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Meisternovellen
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Über dieses Buch
Emil Ertl war einer der bedeutendsten Vertreter des österreichischen Heimat- und Geschichtsromans. In seinen Werken beschreibt er die soziale Entwicklung Österreichs und des österreichischen Bürgertums zur Jahrhundertwende 1900.Dieses Buch umfasst 15 ausgesuchte Novellen aus seinem Gesamtwerk.Null Papier Verlag
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Information
Der Salto mortale
In einer Herrengesellschaft lenkte sich das Gespräch auf eine gerade damals viel erörterte Gerichtsverhandlung, in der ein angesehener Mann, ein Fabrikdirektor, zu einer schweren Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Er hatte im Drang der Geschäfte oder aus Unachtsamkeit es unterlassen, in seinem Betrieb eine Schutzvorrichtung anzubringen, die ihm vom Gewerbeinspektorat vorgeschrieben worden. Die Versäumnis erstreckte sich eigentlich nur auf wenige Tage, dann wäre er dem behördlichen Auftrag ohne Zweifel nachgekommen. Aber das Unglück wollte es, daß gerade in diesen Tagen zwei Arbeiter, die sich übrigens der Anbringung jener Schutzvorrichtung hartnäckig widersetzt hatten, weil sie überflüssig und nur hinderlich sei, in die Maschine gerieten, wobei der eine von ihnen eine schwere Verstümmelung erlitt, der andere seine Unvorsichtigkeit gar mit dem Leben büßen mußte.
Indessen gab es, wie sehr man diese Opfer immer beklagen mochte, doch solche, die auch dem Fabrikdirektor ihre Teilnahme nicht versagten. Insbesondere nahm in jenem engen Kreise ein Großkaufmann in mittleren Jahren, der, schon von Haus aus wohlhabend, durch geschäftliche Tüchtigkeit hoch hinaufgekommen war, ihn lebhaft in Schutz, indem er die Ansicht vertrat, der Fabrikdirektor sei zwar gewiß nicht ganz ohne Schuld gewesen, dennoch aber kaum schuldiger als unzählige andere, die sich in nichts von ihm unterschieden, als daß sie weniger Pech gehabt hätten.
Ein höherer Beamter, der für ein Muster von Tadellosigkeit galt und sich ebenfalls in der Gesellschaft befand, widersprach.
»Und selbst wenn Sie recht hätten,« sagte er mit einem Anflug von Ungeduld: »Daraus, daß mancher Leichtfertige durchrutscht, läßt sich doch nicht folgern, daß ein der Leichtfertigkeit Überwiesener straflos ausgehen soll? Oder gehören Sie zu denen, die Schuld überhaupt leugnen, und wollen Sie für alles Geschehen statt der Menschen den bösen Zufall verantwortlich machen?«
»Durchaus nicht!« wehrte sich der andere. »Aber die gesellschaftliche Achtung, wie sie eine Gefängnisstrafe mit sich bringt, sollte nach meinem Gefühl nur da verhängt werden, wo die Absicht keine einwandfreie war. Ein Versehen, ein vorübergehendes Sichvergessen muß nicht notwendig eine Leichtfertigkeit, ein Versäumnis noch lange keine Gewissenlosigkeit sein. Wohl mancher unter uns hat in seinem Leben einmal einen schwachen Augenblick gehabt, in welchem er irgend etwas tat oder unterließ, worüber er, wollte es das Unglück, hätte straucheln, vielleicht sogar den Hals brechen können ... Ich selbst«, sagte er nachdenklich geworden, »erinnere mich einer kitzlichen Sache, deren Folgen gar nicht abzusehen gewesen wären, wenn – ja, wenn sie eingetreten wären. Sie blieben aus, und ich kam mit dem Schrecken davon. Aber es wäre pharisäisch, wollte ich nicht offen bekennen, daß ich damals mindestens ebenso schuldig – nein! viel schuldiger gewesen bin als jener Fabrikdirektor.«
Er lächelte, indem er hellen Auges um sich blickte, von einem zum andern.
»Bloß mehr Glück hatte ich in jenem Falle. Das ist alles!«
Jahre sind es her, ich diente zu jener Zeit bei der Feldartillerie und war als Reserveoffizier eingerückt, um das feldmäßige Schießen mitzumachen, als unsere Batterie an einem fast unerträglich heißen Spätsommerabend in einem armseligen Dorfe nahe der ungarischen Grenze ihren Einzug hielt. Die Unterbringung der Pferde und Mannschaft in den nicht zahlreichen und fast durchweg dürftigen Gehöften machte nicht geringe Schwierigkeiten, und der Quartiermacher hatte sich nicht anders zu helfen gewußt, als indem er die einzelnen Teile des zusammengehörigen Truppenkörpers trennte und fast jedes Paar der Bespannungspferde bei einem anderen Bauer einstellte. Der Quartierzettel, den ich für mich selbst in Empfang nahm, wies mich nach einem herrschaftlichen Schlosse, das etwa zwei Kilometer vom Dorfe entfernt lag.
Mein Pferd war übermüdet, aber es mochte ahnen, daß es nun endlich zur Krippe ging, und nahm seine letzten Kräfte zusammen. Eine Viertelstunde später ritt ich in den Schloßhof ein. Ein herrschaftlicher Stallbursche, der bereits auf mich gewartet zu haben schien, übernahm mein Tier und rief ein paarmal in den Flur hinein nach dem »Herrn Haushofmeister«. Darauf erschien ein Mann mit pechschwarzem Krauskopf und scharf ausgeprägten bartlosen Zügen, der eigentlich aussah wie ein Schmierenschauspieler, den man in eine seine Livree mit silbernen Knöpfen gesteckt hatte. Er forderte mich mit großer Würde auf, ihm in den ersten Stock zu folgen, wo mein Zimmer bereitstünde. Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, denn ich hatte eine wahre Sehnsucht nach Waschwasser und einem Ruhebett, um meine müden Glieder darauf auszustrecken. Mein erster Blick, als ich das geräumige Zimmer betrat, galt diesen Dingen, und mit Befriedigung bemerkte ich auf dem marmornen Waschtisch ein Becken, das jedem Goliath recht gewesen wäre, nebst einem Krug von der Höhe einer römischen Amphora, nur daß er bedeutend dickbauchiger war. Wer jemals Scheinkrieg spielend eine Woche lang in sengender Hitze auf staubigen Landstraßen umhergeritten ist, um abends in den verschiedenen mangelhaften Unterkünften ein Waschschüsselchen vorzufinden, daß in der Regel kaum viel größer war als eine Kaffeetasse, der begreift mein Entzücken. Auch ein Diwan befand sich in meinem Zimmer, so lang und breit, wie ich es nur wünschen mochte.
»Es ist gut, ich danke,« sagte ich zu dem Haushofmeister in der Absicht, ihn zu verabschieden.
Er verneigte sich und bemerkte mit einem eigentümlich steinernen Lächeln, das mich an das Lächeln der Zirkusleute erinnerte, wenn sie für Beifall danken: »Die Frau Baronin lassen um sieben Uhr zum Diner bitten.«
Ich gestehe, daß ich über diese Einladung nicht eben erfreut war; ein paar Beefsteaks mit Spiegeleiern auf mein Zimmer serviert, und zwar so bald als möglich, sowie ein tüchtiger Krug Bier dazu, das wäre mir in der Verfassung, in der ich mich befand, willkommener gewesen. Indessen behielt ich Lebensart genug, meine Gedanken vor dem sonderbaren Haushofmeister verborgen zu halten, und indem ich ihm meine Karte überreichte, beauftragte ich ihn, bei der Baronin anzufragen, wann ich mir die Freiheit gestatten dürfe, meine Aufwartung zu machen.
Er nahm die Karte in Empfang, stellte sie mit einer Ecke aufrecht auf die Spitze seines Zeigefingers, wo sie merkwürdigerweise ruhig stehen blieb wie eine Kerzenflamme, und sagte mit demselben steinernen Lächeln von vorhin: »Um halb sieben, vor dem Diner,« worauf er sich abermals verneigte und mich allein ließ. Meine Besuchskarte trug er auf dem Zeigefinger mit fort, ohne daß sie heruntergefallen wäre oder auch nur gewackelt hätte, gerade als sei dies die natürlichste und einfachste Art, eine Visitenkarte zu tragen.
Mir konnte es schließlich gleichgültig sein, wie er sie trug, ich legte die verstaubte Bluse ab und tauchte meinen Kopf ins Waschbecken, wobei mir zumute war wie einem Fisch, der nach langem Zappeln auf dem trockenen Sande durch einen glücklichen Sprung den Weg in die Flut zurückgefunden hat. Nachdem ich mich genügend erquickt und aus dem Gepäck, das mein Bursche inzwischen gebracht, einen funkelneuen Waffenrock hervorgesucht und angelegt hatte, streckte ich mich wohlgemut auf den Diwan und ließ den Rauch einer Zigarette zur weißen Decke steigen, die mit lustigem Rokokostuck ausgefüllt war. In dieser Tätigkeit wurde ich bald durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen, ein mir befreundeter Dragoneroffizier trat ein, Oberleutnant von Höchstorff. Meine Batterie war eine reitende, und wir manövrierten gemeinsam mit der Kavallerie. Ich hatte aber nicht gewußt, daß außer mir noch andere Offiziere in diesem Schlosse einquartiert waren.
»Liegt ihr ebenfalls hier?« fragte ich.
»Bloß meine Schwadron,« sagte er; »aber diesem Hause ist Heil wiederfahren: die Gottobersten wohnen unter seinem Dache.«
Wer alles da sei? wollte ich wissen. Und er eröffnete es mir: »Das ganze Oberkommando und der Stab der dritten Brigade.«
Der Gedanke, mich in so glänzender Gesellschaft zu befinden, war mir nicht ganz behaglich, ich wäre lieber mit meinen engeren Kameraden allein gewesen. Aber die lagen eine halbe Stunde entfernt in einem andern Herrensitz, dessen Name mir entfallen ist. Ich wußte, daß Höchstorff den Gotha'schen im kleinen Finger hatte, und erkundigte mich nach der Baronin, die unsere Wirtin war, und ob auch der Baron anwesend sei?
»Der alte Herr ist schon gestorben,« sagte er; »und mit seiner Witwe, der Freifrau, sind das so eigene Geschichten ...«
Was für eine Geborene sie sei? Er lachte; die sei überhaupt keine Geborene, behauptete er.
»Wenigstens nicht adlig, kapierst du?«
Er näherte sich meinem Ohr, und hielt die Hand an den Mund: »Eine vom Brettl ist sie gewesen.«
Eine Ahnung ging mir auf: »Und der komische Haushofmeister, der da herumspaziert?«
»Mit dem soll sie einst gearbeitet haben, wie die Artisten sagen. Ein ehemaliger Kollege – du verstehst? Ich bin gespannt, sie kennen zu lernen.«
Jetzt bemächtigte sich natürlich auch meiner eine gewisse Neugierde. Es war an der Zeit, uns zum Empfang einzufinden, der in einem großen, ebenerdig neben dem Speisesaal gelegenen Salon stattfand. Es glitzerte darin bereits von Orden und goldenen Kragen, ich wurde der Hausfrau vorgestellt und prallte fast zurück. Ein flüchtiges Aufleuchten ihres Auges sagte mir, daß sie mich wiedererkannt hatte wie ich sie. Ich beugte mich nieder und küßte ihre Hand. In demselben Augenblick riß ein Lakai die Flügeltüren auf und meldete, daß serviert sei. Sie erhob sich und rauschte am Arm einer kahlköpfigen Exzellenz in den Speisesaal, wo eine lange glänzende Tafel unter gläsernen Kronleuchtern gedeckt stand, an denen unzählige Wachskerzen brannten.
Als Subalterner von der Reserve saß ich natürlich am untersten Ende und konnte sie nur über Blumenaufsätze hinweg und zwischen Weinflaschen hindurch erblicken, wenn ich mich vorneigte. Sie unterhielt sich lebhaft mit ihren Nachbarn, sah verführerisch aus und schien kaum älter geworden, obgleich sechs oder sieben Jahre verstrichen waren, seit ich sie gekannt hatte, und sie schon damals in der Mitte der Zwanzig gewesen sein mochte. Das reich aufgesteckte glänzende Haar schimmerte unter den vielen Lichtern wie rotes Gold, und von den reizenden Ohrmuscheln wie im tiefen Ausschnitt des Kleides blitzten prächtige Solitärs bis zu mir herüber, funkelnden Tauperlen auf den Blütenblättern einer bleichen Rose vergleichbar – jener unbeschreiblich zarten, mattweißen Haut der Rotblonden. Nicht überflüssig übrigens zu bemerken, daß sie die gewandten Umgangsformen einer vollendeten Dame hatte.
Das Essen war auserlesen und die Weine suchten ihresgleichen. Meine Nachbarn, gleichgültige Truppenoffiziere, deren Gesichtskreis über den alltäglichen Dienst nicht weit hinausreichte, nahmen mich wenig in Anspruch, ich konnte meinen Erinnerungen nachhängen.
Das war auf dem Lido gewesen, da ich sie zum erstenmal gesehen hatte, bei einem Konzert auf der großen Veranda der Badeanstalt. Sie befand sich in Gesellschaft eines hochgewachsenen und vornehm aussehenden alten Kavaliers, dem ein prächtiger weißer Bart bis in die halbe Brust reichte. In meiner Unschuld hatte ich sie zuerst für seine Tochter gehalten. Aber von Zeit zu Zeit traf mich ein seltsamer Blick, einer jener wissenden, auf Abenteuer ausziehenden Blicke, die bereit scheinen, Verrat zu üben. Ich saß ihr gegenüber an einem Tischchen im Anblick des Meeres, während unten die Wogen rauschten und die Badenden Lärm schlugen, und beobachtete sie, wie sie eine Erfrischung zu sich nahm. Nebenbei bemerkt, war ich jung und noch unverheiratet. Sie werden von mir nicht verlangen, meine Herren – na, ich denke, es kann mir niemand übelnehmen, daß ich mich für die Dame interessierte. Sie war damals – ich will nicht gerade sagen eine Schönheit ersten Ranges, aber jedenfalls eine auffallende und pikante Erscheinung.
Ich sah sie dann noch öfter, und einmal, an einem Abend, sah ich das Paar auf der Riva in ein Hotel treten. Von da ab richtete ich es so ein, daß ich manchmal in diesem Hotel speiste. Der Zufall war mir gleich das erstemal günstig, ich kam in ihrer Nähe zu sitzen. Gelegenheit zu unscheinbaren kleinen Gefälligkeiten ergab sich wie von selbst. Der stattliche alte Herr war ein ungarischer Magnat und trug einen klangvollen gräflichen Namen. Er plauderte gern und war leicht zugänglich, ich machte seine Bekanntschaft. Sie galt für seine Frau und ließ sich Gräfin nennen. Ich wurde natürlich auch mit ihr bekannt. Unser Gespräch war oberflächlich und heiter, hie und da blieb ich noch nach dem Essen, und wir saßen im Gesellschaftsraum des Hotels oder auf dem Balkon, oder gingen noch gemeinsam auf dem Markusplatz spazieren, oder fuhren in einer Gondel – kurz, wir hatten uns bald alle drei aneinander gewöhnt und verbrachten manchen harmlosen Abend zusammen, indem wir uns die Zeit vertrieben, wie man es eben als Fremder in Venedig tut.
Einmal war der Graf nicht ganz wohl und zog sich bald nach der Abendmahlzeit auf sein Zimmer zurück. Ich saß mit ihr im Damensalon, da sagte sie unvermittelt: »Haben Sie eigentlich daran geglaubt, daß ich seine Frau bin?«
Ich war ehrlich und verneinte.
»Also brauchen wir uns kein Blatt vor den Mund zu nehmen,« meinte sie wie erleichtert.
Und sie erzählte mir allerlei aus ihrem Leben.
Der Graf hatte sie »ausbilden« lassen. Seit er Witwer geworden, reiste sie manchmal mit ihm, natürlich nur im Ausland.
»Er ist Gentleman durch und durch und ein scharmanter Mensch,« sagte sie; »ich hab ihm viel zu verdanken. Sie müssen nicht glauben, daß bei mir etwas zu holen ist – o nein, so eine bin ich nicht! Höchstens wenn mich einer heiraten wollte – dann könnte aber auch mein Graf nichts dagegen haben. Aufrichtig gesagt, möcht' ich für mein Leben gern in geordnete Verhältnisse kommen. Mit der Gymnastik ist es nicht gar so weit her, und mit dem bissel Singen und Tanzen steckt man schon gar nichts mehr auf – überhaupt die Kunst! ... Und was für eine Konkurrenz heutzutage!«
Sie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand.
»Wissen Sie, das ist so,« sagte sie: »Wenn man nicht was kann, das sonst keiner kann, so ist die Kunst ein brotloses Vergnügen. Im Orpheum habe ich einmal einen Kollegen gesehen, der ist in ein ganz enges Faß hineingekrochen, das war so hoch wie der ganze Mensch. Ein zweites, ganz gleiches Faß wurde in einiger Entfernung davon aufgestellt. Und jetzt ist der Kerl mit einem großartigen Salto aus seinem Faß ins andere hinübergesprungen. Sehen Sie, das war sensationell, das war eine Attraktion! Es ist aber auch jedesmal vor seiner Nummer eine Tafel ausgehängt worden, darauf stand geschrieben, daß er der einzige Mensch auf der Welt sei, der aus einem engen Faß in ein anderes enges Faß springen könne, und die Leute applaudierten wie nicht gescheit. Weil er eben wirklich der einzige war. Ja, wenn man so etwas kann, dann ist man freilich aus dem Wasser. Ich wollt', ich hätt' auch so eine Spezialität. Aber das ewige Reckturnen und die Luftakrobatik, das wird ja den Leuten schon fad. Und das Singen und Tanzen erst recht – ich bitt' Sie! So ein bißel Stimm' hat bald eine, und die Beine schon gar! ...«
»Dafür besitzen Sie wenigstens einen richtigen Mäzen,« sagte ich belustigt.
»No ja, das ist freilich auch etwas wert,« meinte sie naiv; »man muß halt zufrieden sein. Übrigens hätte er mich ohnedies geheiratet, aber seine Kinder, die schon erwachsen sind, wollen es halt durchaus nicht zugeben, und das begreif' ich auch ganz gut. Überhaupt – Unfrieden stiften in einer Familie, das mag ich nicht; geht's nicht, so geht's nicht, da läßt sich einmal nichts machen. Vielleicht findet sich gelegentlich ein anderer, der anbeißt.«
»Das wäre eigentlich auch so eine Art Salto ans einem Faß ins andere hinüber,« meinte ich.
»Warum?« fragte sie. »Was hat das mit dem Faß zu tun?«
Ich erklärte ihr, wie ich es meinte.
»Der Einzige zu sein auf der Welt, darauf kommt es an – sagten Sie nicht so? Also! Wenn einer sich in Sie verliebt, so sind Sie die einzige für ihn auf der Welt. Und wenn das ein vornehmer oder wenigstens reicher Herr ist, so springen Sie mit der größten Leichtigkeit vom Brettl in den Ehestand und in die gute Gesellschaft hinüber.«
Sie lachte.
»Auf so einen Glücksfall darf man sich halt nicht verlassen,« meinte sie; »inzwischen muß ich schon schauen, daß ich mir auch irgendeine Spezialität zuleg'. Denken Sie einmal darüber nach, wenn Sie Zeit haben, ob Ihnen nichts einfällt. Etwas recht Apartes müßt' es sein, ein Trick, der wirklich Aufsehen macht.«
Ich wußte nicht, wie weit es mit ihrer Kunst her sei, und meinte, ein Salto mortale werde aber darin nicht vorkommen dürfen?
Da maß sie mich ganz gekränkt von oben herab: »Warum denn nicht? Soviel werd' ich doch noch zusammenbringen! Was glauben Sie denn von mir?«
Das alles kam mir jetzt in die Erinnerung zurück, wie ich sie als vornehme Dame und liebenswürdige Wirtin an der Spitze der glänzenden Offizierstafel sitzen sah. Ich hatte seither nichts mehr von ihr gehört und wußte nicht, was sie inzwischen erlebt haben mochte. Nur den Tod des Grafen erinnerte ich mich einmal aus den Tageszeitungen erfahren zu haben. Er war so unglücklich gewesen, bei einem Sturz vom Pferde das Genick zu brechen. Das hatte sich bald nach unserem Zusammensein in Venedig ereignet. Sie selbst war mir ganz aus den Augen entschwunden, ich kannte auch weder ihren richtigen, noch ihren Künstlernamen. Daß es ihr nun wirklich gelungen schien, in den ersehnten Ehehafen ei...
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