13
KRYPTOS
Indien
Wie viele Metalheads gibt es unter den rund 1,3 Milliarden Einwohnern Indiens und wie steht es um die Szene in dem Land, in dem heilige Kühe schon mal den Verkehr zum Erliegen bringen? Nolan Lewis, Sänger, Gitarrist und Bandgründer von Kryptos, bringt für uns Licht ins Dunkel.
Deine Combo Kryptos war die erste Gruppe aus Indien, die auf dem Wacken Open Air aufgetreten ist. Erinnerst du dich an den Moment, als du erfahren hast, dass der Gig steht?
Ja, daran erinnere ich mich sehr lebhaft. Als wir jung waren, haben wir immer in den Metal-Magazinen über die großen europäischen Szene-Festivals und vor allem über das Wacken Open Air gelesen und uns gesagt: „Mann, wäre das großartig, wenn wir dort eines Tages spielen könnten.“ Aber wir konnten uns nicht vorstellen, dass das tatsächlich eines Tages passieren würde. Als der Auftritt bestätigt wurde, mussten wir uns wirklich erst einmal zwicken – das war, als hätten wir einen dieser „unmöglichen“ Punkte auf unserer Liste von Dingen, die wir noch erreichen wollten, abgehakt. (lacht) Das war wirklich ein Erlebnis.
Was war euer erster Eindruck, als ihr dort angekommen seid? War alles, wie ihr es euch vorgestellt hattet?
Ich hatte das Wacken Open Air bereits 2005 und 2010 als Fan besucht, daher wusste ich ungefähr, was uns erwartet. Das Festival war aber noch mal gewachsen, als wir dort gespielt haben – das war schon faszinierend. Am interessantesten fand ich zu sehen, was hinter den Kulissen eines so riesigen Festivals abgeht, wie das alles organisiert und koordiniert wird. Das war wirklich unglaublich. Wir hatten dort auch unser erstes Meet and Greet, das war ziemlich lustig: Meshuggah hatten ihr Meet and Greet direkt neben uns. Bei denen war eine riesige Schlange, während unsere „Schlange“ aus zwei unserer Freunde bestand, die uns Sandwiches brachten, und ein paar anderen Leuten, die uns neugierig anschauten. (lacht) Aber es war trotzdem cool. Wir haben es geschafft, in diesen 40 Minuten das ganze Bier aus unserem Kühlschrank zu trinken. Der Gig war jedenfalls großartig. Wir haben um Mitternacht auf der WET-Stage gespielt und es war wirklich gesteckt voll. Die Crew war super cool und es war echt beeindruckend, wie schnell sie zwischen den Bands umgebaut haben. Das ist gelebte deutsche Effizienz!
Hat euch auch irgendetwas enttäuscht?
Eigentlich nicht. Die einzige Schwierigkeit war die unglaubliche Hitze, die uns wirklich fertiggemacht hat. Für alle, die jetzt denken, als Inder müssten wir die Hitze ja gewohnt sein: Sorry, in unserer Heimatstadt Bangalore ist es das ganze Jahr über ziemlich kühl – daher ist solch eine sengende Hitze nicht alltäglich für uns. (lacht) Natürlich haben wir uns dann letztes Jahr, als wir Wacken wieder besucht haben, im eiskalten Matsch die Sonne zurückgewünscht, aber es war alles in allem trotzdem spaßig. Ich kann mich nicht beschweren.
War es für euch leicht, vom größten Metal-Festival der Welt zurück in den Alltag einer Metal-Band in Indien zurückzukehren?
Es ist nie leicht, nach Indien zurückzukommen, wenn man davor in Europa gespielt hat, weil hier einfach alles so unglaublich anders ist als bei euch. Wir spielen in Indien zwar relativ oft, aber wir haben nichts Vergleichbares zu den großen europäischen Festivals, geschweige denn Wacken. Deshalb war es nach dem, was wir erlebt haben, schon erst einmal ein Dämpfer, wieder in den Alltag zurückzukehren. Aber nach ein paar Wochen findet man seinen Rhythmus wieder … viel Verkehr, lange Arbeitstage und schlechte Bezahlung – da bleibt keine Zeit zum Träumen. (lacht)
Betreibt ihr die Band als Hobby oder verdient ihr damit mittlerweile Geld? Was macht ihr beruflich und ist es schwer, Band und Job unter einen Hut zu bekommen?
Natürlich hat es als Hobby angefangen, aber dann ist das über die Jahre immer größer und größer geworden und wurde zu einer Art Obsession. (lacht) Wir verdienen damit etwas Geld, durch Gagen, Merchandise-Verkauf und dergleichen, aber nicht genug, um davon zu leben. Wir haben alle noch reguläre Jobs – zum Beispiel in der Werbebranche oder im Produktdesign. Die Zeit für die Touren freizubekommen, ist nicht immer einfach, aber irgendwie klappt es. Zum Glück sind unsere Berufe alle flexibel genug, dass wir auch mal länger wegbleiben können – insofern passt das momentan alles sehr gut.
Wie schwierig ist es, sich in Indien als Metal-Gruppe zu behaupten?
Es ist hier nicht viel anders als überall sonst in der Welt. Klar, manchmal schauen uns die Leute hier schief an, weil wir lange Haare haben oder wegen unserer Kleidung oder dergleichen, aber alles in allem ist es nicht so schlimm. Es ist ein kleiner Kampf, aber auch das ist doch überall anders genauso.
Gibt es für junge Bands genug Proberäume, Tonstudios und dergleichen?
Eigentlich nicht. Einen guten, vor allem aber bezahlbaren Proberaum zu finden ist ziemlich schwierig – wenn eine Combo also nicht selbst einen geeigneten Raum hat, kann es ziemlich schwierig sein und viel kosten, an einen guten zu kommen. Tonstudios gibt es viele gute überall in Indien, allerdings sind die auch sehr teuer. Heutzutage kannst du aber ein Album im Endeffekt auch in deinem Schlafzimmer aufnehmen, daher ist das kein allzu großes Problem. Wir gehen nur für die Schlagzeugaufnahmen und den Gesang ins Studio. Da reichen ein paar Tage, was es deutlich günstiger macht.
Und wie steht es um Auftrittsmöglichkeiten?
Es ist nicht ganz einfach, weil es nicht so viele Metal-Konzerte oder -Festivals gibt, wie es geben sollte. Wegen der enormen Größe unseres Landes und weil es zu wenig in Frage kommende Locations gibt, ist es ziemlich schwierig, Indien zu betouren. In den großen Städten wie Bangalore, Mumbai, Hyderabad, Kolkata, Chennai und Delhi gibt es zwar ein paar Clubs, in denen man auftreten kann, und sogar einige Locations, in denen vergleichsweise große Rock- und Metal-Events stattfinden, aber insgesamt sind sie rar gesät. Deshalb haben wir uns auch immer eher darauf fokussiert, in Europa auftreten zu können.
Gibt es in Indien auch Konzerte internationaler Gruppen?
Ja. Als Iron Maiden 2007 nach Indien kamen, hat das in gewisser Weise die Tore für andere internationale Metal-Bands geöffnet. Seitdem haben viele Hochkaräter wie Metallica, Slayer, Megadeth, Kreator, Iced Earth oder Cannibal Corpse hier gespielt. Es gibt sogar ein paar kleinere Festivals wie das Bangalore Open Air oder das CultFest, die auch ein paar große internationale Namen ins Land holen, während Festivals wie das Trendslaughter einige der besten Underground-Metal-Acts aus aller Welt hierher bringen.
Unterstützen die Fans in Indien lokale Bands, beispielsweise indem sie zu Underground-Konzerten kommen?
Ja, aber das sind nicht so viele, wie man vielleicht erwarten würde. Das Internet hat die Leute wirklich faul gemacht – die meisten ziehen es mittlerweile vor, zu Hause herumzuhocken und Musik auf YouTube zu hören. Klar, wir haben nicht so viele gute Metal-Combos hier in Indien, die man unterstützen könnte, was auch ein Faktor ist, warum immer weniger Leute zu Konzerten gehen. Aber ganz allgemein gibt es nur einzelne, über ganz Indien verstreute Nester mit Die-Hard-Metalheads.
Wie viele Leute kommen in Indien zu Underground-Konzerten, aber auch zu Metal-Festivals?
Obwohl Indien so viele Einwohner hat, kommen nur sehr wenige Leute zu Konzerten. Bei Underground-Veranstaltungen in den Clubs hier kommen im Schnitt 100 bis 300 Leute, abhängig von den Bands, die auftreten. Bei größeren Festivals sind es 1.500 bis 2.000. Wenn aber mal eine große Band aus dem Ausland kommt, wie Metallica, Iron Maiden oder dergleichen, kommen über 15.000 bis 20.000 Leute. Auch, weil die Tickets hier wirklich erschwinglich sind – nicht so exorbitant überteuert wie in anderen Ländern.
Wie steht es generell um die Ticketpreise für Konzerte und Festivals – können sich einfache Leute so etwas leisten?
Die Karten für Deep Purple, als sie 2001 das erste Mal hier waren, haben witzigerweise nur 250 Rupien gekostet. Das waren damals umgerechnet um die fünf Euro. Heute kostet ein Club-Konzert mit drei bis vier Bands vielleicht 500 Indische Rupien, also 7 Euro. Lokale Festivals verlangen im Schnitt 1.000 bis 2.000 Rupien, also knapp 15 bis 30 Euro für einen ganzen Tag. Das Bangalore Open Air mit Bands wie Nile, Coroner und Marduk kostet um die 3.000 Rupien, also 45 Euro. Der bereits erwähnte erste Gig von Iron Maiden in Indien war mit circa 25 Euro ebenfalls günstig, Metallica waren mit ungefähr 60 Euro Ticketpreis etwas teurer. Dafür haben Megadeth zum Beispiel letztes Jahr noch für rund 1000 Rupien gespielt – also für 15 Euro!
Werden bei euch auch noch CDs gekauft?
Das ist tatsächlich eines der Hauptprobleme hier. Wegen des Internets kaufen die meisten Leute keine CDs von lokalen Gruppen mehr – oder sogar Metal-Alben ganz generell. Alle reiten auf der YouTube- oder Torrent-Welle. Trotzdem gibt es noch ein paar Die-Hard-Fans, die die Bands unterstützen, die sie mögen – egal, ob lokal oder international –, indem sie Alben und Merchandise kaufen. Alles in allem verkaufen Underground-Acts hier aber leider nicht viel.
Wie steht es generell um den Metal in Indien? Habt ihr eine florierende Szene mit Musikgruppen, Bars, Konzerten und Fans oder führen Metalheads in Indien eher ein Schattendasein?
Irgendwas dazwischen, würde ich sagen. Es gibt hunderte Bands in unserem Land, aber nur wenige...