Die letzte Reise des Karl Marx
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Die letzte Reise des Karl Marx

  1. 96 Seiten
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Die letzte Reise des Karl Marx

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Ein Muss (und Genuss) für alle, die sich für Karl Marx interessierenZu Beginn des Jahres 1882 reist Karl Marx, um die Folgen diverser Krankheiten zu lindern, über Paris, Marseille und Algier nach Monte Carlo, wo er für einige Wochen in die Kasinobourgeoisie eintaucht und ihr Milieu studiert. Von Marx-Biographen bisher weitgehend unbeachtet, zeigt Hans Jürgen Krysmanski die Bedeutung dieser letzten Reise - nicht zuletzt auch für das Verständnis des Werks von Karl Marx.

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Information

Verlag
Westend
Jahr
2014
ISBN
9783864895623

Kapitel II

Algier1

In der Dämmerung des 20. Februar, morgens kurz nach drei, geht die »Said« vor Algier auf Reede und hisst die Trikolore. Kleine Boote bringen die Passagiere und ihr Gepäck an die Rampe unterhalb des Boulevard de la République. In einem der Tender sitzt auch die junge Frau aus dem Zug und winkt Marx zu.
Richter Fermé, ein sympathischer Mensch um die vierzig, erkennt Marx inmitten des Ankunftsgewimmels in der Bucht von Algier sofort, denn sein Bild als einer der Führer der sozialistischen Internationale ist überall verbreitet.
»Herr Marx? Marie-Leopold Albert Fermé! Willkommen in Algier.«
Sie schütteln sich herzlich die Hand.
»Sie werden müde sein. Direkt über uns sehen Sie Ihr Hotel.«
Fermé ruft einen Gepäckträger herbei, nimmt Marx die Reisetasche ab, um sie selbst zu tragen. Man geht zu Fuß. Fermé führt den Gast über die Treppe am Fischerhafen von El Dzazair. Es ist der kürzeste Weg, den haushohen Niveauunterschied zwischen Rampe und Boulevard, an dem das Hôtel d’Orient liegt, zu überwinden.
Das Hotel ist das erste Haus am Platz und sehr teuer. Das Hotel beherbergt zu dieser Zeit auch Reisende aus der englischen Großbourgeoisie. Marxens Verhältnis zu den »guten« und »negativen« Eigenschaften dieser Oberschicht wird einer harten Prüfung unterzogen. Äußerlich unterscheidet Marx sich kaum von diesen Gästen, kleine unwirsche Gesten aber verraten, dass er einer anderen Welt angehört und vor allem angehören will. Marx bedient sich einer neuen technischen Errungenschaft und lässt ein Kabel an Friedrich Engels in London absetzen, dass er gut angekommen sei. An der Rezeption legt man Marx eine Preisliste vor, die er sorgfältig studiert.
Er wendet sich an Fermé: »Gepfefferte Preise. Und sehr unruhig, zu viel englische Luxusbourgeoisie.«
Fermé: »Es sollte nur für die ersten Tage sein. Zur Akklimatisierung. Es gibt Villenpensionen, höher gelegen, besseres Klima, schönerer Blick. Sie werden sehen. Und die Kosten sind erheblich niedriger.«
Marx schnippt mit den Fingern: »Sie wissen doch, dass Engels …«
Marx wird in sein Zimmer komplimentiert. So prächtig die öffentlichen Vestibüle, Salons, Terrassen sind, so spartanisch sind die Gästezimmer. Nur der Blick auf das Hafengewimmel ist faszinierend. Marx richtet sich – hustend, schniefend, seufzend – ein. Seinen »Rhinozerosüberrock« verstaut er im hintersten Winkel eines Schrankes und packt einen leichten Paletot aus.
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Am Vormittag des 21. Februar holt Fermé Marx im Hôtel d’Orient ab. Sie nehmen das Frühstück im weitläufigen Terrassencafé des Hotels ein. In einer fernen Ecke sitzt eine Gruppe von Herren, unter denen ein hochgewachsener, schlanker, alter Gentleman auffällt. Marx äugt flüchtig hinüber.
Fermé bemerkt es: »Diesen Herrn werden Sie noch kennenlernen. Es ist der hiesige deutsche Konsul, ein Dr. Frö -bel.«
Marx blickt erneut hinüber: »Dr. Julius Fröbel?«
»Ja. Er soll in den 40ern der radikalen Opposition angehört haben. Man sieht’s ihm nicht mehr an. In Wien sogar zum Tode verurteilt wegen Unterstützung der Aufständischen, und begnadigt …«
Marx: »Ich kenne Fröbel! Sind zusammen im Demokratischen Verein in Wien aufgetreten, 1848! Er war älter als ich.«
Fermé: »Fröbel muss an die achtzig sein. Lebt hier mit großer Familie. Verheiratete Töchter, Enkel. Interessiert sich kaum noch für die Geschäfte. Sitzt sehr oft hier. Wollen Sie hinübergehen?«
Marx, ohne auf Fermés Frage einzugehen: »Hat später eine reiche Amerikanerin geheiratet, viel jünger. Hat dann für amerikanischen ›Luxus‹ und ›Gentlemanlikeness‹ geschwärmt und deutsche Aussiedler nach Zentralamerika gelockt …«
»Werden Sie ihn aufsuchen?«
»Keineswegs. Und um dieses Café werde ich künftig einen großen Bogen machen.«
Fermé: »Seine Sekretäre werden dennoch erfahren, dass Sie da sind. Man prüft die Listen prominenter Passagiere, die im Moniteur de l’Algerie veröffentlicht werden … Vielleicht wird man Sie befragen …«
Marx steht ungehalten auf: »Ich brauche Ruhe. Schon Sie, lieber Freund, reden mir zu viel!«
Sich hinter Säulen haltend, strebt er dem Ausgang zu, bleibt kurz am »Salle des fumeurs« stehen: »Und auch paffen darf ich nicht mehr!«
Viele von Marxens 1848er-Revolutionsgenossen stiegen auf in den herrschenden Institutionen. Ein naher Genosse aus dem Bund der Kommunisten beispielsweise, Lothar Bucher, wurde Bismarcks Pressereferent. Julius Fröbel, Jahrgang 1805, Bürger im Kanton Zürich, gab 1844 seine Professur auf, um sich der Revolution anzuschließen. Von 1849 bis 1857 lebte er in New York. Nach seiner Rückkehr nach Europa leitete er von 1867 bis 1873 in München die gemäßigte liberale Süddeutsche Presse. 1873 wurde er deutscher Konsul in Smyrna und 1876 nach Algier versetzt. Hier wirkte er zwölf Jahre. 1888 trat er in den Ruhestand …
Dr. Julius Fröbel überfliegt wie immer die Liste der mit dem Postdampfer eingetroffenen prominenten Passagiere. Auf einmal springt er auf: »Marx!«
Die Weisung geht hinaus: »Überwachen!«
Und er denkt: »Von ihm halt ich mich fern.«
Fröbels Dienstherr hingegen, Otto von Bismarck, hat den großen alten Mann der europäischen Arbeiterbewegung fest im Visier – und die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, obgleich sie mit einer starken Fraktion im Reichstag sitzt, mittels Sozialistengesetz unter Kontrolle. Vielleicht würde Bismarck sich dennoch – wie einst mit Ferdinand Lassalle – gern einmal mit seinem hochgebildeten, geistreichen Gegenspieler unterhalten. Doch für Marx ist auch das neue deutsche Reich »ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Besitz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflußter, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus«.2
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»Wenn man Algier über die rue d’Isly verläßt, sieht man eine lange Straße vor sich; auf der einen Seite erheben sich am Fuße der Hügel mauretanische Villen, von Gärten umgeben; auf der anderen Seite säumen Häuser den Weg, die in Terrassen den Hang hinunterführen.« In diesem »Mustapha Supérieur« genannten Viertel »werden ununterbrochen neue Häuser gebaut, alte abgerissen usw.«3
Marx und Fermé in einer Pferdedroschke. Es ist so etwas wie eine Sightseeing-Tour durch Algier. Man schweigt eine Weile.
Fermé macht eine Handbewegung: »Hier beginnt das Viertel Mustapha Supérieur. Dort wohne ich. Weiter oben gibt es eine schöne Pension.«
Die Droschke hält vor einem modernen Wohnhaus in der Route Mustapha Supérieur. Aus einem der Fenster des ersten Stocks winken Fermés Frau und Kinder zu den Ankommenden hinab. Marx und Fermé verschwinden im Eingang.
Zuvor hatte Marx einen spöttisch-bösen Blick zur anderen Straßenseite geworfen. Dort, gegenüber der Wohnung von Fermé, hat sich ein »Observateur« postiert. Es ist ein dünner Mensch in der Tracht der Kabylen, doch Gesicht und Verhalten unter der Verkleidung deuten auf einen wachen preußischen Beamten. Zugleich werden ernsthafte Kabel mit läppischen Inhalten, Marx betreffend, zwischen Algier und Berlin ausgetauscht werden.
Gegen all diese ständigen Schikanen gab und gibt es für Marx nur ein Mittel: Konzentration auf seine Arbeit. Zugleich wandelt sich aber auch in den herrschenden Kreisen Berlins sein Bild. Schon in den späten 1850ern war ein Halbbruder seiner Frau Jenny, Ferdinand von Westphalen, preußischer Innenminister geworden. Es gab Beamte, die Marxens Schriften nicht nur aus Zensurgründen gut kannten. 1879 veranlasst sein Ruhm die deutsche Kronprinzessin Viktoria, die Tochter der Königin, bekannt für ihre »liberalen« Neigungen, ihm einen wohlwollenden Berichterstatter nach London zu schicken, den Abgeordneten Grant Duff.
Dieser hat ausgesprochen Positives über den gelehrten Gentleman Marx zu berichten: Er habe seinerzeit keinen Revolutionär angetroffen, der »kleine Kinder in der Wiege zu fressen pflegt, wie das etwa die Ansicht der Polizei ist«. Vielmehr sei Marx ein gebildeter, hochgelehrter Mann, der sich für vergleichende Grammatik interessiere, Altslawisch gelernt und andere ausgefallene Studien getrieben habe. Er spreche trocken, mit satirischen Wendungen, leicht zynisch, aber zeige oft »sehr richtige Ideen« über Vergangenheit und Gegenwart. Nur mit dem, was Marx über die Zukunft sage, habe er, Grant Duff, sich nicht anfreunden können. Da gehe es um den nicht allzu fernen Umsturz im Zarenreich, um das Scheitern von Reformversuchen von oben, gar um Revolten gegen das preußische Militärsystem. Freiwillige Rüstungsbeschränkungen seien nicht möglich, der Fortschritt der Technik fordere ständig vollkommenere Zerstörungsmittel, die Ausgaben würden unaufhaltsam steigen; es sei ein Teufelskreis ohne Ausweg. Grant Duff würde Marx gern wiedersehen, doch er ist sich sicher: »Nicht er wird es sein – ob er es wünscht oder nicht –, der die Welt auf den Kopf stellen wird.«4
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Einige Tage später. Marx ist in die Pension »Victoria«, eine der mauretanischen Villen im Mustapha Supérieur, umgezogen, wo er die nächsten zwei Monate verbringen wird. Gleich am ersten Tag beobachtet er, wie »unten im Garten ein wirklich pechschwarzer Neger tanzt, lange Eisenkastagnetten schlägt und dabei seinen Körper in wunderlichen Verrenkungen windet und sein Gesicht zu einem breiten, fröhlichen Grinsen verzieht. Hinter ihm schaut eine andere Gestalt zu, in würdevoller Haltung, ziemlich herablassend lächelnd. Das ist ein Maure (englisch moor, deutsch Mohr), wie die Araber in Algerien genannt werden.«5
Dazu muss man wissen, dass Marx in der Familie und von Freunden nur »Mohr« genannt wird.
Früh am Morgen tritt Marx auf die kleine Galerie vor seinem Zimmer in der zweiten Etage. Dort stehen ein winziger runder Gartentisch und ein Stuhl, auf den er sich setzt, um einen Brief an Engels zu beenden. Er blickt über die Bucht, er beugt sich übers Papier, visuell vermengen sich das Panorama und das Schreiben der Sätze: »Hier herrliche Lage, bevor meiner chambre die Bucht des Mediterranean, Hafen von Algier, villas amphitheatralisch aufsteigend die collines … weiter entfernt des montagnes, visibles u.a. die Schneegipfel derrière Matifou, sur les montagnes Kabilie, des points culminants du Djudjura.«6
Seine Gesichtszüge zeigen trotz des schönen Ausblicks Zeichen einer »profunda melancolia«, doch er reißt sich zusammen: »Am Morgen um 8 Uhr nichts Zauberhafteres als Panorama, Luft, Vegetation, europäisch-afrikanisches wunderbares mélange. Jeden Morgen – 10, oder 9–11 my promenade.«7
Die letzten Zeilen jenes Briefs fließen besonders langsam. »Es wäre jedoch eine Lüge, wollte ich nicht gestehen, daß mein Denken zum großen Teil beherrscht wird von Erinnerungen an meine Frau, diesen Teil der besten Jahre meines Lebens!«8
Marx faltet den Briefbogen, malt geradezu Engels Londoner Adresse auf den Umschlag. Doch bevor er den Brief zuklebt, schiebt er noch eine weitere Notiz hinein. Auf ihr steht: ›N.B. Bin jetzt fast so weit, dass ich Methode habe, die Spekulation an den Börsen so stark zu forcieren, dass Finanzkapital sich selbst ad absurdum treibt.‹
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Die Gäste der Pension: »Zur gewiss nicht allzu großen Gesellschaft von ›Victoria‹ gehören neben Karl Marx di...

Inhaltsverzeichnis

  1. Abdeckung
  2. Titel
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Prolog
  7. Kapitel I: Von London ans Mittelmeer
  8. Kapitel II: Algier
  9. Kapitel III: Monte Carlo und der Kasinokapitalismus
  10. Kapitel IV: Rückkehr nach London und Tod
  11. Epilog
  12. Anmerkungen
  13. Literatur