Mehr Mensch!
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Gegen die Ökonomisierung des Sozialen

  1. 160 Seiten
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Gegen die Ökonomisierung des Sozialen

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Über dieses Buch

Der Mensch ist kein RenditefaktorKindergärten, Krankenhäuser oder Pflegeheime - nicht einmal hier macht der kalte Ökonomismus halt. Wo der Mensch jedoch zum Humankapital verkommt, wo jeder seines Glückes Schmied sein soll und der Mehrwert zum wichtigsten Wert wird, muss die Menschlichkeit zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Soziales kann so nicht funktionieren. Ulrich Schneider, seit Jahrzehnten einer der führenden Manager und Lobbyisten in der Sozialwirtschaft, weiß, wovon er redet, und fordert einen Wertewandel. Eine entlarvende Erzählung, glänzende Analyse und zugleich knallharte Abrechnung mit einem neoliberalen Zeitgeist und seinen Mythen.

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Information

Der Weg in die Ökonomisierung
Von der Liebestätigkeit zum Mehrwert
Um zu verstehen und zu durchschauen, wie Ökonomisierung funktioniert, wie sie schleichend das Soziale verändert und schließlich auch bedroht, um zu erkennen, was sich heute in der Wohlfahrtspflege abspielt, müssen wir zurückblicken – nicht bis zu den Anfängen sozialer Arbeit, aber doch zumindest auf die letzten fünfzig Jahre.
Die Wohlfahrtspflege hat sich im letzten halben Jahrhundert sehr verändert, sowohl in Bezug auf ihre Rolle und die Erwartungen, die an sie gerichtet werden, als auch, was ihr Selbstverständnis anbelangt. Ausgangspunkt und Richtschnur dieses Wandels waren nicht der Staat oder der Wohlfahrtssektor selbst. Es war vor allem der Wirtschaftssektor, wie wir sehen werden, aus dem heraus dem Sozialen Gesetzmäßigkeiten und Moden aufgedrängt wurden. Aus wirtschaftspolitischen Überlegungen heraus wurden die finanziellen Spielräume abgesteckt, die man dem Sozialen zubilligte, und Anforderungen an die Verfasstheit des Sozialen selbst gestellt, dessen eigene Ansprüche, Traditionen und Theorien keine Rolle mehr spielten.
Wir können in der Ökonomisierung des Sozialen in der Bundesrepublik drei Phasen unterscheiden. Sie lassen sich gut an drei Fragen festmachen, auf die die Wohlfahrt zu unterschiedlichen Zeiten jeweils Antworten zu geben hatte. Es waren die 1960er und die 1970er Jahre, als soziale Arbeit von ihren Finanziers, nämlich den öffentlichen Kassen, aber auch von einer kritischer werdenden Öffentlichkeit zunehmend hinsichtlich ihrer Effektivität hinterfragt wurde: »Was genau macht ihr da eigentlich? Erreicht ihr überhaupt etwas? Seid ihr überhaupt erfolgreich?«
In einer zweiten Phase, die Anfang der 1980er Jahre begann, kam schließlich die Frage auf, die uns mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint: »Geht es auch billiger? Seid ihr wirklich wirtschaftlich?« Es war die Frage nach der Effizienz des Sozialen.
Und schließlich, seit den 1990ern, wurde zunehmend die Frage nach dem Mehrwert des Sozialen gestellt: »Was haben wir eigentlich von eurer Wohltätigkeit; wir, die wir selber gar nicht betroffen sind und eure Hilfe gar nicht brauchen?«
Von der Effektivität über die Effizienz zum Mehrwert des Sozialen, das waren die drei großen Schritte, die das Soziale in Deutschland in relativ kurzer Zeit sehr grundlegend verändern sollten. Es waren diese drei Schritte, die das Soziale an den Markt heranführten, erst allmählich, wie in den 1970er und 1980er Jahren, dann – ab den 1990ern – in unerschütterlichem Glauben an die in jeder Hinsicht heilende Wirkung von Marktgesetzen, von Profitstreben und von Wettbewerb.
Für die meisten Menschen war es zu fast allen zivilisierten Zeiten an sich wertvoll, einem Menschen zu helfen, der sich in Not befindet, ein Kind zu erziehen, einem Menschen Pflege zukommen zu lassen oder ihm Obdach zu geben. Es war an sich und als solches wertvoll und musste damit nicht oder kaum weiter begründet werden. Wohlfahrtspflege, soziale Zuwendung waren damit im eigentlichen Sinnen des Wortes selbstverständlich.1 Ob als christlich-konfessionelle »Liebestätigkeit«, wie es damals hieß, oder in Gestalt der bürgerlichen Frauenbewegung des späten 19. Jahrhunderts: Nach eigenem Verständnis und in ihrem Auftreten war Freie Wohlfahrtspflege im Spannungsfeld von Grundsatz und Umsatz im Wesentlichen dem Grundsatz verpflichtet, wenn man so will. Die Wertegebundenheit war das Hauptlegitimationsmuster der Freien Wohlfahrtspflege, sei es vor christlich-religiösem oder humanistischem Hintergrund.
Unmittelbar nach den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts kam hinzu, dass Kirchen und Wohlfahrtsverbände ganz einfach dringend gebraucht wurden. Sie waren in dem in jeder Hinsicht zerstörten Deutschland gar nicht wegzudenken, sollte die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden. Erneut war ihre Hilfe selbstverständlich und wurde nicht hinterfragt. Das sollte sich ändern, so wie die Nachkriegsnot überwunden wurde und sich der Sozialstaat Bundesrepublik formierte.
Anfang der 1960er Jahre gab sich die Bundesrepublik ein Jugendwohlfahrtsgesetz2 und ein Sozialhilfegesetz. Der Staat übernahm Verantwortung für seine bedürftigen Einwohner und seine Kinder und Jugendlichen. Er garantierte ihnen Hilfe, wenn sie in Not waren, und verpflichtete sich, für Einrichtungen vom Jugendzentrum bis zum Pflegeheim Sorge zu tragen. Erstmals konnten die Hilfen vom Bürger eingeklagt werden. Die freie Wohlfahrtspflege und ihre Verbände bekamen in beiden Gesetzen eine sehr starke Rolle zugesprochen. Wo immer sie tätig waren, hatte sich der
Staat mit eigenen Aktivitäten zurückzuhalten. Gleichwohl hatte er im Zweifelsfalle zu zahlen.3 Immer diffizilere Finanzierungsstrukturen zwischen Staat und Verbänden waren die Folge.4
Wo jedoch institutionelle Geflechte und Hilfesysteme wuchsen, wo Finanzströme sich etablierten und Rechtsansprüche begründet wurden, für die der Staat aufzukommen hatte, und wo öffentliche Institute wie Jugendämter und Sozialämter nun letztverantwortlich waren für ein Gelingen der Hilfen, da brauchte es nicht lange, bis die so fraglose Legitimation freier Wohlfahrtspflege nicht mehr trug. »Sicherlich ist es wertvoll und gut, was ihr da tut. Doch ist dieses Tun denn auch wirklich zielführend?«, so die nun immer häufiger und nachdrücklicher gestellte Anfrage. Man wollte Erfolge sehen. Soziale Arbeit wurde zunehmend angehalten, sich nicht nur moralisch, sondern auch methodisch zu legitimieren, sich zu professionalisieren und schließlich auch wissenschaftlich zu unterlegen. Es ging dabei ganz wesentlich um Effektivität.
In Beantwortung dieser Frage begann daraufhin eine sehr kreative Phase der methodischen Durchdringung und der wissenschaftlichen Fundierung sozialer Arbeit. Das Personal wurde qualifizierter und professioneller, Angebote differenzierten sich, neue Berufsbilder entstanden ebenso wie neue Ausbildungs- und Studiengänge. Die traditionellen Methoden der Gruppenarbeit in der Jugendhilfe und der Einzelfallarbeit wurden theoretisch unterlegt und weiterentwickelt, dazu wurden Anleihen gemacht bei der Psychotherapie und bei der aus den USA herüberkommenden Strategie der Stadtteilentwicklung. Statt von Einzelfallarbeit war nun von »case management« die Rede, Gruppenarbeit wurde folgerichtig zur »group work«. Die Stadtteil- oder auch Gemeinwesenarbeit gefiel sich gut als »community organising« und fand ihre Erfüllung in »social action«. Damit war sozusagen auch der sprachliche Nachweis der Professionalisierung und Transnationalität erbracht.
Die Ausbildungsstätten im Sozialen wurden zu »Höheren Fachschulen« und in den 1970er Jahren sogar zu Fachhochschulen aufgewertet. Auch an einigen Hochschulen und den noch neuen Gesamthochschulen wurden einschlägige Studiengänge angeboten. Die klassische Fürsorgerin verschwand und wurde ersetzt durch Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagogen oder Diplompädagogen. Wer zuvor noch den Status eines Außendienstmitarbeiters der Beamten in den Sozialverwaltungen hatte, kam nun nach und nach in den Rang eines eigenständigen Profis. Neue soziale Protestbewegungen wie die Heimkampagne5, die Jugendzentrumsbewegung6, die Frauenbewegung, aber auch die vielen Selbsthilfeinitiativen von Arbeitslosen und Sozialhilfebeziehern sorgten in den 1970er Jahren schließlich für eine gehörige Politisierung dieser noch recht jungen Fachlichkeit.
Die Stimmung war prima in den 1960ern und der ersten Hälfte der 1970er; nicht nur im Sozialen. Wirtschaftlich ging es ja schon seit den 1950ern steil bergauf. Ende der 1960er kam zwar die erste Wirtschaftskrise, doch glaubte man mit der neuen Wirtschaftspolitik nach den Lehrbüchern des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes7 nun einen Schlüssel zu permanentem Wachstum gefunden zu haben. Krisen sollten ein für alle Mal der Vergangenheit angehören. Konjunkturen schienen machbar. Doch währte die Euphorie nicht sehr lang: Im Herbst 1973 drosselte die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die Israelpolitik der »westlichen Welt« genauso überraschend wie drastisch ihre Ölförderung und verteuerte damit den Ölpreis quasi über Nacht um 70 Prozent. Die Folgen waren in Deutschland nicht nur autofreie Sonntage mit beschaulichen Spaziergängen auf den Autobahnen oder ein Tempo-100-Limit. Vor allem sorgte dieses Ereignis, das als »Ölschock« in die Geschichte eingehen sollte, ganz wesentlich dafür, dass im Laufe des Jahres 1974 das Wirtschaftswachstum bedrohlich gegen null ging und die Arbeitslosigkeit, die man mit Keynes doch eigentlich überwunden zu haben glaubte, wieder ebenso beunruhigend stieg. Die gute Stimmung kippte merklich. Trotz allen Gegensteuerns mit milliardenschweren staatlichen Ausgabenprogrammen und trotz aller hektisch eingeleiteten Steuerentlastungsprogramme brach die Wirtschaft 1975 endgültig ein. Es wurde erheblich weniger produziert und investiert als im Vorjahr: Rezession. Die Zahl der Arbeitslosen übersprang erstmalig die Millionengrenze. Hinzu kam noch einmal eine Million Kurzarbeiter. Die Folge: Steigende Ausgaben für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bei gleichzeitigen Steuer- und Beitragsausfällen. Allein für den Bund wurde ein Rekordhaushaltsdefizit von über 40 Milliarden Mark vorhergesagt.8
Der Glaube an Keynes begann mehr und mehr zu schwinden, und verunsichert begann die Bundesregierung, hin und her zu schwanken zwischen Sparprogrammen zur Eindämmung der Defizite und Ausgabenprogrammen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Mit Beginn der 1980er Jahre legte man sich dann jedoch ganz eindeutig fest: Sparen und Kürzen wurden geradezu zum politischen Programm erhoben. Die SPD-FDP-Regierung legte 1981 mit ihrer sogenannten »Operation 82« vor. Erhebliche Kürzungen im Sozialen auf der einen Seite, massive steuerliche Entlastungen der Wirtschaft auf der anderen Seite waren vorgesehen. Bekanntlich kam es nicht mehr zur Umsetzung dieses Plans, da Kanzler Helmut Schmidt von Helmut Kohl abgelöst wurde. Die neue Koalition aus CDU und FDP konnte jedoch nahtlos am sozialliberalen Sparkurs ansetzen – und zwar völlig frei von allen parteipolitischen Bauchschmerzen, die die damalige SPD noch wegen der Kürzungen im Sozialbereich gequält hatten.
Den Kämmerern vor Ort machte derweil das Problem scheinbar unaufhaltsam wachsender Sozialhilfeausgaben zu schaffen, da für sie nämlich nicht der Bund, sondern die Kommunen geradezustehen hatten. Die Zahl der Sozialhilfebezieher überstieg Anfang der 1980er erstmals die Millionengrenze. Das ging ins Geld, zumal diese Ausgaben nicht eingeplant waren. Das konnte auch für die Wohlfahrtspflege nicht ohne Folgen bleiben, da ihre Dienste und Einrichtungen mittlerweile ebenfalls stark vom Geldbeutel der Kommunen abhängig waren. Und so konnte es gar nicht ausbleiben, dass sie erneut, dieses Mal noch eine Spur kritischer hinterfragt wurde: »Nun mag es ja sein, dass ihr wertvolle Dinge tut und dies auch methodisch fundiert«, so die neue Anfrage, »Aber ist euer Tun auch effizient? Arbeitet ihr wirklich wirtschaftlich?« Oder im Klartext: »Lassen sich eure Kosten nicht drücken?«
Die Fragen setzten ja an einem durchaus richtigen Gedanken an: Der wirtschaftliche Umgang mit Ressourcen und eine sich daraus ableitende betriebswirtschaftliche Sicht auf die soziale Arbeit einerseits und ihr ethisches Grundmerkmal andererseits müssen keineswegs ein Gegensatzpaar darstellen, auch wenn Skeptiker bereits zu diesem frühen Zeitpunkt genau das einwandten: Die Verschwendung von Ressourcen und ihr nur suboptimaler Einsatz zuungunsten des Hilfebedürftigen und zulasten der Gemeinschaft können ebenfalls eine durchaus ethische und moralische Komponente haben.
Die Einsicht in die Notwendigkeit eines kostenbewussten, professionellen Managements sozialer Arbeit setzte sich mehr und mehr durch. Es gab genug Profis, die die Frage nach der Effizienz des Sozialen nicht als böswilligen Angriff verstanden, sondern als eine Herausforderung, die eine konstruktive Antwort verdiente. Sehr zügig wurden moderne Methoden betriebswirtschaftlichen Managements adaptiert. Kurse in Vereinsrecht, Buchhaltung, Personalführung und Verhandlungsführung fanden genauso selbstverständlich Eingang in die Fortbildungskalender der Verbände und Akademien wie zuvor die Kurse in hilfreicher Gesprächsführung oder – je nach Neigung und Ausrichtung – in Klangerfahrung oder Ausdruckstanz. Wo vielleicht tatsächlich noch hier und da die Zahlungsbelege in Schuhkartons aufbewahrt wurden, war damit nun endgültig Schluss. Auch wo Sozialbetriebe mit ihrer Buchhaltung dem Kalenderjahr hoffnungslos hinterherliefen und die einzige halbwegs aktuelle betriebswirtschaftliche Kennziffer der Kontostand war, mussten diese nun richtig nacharbeiten und sich wirtschaftlich neu aufstellen.
Von »Sozialwirtschaft« war nun die Rede, wenn man vom Sozialen sprach. »Sozialmanagement« hieß die angesagte Disziplin, auch wenn ihr anfangs noch mit recht viel Skepsis und sogar Ressentiments begegnet wurde. (Immerhin hatten die auf soziale Arbeit getrimmten Profis doch gerade erst ihre eigene Professionalität begründet und durchgesetzt.) Schlaue und zupackende Menschen erkannten dabei recht früh, dass sich hier eine durchaus lukrative Bildungsnische auftat, da Sozialmanagement als effizientes Führen und Leiten sozialer Einrichtungen einfach den Nerv der Zeit traf.
Wurde es anfangs noch gelegentlich als »soziales Management« begriffen (»Wir sind die Guten, wir machen es anders!«), rückten doch sehr bald ganz alltägliche ökonomische Fragen und die Vermittlung allgemeiner Managementkenntnisse und -fähigkeiten in den Mittelpunkt des Interesses und der einschlägigen Aus- und Fortbildungen (»Wir sind zwar immer noch die Guten, aber wir können auch anders!«).
Der sozialen Arbeit tat das alles im Großen und Ganzen richtig gut. In den meisten Fällen wurde es bei dieser »Verbetriebswirtschaftlichung« vermieden, einfach nur schicken Modernismen nachzulaufen. Meist gelang es durchaus, die notwendige Balance zwischen ethischem und fachlichem Anspruch (also dem Blick auf den Menschen) und betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und Denken zu finden. Und wo dies gelang, hatten am Ende alle etwas davon: die sozialen Dienste, die Sozialarbeiter, der Steuerzahler und nicht zuletzt der betroffene Mensch in der Einrichtung selbst. Nur wenn die Leitung eines Sozialunternehmens weiß, was ihr Geld so macht, kann sie dafür sorgen, dass es am Ende auch wirklich den Klienten zugutekommt.
Massenarbeitslosigkeit, Ratlosigkeit und Visionen
Ende der 1980er stand der Sozialsektor zwar in Blüte, doch der bundesrepublikanische Sozialstaat war in gar keiner guten Verfassung. Es gab Grund genug, beunruhigt zu sein, und viele, die über den Tag hinaus dachten, waren es auch. Über zwei Millionen registrierte Arbeitslose wurden Ende der 1980er gezählt (zehn Jahre zuvor waren es noch halb so viele), darunter 600 000 Langzeitarbeitslose – ein in dieser Größenordnung echtes Novum in der Bundesrepublik. Jeder dritte Arbeitslose war bereits ein Jahr und länger ohne Job. Darauf war das bundesdeutsche Sozialversicherungssystem nicht eingestellt. Arbeitslosenversicherung und Rentenversicherung waren auf sogenannte Normalerwerbsbiographien zugeschnitten, also auf Erwerbstätige, die nur kurz mal arbeitslos waren, ansonsten aber ordentlich verdienten. Mit dauerhafter Ausgrenzung konnten sie nichts anfangen. Das Arbeitslosengeld war immer schon befristet und kannte – wie die Rente auch – keine Mindestbeträge. Auch war das Arbeitslosengeld an die Voraussetzung gebunden, dass jemand zuvor gearbeitet und in die Kasse eingezahlt hatte. Und so fielen nicht nur Langzeitarbeitslose, sondern auch viele junge Menschen oder Frauen, die nach der Erziehung ihrer Kinder wieder in den Beruf einsteigen wollten, durch den Rost. Nicht einmal mehr die Hälfte aller Arbeitslosen bezog tatsächlich Arbeitslosengeld. Die Folge: Nicht mehr eine Million wie Anfang der 1980er, sondern bereits 1,7 Millionen Menschen waren kurz vor der Wende auf Sozialhilfe angewiesen, darunter immer mehr erwerbsfähige, arbeitssuchende Hilfebedürftige.
Zu Recht stöhnten die Kommunen, dass die Lasten für sie kaum noch zu schultern waren. Denn zusammen mit denjenigen, die Sozialhilfe wegen Pflegebedürftigkeit bezogen – die Pflegeversicherung gab es ja noch nicht –, waren es sogar 3,6 Millionen Menschen, die »sozialhilfebedürftig« waren, wie man es damals nannte. Hierauf war das Bundessozialhilfegesetz jedoch nicht ausgelegt. Die Ausgaben der Kommunen für die Sozialhilfe beliefen sich Ende der 1980er bereits auf rund auf 27 Milliarden D-Mark.
Die wirtschaftspolitische Bilanz fiel Ende der 1980er auch nicht besser aus. Um die steigende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, hatten verschiedene Regierungen seit nunmehr über zehn Jahren so gut wie sämtliche Register orthodoxer Wirtschaftspolitik gezogen, ohne irgendwelche nennenswerten Erfolge erzielt zu haben. Brav hatten sie fast alle Empfehlungen der angebotsorientierten Wirtschaftswissenschaftler9 und der Wirtschaftslobbyisten umgesetzt (siehe das Kapitel »Neue Hohepriester un...

Inhaltsverzeichnis

  1. Abdeckung
  2. Titel
  3. Urheberrecht
  4. Inhalt
  5. Vorwort: Worum es (mir) geht
  6. Der Weg in die Ökonomisierung
  7. Die Ökonomisierung des Sozialen
  8. Mensch versus Mehrwert
  9. Anmerkungen