Mein kleiner Orangenbaum
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Mein kleiner Orangenbaum

  1. 199 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Pralle Lebensfreude und bittere Melancholie durchziehen die bezaubernden Kindheitserinnerungen des berühmten brasilianischen Autors. Sése, ein ungewöhnlich fantasiebegabter Junge, wird vom Leben nicht gerade verwöhnt. Um seinem arbeitslosen Vater zu helfen, arbeitet er als Schuhputzer; oder er schwänzt die Schule, um auf der Straße zu singen. Ständig heckt er neue Streiche aus. Dennoch erobert er die Herzen der Menschen im Sturm. Zum Glück hat er einen echten Freund, dem er alles anvertrauen kann: einen kleinen Orangenbaum. Und eines Tages trifft er sogar den besten Menschen der Welt. Doch das Glück währt nicht lange....Ein Buch voller Fantasie und Traurigkeit, und dennoch weit offen für die Schönheit des Lebens.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783825161453

Zweiter Teil

DAMALS ERSCHIEN IN SEINER GANZEN TRAURIGKEIT DAS GOTTESKIND

FLEDERMAUS SPIELEN

»Beeil dich, Sesé, du kommst noch zu spät in die Schule!« Ich saß am Tisch, trank meinen Becher Kaffee und kaute seelenruhig das trockene Brot. Wie immer hatte ich den Ellenbogen aufgestützt und betrachtete den Kalender, der an der Wand hing. Gloria saß wie auf Kohlen.
Sie konnte es nie abwarten, uns loszuwerden, um Ruhe für die Hausarbeit zu haben.
»Jetzt beeil dich doch, du kleiner Teufel! Du hast dich nicht mal gekämmt. Warum kannst du nicht sein wie Totoca; der ist immer rechtzeitig fertig.«
Sie kam mit dem Kamm und fuhr durch meine blonden Strähnen.
»An den paar Borsten ist auch so gut wie nichts zu kämmen.«
Sie hob mich vom Stuhl und musterte mich kritisch, ob Hemd und Hose in Ordnung waren.
»Jetzt aber nichts wie los!«
Totoca und ich hängten uns die Schultaschen um. Da waren Bücher, Hefte und Bleistift drin. Kein Schulbrot; so was gab es nur für die anderen Kinder. Gloria drückte den Boden meiner Tasche zusammen, fühlte, dass sie eine Menge Murmeln enthielt, und lächelte. Unsere Tennisschuhe trugen wir in der Hand. Die zogen wir erst am Markt an, dicht bei der Schule.
Kaum waren wir auf der Straße, da rannte Totoca davon und ließ mich den Weg gemächlich allein zurücklegen. Dann machte ich mich daran, meine Streiche auszuhecken. Das konnte ich viel besser, wenn er schon vorausgelaufen war. Mein größtes Vergnügen war die Landstraße. Da müsste man auch Fledermaus spielen. Ja, Fledermaus. Sich ganz fest hinten an die Autos klammern und dann die Straße fühlen, während der Fahrtwind einen sausend und pfeifend umstrich. Das wäre ganz wunderbar. Fledermaus spielen taten wir alle. Totoca hatte es mir beigebracht und mir tausend Warnungen mitgegeben: mich gut festzuhalten, weil die Autos, die hinterher kämen, sehr gefährlich werden könnten. Ganz allmählich überwand ich die Angst, und die Freude am Abenteuer stachelte mich zu immer verwegeneren Wagnissen an. Ich war mit der Zeit so geschickt geworden, dass ich sogar schon am Wagen von Senhor Ladislau die Fledermaus gemacht hatte. Es fehlte nun einzig noch der schöne Wagen des Portugiesen. Ein herrlicher Wagen, und so gut gepflegt. Die Reifen wie neu. Alles Metallene war so blank, dass man sich darin spiegeln konnte. Die Hupe war herrlich: Sie brüllte heiser wie eine Kuh auf der Weide. Und er fuhr immer einfach so vorbei, der Besitzer dieser ganzen Herrlichkeit, und machte das verschlossenste Gesicht von der Welt. Niemand traute sich, eine Fahrt als Fledermaus an seinem Wagen zu unternehmen. Man sagte ihm nach, er schlage, töte und drohe, sein Opfer zu kastrieren, ehe er es totmache. Kein Junge von der ganzen Schule wagte es oder hatte es bisher jemals gewagt.
Als ich mit Knirps darüber sprach, sagte er:
»Wirklich keiner, Sesé?«
»Nein, keiner. Keiner hat den Mumm dazu.«
Ich merkte, dass Knirps lachte und beinahe erriet, was ich in diesem Augenblick dachte.
»Aber du bist versessen darauf, es zu schaffen, nicht wahr?«
»Ja, das stimmt. Ich glaube, dass …«
»Was glaubst du?«
Nun musste ich lachen.
»Sag schon!«
»Es ist toll, wie neugierig du bist.«
»Du erzählst es mir ja doch; immer endet es damit, dass du es mir erzählst, du hältst es sonst gar nicht aus …«
»Weißt du was, Knirps? Ich gehe um sieben Uhr von zu Hause weg, nicht? Wenn ich an die Ecke komme, ist es fünf nach sieben. Schön, und um zehn nach sieben hält der Portugiese mit seinem Wagen an der Ecke vom ›Hunger und Elend‹ und kauft sich eine Schachtel Zigaretten … Irgendwann in den nächsten Tagen werde ich mir ein Herz fassen, und dann huiii …!«
»Du hast keinen Mut.«
»Ich keinen Mut, Knirps? Na, du wirst sehen!«
Jetzt raste mein Herz im Galopp. Der Wagen stand. Er stieg aus. Knirps’ mangelndes Vertrauen, meine Angst, mein Mut, alles floss zusammen. Einerseits wollte ich nicht weiter, andererseits spornte mein bisschen Eitelkeit mich an. Ich ging um die Wirtschaft herum und stellte mich halb verborgen in einen Mauerwinkel. Dort steckte ich die Tennisschuhe in die Tasche.
Mein Herz schlug so laut, dass ich fürchtete, sie könnten es in der Wirtschaft hören. Er kam heraus, ohne mich zu bemerken.
Ich hörte, wie die Tür aufging …
»Jetzt oder nie, Knirps!«
Nach einem Sprung hatte ich mich mit den angespannten Kräften, die mir die Angst verlieh, an den Reservereifen geklammert. Ich wusste, wie groß die Entfernung bis zur Schule war. Schon fing ich an, die Wonne meines Triumphes auszukosten, den ich in den Augen meiner Schulkameraden lesen würde.
»Auuu!«
Ich stieß einen so lauten und schrillen Schrei aus, dass die Leute aus der Wirtschaft stürzten, um zu sehen, wer überfahren worden sei. Ich hing einen halben Meter über dem Boden und schaukelte, schaukelte. Meine Ohren brannten wie Feuer. Etwas in meinem Plan war schiefgegangen. In meiner Aufregung hatte ich vergessen, darauf zu achten, ob der Motor lief. Das finstere Gesicht des Portugiesen schien sich noch mehr zu verdüstern. Seine Augen sprühten Funken.
»Da haben wir dich, du unverschämter Bengel! Du also warst es? So ein kleiner Wicht und schon derart frech …«
Er ließ mich wieder auf den Boden herunter, gab eins meiner Ohren frei und hob drohend seinen dicken Arm.
»Denkst du etwa, du Schlingel, dass ich nicht längst gemerkt habe, wie du mein Auto belauerst? Ich werde dir einen Denkzettel geben, dass dir die Lust vergeht, so was noch mal zu tun!«
Die Demütigung war schmerzhafter als der eigentliche Schmerz. Ich hatte nur den einen Wunsch: dem groben Kerl einen Hagel von Schimpfwörtern an den Kopf zu werfen. Aber er ließ mich nicht los und schien meine Gedanken zu erraten, denn er drohte mit seiner freien Hand: »Schrei nur! Schimpf nur! Warum sagst du denn nichts?«
Meine Augen füllten sich mit Tränen, des Schmerzes wegen, der Demütigung wegen, der Menschen wegen, die die Szene miterlebten und schadenfroh lachten.
Der Portugiese fuhr fort, mich herauszufordern.
»Nun sag doch bloß, warum schimpfst du denn nicht, du Lausebengel?«
Eine maßlose Empörung quoll in mir auf, und voller Wut brachte ich heraus:
»Ich rede nicht, aber ich denke mir umso mehr. Und wenn ich einmal groß bin, dann bring ich Sie um.«
Er brach in Lachen aus, in das die Umstehenden einstimmten. »Na, dann werd mal groß, du Schlingel. Ich warte hier auf dich. Aber vorher will ich dir noch eine Lehre geben.«
Ehe ich mich’s versah, hatte er mein Ohr losgelassen und mich übers Knie gelegt. Er versetzte mir einen, nur einen einzigen Hieb, aber mit solcher Kraft, dass ich das Gefühl hatte, mein Hintern sei an den Bauch geleimt worden. Dann ließ er mich frei.
Halb betäubt ging ich davon, während alle ringsum sich über mich lustig machten. Als ich die andere Seite der Landstraße erreichte, die ich wie blind überquert hatte, war ich so weit, dass ich mit der Hand über den Hintern streichen konnte, um die Wirkung des empfangenen Schlags zu mildern. Dieses Arschloch! Er würde schon noch sehen! Ich schwor, ich würde mich rächen. Ich schwor, dass … aber der Schmerz verringerte sich, je weiter ich mich von diesem elenden Menschen entfernte.
Schlimm wäre es, wenn sie in der Schule davon erführen. Und was sollte ich Knirps sagen? Eine Woche lang würden sie mich auslachen, wenn ich am »Hunger und Elend« vorbeikäme, diese feigen Erwachsenen. Ich würde früher weggehen und die Straße an einer anderen Stelle überqueren müssen.
In diesem Zustand kam ich zum Markt. Ich wusch mir die Füße am Wasserhahn und zog die Tennisschuhe an. Da war Totoca, der mich längst erwartete. Ich nahm mir vor, nichts von meiner Blamage zu erzählen.
»Sesé, du musst mir helfen.«
»Was hast du angestellt?«
»Weißt du, wer Bié ist?«
»Der Dickwanst aus der Rua Baron Capanema?«
»Ja, de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Inhalt
  4. Erster Teil: MANCHMAL KOMMT ZU WEIHNACHTEN DAS TEUFELSKIND AUF DIE WELT
  5. Zweiter Teil: DAMALS ERSCHIEN IN SEINER GANZEN TRAURIGKEIT DAS GOTTESKIND
  6. Impressum