Gesammelte Werke
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Gesammelte Werke

  1. 918 Seiten
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Über dieses Buch

Claude Anet war ein französischer Schriftsteller und Tennisspieler, dessen Prosa meist in der französischen Provinz oder in Russland angesiedelt ist. In diesem Sammelband finden sich seine Werke:ArianeNadjaWera AlexandrownaSonja GrigorjewnaEnde einer WeltLydia SergijewnaFräulein BourratLouis MartheFrau Duret, geborene von Barthes.Marie Lepetit.Der Herzog von Vouzins-Baufflers.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783849604486

Lydia Sergijewna

Erster Teil

Es war Samstag, den 10. März 1917, als ein junges Mädchen aus einem Haus der Snamenskaja trat. Die breite, schneebedeckte Petersburger Straße, die von der Sonne hell beschienen war, bot an diesem Wintertage einen ungewohnten Anblick. Es fehlten die vielen eiligen Passanten, nur Gruppen von drei oder vier Arbeitern zogen inmitten der Fahrbahn schweren Schrittes gegen den Nikolaibahnhof. Einzelne Weiber, die Köpfe in Tücher aus grober Wolle gehüllt, standen, unbeweglich vor sich hinstarrend, auf dem Fußsteig. Das junge Mädchen bemerkte, daß ein Obsthändler langsam die Läden seines Geschäftes herunterließ. Eine lange Reihe von Straßenbahnwagen hielt in dem oberen Teil der Straße, der schwarz von dichtgedrängten Menschen war.
»Was ist los?« frug sich Lydia. »Wieder eine Demonstration auf dem Newski?« Ihr frisches Kindergesicht nahm eine ernste Miene an, die jedoch nicht lange anhielt. Das gewohnte Lächeln erschien bald wieder um den Mund, dessen Unterlippe ein wenig vorstand, zwei Grübchen bildeten sich auf ihren von der Kälte geröteten Wangen, ihre großen blauen, wundervoll klaren Augen leuchteten wieder auf, und sie schritt, ihren Pelzkragen schließend, dem Snamenskajaplatz zu. Je näher sie ihrem Ziele kam, desto stärker wurde das Gedränge, und etwa fünfzig Schritt vor dem Platz konnte sie gar nicht mehr weiter. Ein Militärkordon sperrte die Straße. Es waren Soldaten vom Regiment Litowsky, die hier, Gewehr bei Fuß, standen und vor denen sich die Menge staute. Die aufgepflanzten Bajonette funkelten in der Sonne. Die frierenden Soldaten stampften, von einem Fuß auf den anderen tretend, den hartknirschenden Schnee, und ihre grauen Lammfellmützen schwankten dadurch in sonderbar gleichmäßiger Bewegung hoch über den Köpfen der Menge auf und nieder. So oft die vor ihr Gedrängten sich verschoben, erhaschte Lydia sekundenlang einen Durchblick auf den von Menschen wimmelnden Platz und erblickte vor dem Reiterstandbild des unförmigen Alexander III. mit seinem noch unförmigeren Pferd eine dunkle Linie von Polizisten. Sie bemerkte zwei, drei junge Offiziere hinter ihrer Truppe und war von dem ernsten traurigen Ausdruck ihrer Gesichter betroffen. Rings umher wurde lebhaft debattiert. Es waren in der Menge fast nur Arbeiter und Studenten. Letztere, die Kappen auf dem Kopf, sprachen eifrig zu den Arbeitern. Sie drängte sich in eine dieser Gruppen. Ein ganz junger Hochschüler mit schwarzen Augen, frischem Mund, schlank, zart, kränklich, sprach dort mit erhobener Stimme. Leidenschaft glühte in ihm und gab seinen Worten einen unvergeßlichen Klang. Seine ehrliche Begeisterung gefiel dem jungen Mädchen, rasch schlüpfte sie zwischen zwei Arbeiter, um besser zu hören. Er rief:
»Genossen, ihr wißt, daß wir mit euch sind. Ja, gemeinsam werden wir mit dieser Regierung abrechnen! Aber noch ist die Stunde nicht gekommen. Wir haben noch Krieg. Wartet noch ein wenig –« In diesem Augenblick bemerkte er das junge Mädchen; sie stand gegen ihn vorgeneigt und er las in ihrem Blick ihre Zustimmung zu seinen Worten. Aber die ungewöhnliche Schönheit ihres jugendlichen Gesichtes, die Reinheit ihrer Augen, die jene ihrer Seele widerspiegelten, die Begeisterung, die er darin las, ergriffen ihn derart, daß er wie geblendet verstummte. Er zögerte einen Moment und suchte nach Worten. – Noch während er sich mühte, seine Gedanken zu sammeln, entstand eine heftige Bewegung in der Menge. Die Soldaten waren auf ein kurzes Kommando um zwanzig Schritte vorgerückt und in dem Durcheinander der zurückweichenden Menschen zerstreute sich die Gruppe. Das junge Mädchen ging nachdenklich den Weg, den es gekommen, zurück, um in eine der Parallelstraßen des Newskiprospekt einzubiegen. Sie hatte nur einen Gedanken: »Wollen die Arbeiter wirklich die Revolution?« Erinnerungen an gelesene Bücher zogen durch ihren Kopf. – An einem schönen Sommertag hatte das französische Volk die Bastille erstürmt. Ruhmvoller Tag, sagt man, der die französischen Soldaten als Sieger durch ganz Europa und selbst bis nach Moskau führte l – Sie erinnerte sich an die Ereignisse des Jahres 1905, die von den Freunden des Fürsten Sergej Volynski, ihres Vaters, als Unruhen, aber von ihren eigenen Bekannten aus Studentenkreisen als Revolution bezeichnet wurden. Sie wußte nicht viel davon, sie war zu jener Zeit erst fünf Jahre alt gewesen und in ihrem Leben eines einzigen verwöhnten Kindes hatte sich auch damals nichts geändert. Doch, an einem Abend versagte das elektrische Licht und sie wurde bei Kerzenschein zu Bett gebracht. Sie selbst hatte in ihrem Zimmer überall Kerzen angezündet. Es war wie am Weihnachtsabend, und das war auch der ganze Eindruck, den sie von jener Krise behalten hatte: der eines Festes ... Revolution, jetzt während des Krieges? – Das war unmöglich! Niemand konnte das wollen, sicher auch diese biederen Arbeiter nicht, die eben jetzt trotz all ihrer Derbheit, sie so gutmütig und sorgsam in dem Gedränge schützten. Wie verbunden sie sich ihnen fühlte! Sie hatten dieselbe Art zu lächeln, die gleichen weichen Worte, wie sie selbst. »Sie können wütend werden wie Papa,« dachte sie, »aber im Grunde sind es gemütliche Leute, unfähig, etwas Böses zu tun.« Und dann dachte sie an die gewaltige Polizeimacht Petersburgs und an das viele Militär, das die Kasernen der Stadt füllte. Und sogar die Studenten waren für die Aufrechterhaltung der Ordnung; ja, selbst die Studenten, die doch immer von unruhigen Plänen erfüllt waren, wollten während des Krieges keine Revolution! »Es wird einige Unruhen geben,« dachte sie, »und dann wird alles wieder in Ordnung kommen.«
Aber trotz alledem war ihr Herz bedrückt und ihr Kopf, den sie sonst mit erhobenem Kinn ein wenig nach hinten geneigt trug, senkte sich jetzt abwärts. Bald aber siegte ein stärkeres Gefühl über ihre Unruhe: die Neugierde. Sie wollte die Helden dieses Schauspieles sehen, wollte selbst diese ungeheuren Kräfte fühlen, die da ringsum die Straßen erregten, wollte die Gesichter betrachten, den Worten lauschen, wollte erforschen, was die Blicke all der Augen enthüllten. Sie beschleunigte ihre Schritte, um durch den Litejnijprospekt wieder den Newskiprospekt zu erreichen, aber Ecke Litejnij wurde sie abermals durch die Menge aufgehalten. Die Arbeiter marschierten langsam ins Wiborger Viertel, auf das andere Flußufer zurück. Sie versuchte gegen den Strom der Arbeiter vorzudringen, aber nach einigen Schritten wurde sie von einem großen Arbeiter in Bluse und gefütterter Lederkappe angehalten, der gemütlich brummte:
»Da muß man nicht hingehen, kleines Täubchen, es wird dort bös werden.« Er lächelte und ging weiter.
Sie flüchtete in ein Haustor. Vier junge Arbeiter zogen in eifriger Unterhaltung vorbei. Sie folgte ihnen, um zu hören, was sie sagten.
»Hast du's gesehen, Vasil,« sprach der Kleinste, dessen Augen vor Freude strahlten, »der Offizier hat ›Vorwärts!‹ kommandiert, aber die Kosaken haben sich nicht gerührt. Wenn schon die Kosaken auf unserer Seite sind, dann steht unsere Sache gut!«
Lydia überquerte nachdenklich den Fontankakanal, erreichte durch die Italianskaja die Michaelstraße und versuchte, dem Hotel Europe entlangschlüpfend, nochmals auf den Newskiprospekt zu gelangen. Kosaken galoppierten, ihre kleinen Pferde zurückhaltend, gemütlich auf den Trottoirs. Es waren ganz junge Burschen, blond und lächelnd, die sich große Mühe gaben all den Menschen, denen sie scherzende Worte zuriefen, auszuweichen. Wieder fühlte das junge Mädchen beruhigendes Vertrauen. Alles dies machte eher den Eindruck eines Festzuges. Auf keinem Gesicht sah man Haß oder Erregung. Zwischen diesen fröhlichen Kosaken und den gemütlichen Arbeitern konnte es ja gar keine Zusammenstöße geben! »Ja, Gottlob, alles wird sich beruhigen und im Herbst werden wir den Krieg gewinnen.« Sie war höchst erstaunt, als sie in diesem Augenblick fühlte, daß ihre Augen voll Tränen standen und daß sie bis ins Innerste erschüttert sei. Die Atmosphäre, in der sie sich seit einer Stunde bewegte, mußte sie doch mehr angegriffen haben, als sie gemeint hatte. »Wir müssen den Krieg gewinnen!« wiederholte sie bekräftigend. Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, hörte sie plötzlich einen Schuß fallen, dem nach einer Sekunde atemlos banger Stille eine Salve folgte, deren trockener, kurzer Krach verhängnisvoll die eisige Luft zerriß. Noch ein Moment beklemmendster Erstarrung und dann brauste eine Flut von Menschen, die den Newski herunterflüchteten, um sie. Sie fühlte sich in die Höhe gehoben und durch das Drängen der wahnsinnigen Massen mitgetragen; endlich fand sie wieder Boden unter ihren Füßen und rannte, von rechts, links und rückwärts gepreßt und gestoßen mit zitternden Knien so rasch sie nur konnte gegen den Michaelsplatz. Ihr einziger Gedanke war nur ja nicht hinzufallen! Sie hatte keine Herrschaft mehr über ihr Fühlen und Handeln. Es war ihr unmöglich gegen die besinnungslose Angst anzukämpfen, die sich ihrer, wie aller anderen Menschen rundum bemächtigt hatte. Im Weiterrennen blickte sie ängstlich nach den Häusern, ob sie nicht in einem Geschäft oder in einem Hausflur Zuflucht finden könnte, aber sämtliche Türen waren in einer Sekunde geschlossen worden. Es gab nirgend eine Rettung. Die Istwostschik...

Inhaltsverzeichnis

  1. Ariane
  2. Russische Frauen
  3. Ende einer Welt
  4. Lydia Sergijewna
  5. Kleinstadt