, erringen sie Macht und kommen sie in Positionen, in denen sie die Geschicke dieses Landes tatsĂ€chlich beeinflussen können, dann mĂŒssen sie zudem schmerzhaft erfahren, wie kompliziert das Spiel wirklich ist und wie viele ZwĂ€nge sich da plötzlich auftun. Je nĂ€her an der Macht man ist, umso schwieriger wird es, schönen Fußball und Siege zusammenzubringen. HĂ€ufig muss man schon mit einem so gerade ĂŒber die Zeit geretteten Unentschieden zufrieden sein.
Was bedeutet das nun fĂŒr einen Staat? Wie heißen die echten und vermeintlichen SachzwĂ€nge und PrioritĂ€ten? Um diese zu verstehen, mĂŒssen wir uns vor Augen halten, dass ein jedes » System«, eine jede Organisation immer und vor allem am eigenen Erhalt interessiert ist und interessiert sein muss.5 Der schöne Fußball, um im Bild zu bleiben, mag Sinn und Ziel des ganzen Vereins sein – doch nur so lange und so weit er dem Verein selbst nicht schadet, seine wirtschaftlichen Grundlagen und den Klassenerhalt nicht bedroht. Eine jede Organisation folgt in ihrem Handeln diesem unausgesprochenen Gesetz; vom Karnevalverein bis zur Kirche. Ob beim Karnevalsverein Schluss mit Lustig ist, weil die Kassen leer sind, oder ob die Kirche es mit ihren zehn Geboten doch lieber nicht so genau nimmt, wenn weltlicher Schaden droht – Vorrang hat immer der Selbsterhalt, auch bei Parteien oder bei dem recht komplexen Gebilde » Staat « mit seiner Legislative, seiner Regierung und seiner Verwaltung.
Doch wann fĂ€ngt eine Regierung an, gegen sich selbst zu regieren? Wann gefĂ€hrdet sie ihr Eigeninteresse am schlichten Überleben? Es leuchtet ein, dass eine solche Frage in einer Diktatur anders beantwortet werden muss als in einer Demokratie, in einer Marktwirtschaft anders als in einer Planwirtschaft, in einem Gemeinwesen mit sozialstaatlicher Tradition anders als in einem liberalistischen NachtwĂ€chterstaat.
Steuern, Demokratie und Sozialstaatsprinzip – fĂŒr die Bundesrepublik Deutschland sind es diese drei Merkmale, die man im Blick haben muss, will man die Eigeninteressen des Staates verstehen.6 Wie Eckpfeiler prĂ€gen sie die staatliche Verfasstheit.
Privat gesteuert
Der deutsche Staat ist ein Steuerstaat. Er finanziert sich nicht, indem er selber GeschĂ€fte macht, sondern indem er seine BĂŒrger GeschĂ€fte machen lĂ€sst und an dem wirtschaftlichen Erfolg ĂŒber Steuern teilhat. Der Staat selbst kann damit fĂŒr seinen materiellen Handlungsspielraum gar nicht so viel tun, sondern ist vielmehr vom wachsenden oder im schlechten Fall eben nicht wachsenden Wohlstand der privat handelnden Unternehmen und ErwerbstĂ€tigen abhĂ€ngig. Er ist damit im ureigensten Interesse und sehr existenziell auf eine florierende Wirtschaft angewiesen. Egal, was im Wahlprogramm der Parteien auch stand – spĂ€testens nach der Wahl muss sich eine jede Regierung bei all ihrem Tun fragen, welche Auswirkungen es auf die wirtschaftlichen AblĂ€ufe und auf die privaten Unternehmensentscheidungen haben könnte.
Auf der anderen Seite erfĂ€hrt dieser Staat sofort ganz erheblichen Gegenwind, sollte er der Versuchung erliegen, die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen oder der Tarifparteien ĂŒber GebĂŒhr zu beschneiden oder die Privatheit der Wirtschaft generell in Frage zu stellen. Die VorgĂ€nge bei der »BewĂ€ltigung« der Finanzkrise sind bezeichnend : Ein im Wesentlichen privat aufgestelltes Bankensystem war in der Lage, den gesamten Finanzmarkt vor die Wand zu fahren. Es hat staatliche Überlebenshilfen in gigantischen GrĂ¶ĂŸenordnungen eingestrichen. Auch dem Letzten dĂŒrfte klar geworden sein, dass der Motor freier Marktwirtschaft, das Gewinnstreben mit Augenmaß, lĂ€ngst heißgelaufen und in nackte Gier umgeschlagen ist. Trotzdem gelingt es nicht, die staatlichen Hilfen und BĂŒrgschaften, die wie ein milliardenschweres Damoklesschwert ĂŒber dem Steuerzahler hĂ€ngen, mit wirklich harten Auflagen zu versehen. Kaum scheint das Schlimmste ĂŒberstanden, wird der Casinobetrieb an den internationalen FinanzmĂ€rkten wieder aufgenommen. Staat und Steuerzahler schauen im Wesentlichen zu.
Es scheint fĂŒr diesen Staat unendlich schwer, die Privatheit wirtschaftlicher Entscheidungen ernsthaft in Frage zu stellen. Mit personellen Verflechtungen, Parteispenden aus dem Bankensystem und Ähnlichem allein lĂ€sst sich dieses PhĂ€nomen nicht erklĂ€ren. Nicht nur fĂŒr die SPD, auch fĂŒr die CDU waren staatliche Eingriffe in die Wirtschaft oder gar die Vergesellschaftung von Unternehmen nach dem Krieg noch durchaus denkbar, wie ein Blick in das bis 1959 geltende Heidelberger Programm der SPD oder das bis 1949 gĂŒltige Ahlener Programm der Christdemokraten zeigt. Doch ist es den Apologeten der freien Marktwirtschaft, beflĂŒgelt durch das bundesdeutsche Wirtschaftswunder, in den folgenden Jahren und Jahrzehnten eindrucksvoll gelungen, die Eigentumsfrage der Produktionsmittel geradezu zum Tabu zu erklĂ€ren und die Privatheit der Unternehmensentscheidungen zum konstitutiven Element dieser Gesellschaftsordnung zu erheben.
In Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetzes heißt es: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. « Es dĂŒrfte kaum einen Artikel in unserer Verfassung geben, der in der politischen und gesellschaftlichen RealitĂ€t der Bundesrepublik so konsequent aus dem öffentlichen Bewusstsein getilgt wurde. Der wirtschaftliche Zusammenbruch der DDR vor etwas mehr als 20 Jahren besorgte dann den Rest, um aus der Überzeugung eine vermeintliche Gewissheit zu machen, wonach die Privatheit der Wirtschaft fĂŒr das Wohl dieses Landes von wesentlicher Bedeutung sei. Der Staat hat fĂŒr die meisten Menschen die private Entscheidungsmacht nicht nur zu respektieren, er hat sie zu garantieren. Oder, wie es der frĂŒhere FDP-GeneralsekretĂ€r Karl-Hermann Flach beschrieb: »Die Schwierigkeit besteht in gewissen Bewusstseinssperren bei den Massen, die sich, wenn sie nur einen Schrebergarten besitzen, schon in SolidaritĂ€t mit den MilliardĂ€ren in Abwehr aller AnschlĂ€ge gegen Eigentum und Erbrecht wĂ€hnen. «7
Geradezu typisch, wie beispielsweise Hans-Peter Friedrich, Landesgruppenchef der CSU im Deutschen Bundestag, im MĂ€rz 2010 auf den Programmentwurf der Linken reagierte. Die scheidenden Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky forderten darin nicht nur die Verstaatlichung des Bankensektors, sondern wollten auch gleich die Bereiche Energie, Verkehr und Gesundheit dem kapitalistischen Renditestreben entreißen – Dinge, ĂŒber die nachzudenken es j...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Titel Blatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Kapitel Eins: Was ist Armut eigentlich? Von den WiderstÀnden, darauf eine Antwort zu finden
  7. Kapitel Zwei: »Weniger Arme in Deutschland?« Was uns die Statistik verrÀt und wo sie blufft
  8. Kapitel Drei: Unser Sozialstaat an den Grenzen: Warum Armut hier keinen Platz hat
  9. Kapitel Vier: Der verlorene Kampf um die VollbeschÀftigung
  10. Kapitel FĂŒnf: Ganz ohne Theorie geht’s nicht: Über den Staat
  11. Kapitel Sechs: Die letzte Schlacht: Schröder und Hartz IV
  12. Kapitel Sieben: Warum Hartz IV Armut ist
  13. Kapitel Acht: Das war’s dann: Das Scheitern von Hartz IV
  14. Kapitel Neun: Deutschland am Scheideweg
  15. Kapitel Zehn: Was jetzt zu tun ist
  16. Anmerkungen
  17. Literatur