Auch im Osten trägt man Westen
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Auch im Osten trägt man Westen

Punks in der DDR - und was aus ihnen geworden ist

  1. 144 Seiten
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Auch im Osten trägt man Westen

Punks in der DDR - und was aus ihnen geworden ist

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Im Sommer 1982 führte Gilbert Furian mit sieben Ostberliner Punks Interviews über Punk und Politik, Musik und Liebe, Arbeit und Anarchie. Das Resultat, 20 Blatt A4, verteilte er 90x in Ost- und 1x in Westberlin. Ein Vergehen, das ihm schließlich eine Verurteilung zu 2 Jahren und 2 Monaten Gefängnis einbrachte. Dieses Buch dokumentiert die damaligen Gespräche, die folgenden Aktivitäten der Stasi und erneute Gespräche mit den Punks von damals - 18 Jahre später."Ein famoses Buch, das mehr über die DDR aussagt, als es zehn Jahre Geschichtsaufarbeitung je tun könnten."Matthias Mader in: Iron Pages"... eignet sich sehr gut für die politische Bildung und Jugendarbeit."Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783943612271

KAPITEL I

Einstieg in den Ausstieg

oder
Was einen Sachbearbeiter für Inventuren und Versicherungen aus dem VEB Wärmeanlagenbau Berlin in die Punk-Szene treibt

Skaby, 28. Dezember 1984
Lieber Herr Thate!1
Nun habe ich die ausreichende Lockerheit für eine Antwort auf Ihre Absage an meine Punk-Dokumentation. (…)
Ich will zunächst kurz schildern, wie ich überhaupt dazu gekommen bin, Punks zu befragen und die Ergebnisse aufzubewahren.
Ich wurde von Freunden angesprochen, ob ich interessiert sei an der Mitarbeit bei einem Projekt, das zum Ziel hat die Anfertigung einer Dokumentation über die sogenannte Szene in Ostberlin, das heißt über Lebenshaltungen und Lebensformen, die sich von den herrschenden bewußt abgrenzen, indem sie versuchen, Eigenes zu probieren und zu finden; Lebensmöglichkeiten jenseits der Muster, die von den Älteren überliefert und angeboten werden, aber auch im Gegensatz zu den vom Staat verordneten Schemata. Ich sollte, da ich Philosophie studiert habe, eigentlich eine Art Analyse oder theoretische Fundierung leisten.
Da meine damalige Freundin aber einen Sozialdiakon kannte, der sich um eine Gruppe von Punks kümmert, das heißt, ihnen Räumlichkeiten für ihre Interessen zur Verfügung stellt, mit ihnen redet und sie gegen staatliche Willkür zu unterstützen versucht, erbot ich mich, obzwar zuvor nie in Kontakt mit ihnen, diese Gruppierung zu untersuchen. Während ich dabei war, mich ihnen allmählich vertraut zu machen (das ist nicht einfach, da jeder, der so normal aussieht wie ich, einer vom Staatssicherheitsdienst sein könnte – das unnormale Innenleben fällt ja nicht gleich ins Auge), fiel das ganze Projekt ins Wasser, da die beiden Ko-Autoren kein Interesse oder keine Zeit oder beides nicht mehr hatten.
Mich aber hatte es gepackt, denn ich hatte sie mir gerade vertraut gemacht und festgestellt, daß sie in ihren Grundhaltungen, in Ängsten und Sehnsüchten mir sehr verwandt waren. Zudem waren mir ihre Überlegungen, ihre Ansprüche und auch ihre Verweigerung stets Grund, mich zu fragen, was denn aus meinen eigenen Sehnsüchten geworden ist, ob ich sie aufgegeben habe oder noch Widerstandskraft besitze nicht nur gegen die Anmaßung der Ämter (als Bild für Obrigkeit schlechthin), sondern auch gegen den Verfall der eigenen Erwartungen.
So habe ich dann nacheinander drei Gruppen befragt: eine “durchschnittliche”, eine “ehemalige” und eine “musikproduzierende”. Dabei trifft “befragt” eigentlich nicht ganz zu, denn, wie die Dialoge zeigen, waren meine Fragen oftmals Anlaß für die Punks, ihre durchaus unterschiedlichen Auffassungen gegeneinanderzusetzen.
Bei allen gleichermaßen aber zeigte sich, daß die Haltung vorherrscht: Punk zu bleiben, ist Ausdruck eines bestimmten Selbstverständnisses, das nicht Mode ist, auch nicht nur Trotz, sondern etwas Dauerhaftes, Tieferes, Wichtiges – eine Überzeugung. Sie erleben den Wert ihrer Persönlichkeit, wenn auch negativ, das heißt, in den mannigfachen Angriffen von außen, in den Diskriminierungen, in den Spötteleien, in der Gefahr verprügelt zu werden, die Insignien weggenommen zu bekommen. Punk ist die Form, in der sie sich selbst als etwas Einzigartiges erleben, als einen Fonds von Widerstand gegen die Außenwelt, die für sie nur Zwänge bereithält, Regeln, Normen, Gleichförmigkeiten, Leistungsanforderungen, aber keine Anerkennung als etwas Besonderes, Individuelles.
Punk ist die Form, in der sie Widerstand leisten weniger gegen die Außenwelt, obwohl das so erscheint, als vielmehr Widerstand gegen sich selbst, gegen das eigene Erlahmen, gegen die Neigung zur Anpassung, gegen das Normiertsein, gegen die Auflösung ihrer Persönlichkeit (die sie gerade im Begriff sind als etwas ungeheuer Wichtiges zu erleben) in alltäglichen Abläufen und staatlichen Ideologemen.
Was diese Punks unterscheidet von den “Ur-Punks”: sie sind nicht so aggressiv, was darin begründet liegen mag, daß sie nicht auf solch drastische Weise zukunftslos sind: sie haben immerhin auf jeden Fall die Möglichkeit, mit einer Arbeit Geld zu verdienen. Daß sie trotzdem Angst vor der Zukunft haben, mindestens aber von ihr nichts erwarten, zeigt, daß sie eigentlich mehr erwarten als nur eine Arbeit, die Geld bringt: sie wollen ernstgenommen werden, ihr Leben würdig verbringen; sie suchen eine Substanz, die ihnen Arbeit allein nicht bringen kann, sie tragen in sich (das alles freilich unartikuliert, unbewußt – und fragte man sie danach, sie würden es leugnen, denn es hätte für sie den Geruch des Sentimentalen, des Weichlichen) die ungeheure Hoffnung, den riesigen Anspruch auf Menschlichkeit.
Das als Erklärung für das Zustandekommen des “Pamphlets”, wie Sie es nennen.
Zeigen Sie die Sache ruhig weiter, ich glaube, es ist wichtig, daß sich Menschen Gedanken machen über das, was diese Jugendlichen bewegt, denn das sind keine Ausnahme-Überlegungen, hier wird nur ausnahmsweise offen und rücksichtslos und ohne Furcht geredet.
Einen wie immer herzlichen Gruß von Ihrem Schüler Gilbert.

Ersatzhandlung

oder
Akten als Gedächtnisstütze 1

“Meines Erachtens ist Radulovic’1 Aussage darüber, was wir vor Jahren einmal besprachen, doch sehr überzogen. Natürlich haben wir über diese Thematik gesprochen. Irgendwelche Festlegungen hat es jedoch niemals gegeben. Es ging also konkret nicht um die Erstellung einer Dokumentation und auch nicht darum, daß ihm die Aufgabe einer philosophischen Fundierung zufiel. Vielmehr war es so, daß sich diese Gesprächsrunde nach relativ kurzer Zeit auflöste, weil Mike Nicklas und ich durch das eigene Studium zu sehr angespannt waren, als daß wir Zeit gehabt hätten, uns weiter mit diesen Fragen zu befassen.
Hinzu kam, daß Radulovic relativ schnell Kontakt zu Punks hergestellt hatte und nun eigene Analysen anstellte. Möglicherweise verfolgte er das Ziel, das in irgendeiner Weise zu dokumentieren und anderen zugänglich zu machen. Da er im letzten Jahr von seiner Ehefrau geschieden wurde, ist es möglich, daß die Broschürenfertigung eine Art “Ersatz” oder Ablenkung von seinen Problemen war und dazu diente, mit der Langeweile fertig zu werden. Seine Inhaftierung, von der ich unlängst erfuhr, war für mich aufgrund der Kenntnis der Schrift keine Überraschung.”
Aus dem Protokoll des Ministeriums für Staatssicherheit, Hauptabteilung Untersuchung, über die Vernehmung des Zeugen Stephan Steinlein vom 17. Juni 1985
Image

Buchpläne

oder
Akten als Gedächtnisstütze 2

“Etwa Anfang Juli 1982 lernte ich in der Theaterklause am Rosa-Luxemburg-Platz einen Mann kennen, der ein Buch über Randgruppen in der DDR schreiben wollte. Das Gemeinsame dieser Gruppen wäre, daß sie alle in irgendeiner Weise nicht mit den geltenden gesellschaftlichen Normen in der DDR übereinstimmen würden.
Der vollständige Name des Mannes ist mir nicht bekannt. Er stellte sich nur mit Vornamen vor, der ziemlich lang und französisch war, mir aber nicht mehr in der Erinnerung ist.
Der Mann war etwa 25 Jahre alt, etwa 1,70 m groß, trug eine Igel-Frisur, machte insgesamt einen intellektuellen Eindruck und erzählte von sich, daß er mit dem Bauwesen zu tun hat und in allen Bezirken herumreisen muß, um auf den Baustellen zu prüfen, wo abhandengekommenes Material geblieben ist.
Ich hatte bereits vorher gehört, daß dieser Typ mit Leuten aus unserer Clique ein Tonbandinterview gemacht hat, in dem es um die Probleme der Punks in der DDR ging, also wie und warum man Punk wird, welche Probleme sich daraus auf der Arbeit und im täglichen Leben ergeben.
Das Buch wollte der Mann DDR-Verlagen anbieten. Sollte es dort nicht durchkommen, wollte der Mann versuchen, es der Kirche anzubieten, um es dort bei der Arbeit mit Jugendlichen zu nutzen. Für den Fall, daß sich überhaupt kein Verleger findet, wollte der Typ das Buch in geringer Auflage in einer privaten Druckerei herstellen lassen. Ohne konkret zu werden, erzählte der Mann, daß er entsprechende Leute kennen würde, die für ihn schon früher irgendwelche selbsthergestellte Kalender gedruckt hätten, die dann im privaten Kreis verteilt worden wären.
(…) Ansonsten habe ich den Mann nie wiedergesehen und kann auch keine weiteren Angaben zu dem Sachverhalt machen.”
Ministerium für Staatssicherheit der DDR
Aus dem Vernehmungsprotokoll des Beschuldigten Karsten
Pauer
Berlin, 19. November 1982
Tagsüber verdiente er sein Geld als Psychologe in einer Familienberatung, abends veranstaltete er Ausstellungen, Vernissagen mit Musik und einer eigenen Edition, z.B. Kunstpostkarten.
Das Ganze zwar illegal, aber nicht in einem ausgesuchten Zirkel, sondern öffentlich. Mit ihm beschäftigten sich 72 IM und 122 feste Mitarbeiter von MfS und Volkspolizei.
1 Günther Thate war von 1955 bis 1958 Klassenlehrer des Autors in der 7. Grundschule Görlitz.
1 Den aus seiner ersten Ehe stammenden Namen Radulovic hat der Autor 1987 bei der Heirat mit Katharina Furian abgelegt.
2 Brief an Jürgen Schweinebraden – Jürgen Schweinebraden führte von 1974 bis zu seiner Ausreise in die BRD 1980 in seiner Berliner Wohnung Dunckerstraße 17 die »EP- Galerie«, die wohl einzige Privatgalerie der DDR. ý

KAPITEL II

Punks in der DDR…

Drei Interviews (Ostberlin, Sommer 1982)

Notizen zu den Gesprächsteilnehmern
Fatzo
Fatzo, 18, gelernter Schlosser, bittet mich nach dem Gespräch zu sich nach Hause. Die Wohnung – mit legaler Zuweisung – ist “normal” eingerichtet. Das Bedürfnis nach Gemütlichkeit wird deutlich. Allerdings steckt auch die Angst vor der Drohung des ABV dahinter, eine Wohnung, die punkmäßig, also gar nicht eingerichtet sei, würde man ihm wegnehmen. Er erzählt von den Schwierigkeiten, die seine Freundin (kein Punk) zu Hause mit ihrer Mutter hat (46 Jahre alt, Partei1). Er äußert, auch unter Punks könne man sich nicht vorbehaltlos jedem anvertrauen. Es gelte zwar, daß nur Spießer hinterm Rücken reden, Punks täten dies aber auch. Auf Grund seiner Kompromißbereitschaft den “Schwachen” gegenüber hat er es nicht leicht bei den andern. Sie lächeln oder lachen, wenn er seine Sorgen offen äußert, wenn er sie um Rat fragt, was die Beziehung zu seinem Mädchen angeht. “So etwas machen Rocker, über andere lachen”, sagt er. Die Bezeichnung “Rocker” gilt als Beleidigung.
Im aufgezeichneten Gespräch sagt er, Punk zu bleiben, zeige Überzeugun...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Kapitel 1
  6. Kapitel II
  7. Kapitel III
  8. Kapitel IV
  9. Kapitel V
  10. Nachbemerkung
  11. Biografien – nach vorn offen
  12. Danksagung