So sieht uns die Welt
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So sieht uns die Welt

Ansichten über Deutschland

  1. 240 Seiten
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Ansichten über Deutschland

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Über dieses Buch

Deutschlands Rolle hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Wie sehen uns die Menschen in anderen Ländern eigentlich? Tun wir international genug oder verspielen wir gerade Vertrauenspotential? Hat Deutschland politisch, wirtschaftlich, kulturell eine Vorbildfunktion oder nicht? Machen wir den Anderen noch oder wieder Angst? Stehen wir für demokratische Werte? Ist Deutschland der Retter der Eurozone oder der Zerstörer? Hanni Hüsch, bis zuletzt Studioleiterin der ARD in Washington, und vierzehn weitere weltweite Auslandskorrespondenten deutscher Leitmedien fangen facettenreiche Stimmungsbilder über uns Deutsche ein. +++ Ägypten Tomas Avenarius (SZ) +++ Brasilien Michael Stocks (ARD) +++ China Andreas Landwehr (dpa) +++ England Annette Dittert (ARD) +++ Frankreich Michael Strempel (ARD) +++ Griechenland Jannis Papadimitriou (taz u.a.) +++ Israel Richard C. Schneider (ARD) +++ Italien Kirstin Hausen (ARD) +++ Österreich Robert Misik (Standard u.a.) +++ Polen Ulrich Adrian (ARD) +++ Russland Tim Neshitov (SZ) +++ Schweiz Daniel Hechler (ARD) +++ Spanien Sebastian Schoepp (SZ) +++ Türkei Jürgen Gottschlich (taz) +++ USA Hanni Hüsch (ARD)

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Information

Verlag
Westend
Jahr
2013
ISBN
9783864895364
Auflage
1
Im Auge des Drachen
Von Andreas Landwehr
In China ein Deutscher zu sein, ist ein Türöffner. »Deutschland ist gut« oder »Die Deutschen sind tüchtig« sind typische Reaktionen von Chinesen, wenn ich mich im Reich der Mitte als Deutscher zu erkennen gebe. Sofort scheint positive Energie zu fließen. Die Frage »Wo kommen Sie her?« steht am Anfang jeder Begegnung, so auch an jenem Oktobertag, als ich mit meiner Frau und zwei amerikanischen Freunden in Shanghai ein Taxi besteige. Der Fahrer will natürlich sofort wissen, wo die »Laowai«, die Ausländer in seinem Taxi, herkommen. Wir fahren am Shanghaier Bund, der alten Uferpromenade des Huangpu-Flusses, entlang. Wie so viele Taxifahrer in der Hafenmetropole fährt er einen Santana. Das Volkswagenmodell ist hier in China ein Stück Deutschland, obwohl es bei uns nie erfolgreich war. Es war 1985 in Shanghai das erste Modell, das im Joint Venture von Volkswagen mit Shanghai Automotive (SAIC) gebaut wurde.
»Deutschland finde ich gut«, antwortet der Taxifahrer spontan. »Die Deutschen sind nicht wie die Amerikaner. Die mischen sich immer in alles ein, auch wenn es sie nichts angeht.« In schwerem Dialekt und polternd macht er seinen Vorurteilen über die Amerikaner Luft, sie seien nicht auszuhalten. Zum Glück verstehen unsere amerikanischen Freunde auf der Rückbank kein Chinesisch. Die Welle der Abneigung rauscht ungehört an ihnen vorbei. »Hier, unsere Freunde, äh – das sind Amerikaner.« Ich zeige nach hinten. Mal sehen, was er sagt. »Was?« Der Taxifahrer verliert die Fassung. »Deutsche haben amerikanische Freunde? Ist das wahr?« Tja, wohl unvorstellbar. »Ja, wir Deutsche haben amerikanische Freunde«, bestätige ich. Übrigens gebe es auch viele Chinesen, die in den USA lebten und es da sehr gut fänden. Die hätten schließlich auch amerikanische Freunde. »Genau wie wir.«
Der Taxifahrer wird ganz still, die Situation ist ihm etwas unangenehm. Er weiß nicht so recht, wie er das Gespräch fortsetzen kann. Da wir zur Geburtsstätte der Kommunistischen Partei im luxuriösen Shanghaier Viertel Xintiandi fahren, frage ich ihn einfach, was er von der Partei halte. Prompt folgt eine weitere Schimpftirade. »Mit denen habe ich nichts zu tun«, sagt er. »Ich war früher Arbeiter in einem Staatsbetrieb.« Nach 25 Jahren sei er entlassen worden. Ohne Rente, ohne Krankenversicherung. »Ich habe wenig Sympathie für die Partei. Ich habe mich immer auf mich selbst gestützt.« 57 Jahre ist der Taxifahrer alt. »Nichts haben die Kommunisten für mich getan, absolut nichts«, flucht er.
Puh, mal wieder Glück gehabt. Ich bin weder Kommunist noch Amerikaner, sondern der gute Deutsche. Die Welt besteht aus Vorurteilen – und wir Deutsche profitieren davon, zumindest in China. Sofort hellen sich die Gesichter auf, sofort verbessert sich die Stimmung. Deutschland genießt in China ein äußerst gutes Ansehen, und zwar schon immer. Deutsche Produkte werden für ihre Genauigkeit und Verlässlichkeit geschätzt. Jeder fünfte Chinese benutzt sie. Automarken wie Volkswagen, BMW, Audi, Mercedes oder auch Siemens, Adidas und Nivea sind in China die wichtigsten Repräsentanten der deutschen Nation – neben Jogi Löw und Miroslav Klose, wohlgemerkt. Deutsche Produktqualität und die Leistungen der Fußballnationalmannschaft stehen für die Charaktereigenschaften eines ganzen Volkes. Angst vor einem stärker werdenden Deutschland gibt es nicht. Deutsch ist vielmehr der Inbegriff für Zuverlässigkeit.
»Zhendehendeguo« – übersetzt soviel wie »Wirklich sehr deutsch« oder auch »Echt Deutschland«, wirbt das Möbelhaus Baiqiang im Pekinger Vorort Changping seit Jahren für seinen »deutschen Geist« in Design und Technik. Seine Sofas, Tische und Schränke sind allerdings weder aus Deutschland noch haben sie sonst etwas damit zu tun – macht nichts, die Botschaft kommt in China an.
»Die Deutschen nehmen alles genau und halten sich an Regeln.«
Ich will genau wissen, was die Chinesen von uns Deutschen halten. So befrage ich Chinesen, die in Deutschland gelebt haben, mit Deutschen arbeiten und studieren oder uns nur aus weiter Ferne betrachten. Ich fange bei Ai Weiwei an. Über die Jahre habe ich diesen ebenso großartigen wie eigenwilligen chinesischen Künstler in seinem Studio im nördlichen Pekinger Stadtteil Caochangdi häufig interviewt. Ich schätze seine tiefsinnigen, manchmal provokanten Analysen. »Du hast viel Erfahrung im Umgang mit Deutschen«, frage ich. »Was ist typisch deutsch?« Ai Weiwei denkt lange nach. »Ich habe einige deutsche Freunde«, fängt er langsam an. »Sie sind ziemlich kompliziert. Einerseits sind sie rational, andererseits zur gleichen Zeit auch emotional.« Unterm Strich aber wohl mehr rational, findet Ai Weiwei dann doch. »Sie diskutieren sehr bereitwillig über Probleme und denken über Dinge nach.« Gerne würde der berühmteste zeitgenössische Künstler Chinas auch seine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste annehmen. Doch seit seiner vorübergehenden Inhaftierung 2011 hindern ihn die chinesischen Behörden daran, ins Ausland zu reisen. Was er an den Deutschen mag? »Sie sind ehrlich, sie kümmern sich«, sagt Ai Weiwei. »Freundschaften respektieren sie besonders.« Was er nicht mag an den Deutschen? »Da sehe ich bislang nichts.« Auf die Frage, warum die Chinesen gemeinhin eine so positive Einstellung gegenüber unshaben, spricht Ai Weiwei über die hohe Qualität deutscher Produkte und deutet sogar gewisse Gemeinsamkeiten zwischen beiden Völkern an: »Deutsche arbeiten wirklich sehr hart und haben immer ein Gefühl der Krise«, schildert er. »Und Chinesen sehen sich selber auch als hart arbeitend und tapfer an – na ja, vielleicht nicht wirklich tapfer, aber sie betrachten sich auch als fleißige und unermüdliche Arbeiter – so wie die Deutschen.«
Immer wieder habe ich Chinesen gebeten, den Satz »Deutschland ist …« zu vervollständigen. »Deutschland ist ein Land, das mich glücklich und traurig macht«, sagt mir etwa die 25-jährige Angestellte eines Medienunternehmens und verweist als Beweis einerseits auf Adolf Hitler und Karl Marx, andererseits auf Martin Luther, Richard Wagner und die deutschen Fußballer. »Ich habe das Gefühl, dass es einen Konflikt im nationalen Charakter gibt.« Eine 19-jährige Studentin sagt weniger tiefsinnig: »Deutschland ist irgendwo zwischen Bier und Fußball sowie gut aussehenden Männern und Frauen.« Ein 19-jähriger Student meint: »Deutschland ist ein Land mit fester Willenskraft, einem starken Zusammenhalt und einer besonderen Genauigkeit, was Kultur und Einsicht angeht.« Auch diese Antworten habe ich gehört: »wohlhabend und förmlich«, »ernst und romantisch« oder »ein hochtechnologisches Land mit Ecken und Kanten«.
In Umfragen sehen drei Viertel der Chinesen Deutschland als innovatives Land an – ähnlich viele verbinden Sympathie und Vertrauenswürdigkeit mit Deutschland. »Von allen Ländern respektiere ich Deutschland am meisten«, sagt etwa Managerin Wang Chong. Die 31-Jährige arbeitet in der Personalabteilung eines großen chinesischen Verlagshauses. »Eine Nation voller Qualität und Verlässlichkeit.« Ihr Auto ist deutsch – genau wie all ihre Haushaltsgeräte. »Die Deutschen nehmen alles genau und halten sich an Regeln«, sagt sie. »Ich mag es, mit welcher Hartnäckigkeit und Nachdrücklichkeit sie arbeiten.« Um zu demonstrieren, wie sich Amerikaner, Japaner, Chinesen und Deutsche aus ihrer Sicht unterscheiden, erzählt sie einen Witz: »Ein Parkplatz hat hundert Stellplätze. In den USA können achtzig Autos darauf parken, weil sich Amerikaner nicht gerne an Vorschriften halten. In Japan parken 120 Autos darauf, weil Japaner sehr sparsam mit vorhandenen Ressourcen umgehen können. In China wiederum finden nur zwei Autos Platz, weil einer am Eingang parkt und der andere die Ausfahrt blockiert. In Deutschland aber finden genau hundert Autos einen Platz, weil die Deutschen sich genau an die Parkvorschriften halten.«
Woran denken Chinesen als erstes, wenn sie nach Deutschland gefragt werden? »Schweine«, scherzt eine 25-jährige Chinesin, verweist auf Eisbein und Schweinsteiger. Bier oder Mercedes-Benz ist auch oft zu hören. »Wieviel Flaschen Bier kannst du an einem Abend leer machen?«, muss ein Deutscher in China immer wieder seine Männlichkeit unter Beweis stellen. »Knallerfrauen« und »großartige deutsche Männer« kommen chinesischen Studenten in Peking ebenfalls in den Sinn, wenn ich sie nach Deutschland frage. »Auch wenn sie sich nicht modisch kleiden, sondern eher etwas ländlich aussehen, sind sie attraktiv, groß und reich – eben gute Schwiegersöhne und Schwiegertöchter«, sagt eine 19-jährige Studentin lachend. Fußball, Bier und Sex kommen einer anderen 19-Jährigen als erstes in den Sinn. Warum Sex? Deutschland sei eines der wenigen Länder der Welt, wo Prostitution erlaubt wäre, erklärt die junge Studentin. »Während der Fußballweltmeisterschaft habe ich einen Artikel über eine etwa 30-jährige Frau gelesen. Jeden Abend, wenn sie mit dem Make-up fertig war und zum Anschaffen gehen musste, hat sie ihr Mann zur Arbeit gefahren«, erzählt sie.»Das hat mich schwer beeindruckt.« Auch die Bilder von starken Kellnerinnen auf dem Münchner Oktoberfest verfehlen nicht ihren Eindruck auf Chinesen: »Ich denke, in China wirst du niemanden finden, der sechs volle Bierkrüge heben kann und dabei noch lächelt – und das machen in Deutschland auch noch junge Frauen!«, sagt ein 22-Jähriger mit Bewunderung.
Wie zu erwarten, rangiert Hitler an der Spitze der bekanntesten Deutschen. Musik und Philosophie werden auch gerne genannt. Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche, Johann Wolfgang von Goethe, Max Weber oder Thomas Mann sind unter chinesischen Studenten keineswegs Unbekannte. Marx hingegen wird von den Menschen im Sozialismus »chinesischer Prägung« immer seltener genannt. Er musste dem Markt weichen, wenngleich die Partei sein ideologisches Erbe unverändert beschwört. Während Deutsche aber wohl nur mit Mühe gerade einmal die Namen von Konfuzius oder Laozi als chinesische Philosophen zitieren können, verblüfft mich Li Chao, ein 22-jähriger Angestellter einer Pekinger Werbeagentur, mit seiner Kenntnis über eine ganze Reihe deutscher Philosophen. Er nennt nicht nur Kant, sondern auch Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Ludwig Feuerbach. Besonders aber hätten ihn Arthur Schopenhauer und Nietzsche beeindruckt. In der chinesischen Oberschule war er erstmals mit deutscher Philosophie in Kontakt gekommen. »Ihre Ansichten hatten einen unglaublichen Einfluss darauf, wie wir in der Welt denken.« Martin Luther und die Reformation sind ihm nicht fremd. Der 22-Jährige überrascht genauso mit seiner Liebe für Musik von Johann Sebastian Bach wie für gotische Architektur und den Kölner Dom. Wüsste ein Deutscher mit Anfang zwanzig etwas über die verschiedenen Stile der Pekingoper oder die Architektur der Verbotenen Stadt in Peking? Wohl kaum. Von der Philosophie, Musik und Architektur wechselt Li Chao zu ebenfalls »beeindruckenden« deutschen Produktionsprozessen: »Von Feuerzeugen über Hörgeräte bis hin zu Panzern – die Deutschen leisten wirklich gute Arbeit.« Er bescheinigt den Deutschen eine »unnachgiebige Persönlichkeit«. »Manchmal sogar etwas dickköpfig«, sagt Li Chao. »Vielleicht die besten Lehrer für störrische Jugendliche, aber nichts für den Kindergarten.« Darauf muss man erst mal kommen.
Qualitätsarbeit und Ernsthaftigkeit fallen dem Maschinenbauingenieur Li Cheng als erstes ein. Der 44-Jährige arbeitet häufig mit Deutschen in seiner Zigarettenfabrik in Changsha in der zentralchinesischen Provinz Hunan zusammen: »Deutsche sind pünktlich, nachdenklich und ernsthaft«, erzählt er, »sie sind sauber und genau – als Arbeitskollegen sind sie sehr verlässlich.« Sie seien wohl nicht so locker wie andere Landsleute. Ernster eben. »Die Deutschen, die ich kenne, sind alles Ingenieure und gewissenhaft bei der Arbeit. Wenn es ein Problem gibt, denken sie immer erst nach, bevor sie etwas sagen«, sagt Li Cheng. Humor kann bei seinen deutschen Kollegen leicht zum Problem werden, hat er festgestellt. »Wir dürfen nicht lachen, wenn wir etwas diskutieren, sonst haben sie das Gefühl, dass wir eine Sache nicht ernst nehmen. Sie mögen das nicht.« Mit Ingenieuren aus anderen Ländern lasse sich hingegen schon mal ein Witz machen, mit denen gehe es eher locker zu. Dafür seien deutsche Zigarettenmaschinen aber die besten der Welt. Li Cheng hat auch mit Produktionsanlagen aus Italien, Südkorea oder China gearbeitet. »Im Vergleich sind Genauigkeit, Stabilität, Haltbarkeit und Bedienung der deutschen Maschinen auf einem höheren Niveau«, sagt der Ingenieur. Er denkt, es liege am Charakter der Nation und habe viel mit der gewissenhaften Arbeitseinstellung zu tun. Deswegen sei der deutsche Maschinenbau, insbesondere im Präzisionsbereich, so hoch entwickelt. Schweizer oder Japaner seien bei Einzelteilen zwar auch nicht schlecht – »Aber Deutsche sind sehr gut in gesamten Systemen.«
Chinesische Flexibilität und deutsches Regeldenken reiben sich nicht selten aneinander. Eine Managerin in der Qualitätskontrolle eines großen deutschen Chemie- und Pharmaziekonzerns, die lieber anonym bleiben wollte, klagte mir ihr Leid über ihre deutsche Zentrale, die nicht begreifen will, dass die Geschäfte in China anders laufen. »Sie reden immer von globalen Standards, die eingehalten werden müssten«, sagt die Frau frustriert. »Aber in China funktioniert das nicht.« Niemand höre in Deutschland auf sie, niemand wolle kulturelle Unterschiede berücksichtigen. Selbstbewusst und hoch kompetent schildert sie mir komplizierte Verantwortungsprozesse in ihrem Arbeitsbereich, die in China eben anders aufgeteilt werden müssten. »Dann sagen mir die Deutschen, ich müsse auch Vertrauen in unsere Leute haben«, sagt die junge Frau. »Aber hier in China müssen wir klare Entscheidungsprozesse haben.« Noch etwas ärgert sie besonders: Wenn sie eine E-Mail nach Deutschland schicke, seien die Verantwortlichen oft nicht da oder lange im Urlaub. Ihr sei schon passiert, dass ihre deutschen Konterparts in den automatischen E-Mail-Antworten nicht einmal einen anderen Mitarbeiter in der Abteilung als Vertretung erwähnten. »Das gibt es bei uns in China nicht«, schüttelt sie den Kopf über so wenig Verantwortungsbewusstsein, das doch gar nicht zu den Deutschen passe.
Trotz solcher Widersprüche schneiden wir bei Chinesen gut ab. Genau und unflexibel, aber keineswegs so streng, wie viele immer denken, schildert auch die Filmregisseurin Zhang Chong die Deutschen. Neun Jahre studierte und lebte sie in Deutschland. Ihr erster Eindruck war, dass alles »einfach und behaglich« ist. »Das Leben ist angenehm, und alle halten sich immer an die Vorschriften«, erzählt die 33-Jährige. Es gebe wohl einen großen Unterschied zwischen Deutschen und Chinesen: Die Deutschen seien eher unabhängig, die zwischenmenschlichen Beziehungen weniger eng als unter Chinesen. Für Deutsche seien Regeln wichtig, weniger die Beziehungen zu ihren Mitmenschen. »Wir Chinesen kümmern uns dagegen mehr um unsere Beziehungen«, verweist sie auf die legendären »Guanxi«, ohne die in China nichts geht: »Das heißt, wenn ich dir einen Gefallen tue, wirst du dich beim nächsten Mal erkenntlich zeigen. So machen wir Chinesen das.« Die Deutschen allerdings weniger, wie sie leidvoll erfahren hat. Zhang Chong meint etwas enttäuscht: »Wenn du ihnen einmal hilfst und fragst sie ein anderes Mal, ob sie dir im Gegenzug auch helfen, machen sie es nur, wenn sie Lust dazu haben und es gerade können. Sie helfen dir nicht, nur weil du ihnen vorher einmal einen Gefallen getan hast.«
Immer wieder wird Rationalität mit den Deutschen verbunden. »Ein Widerspruch, denn Deutschland ist doch eigentlich die Heimat der Romantik«, findet die 25-jährige Chang Yonglin, die in einem Pekinger Medienunternehmen arbeitet. »Einige Leute sagen, die Deutschen seien zu steif, zu ernst und unromantisch«, erzählt auch die 18-jährige Studentin Yue Tingting in den vielen Gesprächen, die ich über die Deutschen führe. »Aber ich finde, sie vermischen Romantik und Gewissenhaftigkeit ziemlich gut.« Die wissenschaftlichen Erfindungen und das deutsche Wirtschaftswunder nach dem Krieg sind für sie Beweise für harte Arbeit, Vernunft und Sorgfalt. »Gleichzeitig haben sie aber auch Schloss Neuschwanstein von König Ludwig II. von Bayern«, hebt die 18-Jährige hervor. »Auch die Filme von Wim Wenders demonstrieren ein romantisches Herz.« Und wie »unbezwingbar« die Deutschen seien, lasse sich am Film »Das Wunder von Bern« über den Weltmeistertitel 1954 erkennen. »In meinem Studium sind die gut aussehenden Deutschen alle Streber«, berichtet die 20-jährige Studentin Bian Cen mit etwas Bedauern über ihre Erfahrungen mit Deutschen. »Sie sitzen immer in der ersten Reihe.« Während sie mit Amerikanern zum Grillen oder in Kneipen gehe und viel rumquatsche, habe sie mit deutschen Studenten ganz andere Erfahrungen gemacht. »Mit einem Deutschen etwas zu unternehmen, heißt, auf dem Gras nahe der Bibliothek zu sitzen.« Sie habe ihre deutsche Verabredung einmal gefragt, was er denn mache, um Spaß zu haben. »Ich gehe meistens in die Bibliothek«, habe der ihr geantwortet. Nicht sehr romantisch. »Die Deutschen, die ich kenne, sind ziemlich fordernd«, hat wiederum die Studentin Evelyn Lu erlebt. »Aber sie halten ihre Versprechen besser als Chinesen und sind weniger von sich selbst eingenommen.« Die deutsche Politik beschreibt die junge Frau eher als neutral. Angst vor einem stärkeren Deutschland hat sie nicht. Im Gegenteil: »Es wäre sehr wichtig, weil die Welt Europa braucht – und Europa braucht Deutschland.«
Die Nummer Eins für China in Europa
Die weitgehende Kenntnis von Deutschland, seiner Kultur und Politik überrascht mich in meinen Gesprächen immer wieder. Nach Umfragen verfügt ein Viertel der chinesischen Bevölkerung über gute bis sehr gute Kenntnisse von Deutschland. Dabei kennen nur sehr wenige Chinesen einen Deutschen persönlich – während vielmehr knapp die Hälfte der Deutschen vorgibt, einen Chinesen zu kennen. Wie Meinungsforscher berichten, prägt die Wirtschaft die chinesische Wahrnehmung von Deutschland, besonders die Autoindustrie, gefolgt von Sport, Kunst und Kultur. Erst dann wird auch die deutsche Politik wahrgenommen. Jedem zehnten Chinesen fällt zu Deutschland die deutsche Kriegsvergangenheit ein.
Wie die Deutschen mit ihrer Nazi-Vergangenheit umgehen, beeindruckt viele Chinesen. Sofort ziehen sie den Vergleich zu Japan. Die Gräueltaten der Kaiserlich Japanischen Armee während der Besatzung Chinas im Zweiten Weltkrieg sind ständig ein Thema, auch weil Propaganda und Filme das Thema aktuell halten. »Wir sagen den Japanern immer: Warum könnt ihr nicht von den Deutschen lernen?«, sagt der Politikwissenschaftler, Xing Hua, der frühere Vizedekan des Chinesischen Instituts für Internationale Studien in Peking, das dem Außenministerium untersteht. Zwar haben sich die Japaner mehrfach ausdrücklich für die Kriegsverbrechen und Massaker in China entschuldigt – nur wird ihnen die Aufrichtigkeit nicht abgenommen. »In Japan ist der Militarismus weiter stark«, ist Xing Hua fest überzeugt. In China gibt es jedes Mal einen Aufschrei, wenn japanische Politiker oder sogar Ministerpräsidenten zum Yasukuni-Schrein pilgern. In dem Schrein werden alle getöteten japanischen Soldaten geehrt – darunter allerdings auch Kriegsverbrecher, die wegen schwerer Gräueltaten in China zum Tode verurteilt worden waren. »Warum ehren die Japaner Leute, die während des Zweiten Weltkrieges so viel Leid über die Völker in China und Asien gebracht haben?«, fragt Forscher Xing Hua. Japans Premierminister Junichiro Koizumi erklärte zwar 2005 mit Blick auf die Zerstörung und das Leiden, das sein Land durch seine Kolonialherrschaft und Aggression über die asiatischen Nachbarn gebracht habe, seine »tiefe Reue und von Herzen kommende Entschuldigung«. Doch seine wiederholten Schreinbesuche oder auch die Verharmlosung der Kriegsverbrechen durch rechtsgerichtete Kreise in Japan bestätigten für viele Chinesen das Gefühl, dass die Aufarbeitung der Gräueltaten nur halbherzig erfolge. »Warum geben die Japaner nicht ihre Kriegsverbrechen zu?«, fragt Xing Hua. Die Deutschen seien da anders. Von Europa hätten große Zivilisationen ihren Ursprung genommen, auch sei es die Wiege der Aufklärung. »Glauben Sie, dass das deutsche Volk es tolerieren würde, dass die Nazi-Verbrechen verleugnet werden? Das wäre unvorstellbar.« Die Deutschen hätten schrittweise das Vertrauen der anderen Europäer gewonnen, indem sie sich ihrer Geschichte gestellt hätten. Chinesen, die in Deutschland gelebt haben, sind überzeugt, dass sich die meisten Deutschen aufrichtig mit ihrer Geschichte auseinandersetzen.
»Die Haltung der Deutschen ist gut«, sagt auch Xiao Jing, Manager eines Restaurants, der zehn Jahre in Deutschland gelebt hat und die Diskussion über die Nazi-Verga...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckel
  2. Titelblatt
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Frankreich: Fremde Freunde oder das Leben in einer Zwangspartnerschaft
  7. Griechenland: Kalter Norden, warmer Süden und eine Hassliebe
  8. Türkei: Zwischen Bosporus und Berlin – eine enttäuschte Liebe
  9. England: Wenn aus Ernst Spaß wird
  10. Schweiz: Die Deutschen – arrogant, laut und »viel zviil«?
  11. USA: Washington wählt Berlin – der (be)wundernde Blick über den Atlantik
  12. Israel: Ein langer Weg zur Freundschaft
  13. Russland: Märchen, Merkel und entspannte Seelen
  14. China: Im Auge des Drachen
  15. Spanien: Gelobt, doch nicht geliebt
  16. Polen: »Segen« am Wahltag oder die deutsch-polnische Vernunftehe
  17. Naher Osten: Zwischen verklärter Bewunderung und verpassten Chancen
  18. Österreich: »Die Deutschen fahren über alles drüber, die Österreicher schlängeln sich durch.«
  19. Brasilien: Wenn Samba auf Blasmusik trifft – ein unterschiedliches, aber meist harmonisches Paar
  20. Italien: Dolce Vita und deutsche Wertarbeit
  21. Die Autorinnen und Autoren