Frei und auf den Beinen und gefangen will ich sein
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Frei und auf den Beinen und gefangen will ich sein

Über die Indies

  1. 218 Seiten
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Frei und auf den Beinen und gefangen will ich sein

Über die Indies

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"Das Maß aller Dinge der Indie-Szene sind Natürlichkeit, Ehrlichkeit, Authentizität. Die Konstruktion der Authentizität ist jedoch ein bisweilen mühsamer Prozess."Der Anspruch dieser außergewöhnlichen Studie war nicht weniger als "eine möglichst präzise Beschreibung und das Verstehen der zentralen Handlungspraktiken und sozialen Mechanismen der Indie-Szene". Das nun vorliegende Werk - die erste sozialwissenschaftliche Buchpublikation zur Indie-Szene überhaupt - ist mehr: ein motivierendes Beispiel dafür, was eine moderne, ihren Untersuchungsgegenstand ernst nehmende Jugendkulturforschung zu leisten vermag."Endlich soziologisch erforscht: die Indie-Szene.Wenn sich die Soziologie popkulturellen Phänomenen widmet, sind es meistens welche, deren Anhänger stark auffällig sind - sei es äußerlich, sei es durch Gewalt oder Drogenkonsum, sei es durch schiere Masse. Oft klingt zwischen den Zeilen eine Sorge um die Jugend durch, manches wird unter "Abweichendes Verhalten" subsumiert. Um die Leute, die in die Indie-Disco gehen und die entsprechenden Konzerte besuchen, muss man sich eher nicht so viel Sorgen machen, aber erkennen und unterscheiden kann man sie schon - also kann man sie auch soziologisch beschreiben. Das haben Paul Eisewicht und Tilo Grenz getan. (...)Die Abgrenzung vom Mainstream ist natürlich wichtig, aber zunehmend kompliziert: "Wieder eine tolle Band an die Massen verloren", klagt eine Interviewte über den Erfolg von Snow Patrol. Und der Wert der Natürlichkeit wird mit großem Stylingaufwand hergestellt, die Haare kunstvoll verwuschelt. Harmonie ist wichtig, wenig Konflikte mit den Eltern. Schön auch, mal ein Schaubild zu sehen, in dem die szeneinternen Abgrenzungen von "Fakes" und "Indie-Spießern" hergeleitet werden. Wer als Indie-Anhänger ein bisschen Toleranz für soziologischen Jargon aufbringt, wird bei der Lektüre hübsche Momente des (Selbst-) Erkenntnisgewinns haben."Felix Bayer in: Musikexpress

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783940213822

1. EINLEITUNG

Die Argumente nahezu jeder sozialwissenschaftlichen Gegenwartsdiagnostik lehnen sich in vielgestaltigen Ableitungen an die schon fast schlagwortartig hervorgebrachten Prozesse der gesellschaftlichen Individualisierung und Pluralisierung an. Der Mensch der wie auch immer zu bezeichnenden Moderne sieht sich aus vormalig vertrauten, traditionalen Selbstverständlichkeiten der bestimmten Arbeits-, Sozial- und Lebensformen entlassen. Der Verlust verlässlicher, gleichermaßen umfassender wie alltäglicher Orientierungsmuster geht mit seiner (potenziellen) biografischen Alleinstellung einher. Gleichzeitig sieht sich der moderne Akteur nun einer Vielzahl unterschiedlichster Weltanschauungen und möglichen Handlungsweisen gegenüber. Welchen Berufsweg man etwa einschlägt, welche persönliche Lebensform man wählt, was in den Alltagsinteraktionen als richtig, was als falsch gelten kann, welches Wissen, welche Kenntnisse, welche Fähigkeiten sich später als notwendig erweisen sollen – all diese Entscheidungen sind potenziell aus dem vormals verlässlichen Definitionsbereich gesellschaftlicher Garantien in den unmittelbaren Aushandlungsbereich (biografischer Bastlerei) des Einzelnen verschoben und damit prinzipiell in Disposition. Individuelle Freisetzung und Entscheidungs- bzw. Positionierungszwang sind somit als zwei unmittelbar verschränkte Prozesse zu verstehen.
Diese unbedingte Freisetzung stößt jedoch an ihre Grenzen, indem sie offenbar zu einer Sehnsucht nach Sicherheit in neuem gemeinschaftlichem Zusammenleben führt. Denn die allumfassende Erosion der lange Zeit unhinterfragten Selbstverständlichkeiten betrifft ganz nachhaltig auch die früheren Garanten der individuellen gesellschaftlichen Orientierung, vor allem die dominierenden klassenkulturellen und konfessionellen Institutionen. Die aus den individualisierten Lebenslagen erwachsenden Unbestimmtheiten und Unsicherheiten des Einzelnen gehen also über die nun unüberschaubare Pluralität der Lebensformen und -stile, mit der Entscheidung für unterschiedliche Gesellungsformen einher. Über jene binden sich die Menschen in zunehmendem Maße an neue Gemeinschaftsprojekte, neu abgesteckte Sinnwelten unterschiedlichster Couleur, welche durch die individuelle, freiwillige Zuordnung zu mehr oder weniger verlässlichen Koordinaten der alltagsweltlichen Handlungs- und Deutungsversicherung avancieren.
Vor diesem Hintergrund erfahren die westlichen Gegenwartsgesellschaften einen regelrechten Boom dieser partiellen, freizeitlichen Gesinnungsgemeinschaften. Sie vermögen, häufig über maßgeblich ästhetisch-konsumptorische Angebote, den ungewissen Zustand der Einzelstellung des Menschen (sinnhaft) regelrecht zu überfärben. Das bedeutet, diese Gemeinschaftsprojekte verleihen eine zumindest zeitweilige Gewissheit. Der Begriff der Szenen ist hierbei ein prominenter Verweis auf eine charakteristische Form jener gegenwärtigen Gemeinschaftsprojekte. Beispiele sind dabei die Techno-Szene, die Rollenspieler oder die Sportkletterer. Die mitunter sogar mehrfachen Zugehörigkeiten in diesen Gemeinschaften bzw. zumindest die Orientierungen an kulturellen Symbolvorräten und Verhaltensmustern appellieren an eine notwendig eigenverantwortliche Selbstorganisation. Somit lässt sich treffend von einer individualisierten Vergemeinschaftung sprechen.
Wir leben also in einer Zeit, welche infolge der individuellen Freisetzung und der massiv pluralisierten Lebensstile und Weltanschauungen die selbstbestimmte Entscheidung, personale Einzigartigkeit und (inter)aktive Autonomie zum kulturellen Leitbild schlechthin kürt. Mit Blick auf die zahlreichen Szenestudien scheint es jedoch ganz besonders verwunderlich, dass ausgerechnet jenes Gemeinschaftsprojekt, welches sich die eigene und gleichermaßen kollektive Individualität expressis verbis auf die eigene Namensfahne schreibt, noch keiner sozialwissenschaftlichen Untersuchung unterzogen wurde.
Was ist in einer Zeit unzähliger Lebensstile und Moden überhaupt noch individuell und populär?
Gemeint ist das sich selbst, in Abkürzung des englischen Wortes Independent, als Indie-Szene bezeichnende Gemeinschaftsprojekt. Dieses drückt sich durch einen relativ einheitlichen Lebensstil und eine charakteristische Alltagspraxis aus, spätestens seit seinem Durchbruch in Deutschland mit etwa der Jahrtausendwende. Dabei basiert interessanterweise die Mitglieds- und Kollektivzuordnung, nämlich Indie zu sein, entlang des Kodes der Unabhängigkeit ausdrücklich auf Eigenständigkeit, Selbstorganisation und Selbstständigkeit. Maßgeblich über den thematisch zentralen Musikdiskurs wird sich hier von allem abgegrenzt, was szeneintern als nicht authentisch, nicht unabhängig, massenhaft, allseits bekannt und demnach als nicht eigenständig gedeutet wird. Jedoch, was ist in einer Zeit unzähliger, differenzierter, paralleler Weltanschauungen, Lebensstile und Moden, Wertevorräte und Verhaltensweisen überhaupt noch bzw. schon nicht mehr individuell und populär? Nun ist es zudem so, dass diese mannigfachen kulturellen „Taktgeber“ ganz und gar nicht nur „unter sich“ oder gar verdeckt existieren. Vielmehr muss man sich außerdem das allgegenwärtige Wirken (massen)medialer Präsentationen, Inszenierungen und Selbstdarstellungen dieser verschiedenartigen Anschauungen vor Augen halten, um das Ausmaß der beschriebenen Pluralität halbwegs zu fassen. Und vor all dem erlegt sich die Indie-Szene, scheinbar vermessen, den Zwang stetiger Grenzrealisierung gegenüber einem derartig vielgestaltigen Antipoden auf, welcher jedoch unmittelbar aus der Flüchtigkeitslogik der Gegenwartsgesellschaft selbst erwächst: dem Mainstream.
Vor diesem faszinierenden Kontext der Selbstpositionierung der Indie-Szene interessierte die vorliegende Forschungsarbeit in allererster Linie, was überhaupt in dieser Gemeinschaft vor sich geht. Dabei sollte mit gleichsam kultivierter Naivität und vor allem möglichst unbeeinflusst von betreffenden Konzeptionen aus der soziologischen Literatur das Handlungsfeld der Indie-Szene erschlossen werden. Diese sollte, mit Blick auf die Mitglieder, in ihren wichtigen Merkmalen detailliert beschrieben und hinsichtlich zentraler Mechanismen bzw. typischer Handlungspraktiken erklärbar werden.
Daher ist der in der Ergebnisdarstellung verwendete Szenebegriff zunächst nicht an das existente, soziologische Begriffskonstrukt angelehnt, sondern entspringt in erster Linie der Eigenbeschreibung der Handlungsfeldakteure. Es ist also ausdrücklich keine Ausgangshypothese der vorliegenden Forschung, dass es sich bei Indie um eine Szene nach den in der einschlägigen Literatur spezifizierten Definitionsmerkmalen handelt. Die Verwendung des Begriffs im Präsentationsteil der Studie orientiert sich zwangsläufig an einer Minimaldefinition, welche die Indie-Szene als ein aktuelles teilkulturelles Gesellungsphänomen auffasst. In diesem Ansinnen ist es dabei fast schon Indie, dass hierbei eine Literatur-unabhängige und dem Phänomen eigenständig beikommende, nicht-standardisierte methodische Vorgehensweise zur Anwendung kommen musste. Denn vielmehr soll erst in einem zweiten Schritt in einem eigenständigen Zusatz, und dann mit fundiertem Blick auf das eigenständig erforschte Gemeinschafts-Phänomen, ein Abgleich mit der bekannten Vergemeinschaftungs- bzw. Szenekonzeption im Fach angedeutet werden.
Die vorliegende Arbeit besteht im Kern aus der vorzustellenden empirischen Studie, d. h. aus den gewonnenen Erkenntnissen zum Phänomen Indie. Darüber hinaus ist eine theoretische Klammer eingefügt worden, welche versucht, den Leser bereits im Vorfeld mit dem einschlägigen Diskurs der soziologischen Gemeinschafts- und Vergemeinschaftungskonzeptionen im Allgemeinen und dem spezifischen Modell der Szenen als eine Form gegenwärtiger Vergemeinschaftung im Besonderen, vertraut zu machen. Im Rahmen einer Ergebnisbesprechung soll dann ein kritischer Abgleich zwischen den empirisch gewonnenen Erkenntnissen und den im Vorfeld vorgestellten Diagnosen und Modellen der soziologischen Literatur versucht werden. Hauptaugenmerk liegt jedoch klar auf der empirischen Studie und der entsprechenden Ergebnisdarstellung.
I. THEORETISCHE GRUNDLAGEN & AKTUELLE PERSPEKTIVE

2. ZUGANG ZUM BEGRIFFSFELD: GESELLSCHAFT, GEMEINSCHAFT, SZENE

Dieses Kapitel soll den gemeinschafts- und gesellschaftstheoretischen Bezug der vorliegenden Arbeit erörtern. Im Aufbau dieses Kapitels wird zunächst dem Begriff der Gemeinschaft bzw. der Vergemeinschaftung nachgegangen. Ausgehend von der Konzeption Ferdinand Tönnies werden dabei neuere Sichtweisen und Kritiken eingeflochten. Daran anschließend werden gesellschaftliche Tendenzen erörtert, welche sich auf die Bildung aktueller Gemeinschaftsformen auswirken. Hierbei sind Zygmunt Bauman, Ulrich Beck und Anthony Giddens zentrale Bezugsautoren. Anschließend soll es um den Einfluss der gesellschaftlichen Konstitution auf Formen der Vergemeinschaftung gehen, wobei die Analysen von Gerhard Schulze eingearbeitet werden. Dies führt schließlich dazu, Szenen als eine charakteristische Form der Vergemeinschaftung in der Gegenwart zu beschreiben. In Bezug auf die aktuelle Szeneforschung soll dabei besonders auf die theoretischen und praktischen Ausführungen Ronald Hitzlers eingegangen werden. Es sei dabei darauf hingewiesen, dass die dargelegten Überlegungen für die Studie selbst, entsprechend der Forschungslogik (vgl. Kap. 6), nicht leitend waren. Vielmehr dienen die Betrachtungen der kontrastreichen Darstellung der Arbeit, das heißt, der theoretischen Kontextualisierung der vorliegenden Studie in Bezug zur aktuellen, soziologischen Forschung. In der vorliegenden Arbeit wurde sich explizit an einer autonomen, kritischen Diagnose des Phänomens orientiert, was auch zur Wahl der Grounded Theory führte.

2.1 DAS PROJEKT DER VERGEMEINSCHAFTUNG – EINE HINFÜHRUNG

Die Indie-Szene beschreibt zunächst eine Gruppe von Menschen, die ihr angehören und als ihr zugehörig wahrgenommen werden. Es ist also davon auszugehen, dass eine Verbindung zwischen diesen Akteuren besteht, die über eine systematische, theoretische Zusammenschau hinausgeht, also von diesen selbst realisiert wird (vgl. Tönnies 1988: 3). Demzufolge ist es nahe liegend, dass die Szenezugehörigen in einem Verhältnis zueinander stehen, welches die gegenseitige Wahrnehmung als Gruppe sowie Beziehungen untereinander ermöglicht. Diese grundsätzlichen Vorannahmen werden als uneingeschränkt gültig eingestuft, um sich dem Feld Indie im Rahmen einer soziologischen Studie zu widmen. In diesem Sinne ist es zunächst hilfreich, sich der Gemeinschaftskonzeption der klassischen Soziologie zuzuwenden, um ein einführendes Verständnis der Indie-Szene zu erlangen. Die Darstellung zielt nicht darauf ab, die theoretischen Ausführungen einzeln und erschöpfend zu erörtern, sondern eine synthetische Zusammenschau dessen zu geben, was unter Gemeinschaft verstanden werden kann und was für die hier vorliegende Arbeit in ihrer Betrachtung hilfreich ist.
Festzuhalten ist, dass die Indie-Szene zunächst eine Form der Gesellung ist, in der sich Gesellende ein „Verhalten, das auf Zusammensein mit anderen Menschen ausgerichtet ist“ (Schlichting 1994: 242), aufweisen. Doch darüber hinaus soll die Frage aufgeworfen werden, ob es sich um eine Form der Vergemeinschaftung handelt. Die vergemeinschaftende Verbindung der Menschen beruht auf „subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteiligten“ (Weber 1984: 69) und wird in der klassischen Soziologie von der Vergesellschaftung unterschieden. Während nämlich Vergesellschaftung prospektiv, also in die Zukunft gerichtet ist und auf das rational motivierte Aushandeln individueller Anliegen zielt, welche von voneinander verschiedenen Einzelnen geäußert werden, zielt Vergemeinschaftung auf einen Glauben an die Zusammengehörigkeit, der sich auf retrospektive, also vergangenheitsbezo-gene Erfahrungen der Einheitlichkeit der Gruppe gründet (vgl. Bauman 1997: 87; Tönnies 1988: 73, 153). Die dichotome Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft, wie sie sich in den Ausführungen von Tönnies darlegt (vgl. Tönnies 1988: 3, 19), verstellt jedoch den Blick auf die gesellschaftliche Eingebundenheit gemeinschaftlicher Formen des Sozialen, also die gesellschaftliche Bedingung dieser (vgl. Bonacker 2007: 165f), ihre anthropologische Begrenztheit (vgl. Gebhardt 1999: 169, 179) sowie die instrumentelle Nutzung gemeinschaftlicher Lebensformen für selbstorientierte Zwecke (vgl. Sennett 1998: 316).
Dennoch orientiert sich die Vergemeinschaftung an einer tendenziell positiv aufeinander eingestellten Beziehung. Weber spricht auch von dem gemeinten Sinn der Vergemeinschaftung, wenn er diese in Opposition zum Kampf bzw. zu negativ aufeinander eingestellten sozialen Beziehungen stellt (vgl. Weber 1984: 70). In Verschärfung der Spannung zwischen realisierter und gemeinter Vergemeinschaftung kann von postulierten Gemeinschaften gesprochen werden. Diese zeichnen die Gemeinschaft als Projekt aus, das aufgrund individueller Entscheidungen der Mitglieder verteidigt und damit reaktualisiert werden muss (vgl. Bauman 2003: 199). Vergemeinschaftung vollzieht sich also durch eine Verhaltensorientierung an dem Gefühl der Zusammengehörigkeit (vgl. Weber 1984: 71), das der individuellen Vorstellung von der Gemeinschaft entspringt. Dieses Gefühl wird als Eigenwert angesehen und von einem Gefallen und Vertrauen begleitet, welches ein gemeinsames Verständnis erzeugt (vgl. Tönnies 1988: 3, 14, 19). Dieses Vertrauen bzw. die Einheit der Gemeinschaft wird zum Teil auch erst durch die Gemeinschaft, z. B. durch einheitliche Kleidung, konstruiert (vgl. Maffesoli 1996: 90f; Mestrovic 1997: 115).
Die konkrete Gemeinschaft als solche zeigt sich maßgeblich an einer gegenseitigen, positiv bewerteten Resonanz der einzelnen Handlungen in der Wahrnehmung und Anerkennung durch andere Gemeinschaftszugehörige. Sie kann sich so allerdings nur aus Interaktionen bilden, d. h. aus den Bestätigungen des eigenen Handelns und eigener Äußerungen durch andere Gemeinschaftszugehörige. Und nur darauf kann sich schließlich aufbauen, worum sich die Zusammengehörigkeit abspielt (vgl. Tönnies 1988: 3, 195), was also der konkrete Inhalt der Vergemeinschaftung ist.
Realisieren kann sich eine Gemeinschaft nach Ferdinand Tönnies als eine des Blutes, des Ortes und des Geistes (vgl. ebd.: 12). Im Rahmen dieser Arbeit ist die Gemeinschaft des Geistes besonders anschlussfähig. Diese Gemeinschaftsform konstituiert sich durch Gleichheit und Ähnlichkeit, welche in zugänglichen, leicht verfügbaren und regelmäßigen Reaktualisierungsmöglichkeiten gegeben ist. Der Eigenwert der Gemeinschaft ermöglicht die räumliche und teilweise zeitliche Loslösung, denn eine derartige Gemeinschaft erwächst aus der selbst gewählten Zugehörigkeit, welche dem Einzelnen innerhalb dieser Gruppe individuelle Freiheiten garantiert. Dies resultiert in einem geteilten Verständnis bzw. geteilten Vorstellungen über die Gemeinschaft, welche die gegenseitige Orientierung aneinander und darin die Orientierung an der Gemeinschaft reaktualisieren (vgl. ebd.: 13-18).1 Gemeinschaft ist zwar nicht direkt aushandelbar oder bestimmbar, wohl aber von Aushandlungsprozessen begleitet und stark auf diese angewiesen. Zentral ist, dass die Gemeinschaft bestehen bleibt, soweit sie im Handeln prozessiert wird.

2.2 DIE ANDEREN „MODERNEN“ UND DIE FOLGEN FÜR DEN MENSCHEN

Eingangs wurde auf die gesellschaftliche Bedingtheit von Gemeinschaften verwiesen, der sich nun zugewandt werden soll. Es soll erörtert werden, wie gesellschaftliche Entwicklungen, auch in den „internen Nebenfolgen der Nebenfolgen industriegesellschaftlicher Modernisierung“ (Beck, Giddens, Lash 1996: 10), auf die Möglichkeiten der Vergemeinschaftung einwirken. Bezüglich einer diagnostischen Charakteristik werden dabei in der Literatur die unterschiedlichsten Eigenschaftswörter verwendet. In Bezug auf die hier zugrunde liegenden Werke wird u. a. von der „zweiten Moderne“ (Beck, Giddens, Lash 1996) oder von der „Postmoderne“ (Bauman 1997; 1998) gesprochen. Es soll hier allerdings nicht um eine Positionierung gegenüber dieser Unterscheidung gehen. Vielmehr sollen hier Tendenzen aktueller gesellschaftlicher Zustände und Entwicklungen in der Zusammenschau betrachtet werden, um daraus Schlüsse für die Konstitutionen von Gemeinschaften ziehen zu können.
Bei der Betrachtung der verschiedenen Gegenwartsdiagnosen sticht hervor, dass die aktuelle Gesellschaft eine moderne ist, welche sich in ihrer Verfassung jedoch radikal anders darstellt, als es vorherige moderne Gesellschaften getan haben (vgl. Beck 1996b: 30, 45). Dabei wird konstatiert, dass die Gegenwartsgesellschaft sich vor allem durch eine gesteigerte Inkohärenz (vgl. Bauman 1997: 140f) auszeichnet, welche gesellschaftliche Basisverbindlichkeiten früherer Modernen (vgl. Beck 1996b: 19) verwirft. Als Ursache dieses Auflösungsprozesses werden massive Individualisierungs- und Globalisierungstendenzen2 angegeben (vgl. ebd.: 20f; Beck 1998: 303f; Giddens 1996: 115).
Betrachtet man diese Auflösungstendenzen näher, so werden vor allem nicht intendierte Nebenfolgen, mit teils erheblichen Bedrohungspotentialen, ersichtlich (vgl. Hitzler 1998: 81). Hierunter fällt z. B. die massive Ausweitung von gesellschaftlichen und individuellen Unsicherheiten durch die Auflösung von Klassen und das Aufkommen ökologischer Krisen. Es sind nahezu gesellschaftliche Selbstgefährdungen, ausgelöst durch nichtlineare Rationalitätssteigerungen, welche desintegrativ auf der Ebene von Institutionen und Systemen wirken (vgl. Beck 1996b: 45-53). Diese Desintegrationseffekte, die also aus den unerwarteten Nebenfolgen der Rationalitätssteigerung erwachsen, zeitigen massive Risiken und erzeugen Unsicherheiten. Stabilisierende gesellschaftsstrukturelle Verbindlichkeiten, wie sie etwa Religion, Klasse und Nationalität bereitstellten, sind weggefallen. Im Sinne fehlender Verbindlichkeiten kann von einer „posttraditionalen Gesellschaft“ (Giddens 1996) gesprochen werden (vgl. Beck 1996a: 139f). In der Orientierung an Traditionen, sprich der Vergangenheit, können Gesellschaften die Bewältigung der Gegenwart organisieren. Traditionen wandeln sich zwar, weisen aber auf eine emotional bindende Referenz hin, die das Handeln moralisch normiert, legitimiert, ritualisiert und darin letztlich begründet. In Rekurs auf Traditionen erzeugen diese Handlungen ergo Sicherheit und Gewissheit (vgl. Giddens 1996: 122-129).
Jede Wahl unter den möglichen Orientierungen stellt ein Risiko dar.
Die posttraditionale Gesellschaft stellt dem nun einen Pluralismus an möglichen Interpretationen und Orientierungen gegenüber, an denen soziales Handeln orientiert sein kann. Damit gerät das Individuum, als Träger sozialen Handelns, in eine hohe Entscheidungsspannung. Denn...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Danksagung der Autoren
  7. 1. Einleitung
  8. I. THEORETISCHE GRUNDLAGEN & AKTUELLE PERSPEKTIVE
  9. II. DURCHFÜHRUNG DER STUDIE
  10. III. ZUR HERSTELLUNG VON ZUGEHÖRIGKEIT IN DER INDIE-SZENE
  11. IV. SCHLUSSBETRACHTUNG
  12. Abbildungsverzeichnis
  13. Literaturverzeichnis