Keine Figur im Schachspiel
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Keine Figur im Schachspiel

Wie ich die »Wende« erlebte

  1. 256 Seiten
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Keine Figur im Schachspiel

Wie ich die »Wende« erlebte

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Über dieses Buch

Die Stadtoberhäupter Berghofer und von Dohnanyi schlossen 1987 die Städtepartnerschaft Dresden-Hamburg. Seither gab es eine Verbindung zwischen dem ostdeutschen Kommunisten und dem westdeutschen Sozialdemokraten. Berghofer, der weder an eine Zukunft der DDR noch seiner Partei glaubte, wollte 1989/90 mit vielen SED-Mitgliedern zur SPD übertreten. Die ostdeutschen Sozialdemokraten verhinderten dies. Das erwies sich als strategische Fehlentscheidung, an der die SPD noch immer trägt. Berghofer, damals als Hoffnungsträger gehandelt, kehrte der Politik den Rücken. Im Jahr 25 nach dem "Wendeherbst" holt er einzigartige, unbekannte Dokumente und Erinnerungen hervor...

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Aus meiner »Parteiakte«
Ich wurde mit 19 Jahren Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Den Antrag stellte ich nach dem Besuch eines sechswöchigen FDJ-Lehrgangs in Dresden-Wachwitz, wohin ich als junger Maschinenbauer aus Bautzen delegiert worden war.
Ich schloss mich der SED an, weil ich in der Partei meine politische Heimat sah. Ich bin bei meiner Großmutter auf dem Land aufgewachsen, die Eltern hatten sich nach der Rückkehr meines Vaters aus der Kriegsgefangenschaft getrennt. Vater ging in den Bergbau, erst Uran, dann Braunkohle, die Mutter zu ihrer Verwandtschaft im Westteil Berlins. Dort sollte sie 1973 auch versterben und beigesetzt werden. Für mich ersetzte damals die Gemeinschaft von Gleichaltrigen die Familie, die ich nie besaß. Ich war aktiv in der Pionierorganisation, dann in der Freien Deutschen Jugend. Der Schritt in die SED war insofern logisch, aber auch politisch bewusst. Nach meinem damaligen Verständnis, was durch meine Umgebung geformt worden war und dem Horizont eines jungen Menschen entsprach, der nie weiter als bis nach Berlin gekommen war, bedeutete diese Partei das fortschrittlichste und dynamischste Element im Staate. Ich wollte dazugehören. Außerdem: Der Jugend Vertrauen und Verantwortung war nicht nur eine aus heutiger Sicht platt klingende SED-Parole, sondern gesellschaftliche Praxis. In den 50er und 60er Jahren standen den Nachwachsenden viele Tore offen. Das war gewiss auch der Tatsache geschuldet, dass viele Menschen im Krieg geblieben und nicht wenige – aus recht unterschiedlichen Gründen – nach dem Krieg vom Osten in den Westen gegangen waren. Also gab es Raum für die Nachrückenden.
Und es hing nicht zuletzt mit dem politischen Konzept der Partei zusammen, die mit Recht davon ausging: Wer die Jugend hat, hat die Zukunft. Und dass man in der DDR der Zukunft zugewandt war, besang man nicht nur in der Nationalhymne.
Ich entsinne mich des Pioniertreffens im Sommer 1952 in Dresden, als ich mit anderen Schülern auf die Loschwitzer Elbhöhen gebracht wurde. Im Albrechtsschloss, das nunmehr »Pionierpalast« hieß, erwartete uns ein Mann, dessen Bild in unseren Schulbüchern zu sehen war. Wilhelm Pieck, der Präsident der DDR, nahm mich Neunjährigen wie ein Opa – den ich nie hatte – an die Hand und schlenderte mit mir durch den weitläufigen Schlosspark. Ich weiß nicht mehr, worüber er sprach und was ich antwortete, wohl aber erinnere ich mich unverändert gern an diesen sehr familiären Spaziergang mit dem Staatsoberhaupt, das nach meinem Empfinden überhaupt nichts unnahbar Präsidiales an sich hatte.
Nach einigen Arbeitsjahren im VEB Perfecta, wo vorrangig Papierschneidemaschinen produziert wurden, und einer Tätigkeit beim DTSB, bei der ich und auch andere mein Organisationstalent entdeckten, gab es ein Personalgespräch – seinerzeit hieß das im DDR-Amtsdeutsch Kadergespräch – beim 1. Sekretär der Kreisleitung der SED. Heinz Körner stellte fest: Du gehst in die Bautzener FDJ-Kreisleitung und übernimmst die Funktion des Sekretärs für Kultur, Sport und Touristik. Zur Kultur hatte ich mindestens seit dem Lehrgang in Dresden eine besondere Affinität, zum Sport schon immer, und Touristik hatte mit beidem etwas zu tun. Irgendwie. Im Übrigen verwunderte es mich nicht, dass mich der Partei-Kreischef mit einer leitenden Tätigkeit im Jugendverband beauftragte. Die SED fühlte sich für alles zuständig, und sie betrachtete die FDJ als ihre »Kampfreserve«. Vom auf dem I. Parlament 1946 in Brandenburg formulierten Anspruch war nicht viel geblieben. Nach dem Krieg hatten bekanntlich die KPD und die SPD bewusst auf die Reanimierung ihrer Jugendorganisationen verzichtet und waren der Idee gefolgt, die in etlichen Exilländern von Antifaschisten gegründeten Gruppen mit dem Namen »Freie Deutsche Jugend« als eine parteiunabhängige und weltanschaulich offene Jugendorganisation in Deutschland unter eben diesem Namen zusammenzuführen.
Inzwischen war die FDJ jedoch parteiabhängig und weltanschaulich fixiert: Sie wollte »junge Sozialisten« erziehen. Damit hatten insbesondere junge Christen ihre Probleme, die sich darum von der FDJ entfernten und zur »Jungen Gemeinde« gingen, was zu erkennbarem Missmut in der Führung der Partei führte. Es galt unverändert das Postulat Erich Honeckers, des ersten FDJ-Vorsitzenden, an das sich alle seine Nachfolger hielten: Wir lassen die Einheit der Jugend nicht zerstören, wir dulden neben der FDJ, die die Heimat aller Jugendlichen ist, keinen anderen Jugendverband!
Körner schlug mir also wie selbstverständlich eine Funktion im Jugendverband vor, und ich hatte sie selbstverständlich anzunehmen. Bei meiner Frau fand diese Entscheidung wenig Zustimmung. Aber Parteiauftrag war Parteiauftrag. Für mich war politisch damals alles klar, die Welt überschaubar. Die große Politik ließ keinen Zweifel aufkommen, auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen. In Asien versuchte die imperialistische USA, die Sozialistische Republik Vietnam in die Steinzeit zurückzubomben – weltweit solidarisierten sich insbesondere junge Menschen mit Nordvietnam. Che Guevara und an seiner Seite Tamara Bunke – Absolventin der Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« – kämpften und starben in Bolivien durch Verbrecherhand, natürlich mit Hilfe aus den USA, weil sie versucht hatten, einen weiteren Hinterhof der Amerikaner zu befreien. Und in der Tschechoslowakei wurde der Versuch vereitelt, unser Nachbarland aus der sozialistischen Gemeinschaft herauszulösen – so stand es in den DDR-Zeitungen. Die dortigen Reformbestrebungen schienen aus dem Ruder zu laufen, die Geister, die Dubcek und Genossen auf den Plan gerufen hatten, wurden sie nicht mehr los. Sie lieferten dem Imperialismus eine Steilvorlage, die der natürlich aufnahm. Der Klassenfeind verhielt sich nun einmal seiner Natur entsprechend. Schwarz und weiß – so sah ich seinerzeit die Welt. Zwar erschien mir der als »Hilfsaktion« deklarierte martialische Einsatz ein wenig überzogen, und ich fragte mich auch, warum nicht Panzer der NVA gerollt waren, aber wie stets sagte sich unsereiner: »Die Genossen werden sich schon etwas dabei gedacht haben.«
Unsere Kreisgrenze im Süden war die Staatsgrenze der DDR, von Bautzen bis Oppach, dem nächstgelegenen Grenzort, waren es keine zwanzig, bis Liberec, der nächsten Stadt auf tschechischer Seite, weniger als achtzig Kilometer. Während der militärischen Operation war die Grenze dicht, weshalb sich nicht wenige Tschechen in Bautzen zwangsweise aufhielten. Dienstreisende, Touristen, Studenten und Monteure kamen nicht heim. Ich wurde beauftragt, ihnen mit Kulturangeboten das Warten zu verkürzen. Das tat ich gern. Nicht nur, weil es mich persönlich befriedigte, anderen Menschen Freude zu bereiten, sondern auch aus Solidarität und internationalistischer Pflicht. Dieses Gefühl speiste sich sowohl aus einer zutiefst natürlichen menschlichen Regung als auch aus persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen.
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Bautzener Silhouette mit der Alten Wasserkunst und der Michaeliskirche, Aufnahme 2014 © Robert Allertz
Ich begann früh, Papiere aufzuheben und in Ordnern abzulegen. Diese Neigung korrespondierte gewiss mit meinem sich entwickelnden Organisationstalent, denn ohne innere und äußere Ordnung ließ sich kein Theaterabend und kein Sportfest, keine Mai- oder Betriebsfeier, kein Wandertag und keine Busreise organisieren. Jeder Vorgang, an dem mehr als drei Leute beteiligt waren, brauchte bei der Vorbereitung und Ausführung eine klare Struktur.
Viele im Laufe der Jahre gefüllte Aktenordner stehen heute im Regal, es ist mein Privatarchiv. Dort sind nicht wenige Papiere abgelegt, die sicherlich irgendwann in offiziellen Archiven landen werden, denn es sind zeitgeschichtliche Zeugnisse und Dokumente und etliche davon sicher von einer gewissen historischen Relevanz.
So finden sich dort beispielsweise auch Bürgerbriefe aus eben jenem heißen Sommer 1968. Es handelt sich keineswegs um bestellte Schreiben, sondern um Ansichten von ganz normalen Zeitgenossen, die ihre aktuellen Sorgen artikulierten. Solche Notizen machen deutlich, weshalb damals nicht wenige Deutsche die Beendigung einer drohenden Staatskrise in der Tschechoslowakei durchaus begrüßten und keineswegs daran Anstoß nahmen, auf welche Weise dies geschah. Heute, Jahrzehnte später, ist man sich weitgehend in der politischen Bewertung einig. Es war Unrecht, dass und wie der »Prager Frühling« niedergewalzt wurde. So schrieb etwa ein Hans G. aus der Albstraße in Reutlingen aus mir nicht mehr erinnerlichen Gründen am 24. Juli 1968 – und dieser Originalbrief ist in einem dieser Ordner –, dass er mit seiner Familie im vergangenen Jahr in Karlsbad Urlaub gemacht und dabei in der Nacht beobachtet habe, wie die Straßenreinigung mit Sprengwagen und Schlauch »in die Auspuffe der Ostzonen-Autos gespritzt« hätte. »Das sagt doch alles. Sie bringen aus der Ostzone Geld ins Land, und so wird es ihnen gedankt. Pfui Teufel, das ist eine Schande. Sagen Sie doch Ihren Leuten, sie sollen nicht mehr dorthin fahren. Und die Tschechen werden schon sehen, was geschieht, wenn sie den Westen haben. Erst bekommen sie Honig ums Maul geschmiert, dann kommt der Knüppel. Ich kann Ihnen ein Lied singen vom Westen.«
Und darum stellte er die rhetorische Frage: »Warum marschieren die Russen nicht in die Tschechoslowakei rein? Warum warten sie, bis es der Westen tut? Russland hat das Land befreit und beim Aufbau geholfen – und jetzt wollen die nach dem Westen abhauen? Die Russen müssen doch sehen, was die für ein falsches Spiel treiben.«
Jemand hatte handschriftlich mit rotem Stift im Kopf vermerkt »nicht antworten«. Ich vermag nicht zu sagen, was der Grund für diese Anweisung war. Vielleicht lag es am offenherzigen Bekenntnis des Briefschreibers, dass er »Flieger im Zweiten Weltkrieg war mit hohen Auszeichnungen«? Denn wenn er auch verschwieg, welches Hoheitszeichen am Rumpf seines Flugzeuges zu sehen war, konnte man dies unschwer erraten.
Aber die Überlegungen des westdeutschen Briefautors waren doch darum nicht weltfremd. Sie kamen auch nicht aus einer kommunistischen Propagandaabteilung. Und obendrein korrespondierten seine mit eigenen Beobachtungen und Schlüssen, weshalb ich es durchaus mit Genugtuung registrierte, als am 21. August 1968 »die Russen« das Land besetzten und taten, wozu Hans G. aus Reutlingen vier Wochen zuvor sie aufgefordert hatte: »Ruhe schaffen«.
Im Jahr darauf – inzwischen verheiratet, Vater zweier Kinder und 26 Jahre alt – delegierte man mich an die Jugendhochschule der FDJ. Die Nachwuchskaderschmiede lag direkt am Bogensee, nordöstlich von Berlin, unweit von Wandlitz und inmitten eines Buchenwaldes. Der Kämmerer des Kaisers hatte den See mit 5.000 Hektar Land einst als »Gut Lanke« erworben und, nachdem das Kaiserreich perdu und er pleite war, für 20 Millionen Reichsmark an den Berliner Magistrat verkauft. Dieser verschenkte ein Zehntel des Anwesens nebst See zehn Jahre später, das war 1936, an den Reichspropagandaminister. Goebbels ließ zunächst nur ein Blockhaus am Ufer des Sees errichten, alsbald folgte jedoch eine gewaltige Anlage, die die Ufa für ihn finanzieren musste. Schließlich traf er sich dort mit vielen prominenten Filmschauspielern, etwa mit Heinz Rühmann, Emil Jannings und Zarah Leander. Die Damen hatten es ihm nachweislich besonders angetan, weshalb er den Beinamen »Bock von Babelsberg« trug. Nach dem Krieg diente die Einrichtung als Lazarett. 1946, wenige Tage nach Gründung der FDJ, übergab die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Anlage der Jugendorganisation. Zu Beginn der 50er Jahre wurde sie ausgebaut und erweitert. Die Federführung lag bei Hermann Henselmann, Architekt der Berliner Stalinallee – heute heißt sie Karl-Marx-Allee –, was man dem Objekt anmerkt. Dreißig Jahre später erfolgte eine zweite Bauphase, und seit den 90er Jahren steht – mit gelegentlichen Unterbrechungen – das Objekt leer und verfällt. Für die meisten Investoren ist es einfach zu gewaltig. Was will man damit anfangen?
In der Bundesrepublik wurde die Anlage 1981 bekannt, als während des Besuches von Kanzler Helmut Schmidt dort ein Internationales Pressezentrum eingerichtet wurde. Dieser Umstand bescherte der Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« einen unerwarteten Geldsegen von 70 Millionen Mark, mit dem längst überfällige Instandsetzungsarbeiten vorgenommen werden konnten, und das Hauptgebäude erhielt einen neuen Anstrich.
Ich berichte deshalb so ausführlich über die Geschichte dieser Einrichtung, weil de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Das Buch
  2. Der Autor
  3. Impressum
  4. Titel
  5. Zitat
  6. Vorwort
  7. Aus meiner »Parteiakte«
  8. Aus meiner »Stasi-Akte«
  9. Aus meiner »Wahlfälscherakte«
  10. Aus meiner »Wirtschaftsakte«
  11. Meine »Bilanz«
  12. Nachwort
  13. Personenregister