Stresstest Deutschland
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Stresstest Deutschland

Wie gut sind wir wirklich?

  1. 240 Seiten
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Wie gut sind wir wirklich?

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Über dieses Buch

Deutschland, Musterschüler Europas?Politik und Medien preisen täglich die Leistungsfähigkeit Deutschlands, nicht ohne uns im gleichen Atemzug zu ermahnen, den Gürtel doch bitte enger zu schnallen. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - die Grenzen zwischen Selbstbeweihräucherung und schrillem Alarmismus verschwimmen immer mehr. Doch wie gut sind wir wirklich? Jens Berger wirft einen unbestechlichen Blick u. a. auf die derzeitige Demokratiekrise, auf Wirtschafts-, Finanz- und Gesundheitspolitik, auf Rente und Soziales.Wir sind Vize-Exportweltmeister, haben das begehrte AAA-Rating und hangeln uns von einem XXL-Aufschwung zum nächsten. Gleichzeitig wissen Millionen Deutsche am Monatsende nicht mehr, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Ihnen droht die Altersarmut, während ihre Kinder sich von einem Zeitvertrag zum nächsten schleppen. Geht es der Bevölkerung tatsächlich gut, wenn es der Wirtschaft gut geht? Ist die schwäbische Hausfrau wirklich ein passendes Leitbild für eine Volkswirtschaft? Wird Demokratie überhaupt noch gelebt, oder ist sie mittlerweile zu einer hohlen Phrase für Sonntagsreden verkommen? Und wer ist eigentlich der Souverän - die Banken oder das Volk? Sind die Medien noch ein "Sturmgeschütz der Demokratie" oder nur die "Spritzpistole Angela Merkels"? Kann die Bewegung der Empörten ein Korrektiv sein? Jens Berger unterzieht Deutschland einem Stresstest und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis.

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Information

1 Demokratiekrise: Leben wir im besten aller denkbaren Systeme?
Zahlreiche Umfragen der letzten Jahre kommen übereinstimmend zu dem Befund, dass ungefähr die Hälfte der Deutschen mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, wenig oder gar nicht zufrieden ist.1 Je ärmer die Menschen sind, desto schlechter funktioniert ihrer Meinung nach die Demokratie.2 Für 73 Prozent der Arbeitslosen, 63 Prozent der Hartz-IV-Haushalte und sechzig Prozent der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 700 Euro gilt demnach, dass sie der Demokratie skeptisch gegenüberstehen. Jeder zweite Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger würde die Demokratie nicht verteidigen. Vor allem im Osten hat sie kein besonders gutes Image. Jeder zweite Ostdeutsche spricht einem demokratischen System generell die Fähigkeit ab, Probleme zu lösen. Das sind höchst gefährliche Alarmzeichen.
Nun darf man aber nicht den Fehler machen, Verdruss und Unzufriedenheit über die derzeitige Funktionsweise unserer Demokratie mit einer Ablehnung der Demokratie gleichzusetzen. Dieselben Umfragen kommen nämlich ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die ganz überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung ein demokratisches Staatswesen, das Grundgesetz und den Sozialstaat für verteidigenswert hält. Man sollte also eher von einer Politik-, Politiker-, Parteien- oder Systemverdrossenheit sprechen, demokratieverdrossen sind die Deutschen (noch) nicht. Die Unzufriedenheit mit der Demokratie, der Politik, den Politikern und Parteien ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Politik in zentralen Fragen dauerhaft gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung regiert. Das ist bezogen auf Hartz IV so, die Rente mit 67, die Gesundheitsreformen oder auch auf den Kriegseinsatz in Afghanistan. Man könnte noch eine ganze Reihe weiterer Politikfelder aufzählen, bei denen die Bürger das Gefühl gewonnen haben, dass ihre Meinung bei der Politik, den Parteien und den Regierungen nicht mehr gefragt ist. Schlimmer noch: Ihre Meinung kommt in der öffentlichen Debatte gar nicht mehr vor.
Unser politisches System gehört zu den freiesten, die es je gab. Da die Freiheit des einen aber auch immer die Unfreiheit des anderen ist, sollte man sich darüber im klaren sein, wessen Freiheit der Politik eigentlich am Herzen liegt. »Freiheit hoaßt koa Angst habn, vor neamands«, sang einst der Liedermacher Konstantin Wecker. Angst war aber schon immer ein Element der Politik – der Verängstigte stellt weniger Fragen und lässt sich leichter regieren. Eine solche Politik hat mit der Freiheit aller Bürger also wenig zu tun. Und die Deutschen haben Angst. Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren oder in das Heer der zahllosen »working poor« abzu-gleiten; sie haben Angst davor, im Alter ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können; sie haben Angst, in einer immer schneller werdenden Welt abgehängt zu werden.
Anstatt diese Ängste zu beseitigen, schürt die Politik sie durch den Abbau des Sozialstaats und subtil gestreuten Sozialdarwinismus. Solange unsere Demokratie die Ängste der Menschen nicht wirklich ernstnimmt und Mittel und Wege findet, sie zu beseitigen, wird es ihr auch nicht gelingen, aus den Verängstigten engagierte Demokraten zu machen. Warum sollte man ein politisches System verteidigen, das einen selbst zum Verlierer abstempelt und keine ernstzunehmende Lebensperspektive bietet?
Willkommen in der Parteiendemokratie
Alle Macht geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik. Aber stimmt das? Geht die Macht in Deutschland wirklich vom Volke aus? Kritische Zeitgenossen werden diese Frage wahrscheinlich verneinen, denn sie beobachten, dass doch die Parteien als Repräsentanten des Volkes immer mehr Macht an sich reißen. Die Macht der Parteien geht inzwischen weit über den politischen Gestaltungsauftrag hinaus, den ihnen das Grundgesetz zubilligt. Das Parteibuch entscheidet, wer einen Posten im höheren Staatsdienst bekommt, die obersten Richter des Landes werden nach Parteibuch und Parteienproporz ernannt, und sogar die Wächter der Demokratie, die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, mögen zwar staatsfern sein – parteienfern sind sie aber nicht einmal im Ansatz. Die Parteien setzen sich über die Gewaltenteilung hinweg – sie kontrollieren die Exekutive, die Judikative, die Legislative und teilweise sogar die Medien, die von Optimisten immer gern als vierte Gewalt im Staat bezeichnet werden. Ein Staatsgebilde ohne Gewaltentrennung ist allerdings keine Demokratie. Will man das Staatssystem der Bundesrepublik auf einen griffigen Nenner bringen, könnte man daher auch von einer Parteienherrschaft sprechen.
Wie konnte es passieren, dass eine vorbildliche Verfassung, wie es die deutsche ist, durch die Parteien derart ausgehöhlt werden konnte? Die Antwort auf diese Frage wird vielen nicht so sehr gefallen: Das Volk hat den Parteien die Macht auf dem Silbertablett dargeboten.
Die Bürger fühlen sich von den Parteien zwar nicht wirklich repräsentiert, machen allerdings auch keinerlei Anstalten, an diesem Zustand etwas zu ändern. Wenn ihnen alle paar Jahre wieder die einzige Möglichkeit geboten wird, Politik mitzugestalten, versagen sie auf ganzer Linie – entweder, sie nehmen diese Möglichkeit nicht wahr oder sie stimmen mit überwältigender Mehrheit für das politische System, das sie an anderer Stelle kritisieren. So unzufrieden kann das Volk demnach mit der Politik gar nicht sein. Aber vielleicht entspricht die Mehrheit der kritischen Beobachter auch ganz einfach nicht dem repräsentativen Durchschnitt, und es gibt so etwas wie die »schweigende Mehrheit«, die Richard Nixon einst immer dann in den Ring warf, wenn seine wertkonservative Politik von den liberalen Demonstranten auf der Straße kritisiert wurde. Hatte Nixon vielleicht recht? Gibt es auch in Deutschland eine »schweigende Mehrheit«, die gar nicht so unzufrieden mit der Politik ist, wie es kritische Betrachter ausgemacht haben wollen?
Eine Antwort auf diese Frage könnte auch das Orakel der Demoskopen nicht geben. Denn leider verschaffen die Sprüche dieses Orakels keine Klarheit, sondern bieten nur weiteren Diskussions- und Interpretationsspielraum. Zwar ist die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bei einigen Sachfragen, etwa Rente mit 67 oder Krieg in Afghanistan, anderer Meinung als die überwältigende Mehrheit der Parlamentarier, dennoch schlägt sich dieser Dissens nicht im politischen Stimmungsbild nieder. Nur jeder Zehnte der Befragten, die überhaupt wählen würden, erklärt bei Umfragen, seine Stimme auch der einzigen Partei zu geben, die bei den erwähnten Sachfragen mit der Mehrheit des Volkes übereinstimmt. Ähnlich sieht es beim Thema Mindestlohn aus. In diversen Umfragen erklärt die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, dass sie einen Mindestlohn für richtig hält, bei der konkreten Wahlentscheidung spielt dieses Thema jedoch offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle, zumindest wählt sie nicht die Partei, die sich dafür einsetzt.
Dafür gibt es drei mögliche Erklärungen:
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Die Themen, bei denen die Parteien nicht die Meinung ihrer Wähler vertreten, werden von den Wählern eher als unwichtig betrachtet. Die Wahl einer Partei ist immer die Einigung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Wenn man beispielsweise zu 75 Prozent mit dem Parteiprogramm der CDU übereinstimmt, beim Thema Afghanistan allerdings anderer Meinung ist, muss dies kein Hindernis sein, diese Partei trotzdem zu wählen.
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Parteien, mit denen man in bestimmten Bereichen übereinstimmt, scheinen durch andere Positionen oder aber die öffentliche Wahrnehmung unwählbar. So spielt es für die allermeisten Wahlberechtigten gar keine Rolle, welche Position beispielsweise die NPD zu bestimmten Themen hat, da diese Partei für sie ohnehin nicht wählbar ist.
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Der Wähler ordnet sich dem Paternalismus des politischen Systems unter. Ein Kind würde schließlich auch nicht seine Eltern in Frage stellen, wenn sie sich bei der Wahl des nächsten Urlaubsortes nicht an seinen Wünschen orientieren. Um diesen Effekt zu verstärken, benutzt die Politik gern den Trick, gewisse Positionen als alternativlos darzustellen.
Wie systemverdrossen ist das Volk?
Die beliebte These, nach der die Deutschen politikverdrossen seien, lässt sich bereits mit dem Blick in jede x-beliebige Kneipe oder deren virtuelles Pendant, die sozialen Netzwerke im Internet, widerlegen. Es wird gejammert, diskutiert, debattiert und gestritten, dass die Fetzen fliegen. Neu ist jedoch, dass es nur sehr selten vorkommt, dass einer der Diskutanten sich offen auf die Seite einer Partei stellt. Der politische Diskurs ist lebhaft, er findet jedoch heute jenseits der Parteienpolitik statt. Die vielzitierte »Politikverdrossenheit« trifft also nicht den Kern des Problems.
Mit den Politikern, die als Talk-Show-Helden auftreten, haben die wenigsten ihrer Wähler und Nichtwähler irgendetwas gemein. Der Politiker von heute ist kein Idol, er ist kein Visionär und auch kein ehrlicher Makler. Er ist ein PR-Produkt, austauschbar in seiner belanglosen Unverbindlichkeit. Kennt eigentlich noch irgendwer die großen »Leuchttürme« der Politik des vergangenen Jahrzehnts: Ruprecht Polenz, Hubertus Heil, Klaus Uwe Benneter oder Peter Hinze? Wird in fünf Jahren noch irgendwer Ronald Pofalla, Hermann Gröhe, Alexander Dobrindt oder Andrea Nahles kennen? Nein, warum auch? Ein kleiner Tipp an alle Leser, die hier selbst ins Schwimmen kommen: Alle genannten Herren und die Dame waren oder sind Generalsekretäre einer Volkspartei.
Was heute oft als Politik-, Politiker- oder auch als Parteienverdrossenheit beschrieben wird, ist strenggenommen eher eine Systemverdrossenheit Wie weit diese Systemverdrossenheit allerdings geht, ist umstritten. Wäre das Volk wirklich so systemverdrossen, wie manche kritischen Beobachter vermuten, müsste es doch eigentlich aus dem binären Lagerdenken ausbrechen. In den Köpfen der Publizisten lässt sich die deutsche Parteienlandschaft grob in zwei Lager aufteilen – das »bürgerliche« Lager mit den Unionsparteien und der FDP und das »linke« Lager mit der SPD und den Grünen. Diese Definition greift jedoch noch auf das Parteiensystem der Weimarer Republik zurück, in dem die Parteien auch mehr oder weniger klar mit bestimmten sozialen Schichten korrespondierten – das Zentrum (Vorgänger der Unionsparteien) mit dem Bürgertum und die SPD mit der Arbeiterklasse. Obwohl dieses Lagerdenken eigentlich spätestens mit der Entwicklung der beiden großen Parteien zu Volksparteien überwunden sein sollte, finden auch heutzutage noch die größten Wählerwanderungen innerhalb des vemeintlich bürgerlichen und des vermeintlich linken Lagers statt. Wählerwanderungen zwischen den Lagern sind heute häufiger zu beobachten als früher, es kommt jedoch eher selten vor, dass Wähler einer Partei, die nicht so einfach einem der beiden Lager zuzuordnen ist, ihre Stimme geben. Dies könnte sich mit den jüngsten Erfolgsmeldungen der Piratenpartei vielleicht ändern, es ist jedoch noch zu früh, um dazu belastbare Aussagen zu machen.
Da Parteien, die weder in das »bürgerliche« noch in das »linke« Lager passen beziehungsweise von den Wortführern dieser Lager als nicht zugehörig zum entsprechenden Lager bezeichnet werden, nur von einer kleinen Minderheit gewählt werden, scheint es auch mit der Systemverdrossenheit nicht allzu weit her zu sein. Die in diesem Zusammenhang immer wieder genannten Nichtwähler klären diesen Widerspruch ebenfalls nicht auf – bei wichtigen Wahlen, etwa den Bundestagswahlen, ist die Zahl der Nichtwähler heute nicht wesentlich größer als zu den »goldenen Zeiten« der Bundesrepublik, als noch niemand von Systemverdrossenheit sprach. Bei den letzten Bundestagswahlen gaben immerhin sieben von zehn Deutschen ihre Stimme ab, von einer massenhaften Wählerflucht kann da wohl kaum die Rede sein.
Entweder ist das Volk nicht systemverdrossen, oder es sieht ganz einfach keine Alternative und bleibt aus geistiger Bequemlichkeit lieber beim zweigeteilten Lagerdenken. Man kann auch mit dem Wetter fürchterlich unzufrieden sein, ändern kann man es nicht. Während unsere »systemverdrossenen« Vorfahren in vordemokratischen Zeiten ihr Leben dafür gaben, im politischen System gehört zu werden, muss man heute den Hund schon zum Jagen tragen. Von engagierten Oppositionswählern oder begeisterten Nichtwählern kann wirklich nicht die Rede sein.
Sollten hierzulande einmal bewaffnete Rabauken die Bürger vom Betreten der Wahllokale abhalten, würde dies bei den Wahlwilligen wahrscheinlich bestenfalls ein Schulterzucken hervorrufen – hätte ich das vorher gewusst, wäre ich gleich und ohne Umweg in die Eisdiele gegangen. Für eine Demokratie ist dies freilich ein jämmerliches Bild.
Die Deutschen sind zwar latent unzufrieden, rühren aber keinen Finger, um etwas an dieser Unzufriedenheit zu ändern. Sie sind passive Demokraten, die die Politik als Showveranstaltung betrachten. Sie geben ihrem Favoriten die Stimme oder schalten ab und gehen in die innere Emigration – wobei dieser Begriff den Großteil der bildungsfernen Schichten, die lieber Bohlen als Phoenix einschalten und sich ihrer politischen Verantwortung entziehen, sicher nur sehr ungenügend charakterisiert.
Wer hat uns verraten?
Das Parteiensystem eignet sich hervorragend dazu, Unzufriedenheiten zu kanalisieren. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn Regierung und Opposition jeweils ein halbwegs geschlossenes Lager darstellen. Als die Bürger mit der Regierung Helmut Kohls unzufrieden waren, wählten sie das andere, sogenannte linke Lager; als sie mit der Regierung Gerhard Schröders unzufrieden waren, stimmten sie wieder für das sogenannte bürgerliche Lager, so als hätten sie ihr Missfallen mit der Regierung Kohls schon wieder vergessen. Wähler haben ein sehr schlechtes Langzeitgedächtnis und neigen zum binären Denken: Wenn sie mit X unzufrieden sind, müssen sie Y wählen, Alternativen gibt es nicht.
Solange die Wähler sich ein X für ein Y vormachen lassen und noch einen markanten Unterschied zwischen den beiden Lagern sehen, funktioniert dieses Unterscheidungsprinzip. Die einstigen inhaltlichen Positionen der großen Parteien verschwinden jedoch zusehends. Die SPD ist nicht sozialdemokratisch, die CDU nicht christlich, die CSU nicht sozial, die FDP kämpft mehr für die Freiheit des Marktes als die des Wählers, und die Grünen streifen sich den olivgrünen Stahlhelm über. Macht und Machterhalt werden zum Selbstzweck. Mehr und mehr erinnern die Parteien an Produkte, denen die Marketingabteilung ein Image verpasst hat.
Dieser Eindruck wird bestärkt, wenn man die modernen Vokabeln politischer Kommunikation betrachtet. Da wird von einem Markenkern, von Image, Außenwirkung, Zielgruppen oder auch Alleinstellungsmerkmalen gesprochen. Politik wird nicht mehr von Politikern, sondern von PR-Profis formuliert. Für die SPD erfüllt diese Aufgabe beispielsweise die Werbeagentur BUT-TER3 – w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Einleitung: Auf der Suche nach dem Glück
  6. 1. Demokratiekrise: Leben wir im besten aller denkbaren Systeme?
  7. 2. Zwischen Mediendemokratie und Mediokratie
  8. 3. Lobbyismus: Doch man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht
  9. 4. Wirtschaftspolitik: Kennst du das Land, in dem die Löhne blühen?
  10. 5. Sozialpolitik: Gerechtigkeit ist mehr als eine Frage der Moral
  11. 6. Steuersystem: Umverteilung einmal andersrum
  12. 7. Gesundheitspolitik: Dr. Knock – oder der ökonomische Erfolg im Gesundheitssektor
  13. 8. Finanzpolitik: Auf dem Weg zur marktkonformen Demokratie
  14. Nachwort: Demokratie in Gefahr
  15. Anmerkungen
  16. Literatur