Der Mädchenhirt
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Der Mädchenhirt

Ein Roman

  1. 220 Seiten
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Der Mädchenhirt

Ein Roman

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Über dieses Buch

Fassung in aktueller RechtschreibungWährend seiner Zeit als Lokalreporter in Prag kam Kisch die Inspiration für seinen Roman aus dem Zuhälter- und Prostituiertenmilieu Prags. Es sollte sein einziger Roman bleiben. Das Buch sollte übrigens schon recht früh als Stummfilm auf die Leinwand kommen.Kisch, orientiert am "vertikalen Journalismus" eines Kurt Tucholskys, hatte keine Berührungsängste gegenüber den sozialen Außenseitern der damaligen Zeit. Er schilderte das Leben der Nutten, Zuhälter und kleinen Ganoven und des hoffnungslosen Proletariats auf der Suche nach ihrem Stück vom Glück.Der junge Jarda Chrapot, ein Bewohner des heruntergekommenen Vergnügungsviertels von Prag, sieht vermeintlich nur eine Zukunft als Zuhälter vor sich. Gemeinsam mit seinen besten Freunden sitzt er in der gemeinsamen Lieblingsabsteige und schmiedet Pläne für eine bessere Zukunft. Sie versuchen, Mädchen an Land zu ziehen, Mädchen, die für sie auf den Strich gehen sollen. Sie sind Mädchenhirten.Kisch schildert die Erlebnisse der Halbstarken und Kriminellen Prags, als hätte er mit ihnen am Tisch gesessen.Mit 63 FußnotenNull Papier Verlag

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783962816735

SIEBZEHNTES KAPITEL

Jar­da denkt nach, wie er die Zeit bis zum Abend zu­brin­gen könn­te. Er hat nie­man­den, den er be­su­chen könn­te, den er be­su­chen möch­te. Nur nach Lui­se Hejl ist ihm ban­ge, di­rekt ban­ge. Aber er weiß nicht, wo sie wohnt. Die Emmy Dvořak wird si­cher ihre Adres­se wis­sen. Also geht er auf die Wal­statt zu Emmy Dvořak, die noch zu Bett liegt. Sie steht im­mer erst abends auf. »Na also, ha­ben sie dich schon her­aus­ge­las­sen«, emp­fängt sie ihn, sich mit dem Mit­tel­fin­ger die Res­te des Schla­fes aus den Au­gen­win­keln rei­bend.
Jar­da kommt nur fra­gen, ob sie kei­ne Nach­rich­ten von der Bet­ka habe. Nein, sie habe kei­ne Nach­rich­ten von der Bet­ka. Ei­nes schö­nen Ta­ges wird halt die Bet­ka da sein.
»Dei­ne Leu­te sind von der Kam­pa über­sie­delt? Nach Hol­le­scho­witz, hör ich.«
»Ja, ich war ein­mal bei ih­nen. Aber ich gehe nicht mehr hin. Die schimp­fen doch nur und wol­len noch Geld da­für.«
»Was macht die Lui­se Hejl?«
»Was soll sie ma­chen? Auf den Strich geht sie.«
»Weißt du nicht, wo sie wohnt?« Jar­da wirft das so hin. Als ob die Fra­ge nicht der Zweck sei­nes Be­su­ches wäre.
»Ja, ir­gend­wo in der Tuch­ma­cher­gas­se mit ih­rem Schams­ter.«
»Weißt du ihre Adres­se nicht?«
»Nein, die Haus­num­mer weiß ich nicht.« Em­mys Miss­trau­en ist wach ge­wor­den. »Wes­halb willst du denn die Adres­se wis­sen?«
»Gott, ich möcht sie ganz ger­ne spre­chen. Sie tut mir so leid. Ihr Lude soll ihr ja die gan­ze Nase zer­schla­gen ha­ben, und zu Hau­se hat ihre Mut­ter sie hin­aus­ge­wor­fen.«
»Es ist nicht so arg mit der zer­schla­ge­nen Nase, er hat sie halt an­stän­dig ver­prü­gelt. Wenn du die Lui­se tref­fen willst, sie kommt im­mer um neun Uhr abends ins Café ›Pis­tal­ka‹ in der Korn­gas­se. So ge­gen Mit­ter­nacht fin­dest du sie dann beim Pul­ver­turm. Aber nimm dich in acht: Ei­nes schö­nen Ta­ges wird die Bet­ka Knall und Fall aus Kos­ten­blatt hier sein!«
Sie dreht sich um und re­kelt sich zum Weiter­schla­fen.
Zu bei­den Sei­ten der aus bun­ten Glas­qua­dra­ten ge­füg­ten Türe des Café »Pis­tal­ka« wer­fen zwei vio­let­te Lam­pen­ku­geln Licht­strei­fen über die Fahr­bahn der Korn­gas­se auf das jen­sei­ti­ge Trot­toir, wo Jar­da abends im Schat­ten steht und auf die Lui­se war­tet.
Es sind um die­se Zeit nur Kell­ner und Stra­ßen­mäd­chen, die in das Café kom­men. Die meis­ten von der Tor­gas­se her, wo sie aus der Elek­tri­schen aus­ge­stie­gen sind. Ein Kell­ner kommt in der Drosch­ke an. Der Wa­gen bleibt vor dem Café ste­hen, bis der Kell­ner wie­der her­aus­kommt und dem be­freun­de­ten Kut­scher aus ei­ner Fla­sche Ko­gnak zwei Gläs­chen als Ge­gen­ge­fäl­lig­keit ein­schenkt. Der Wa­gen ver­stellt dem Jar­da die Aus­sicht in den Ein­gang, und er muss sich mehr zur Sei­te be­ge­ben, um die glas­bun­te Tür im Auge be­hal­ten zu kön­nen. Mäd­chen hu­schen die Stra­ße hin­un­ter. Die meis­ten ein­zeln, sel­te­ner sind sie zu zweit; das sind arme Ge­schöp­fe, die zu­sam­men woh­nen, weil sie al­lein nicht die Mie­te auf­brin­gen. Sie kön­nen da­her auch kei­ne Gäs­te zu sich nach Hau­se neh­men und krie­gen nur klei­ne­re Ta­xen. (Der Herr hat ja noch die Mie­te für ein Stun­den­zim­mer im Ho­tel aus­zu­le­gen.) Man­che der Mäd­chen trip­peln schnell die Stra­ße hin­un­ter, man­che ge­hen lang­sam mit weit aus­la­den­den Schrit­ten, an de­nen Jar­da vi­ri­le Nei­gun­gen er­kennt. Vie­le ha­ben kur­ze, knö­chel­freie Rö­cke. Die meis­ten schlen­kern mit den Hüf­ten, ha­ben ge­schnür­te Tail­len und un­glaub­wür­dig große Bu­sen, so­dass die Li­nie ih­res Kör­pers ein S ist. Be­vor sie die Caféhau­stü­re auf­schie­ben, wirft das vio­let­te Re­kla­me­licht einen Re­flex über die weiß ge­pu­der­ten Wan­gen und gibt ih­nen einen un­heim­li­chen, ge­spens­ti­schen Glanz. Man­che strei­chen sich noch das Haar zu­recht, fah­ren mit der Pu­der­quas­te, mit dem Pu­der­pa­pier über das Ge­sicht, glät­ten mit ei­ner Hand­be­we­gung das Kleid oder rich­ten ih­ren Hut, be­vor sie die Tür öff­nen. Eine schnäuzt sich auch schnell. Eine an­de­re kommt mit müh­se­li­gem Hin­ken. Jar­da kennt sie, es ist die Po­li­ca­jt­ka. Man nennt sie so, weil ein Bu­bent­scher Po­li­zist lan­ge ihr Maque­reau1 war. Sie ist ein­mal aus dem Ho­tel­fens­ter auf die Stra­ße ge­sprun­gen, als die Po­li­zei sie we­gen ei­nes Dieb­stahls ho­len kam, und hat sich bei­de Füße ge­bro­chen.
Dort kommt die Lui­se. Nein, sie ist es nicht. Das War­ten, die Be­fürch­tung, sie nicht zu er­ken­nen, hat Ja­ros­lavs Au­gen und Ge­dan­ken schon so sehr mit dem Bild der Er­war­te­ten an­ge­füllt, dass er sie in ir­gend­ei­ner an­de­ren zu se­hen glaubt.
Sie wird nicht kom­men, ge­ra­de heu­te nicht kom­men, be­fürch­tet Jar­da. Und jetzt ist es etwa halb zehn Uhr und viel zu spät, um in die Rit­ter­gas­se zu ge­hen und sich in das Duschnitz­sche Haus ein­schlie­ßen zu las­sen. So habe ich – ver­sucht er sich zu sa­gen – um ih­ret­we­gen mei­ne Ab­sicht auf­ge­ge­ben, und nun kommt sie gar nicht. Blöd­sinn! Aus­re­den! Ich hat­te ja gar nicht die Ab­sicht. Sonst wür­de ich hier nicht auf die Lui­se war­ten. Wozu durch­aus kein Grund vor­liegt.
Ein Wort des Pe­pik aus dem Spi­tal schlüpft über sei­ne Ge­dan­ken: »Manch­mal dankt mir ei­nes der Mä­del gar nicht mehr auf mei­nen Gruß.« Oder so ähn­lich. Vi­el­leicht wird auch die Lui­se … Na, ei­gent­lich hät­te sie al­len Grund. Aber, er kann es nicht aus­den­ken, dass die klei­ne Lui­se sich hoch­fah­rend von ihm ab­wen­den soll­te.
Jar­da schämt sich sei­ner Be­fürch­tung, schämt sich, dass er hier über­haupt im Schat­ten steht und auf ein dum­mes Ding war­tet, das ein­mal sei­ne Skla­vin war.
Dort kom­men wie­der zwei Mä­del. Sie sind dick. Hin­ter ih­nen wie­der eine. Und dann: Jar­da spürt, wie sein Atem Hem­mun­gen be­kommt.
Er geht ein Stück in die Fahr­bahn, dann ruft er: »Lui­se!« Sie kommt dem, der sie an­ruft, vom Bür­ger­steig zag­haft, neu­gie­rig ent­ge­gen.
»… dich Gott, Lui­se«, be­grüßt er sie.
»… dich Gott, Jar­da.« Sie sagt es lang­sam, mit ei­nem mil­den Stau­nen, und streckt ihm die Hand hin. Sie ist et­was be­fan­gen durch das Uner­war­te­te der Be­geg­nung. Aber da sie spürt, dass er ihr warm die Hand drückt, wird sie wach, und sie streift sein Ge­sicht mit zärt­li­cher Neu­gier. »Wie geht es dir? Bist du schon drau­ßen?«
Sein Kopf be­jaht. Er freut sich, dass sie mit ihm spricht, dass sie ihm noch kei­nen Vor­wurf ge­macht hat.
»Wie kommst du hier­her?«
»Ich woll­te dich spre­chen, Lui­se, ich fah­re mor­gen fort.«
»Willst du et­was von mir?«
»Nein, ich woll­te dich nur ein bis­serl spre­chen.«
Da er­hebt die klei­ne Lui­se wie­der so knapp, so un­frei­wil­lig den Kopf, wie da­mals, als Ja­ros­lav sie zum ers­ten Male zu sich ge­ru­fen hat. Als ob sie dem lie­ben Gott dan­ken woll­te. Und über Jar­da kommt ein un­ge­heu­res, weh­mü­ti­ges Glück­lich­sein und schwillt in ihm em­por und füllt sein gan­zes We­sen. Die Kam­pa ist nicht fort­ge­schwom­men.
»Du willst …« Sie un­ter­bricht sich und stellt eine an­de­re Fra­ge: »Die Bet­ka ist noch in Kos­ten­blatt, nicht?«
»Ja.«
»Und schreibt ihr ein­an­der?«
Am ra­schen Ton der Fra­ge merkt Jar­da, wes­halb sie ge­stellt ist. »Ach was, ich pfei­fe auf sie und sie auf mich.«
»Du willst …« – jetzt erst vollen­det sie die Fra­ge von vor­hin – »du willst mit mir ge­hen?«
Über Jar­das Rücken- und Kopf­haut rie­selt das Glück mit star­kem Schau­er. So viel hat­te er nicht er­war­tet, so viel nicht er­hofft. Er sucht ihre Hand und drückt sie be­wegt. Lui­sens Au­gen dan­ken mit In­brunst für die­sen Hän­de­druck.
»So komm!« Sie, die klei­ne Lui­se ist es, die den Jar­da auf­for­dert. Und er geht ne­ben ihr, er geht, er schleicht nicht mehr, wie er aus dem Ge­fan­ge­nen­haus, durch den Žiž­ka-Park, in das Café »Bra­si­li­en«, auf die In­sel Kam­pa und hier­her in das war­ten­de Dun­kel ge­schli­chen war. Aber auch so geht er nicht, wie die Kell­ner aus »Stadt Bu­da­pest« nach Zu­häl­ter­art ne­ben ih­ren Mäd­chen ge­gan­gen wa­ren: die Hän­de in die Ta­schen des of­fe­nen Pa­le­tots ge­steckt und doch die Arme aus­ein­an­der­ge­spreizt, dass die Frau­en ne­ben ih­nen ein Nichts wa­ren.
Sie lädt ihn ein, ob­wohl sie weiß, dass er eben aus dem Spi­tal kommt. Er er­in­nert sich, dass er viel­leicht noch krank ist, dass er die Klei­ne … Furcht­sam scheucht er den Ge­dan­ken von sich, er hat Angst, um die­ses Bei­sam­men­sein mit dem ein­zi­gen Men­schen zu kom­men, den er noch hat. Er ist ja, be­tont er sich aus­drück­lich, als ge­heilt ent­las­sen.
Ver­stoh­len schaut er sei­ne Beglei­te­rin von der Sei­te an. Sie sieht wirk­lich noch so un­schul­dig aus, ob­wohl sie eine große Fri­sur hat, und Pu­der über der Mund­fal­te und ein Ge­sund­heits­bü­chel im Täsch­chen.
Wäh­rend sie die Stie­gen zu ih­rem Zim­mer hin­auf­stei­gen und die Luft heiß aus sei­nem Mun­de geht, fällt ihm ein Kon­trast ein: zwi­schen sei­nen Stim­mun­gen von heu­te Mor­gen und de­nen des Jetzt.
Die Fal­ten des wei­ßen Pols­ters schei­nen aus dem Kopf der klei­nen Lui­se zu strö­men wie die Strah­len ei­ner Glo­rio­le. Wie bei ei­ner Ma­don­na aus dem Me­dail­lon. Er muss sie küs­sen, er hat nie ge­küsst und drückt nun mit lei­den­schaft­li­cher Zärt­lich­keit sei­nen Mund auf ihre Stirn, auf ihre Wan­gen, auf ih­ren Hals und auf ih­ren Mund.
»Du hast einen Bur­schen?«, er­in­nert er sich plötz­lich.
»Ja, ich woh­ne mit ihm. Emil heißt er.«
»Was ist er?«
»Er war frü­her In­ge­nieur, aber ohne Prü­fun­gen.«
»Und was macht er jetzt?«
»Er sucht sich eine Stel­lung, aber der Statt­hal­ter hat ihm ge­sagt, jetzt ist nichts frei. Er wird ihm sa­gen las­sen, wenn et­was frei wird.«
»Wo ist er bei Nacht?«
»Er sitzt im Chan­tant2 oder in ir­gend­ei­nem Café bis früh.«
»Und du hast ihn ger­ne?«
»Er muss doch bei Nacht weg­blei­ben, da­mit ich mir Gäs­te her­brin­gen kann.«
»Ja, na­tür­lich. Aber hast du ihn ger­ne?«
»Ja, weißt du, der Emil ist ein sehr ge­bil­de­ter Mensch, er hat schon die gan­ze Welt ge­se­hen. Er war in Bud­weis und in Na­chod und noch ir­gend­wo. Ich weiß gar nicht, wo er schon über­all war.«
»Aber er haut dich doch?«
»Weißt du, ich ver­die­ne es auch manch­mal. Ich bin ein großes Lu­der. Neu­lich hat mich so ein Stu­dent­chen im Hip­po­drom ge­be­ten, ich soll ihn mit­neh­men, ob­wohl er kein Geld hat. Da habe ich ihn eben mit­ge­nom­men – weißt du, er hat mich so ge­bet­telt. Sonst hät­te ich es be­stimmt nicht ge­tan, das darfst du mir schon glau­ben. Und weil ich mit dem Stu­den­ten die gan­ze Nacht bei­sam­men war, hat mich der Emil halt ge­prü­gelt. Was hät­te er denn tun sol­len? Du darfst nicht glau­ben, dass der Emil ein ro­her Mensch ist. Aber was hät­te er an­ders ma­chen sol­len als mich hau­en?«
Du dum­mes, lie­bes, dum­mes Tier. Jar­da, der ges­tern im Žiž­ka-Park den küs­sen­den Bur­schen ver­ach­te­te, muss sie küs­sen, im­mer wie­der küs­sen.
»Da wirst du mor­gen auch Prü­gel be­kom­men, weil du mit mir warst und kein Geld be­kom­men hast?«
»Ja, wenn du bis früh bei mir blei­ben willst, dann kann ich ihm kein Geld ge­ben und krie­ge früh Schlä­ge.«
»Du kannst ja sa­gen, dass du mit ei­nem frem­den Mann warst, und wie du ein­ge­schla­fen bist, sei er weg­ge­gan­gen, ohne dich zu be­zah­len.«
»Das geht nicht. Der Emil will, ich soll mir im­mer vor­her das Geld ge­ben las­sen.«
»So kannst du ja sa­gen, der Mann habe dir fünf Kro­nen ge­ge­ben, und wäh­rend du ein­ge­schla­fen warst, habe er dir das Geld wie­der aus der Hand­ta­sche ge­nom­men und sei fort­ge­gan­gen.«
»Ja, ja, das geht. Das ist ein gu­ter Ein­fall.« Be­wun­dernd blickt sie ih­ren Bett­ge­nos­sen an, der so un­ge­heu­er ge­scheit ist.
»Hast du mich ger­ne, Lui­se?«
Sie nickt eif­rig.
»Hast du mich lie­ber als den Emil?«
Drei Se­kun­den Nach­den­kens. »Ja.«
Sach­lich. Und zur Be­grün­dung hin­zu­ge­fügt: »Ich ken­ne dich ja auch viel län­ger.«
»Schau, Lui­se, möch­test du nicht lie­ber mit mir zu­sam­men woh­nen?«
Sie nickt ganz glück­se­lig.
Aber da fällt ihr ein, dass sie den Jar­da gar nicht al­lein ha­ben kön­ne: »Du meinst, bis die Bet­ka her­aus­kommt?« In ih­rem Ton ist ge­sagt, dass sie auch zur blo­ßen Stell­ver­tre­tung gern be­reit wäre.
»Nein, für im­mer.«
»Aber wenn die Bet­ka aus Kos­ten­blatt kommt?«
»Dann wer­fe ich sie hin­aus. Was geht sie mich an? Sie ist doch an mei­nem gan­zen Un­glück schuld.«
Die Lui­se denkt an­ge­strengt nach, wel­che Um­stän­de noch ein sol­ches Über­maß von Glück un­mög­lich ma­chen müs­sen. »Der Emil wird mich tot­schla­gen«, er­in­nert sie sich end­lich.
»Wenn ich ihn nicht vor­her tot­schla­ge«, brüs­tet sich Jar­da. Aber er sieht selbst ein, dass es vie­le große Hin­der­nis­se ge­ben wür­de. In Prag kann sei­nes Blei­bens nicht sein.
»Möch­test du mit fort fah­ren, Lui­se? Nach Wien?«
»O ja. Die rote Li­bu­scha ist auch in Wien und ver­dient dort viel Geld. Vor vier­zehn Ta­gen war sie hier, da hat sie einen Fuchs­pelz­kra­gen ge­habt und einen Astra­chan­muff und ein sil­ber­nes Hand­täsch­chen, und sie hat auch nicht deutsch ge­konnt, als sie weg­ge­fah­ren ist. O ja, ich möch­te gleich nach Wien. Ich wür­de mir mei­ne Chan­geant­blu­se ein­pa­cken, dann die blaue Moiré­blu­se und den Pe­pi­ta­rock und mei­ne schot­ti­sche Müt­ze. Dem Emil wür­de ich gar nichts sa­gen, dass ich weg­rei­se.« Sie ki­chert. Das dünkt ihr eine un­end­lich raf­fi­nier­te Idee, ih­rem Zu­häl­ter gar nicht erst an­zu­kün­di­gen, dass sie von ihm flüch­ten wol­le. »Wann fah­ren wir, Jar­da?«
»Vi­el­leicht mor­gen, viel­leicht über­mor­gen.«
»Hast du eine An­stel­lung in Wien?«
»Nein, ich wer­de mir eine su­chen.«
»Das macht nichts. Ich wer­de schon für uns bei­de ver­die­nen, bis du eine Stel­lung fin­dest. Eine Neue ver­dient im­mer mehr als die Al­ten. Die rote Li­bu­scha hat ge­sagt, in Wien ha­ben die Stra­ßen­mä­del mehr Schmuck als die Erz­her­zo­gin­nen.«
Der klei­nen Lui­se kommt das gar nicht als Op­fer vor, dass sie auf die Stra­ße ge­hen wer­de, um ih­ren Ge­lieb­ten zu er­näh­ren, das scheint ihr ganz selbst­ver­ständ­lich. Aber da­von will Jar­da nichts mehr wis­sen, da­von hat er ge­nug. Er wür­de kei­ne ru­hi­ge Se­kun­de ha­ben und müss­te im­mer­fort schau­ernd dar­an den­ken, dass ein an­de­rer dies keu­sche Ge­sicht an sich zie­he, dass ein an­de­rer an ihr sei­ne Lei­den­schaf­ten stil­le. Er will kein Zu­häl­ter mehr sein.
Er sagt das dem Mä­del. Er er­klärt der Lui­se, dass er von die­sem gan­zen Le­ben von Dir­nen und Zu­häl­tern ge­nug habe. Er spricht zu ihr und merkt, dass in ihre hell­blau­en Au­gen kein Ver­ste­hen dringt. Er spricht zu ihr, wie man mit ir­gend­ei­nem lie­ben Haus­tier oder mit ir­gend­ei­nem leb­lo­sen Ding spricht. Ein­dring­lich sagt er sich, zu ihr spre­chend, dass er nie wirk­lich ein Zu­häl­ter war. Dass ihn von Kind­heit an das al­les mit Ekel und Brech­reiz er­füllt habe. Dass die Zu­häl­ter kein schlim­me­res Ge­wer­be aus­üben als hun­dert­tau­send an­de­re Men­schen. Aber dass er für die­ses Ge­schäft nicht tau­ge, zu we­nig rück­sichts­los sei, viel zu fein emp­fin­dend …
»Ja, du warst im­mer ein fei­ner Jun­ge, das ist wahr.« Lui­se möch­te sich be­mü­hen, ihm zu zei­gen, dass sie sei­nen Dar­le­gun­gen fol­ge.
»Mein En­gel­chen, du wirst in Wien nicht mehr auf den Strich ge­hen, du wirst schön mit mir zu­sam­men woh­nen, wirst auf­räu­men und ko­chen, und ich wer­de dir Geld für die Wirt­schaft ge­ben, und wenn ich aus der Ar­beit nach Hau­se kom­me, wer­den wir uns küs­sen und ger­ne ha­ben.«
Das ver­steht die Lui­se. In ih­ren hell­blau­en Au­gen ist jetzt eine un­end­li­che Wär­me des Glücks. Sie kann das al­les gar nicht fas­sen, sie soll kei­ne Dir­ne mehr sein und nicht mehr zum Po­li­zei­arzt zur Vi­si­te ge­hen müs­sen und soll zu Hau­se blei­ben dür­fen und ko­chen und schla­fen wie die Ruže­na Rec, die den Schul­die­ner Ma­lik ge­hei­ra­tet hat. Kann es sein? Es kann doch nicht sein.
»Hast du denn so viel Geld?«
Die dum­me Lui­se hat her­aus­...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Inhaltsverzeichnis
  4. Danke
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  6. ERSTES KAPITEL
  7. ZWEITES KAPITEL
  8. DRITTES KAPITEL
  9. VIERTES KAPITEL
  10. FÜNFTES KAPITEL
  11. SECHSTES KAPITEL
  12. SIEBENTES KAPITEL
  13. ACHTES KAPITEL
  14. NEUNTES KAPITEL
  15. ZEHNTES KAPITEL
  16. ELFTES KAPITEL
  17. ZWÖLFTES KAPITEL
  18. DREIZEHNTES KAPITEL
  19. VIERZEHNTES KAPITEL
  20. FÜNFZEHNTES KAPITEL
  21. SECHZEHNTES KAPITEL
  22. SIEBZEHNTES KAPITEL
  23. Das weitere Verlagsprogramm