III
Geschäftsmodell
Wir haben uns entschlossen, für die von uns beschriebene IT-Organisationsform die Bezeichnung „konzerngebundener IT-Dienstleister“ zu nehmen. Wir sind jedoch während unserer Recherchen auf eine Vielzahl anderer Begriffe gestoßen, welche ähnlich und synonym verwendet werden könnten. Dazu zählen unter anderem „Shared-Service-Organisationen“ beziehungsweise „Shared-Service-Center“ oder auch „konzerninterner IT-Dienstleister“.
Historie der Konzern-IT
Um das Geschäftsmodell konzerngebundener IT-Dienstleister sowie das Selbstverständnis der IT-Mitarbeiter besser verstehen zu können, geben wir einen kurzen historischen Abriss zur Entwicklung der Konzern-IT. Alle von uns untersuchten konzerngebundenen IT-Dienstleister entstammen der klassischen IT-Abteilung. Seit Beginn der IT stand die Technik immer im Fokus, die Mitarbeiter verstanden sich als Technikspezialisten. Basierend auf diesem Wissen entwickelte sich bei dem Großteil der IT-Experten die Einstellung, eigentlich am besten zu wissen, was für das Geschäft gut ist. So bestimmten sie zum Beispiel oft allein, mit Hilfe welcher Anwendungen die Benutzer ihre Geschäftsprozesse durchführen sollten. Weitere typische Aussagen zeigen die Einstellung vieler IT-Mitarbeiter [6]:
• „Wir vertrauen auf unsere Planungs- und Kontrollsysteme!“
• „Hierarchie erzeugt die bestmöglichen Lösungen!“
• „Wir müssen sicherstellen, dass das Geschäft alles richtig macht!“
• „Das Geschäft übernimmt alle bei uns entstandenen Kosten!“
• „Wir setzen unser Budget und managen es!“
• „Wir teilen dem Geschäft Dinge mit, von denen wir glauben, sie müssten sie wissen!“
Es ist offensichtlich, dass das Geschäft nicht optimal mit IT-Services versorgt wurde, aber in den vergangenen Jahren hat sich ein Wandel vollzogen. Unter anderem durch immer bessere Vergleichbarkeit der IT-Services und das breite Outsourcing-Angebot auf dem externen Markt hat der Druck auf diese klassische, technikzentrierte IT-Abteilung zugenommen. Um konkurrenzfähig zu sein, ist bei den Mitarbeitern ein radikaler Sinneswandel notwendig, weg von der Technikfokussierung, hin zu Kunden und Anwendern.
Um das Geschäftsmodell konzerngebundener IT-Dienstleister besser verstehen zu können, ist die Kenntnis der organisatorischen Entwicklung ihrer Vorgängerbereiche hilfreich.
Organisationstechnisch waren die 1970er Jahre geprägt von IT-Zentralabteilungen, die IT-Services für den gesamten Konzern erbrachten. Diese Unternehmenszentralen wurden größer, mächtiger und unflexibler. Deshalb gab es in den 1980er Jahren Dezentralisierungswellen. So wurden beispielsweise allgemeine Verwaltungs- und Unterstützungsfunktionen in die operativen Geschäftsbereiche verlegt. Die Erbringung dieser IT-Services war auf die jeweiligen Anforderungen der Bereiche zugeschnitten, was innerhalb der Konzerne zu heterogenen IT-Systemlandschaften führte. Kritisch waren Schnittstellenprobleme zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen und höhere Kosten, unter anderem aufgrund von Doppelarbeit. Diese Probleme traten in den 1990er Jahren stärker in den Vordergrund und man erachtete weitere Umstrukturierungen als notwendig. Es war das Ziel, die Vorteile von Zentralisierung und Dezentralisierung miteinander in einer neuen Organisationsform zu verbinden [72]. Es sollen Konsolidierung und Standardisierung erreicht werden, kombiniert mit Kundennähe, Flexibilität und Effizienz. Es entstand das Geschäftsmodell der konzerngebundenen IT-Dienstleister.
Gründe gegen Outsourcing
Es gibt eine Vielzahl von Motiven, welche zur Gründung konzerngebundener IT-Dienstleister geführt haben. In einer Untersuchung von PA Consulting Group gaben 30 Prozent der Befragten an, dass eine Prozessstandardisierung der Hauptgrund sei, gefolgt von der Nutzung von Skaleneffekten. Weitere genannte Gründe sind bessere IT-Servicequalität und der Fokus auf das Kerngeschäft [52].
Die Motive für die Etablierung konzerngebundener IT-Dienstleister ähneln jenen, die beim Outsourcing genannt werden, aber es gibt diverse Punkte, die für konzerngebundene IT-Dienstleister sprechen und gegen das Outsourcing:
• Als erstes Motiv sind die Kosten zu nennen. Vielfach wird davon ausgegangen, dass externe IT-Dienstleister per se günstiger sind. Viele IT-Verantwortliche sind mit den Kosteneinsparungen durch Outsourcing-Geschäfte unzufrieden. So stellen externe IT-Dienstleister viele Kosten in Rechnung, die vom Outsourcing-Nehmer als schon im Preis inbegriffen angesehen wurden. Zudem schlagen externe IT-Dienstleister eine üppige Gewinnmarge, teils über 35 Prozent, auf die internen Kosten auf. Die Marge ist bei konzerngebundenen IT-Dienstleistern dagegen beschränkt [18].
• Der Eingriff in Unternehmenskultur und Prozessabläufe durch Outsourcing darf nicht unterschätzt werden. Während bei einem konzerngebundenen IT-Dienstleister die Mitarbeiter weiterhin im Konzern bleiben, prallen bei der Zusammenarbeit mit externen IT-Dienstleistern verschiedene Unternehmenskulturen und Prozessabläufe aufeinander [18]. So hat beispielsweise jedes Unternehmen seine eigenen Leitbilder, Werte, Umgangsformen mit Mitarbeitern oder Kommunikationsstile. Diese Unterschiede in den Unternehmenskulturen können zu schwerwiegenden Problemen beim Outsourcing führen, wie Erfahrungen vieler Informatikchefs zeigen. Durch Missverständnisse und Unsicherheit sinkt die Arbeitsproduktivität, das Unternehmen verliert gute Mitarbeiter und damit wichtiges Wissen. Teils dauert es Jahre, bis die IT-Organisation wieder reibungslos funktioniert.
• Viele Konzerne schätzen das Risiko in puncto Datensicherheit als zu hoch ein und verzichten deswegen auf Outsourcing. Die Angst, dass sensible und wettbewerbskritische Informationen in falsche Hände geraten könnten, ist präsent. Es wird die konzerninterne Lösung bevorzugt [18].
• Häufig wird die Besorgnis geäußert, man könnte in ein zu starkes Abhängigkeitsverhältnis zu einem externen IT-Dienstleister geraten, besonders bei IT-Services, die keine Commodity darstellen. Denn die Einflussmöglichkeiten auf externe IT-Dienstleister sind gering. Im Gegensatz dazu kann der Konzern auf den konzerngebundenen IT-Dienstleister einwirken und ist nicht den reinen Mechanismen des Marktes ausgeliefert.
• Durch Outsourcing geht konzerninternes Wissen über Informationstechnologie und Prozesse verloren. Dadurch wird die Steuerung des externen IT-Dienstleisters erschwert, Abhängigkeiten erhöht sowie ein späteres Insourcing verkompliziert.
• Die fehlende Kenntnis der Konzernprozesse ist ein weiterer Nachteil des Outsourcings. Im Gegensatz zu konzerngebundenen IT-Dienstleistern haben externe IT-Dienstleister oft nur beschränktes Branchenwissen und verfügen über keine Kenntnis der konzerninternen Prozesse. Auf die spezifischen Rahmenbedingungen, denen eine Branche beziehungsweise ein Konzern ausgesetzt ist, kann beim Outsourcing nur teilweise eingegangen werden.
Durch die Nutzung von Informationstechnologie können unternehmerische Chancen für den Konzern entstehen. Konzerngebundene IT-Dienstleister können als Business-Enabler agieren und sind durch die enge Bindung an den Konzern gut geeignet, das Mutterunternehmen bei der Wahrnehmung dieser Chancen zu unterstützen.
• Der konzerngebundene IT-Dienstleister ist verpflichtet, den Konzern mit allen benötigten IT-Services zu unterstützen, es besteht Lieferpflicht. Externe IT-Dienstleister können die Belieferung bestimmter Standorte oder Regionen des Konzerns ablehnen.
Grundmerkmale des Geschäftsmodells konzerngebundener IT-Dienstleister
Das Konzept konzerngebundener IT-Dienstleister wird in Praxis und Literatur als relativ elastisch und dynamisch angesehen. Grundsätzlich verstehen wir unter einem konzerngebundenen IT-Dienstleister ein Unternehmen, das dem Konzern gehört und vorrangig Konzernkunden mit IT-Services beliefert. Detaillierter können konzerngebundene IT-Dienstleister anhand folgender, in Praxis und Literatur allgemein akzeptierter Merkmale beschrieben werden [63]:
• Konsolidierung von Unterstützungsprozessen: In dezentral aufgestellten Konzernen hat jeder Geschäftsbereich seine eigenen Unterstützungsservices (beispielsweise Lohnabrechnungen oder IT-Services) für die Kernprozesse. Diese sind genau auf die Bedürfnisse der jeweiligen Geschäftseinheiten zugeschnitten. Jene dezentral durchgeführten Unterstützungsprozesse werden in einer separaten Organisationseinheit, dem konzerngebundenen IT-Dienstleister, zusammengeführt und konsolidiert. Ziele sind die Vermeidung von Doppelarbeit und das Erreichen von Synergien. So können beispielsweise durch Bündelung von Entwicklung, Wartung und Betrieb von IT-Services die entstehenden Kosten zwischen den Geschäftsbereichen aufgeteilt werden. Dabei ist zu betonen, dass es nicht nur eine einfache Konsolidierung gibt, sondern dass Optimierung und Effizienzsteigerung der Prozesse im Vordergrund stehen. Prozesse, die vormals Unterstützungsleistungen für das Geschäft darstellten, sind jetzt die Kernprozesse der konzerngebundenen IT-Dienstleister und im Fokus dieser Organisation.
• Fokussierung auf Konzernkunden: Der starke Fokus konzerngebundener IT-Dienstleister auf den Konzernkunden wird explizit als Eigenschaft dieses Geschäftsmodells erwähnt. Damit soll die Abgrenzung zum herkömmlichen Ansatz der zentralen IT-Abteilung deutlich gemacht werden, die wie ein Monopolist gegenüber den internen Abnehmern der IT-Services auftritt [4]. Zudem liegt der Fokus bei IT-Abteilungen oft auf der Technologie. Konzerngebundene IT-Dienstleister hingegen fokussieren auf optimale Unterstützung der Konzernkunden mit IT-Services. Der Schwerpunkt liegt auf dem IT-Service-Output, also der vertraglich vereinbarten Qualität zum vereinbarten Preis.
• Halbautonome, eigenständige Organisationseinheit: Konzerngebundene IT-Dienstleister sind eine von anderen Bereichen klar getrennte Organisationseinheit mit eigener Verantwortung und eigenem Management. Nur dadurch ist eine Trennung der Governance-Funktion von der eigentlichen IT-Leistungserstellung möglich, wie bereits in Kapitel II beschrieben. Im Konzern wird gezeigt, dass etwas Neues entstanden und der konzerngebundene IT-Dienstleister keine neue Zentralabteilung ist. Oft wird der Begriff „halbautonom“ verwendet [4]. Er soll signalisieren, dass konzerngebundene IT-Dienstleister zwar wie ein separates Unternehmen geführt werden, aber stark vom Mutterunternehmen abhängig sind. So gehören konzerngebundene IT-Dienstleister 100-prozentig dem Konzern, welcher gleichzeitig der Hauptkunde ist.
• Übernahme von Unterstützungsleistungen für Kernprozesse: Bei den Unterstützungsleistungen für die Kernprozesse wird zwischen transaktionsorientierten und komplexen, wissensbasierten Prozessen unterschieden. Typische transaktionsorientierte Prozesse sind Lohnabrechnung, Rechnungswesen und Buchhaltung oder Rechenzentrumsbetrieb. Charakteristische wissensbasierte Prozesse sind unter anderem Finanzanalysen, das Training von Mitarbeitern, Applikationsentwicklung oder die Immobilienverwaltung. Bei transaktionsorientierten Prozessen handelt es sich um Prozesse, die einen hohen Gemeinsamkeits- und Standardisierungsgrad und wenig Schnittstellen mit anderen Prozessen und Technologien haben, geringes finanzielles und geschäftliches Risiko mit sich bringen, nur in geringem Umfang von externen Kunden abhängig sind sowie ein hohes Automatisierungspotential aufweisen.
• Belieferung mehrerer Geschäftsbereiche/Kunden: Konzerngebundene IT-Dienstleister beliefern mehrere Geschäftsbereiche des eigenen Konzerns, wobei es keine Beschränkung auf einzelne Länder oder Regionen gibt. Ferner ist die Lieferung der IT-Services an Drittmarktkunden möglich. Der Fokus liegt auf standardisierten IT-Services, die alle Geschäftsbereiche ähnlich oder gleich beziehen.
• Optimierung des Ressourceneinsatzes: Die Etablierung konzerngebundener IT-Dienstleister trägt zu einer verbesserten Wertschöpfungsorientierung im Gesamtkonzern bei, da die strategischen Geschäftseinheiten sich verstärkt auf ihre Kernprozesse konzentrieren können. Grund ist die Übernahme der Unterstützungsprozesse durch den konzerngebundenen IT-Dienstleister. Die einzelnen Geschäftseinheiten sind in der Lage, ihre Managementressourcen auf die Kernkompetenzen zu konzentrieren und nicht auf die Abwicklung von Unterstützungsfunktionen.
• Orientierung am externen Wettbewerb: Um eine markt- und wettbewerbsorientierte Sichtweise einnehmen zu können, werden innerhalb der konzerngebundenen IT-Dienstleister umfassende Marktkenntnisse benötigt. Dazu gehören beispielsweise Informationen über Wettbewerber auf dem Drittmarkt, Gegenüberstellungen mit eigenen Stärken und Schwächen oder Preis-Benchmarks. Bei letzteren werden die internen Preise der konzerngebundenen IT-Di...