Weniger Demokratie wagen
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Weniger Demokratie wagen

Wie Wirtschaft und Politik wieder handlungsfähig werden

  1. 224 Seiten
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Weniger Demokratie wagen

Wie Wirtschaft und Politik wieder handlungsfähig werden

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Wer regiert, verliertWer regiert, verliertTiefes Unbehagen gegenüber Macht, Hierarchien und Autorität prägt unsere Gesellschaft. "Wer regiert, verliert" wird zur Regel. Das gilt selbst für die Obamas in der Welt, für Politiker und Unternehmensführer mit Charisma, Vision und Kompetenz. Angesichts von Dauerwahlkampf, Medienhype und Bürgerprotesten geht es oft nur noch um Inszenierungen und kurzfristiges Krisenmanagement. Reformen und Nachhaltigkeit sind ohne Chance. Auch das traditionelle Überlegenheitsgefühl der Demokratien droht verlorenzugehen. Der wirtschaftliche Erfolg Chinas und der Tigerstaaten nährt Zweifel an der Superiorität der Demokratie. Die Verknüpfung politischer und wirtschaftlicher Freiheit hat an Überzeugungskraft eingebüßt. Doch wie gelingt es, eine Welt mit zunehmender Komplexität, Vernetzung und Abhängigkeiten zu beherrschen?Weniger Demokratie wagen" untersucht den destabilisierenden, lähmenden Einfluss der "Stimme des Volkes", des Medienbetriebs, des anarchischen Web 2.0 und des alles anzweifelnden, emanzipatorischen Zeitgeists. Und wagt gleichzeitig auch den Versuch, einfache, aber umsetzbare Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Wirtschaft und Politik wieder handlungsfähig werden.

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Information

VI Deutschlands Problem mit der Demokratie

„Die Frage, wer herrschen soll, ist falsch gestellt. Es genügt, wenn eine schlechte Regierung abgewählt werden kann. Das ist Demokratie.“
Karl Raimund Popper, britischer Philosoph
„Demokratie ist wie Sex. Ist sie gut, ist sie sehr gut. Ist sie nicht so gut, ist sie immer noch ganz gut.“
John Kenneth Galbraith, amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler
Irgendetwas stimmt nicht mit der Demokratie in Deutschland. Dieses Gefühl haben heute sehr viele Menschen, und das auch schon recht lange. Wenn man genau hinschaut, schon seit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Einer der ganz Großen des modernen Deutschland formuliert seit Jahrzehnten, stellvertretend für viele Zweifler, immer wieder sein tiefes Misstrauen gegenüber den demokratischen Realitäten in seinem Vaterland. Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass glaubt, dass in Deutschland die Diktatur ständig um die Ecke lauert.
In den 60er Jahren prangerte er vor allem den verheerenden Einfluss alter Nazis an, rückte auch schon mal den CSU-Politiker Franz Josef Strauß oder den Verleger Axel Springer in die rechtsradikale, undemokratische Ecke. Und warnte vor der Restauration, der Wiederkehr Weimarer Verhältnisse oder gar der Nazis. Immer wieder prangerte er die Macht von „Großkapital und Banken“ an. Sie seien „die Verfassungsfeinde von heute“, so Grass 1999 (1). Das große Geld in den Chefetagen verlache „großmäulig und widerlich“ Regierung und Kanzler. Im Oktober 2007 warnte er vor einer „Demontage“ der Demokratie. „Wir werden aus hysterischer Terroristenfurcht mehr und mehr zu einem Überwachungsstaat.“ (2)
Die Demokratie heute sei wie in der Weimarer Republik gefährdet, glaubt der Schriftsteller. Die Demokratie drohe wie damals „ein Opfer der Lobby“ zu werden, der Staat werde „käuflich und geht auf eine schleichende Art und Weise zugrunde“. Die wachsende Abhängigkeit der Politik von den Lobbyisten wie die der Atom- und Pharmaindustrie sei das „Grundübel“. Es brauche deshalb eine „Bannmeile für Lobbyisten um den Bundestag“, verlangte Grass.

Der schöne Rebell und die hässlichen Politiker

Der fast 40 Jahre jüngere Schriftsteller und Philosoph Richard David Precht tritt heute politisch in die Fußstapfen von Grass. Auch er personifiziert kongenial das tiefe Unbehagen vieler Deutschen an der Politik und am Kapitalismus. Das war wohl auch der Grund, warum kaum ein anderer Intellektueller in Deutschland häufiger in Talkshows und Medien präsent war als der wortgewandte Rebell mit der Künstlermähne.
Precht glaubt die Demokratie in Gefahr: Er klagt die Macht der Konzerne und eine „Ideologie des Wachstums“ an, die keinen Wohlstand schaffe, sondern ihn ruiniere. Er ist sichtlich angewidert von dem „Moralzehrer“ des kapitalistischen Marktes, von dem „Demokratie-Theater“ und dem „deprimierenden Anblick“ von Angela Merkel und Guido Westerwelle. (3)
Dabei wäre es doch so einfach: Es brauche nur „ausgewiesene und unbestechliche Experten“ für die Führung des Staatsschiffes, notwendig sei mehr Mitbestimmung der Bürger, einfach mehr Demokratie: „Was fehlt, ist die Interdependenz, die Erfrischung, der Austausch, die Erdung, die Langfristigkeit und der soziale Sinn für die Wirklichkeit.“ Und Precht fragt mit unüberhörbar drohendem Unterton: „Wie lange lassen sich die Bürger das noch gefallen?“ Wenn sich nicht bald etwas grundlegend ändere, dann drohe eine Revolution, die werde, „so viel scheint gewiss, alles zerstören. Sie dürfte von rechts kommen, wie in Frankreich, in Ungarn, in Dänemark und in den Niederlanden. Und sie könnte Europa zerstören und seine Demokratien, die vor der wirtschaftlichen und sozialen Wahrheit flüchten wie der Skifahrer vor der Lawine.“
Precht verteidigt die Moral, die Werte, die Demokratie. Er formuliert griffig mit dem Pathos des Gutwilligen, der an der Verkommenheit der Realität zu verzweifeln droht. In Wirklichkeit bedient sich der Schriftsteller aller antidemokratischen Klischees der deutschen Romantik. Angerührt wird das Ganze mit naiven Klischees über den Kapitalismus. Vorgebracht wird es in dem Ton, der seit Jahrzehnten Erfolg hat: dem des Misstrauens gegenüber Autorität und Führung. Precht liefert Munition für Stimmungen, vor denen er warnt: Für das dumpfe Unbehagen der Bürger, wie es typisch wäre in einer jungen, unreifen Demokratie, wie sie die Weimarer Republik war. Wo das lange Suchen nach Lösungen als Schwäche, der politische Kompromiss als faul und die parlamentarische Auseinandersetzung als Theater von Streithanseln verächtlich gemacht wird.
Der dauerempörte Autor verspricht, Wege aus der Vertrauenskrise, dem „Sittlichkeitsverfall“ und der „Desorientierung“ zu zeigen. Dabei tut er im Grunde alles, um bei verunsicherten und zweifelnden Menschen auch noch das letzte Restvertrauen zu zerschlagen. Politik ist schmutzig, die Wirtschaft gierig. Wo bleibt, klagt der Edelmütige, bei diesen unansehnlichen Politikern das Schöne, wo bei der Verlogenheit Berlins das Wahre, wo bei all den Egoisten das Gute? Immer wieder wettert er gegen den Wachstumswahn.
Wie schön hatte schon der romantische Dichter Novalis vor über 200 Jahren traurig-hoffend die Moderne angeklagt:
„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen,
wenn die so singen, oder küssen,
mehr als die Tiefgelehrten wissen,
wenn sich die Welt ins freie Leben
und in die Welt wird zurück begeben, wenn dann sich wieder Licht und Schatten zu echter Klarheit wieder gatten,
und man in Märchen und Gedichten erkennt die wahren Weltgeschichten, dann fliegt vor einem geheimen Wort
das ganze verkehrte Wesen fort.“ (4)
Bei Precht heißt es prosaischer: „Wenn jeder in der Wirtschaft ausschließlich zweckrational seine Gewinne mehrt, wird das Fundament unterspült: Vertrauen, Fairness, Augenmaß und Anstand. Die Marktnormen kannibalisieren die Sozialnormen. Und die Folge sind Wirtschaftskrisen, am Schwarzen Freitag.“
Man möchte – wie so oft bei solch leidenschaftlichen Wallungen gegen die politischen Realitäten – Gesellschaftskundeunterricht und Grundkurs in Volkswirtschaft empfehlen. Das Fundament der Wirtschaft sind nicht Anstand und Augenmaß, sondern Bedarf und Mangel, Angebot und Nachfrage. Der Markt funktioniert, die sozialen Normen werden gesetzt. Politiker sollen das Gemeinwohl im Auge haben, aber es ist legitim und beabsichtigt, dass sie Interessen vertreten. Es gibt keinen Volkswillen, meistens gibt es sehr viele Sichtweisen und Interessen, oft sind sie kaum oder nicht vereinbar. Und in der Demokratie gibt es Gewinner und Verlierer.
„Bei aller Begeisterung für das jeweils eigene Weltbild: Es verstecken sich in der wirklichen Welt keine objektiv richtigen, wahren Lösungen, die man nur finden, erkennen und umsetzen muss (wozu blöde Politiker eben bekanntermaßen zu blöd sind)“, schreibt zu Recht der Sozialdemokrat Hans-Peter Bartels. (5)

Zynismus hilft kaum weiter

Auch Denker wie der Philosoph Peter Sloterdijk schüren das Gefühl über den „ausgeschalteten Bürger“ und beschuldigen die Herrschenden der „Anmaßung“. (6) „In der repräsentativen Demokratie werden Bürger in erster Linie als Lieferant von Legitimität für Regierungen gebraucht“, schreibt er, ganz stromlinienförmig erfasst von der mächtigen Welle demokratieskeptischer Stimmungen. Die Zukunft werde aus seiner Sicht von der Konkurrenz verschiedener Systeme zur „Bürgerausschaltung“ bestimmt, so der etwas zynische Befund.
Das größte Missverständnis dieser pessimistischen Sicht liegt in der grundsätzlich negativen Bewertung des Wesens einer repräsentativen Demokratie. Die abschreckenden Ergebnisse von „Räte-Demokratien“, von „sozialistischen Volksdemokratien“ oder der „Deutschen Demokratischen Republik“ sind bekannt. Gleichzeitig existiert eine aus historischer Sicht beeindruckende Erfolgsgeschichte der repräsentativen Demokratie. Ist sie, wie Sloterdijk suggeriert, nur das geschickte Kaschieren einer an sich anderen Machtausübung als die des souveränen Volkes? Nur ein ideologischer Überbau für eine an sich in Wirklichkeit anders konstituierte Gesellschaft? Marxisten würden das bejahen, sie sehen in der bürgerlichen Demokratie nichts anderes als das Kostüm kapitalistischer Herrschaft.
Wenn die geschichtliche Erfahrung der vergangenen 300 Jahre zum Maßstab genommen wird, die Realität nicht an abstrakten Idealen oder Visionen gemessen wird, gibt es auf die Fragen nach der Qualität der freien Systeme des Westens eine deutliche Antwort. Die humanste Art von Herrschaftsverhältnissen, die jeder Gesellschaft eigen ist, und das größte Ausmaß allgemeinen Wohlstands existieren in den modernen Demokratien des Westens. Wo um alles in der Welt lebt es sich besser und freier als eben in jenen Ländern mit Marktwirtschaft und repräsentativer Demokratie? Der Jahrhunderte währende Zustrom der Menschen nach den USA, Kanada, Australien und Europa hält unvermindert an. Es gibt kaum einen besseren Beleg für die grundsätzliche Überlegenheit des Systems als die Abstimmung der Füße.
Grass, Precht und alle anderen, die seit langer Zeit immer neue Untergangsszenarien beschwören, betreiben aus nüchterner Distanz betrachtet nicht viel anderes als Panikmache. So wie manche Medien skandalisieren, so dramatisieren diese Intellektuellen. Und sie schmeicheln, loben und preisen die Zuschauer und die Leser, sie selbst könnten es am besten richten; würden sie nur mehr zu sagen haben, wäre alles besser. Katastrophengeschrei und Anbiederung zahlen sich meistens aus, politisch oder geschäftlich, zuweilen sogar beides.

Demokratie steht nicht vor dem Untergang

Der Grund allen Übels liege darin begründet, dass die anderen, die Mächtigen, die Gesellschaft, die Kapitalisten einem nicht zuhören, nicht genug Raum lassen, zu wenig Mitbestimmung erlauben, nicht mehr Partizipation ermöglichen. Der Schreckensvision folgt der Verkauf des Allheilmittels zum Spottpreis: Es kostet den Produzenten ein paar böse Worte. Der Patient fühlt schon bei der Entgegennahme des Rezepts die heilende und tröstende Wirkung. Die wahren Kosten trägt eine Gesellschaft, in der sich immer weniger Menschen trauen, für sie einzutreten.
Der Untergang der Demokratie soll bevorstehen, weil viele Menschen über die Politik schimpfen, die Wahlbeteiligung sinkt, Bürger gegen Bahnhöfe und Kernkraft demonstrieren? Mitnichten. Was Deutschland wirklich nicht fürchten muss, ist das Gespenst der faschistischen Diktatur, auch nicht der kommunistischen Machtübernahme. Und auch eine Revolution scheint unvorstellbar.
Rechtsradikale treiben vor allem in den neuen Bundesländern ihr Unwesen, das muss man ernst nehmen. Wenn Gesetze verletzt werden, sind Staatsgewalt und Justiz gefordert, ansonsten gilt es, Rechtsradikale politisch zu bekämpfen. Es gibt gewaltbereite Anarchisten und Linksextremisten, deren gelegentliche Raserei zu tolerieren falsch wäre – eine Gefahr für den Staat stellen sie nicht dar. Die Anziehungskraft linker Kräfte, die sich vielleicht nach neuen sozialistischen Experimenten für Deutschland sehnen, scheint bisher doch begrenzt.
Für eine politische Dramatisierung der Extremisten in Deutschland gibt es nach dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wenig Grund. Jede Demokratie hat ihre Flügel, ihre Radikalen, ihre Extremisten – auf beiden Seiten. Es ist die Normalität der Demokratie. Es gibt in ganz Westeuropa antidemokratische Kräfte, erstaunlich viele antisemitische Emotionen, bei Rechten und bei Linken. Im deutlichen Unterschied zu den jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa scheinen im „alten Europa“ jedoch nirgendwo ernsthaft Grund- und Menschenrechte bedroht.
Deutschland steht keine Machtübernahme, keine Revolution und keine Radikalisierung bevor. Es gibt viel Grund, in mancher Hinsicht der Reife der Gesellschaft gegenüber alten Gespenstern der Geschichte zu vertrauen – die mit ihren überholten Ritualen in der Mediengesellschaft ohnehin wenig Chancen haben. Die Abwesenheit einer wirklichen Bedrohung durch Neonazis oder Kommunisten heißt nicht, dass die Destabilisierung der Gesellschaft weniger gravierend sein muss. Es ist nur niemand zu sehen, Gott sei Dank, der das in politisch gefährliche Kanäle lenken könnte.
Das ist keine Garantie für die Zukunft. Tatsächlich haben Populisten und politische Rattenfänger Chancen, wenn die Politiker versagen, die Krisen sich verschärfen, die politische Kultur zu wenig Stabilität hat und vor allem, wenn es für die Verunsicherung der Menschen keine befriedigenden Antworten gibt. Gefährlich wären falsche Antworten, beispielsweise die Vorstellung, mit „mehr Partizipation“ würde die Gesellschaft neue, innere Bindungskraft erhalten. In manchen Bundesstaaten der USA kann dauernd abgestimmt werden, über Sheriffs und Abgeordnete, Marihuana-Anbau und Homo-Ehe, Gen-Anbau und Ausländergesetze – das Unbehagen am System ist kaum geringer als in vielen Ländern Europas.
Für die neuen Krisen aller Art in Gesellschaft und Politik müssen Lösungen und Antworten gefunden werden. Manchmal mögen Partizipationsangebote hie und da sogar sinnvoll dazu zugehören. Die adäquate Reaktion auf die modernen Herausforderungen ist die Forderung nach „mehr Demokratie“ sicher nicht. Mit ihr verbindet sich eine Reihe von Mythen, die einer rationalen Überprüfung nicht standhalten.
Die Verunsicherung einer sich ständig wandelnden, sich zunehmend zersplitternden Gesellschaft, der Mangel an Vertrauen in Institutionen, Personen und Ideen, die als ziel- und sinnlos erlebte Wirklichkeit und die diffusen Zukunftsängste werden durch mehr Volksabstimmungen oder Wahlen nicht beseitigt. Mehr Partizipation hätte im besten Fall und auch nur vorübergehend einen leichten Placebo-Effekt.

1 Stolz auf Widerstand – nicht auf Deutschland

„Das Volk hat fast nichts zu sagen. Wir haben weder Herrschaft durch das Volk noch für das Volk – und damit keine wirkliche Demokratie.“
Hans Herbert von Arnim, Staatsrechtler
Wer die Diskussion in Deutschland über Politik verfolgt, könnte zuweilen denken, das System sei so verrottet, wie es das Ägypten Hosni Mubaraks oder die alte DDR Erich Honeckers waren. Das gilt nicht nur für die Weltuntergangsbeschwörer von „Der kommende Aufstand“, den französischen Apologeten einer blinden, gewalttätigen Revolte. Für Kritiker wie Precht und Sloterdijk ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich auch in Deutschland die Bürger endgültig verweigern. Friedensbewegte und Umweltschützer, Gegner der Kernkraft und von Stuttgart 21, Gewerkschafter und Attac, Linke und Antifaschisten werden dann durch die Städte ziehen, vereint im Protest gegen die Herrschenden in Berlin und die unerträglichen Zustände im Land.
„Bürger lasst das Gaffen sein, kommt hierher und reiht euch ein“, würden sie skandieren, so wie damals, 1968 in Frankfurt und Berlin. Das Volk macht nicht mehr mit, auch Polizei und Bundeswehr verweigern schließlich dem Regime in Berlin die Gefolgschaft. Die abgehalfterte Politikerkaste müsste aufgeben. Zerknirscht verließe eine bleiche Angela Merkel das Kanzleramt. Die Abgeordneten im Bundestag würden kleinlaut ihre Büros räumen. Volkskomitees und Bürgerorganisationen übernähmen die Parteizentralen von CDU, SPD und FDP. Wirklich demokratischen Verhältnissen stünde nichts mehr im Weg.
Nicht mal sentimentale Alt-68er dürften von solchen aberwitzigen Szenarien träumen. Wenn man aber – wie Precht – die „Montagsdemonstrationen“ der Bahnhofsgegner in Stuttgart mit denen der mutigen Freiheitsproteste in Leipzig gleichsetzt, wenn Globalisierungskritiker mit fast religiösem Pathos die Apokalypse beschwören, wenn die Opfer von Schlachten zwischen Polizei und Demonstranten als Märtyrer verklärt werden, dann könnte man wirklich denken, Deutschland wäre bald mit Massenprotesten und Aufständen konfrontiert.
Demonstrationen wurden schon oft, geschichtslos und geschmacklos, zum „Widerstand“ überhöht. Das war sogar den Jusos, selbst entschiedene Gegner von Stuttgart 21, zu viel. „S21 wird (…) von manchem geradezu zur Apokalypse, von anderen gar zum letzten Gefecht im Kapitalismus stilisiert. Hier verschieben sich die Maßstäbe in einen unerträglichen Zustand (…) Wenn das Fällen von Bäumen mit dem Recht auf Widerstand bei Bedrohung der demokratischen und sozialen Ordnung bekämpft wird und sich die Bewegung gegen S21 als ,Widerstand‘ bezeichnet, dann überhöht sie ihr Tun und (…) blendet den historischen Kontext aus.“ Mit „Widerstand“ werde in Deutschland der Kampf des antifaschistischen Widerstands gegen die Nazis verbunden, betonten die Jusos zu Recht. (2)
In Deutschland hat sich seit langem eingebürgert, Proteste zum „Widerstand“ zu glorifizieren. Dabei ist die Bilanz der deutschen Protestbewegung nach dem Krieg alles andere als glorreich – auch wenn heute die Atomgegner g...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhalt
  2. Vorwort
  3. Zerrbild der Politik: Überall Nieten an der Macht?
  4. I Verachtete Politiker und unwissende Bürger
  5. II Politik 24/7
  6. III Die Hysterie der Medien
  7. IV Die Last der Transparenz
  8. V Die verunsicherte Gesellschaft
  9. VI Deutschlands Problem mit der Demokratie
  10. VII Beispiel USA: Wachsende Zweifel am System
  11. VIII Von den Chinesen lernen?
  12. IX Partizipation und Demokratie in der Wirtschaft
  13. X Warum „weniger Demokratie“ die bessere Demokratie ist
  14. Nachwort
  15. Anmerkungen
  16. Danksagung