Geschichte des globalen Christentums
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The way in which the world's religions are intertwined in the dynamics of global development has become obvious in the twenty-first century. This also applies to Christianity. In view of the fact that its historiography is still predominantly regional or national, however, little is known about Christianity's historical process of development to become a religion that is globally active and plurally differentiated.The first volume takes up this challenge by presenting a comprehensive, interdenominational and interdisciplinary history of global Christianity from the fifteenth to the eighteenth century, for the first time in German-speaking countries. Renowned theologians and (church) historians clarify the turning-points in the Early Modern period that set the course for the global spread and fascinating plurality of modern Christianity.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783170315013
Konfessionen in Europa um 1570
Schjorring_Konfessionen.tif

Christentum in Europa: Das 17. Jahrhundert

Andreas Holzem

1. Europa – das Reich – der Krieg

Der Ratsschreiber der kleinen Stadt Rottweil formulierte 1635 das Elend des Krieges als „Jammer, Elend und äußerste Not“. Kriegskontributionen und Winterquartiere, Zerstörungen und Brände, Hunger und Pest hatten schon die Hälfte der Bevölkerung getötet. Die Menschen seien, hielt er fest, „völlig ausgemergelt“; es sei „unmöglich, ihre herzzerreißenden Schmerzen und Leiden zu erzählen“.1 Die Bürgerinnen und Bürger von Rottweil verstanden sich nach den Konfessions- und Verfassungskämpfen der Reformationszeit als katholisch-kaiserliche Reichsstadt. Ihnen erklärten Geistlichkeit und Magistrat den Krieg als Zeichen des göttlichen Zorns über die Sünden des Volkes. Reue, Buße und Gelübde seien das Mittel, den Strafzorn zu wenden. Die Kriegsnot sollte ihnen schließlich ein Marienwunder bescheren, das die Identität der Stadt bis heute prägt.
Es ist durchaus umstritten, ob der Dreißigjährige Krieg ein Religionskrieg war.2 Seine Vielschichtigkeit ist ein zentrales Thema der Geschichtsschreibung: ein Krieg um die Auslegung des Augsburger Religionsfriedens von 1555,3 ein Krieg der böhmischen und der evangelischen Stände gegen das katholische Kaiserhaus, ein Krieg der europäischen Mächte um Einflusszonen, ein Staatenbildungs- und Staatenkrieg. Aber für die Bürger Rottweils und für viele einfache Menschen im Reich blieb die Religion von überragender Bedeutung. Beides gilt es zu beachten: die Struktur-, aber auch die Erfahrungsgeschichte dieses Krieges, der zur ‚Urkatastrophe‘ des 17. Jahrhunderts wurde.4 Insofern hatte dieser Krieg strukturgeschichtlich eine sehr europäische, erfahrungsgeschichtlich hingegen eine sehr deutsche Dimension.

1.1. Religion und Kriegsneigung in Europa

Weil die konfessionellen Gegensätze von Deutschland ausgegangen, längst aber kein deutsches Problem allein mehr waren, war die Religionsfrage europaweit von vornherein mit dem Problem der staatlichen Mächtehierarchie verbunden. „Die Aufrüstung der Konfessionsblöcke in Deutschland und Europa galt zugleich dem Kampf um die Konturen des neuen Mächteeuropa.“5

1.1.1. Das Reich: Habsburg – Böhmen – Liga und Union

In den habsburgischen Erblanden herrschte unter dem Kaisertum Rudolfs II. (*1552, 1576–1612) die starke Neigung des Adels zu politischer Eigenständigkeit und konfessioneller Opposition fort. Auf dem Balkan flammten zwischen 1593 und 1606 die Türkenkriege wieder auf. Solidarität der Reichsfürsten und der Stände war nur durch Religionskonzessionen zu erreichen; evangelische Lebensformen waren nunmehr jahrzehntelang geduldet worden.6
Die Krise des Hauses Habsburg schwächte auch seine Rolle im Reich. Die Urteile des Reichshofrates als des neben dem Reichskammergericht höchsten Reichsgerichtes verdächtigten die evangelischen Stände zunehmend als einseitig. Zum Eklat kam es um den Fall der Reichsstadt Donauwörth und um den sogenannten Vier-Klöster-Streit. Der jeweilige Anlass war klein, die Wirkung gewaltig: Der Fall Donauwörth wurde zu einer schweren Belastung für die nachfolgenden Reichstage 1608 und 1613, der Streit um die Klostergüter legte das Reichskammergericht und damit das ständische Instrument der Reichsjustiz lahm. Zwei entscheidende Reichsinstitutionen schieden nunmehr für die Moderation der bereits sehr verhärteten Konflikte aus.7 Gleichzeitig vertiefte sich der Auslegungsstreit um den Augsburger Religionsfrieden: Ein neuer Wille zur Expansion seitens der Evangelischen stand einer neuen Entschiedenheit zum Rückgewinn bei den Katholiken gegenüber. 1608 schlossen sich eine Reihe evangelischer Stände unter dem Direktorium der Kurpfalz zum Schutzbündnis der Union zusammen, 1609 folgte die katholische Liga. Eine neue Welle konfessioneller Publizistik befeuerte die Polarisierung.8
Die Regierungskrise der Habsburger verstärkte die Neigung der habsburgischen Kronländer (Böhmen, Mähren, Schlesien, Ober-/Niederlausitz), ihr Landesbewusstsein zu einem ‚Kronpatriotismus‘ auszubauen. 1609 musste Rudolf II. den böhmischen und schlesischen Ständen sogenannte Majestätsbriefe zugestehen (9.7. und 20.8.1609): Sie gestatteten Religionsfreiheit und den Aufbau einer evangelischen Kirchenorganisation. Aber es blieb unklar, wie weit sich diese Rechte erstrecken sollten. Nach dem Tod Rudolfs begannen die Habsburger klare gegenreformatorische Akzente zu setzen. Doch der böhmische Adel hatte längst Verbindungen zur Kurpfalz geknüpft, der wichtigsten reformierten Macht im Reich. Kurfürst Friedrich V. (1596–1632) verknüpfte das Anliegen der Böhmen mit einer anti-habsburgischen Politik im europäischen Maßstab: Auch Frankreich, England und die Generalstaaten der Niederlande mussten sich interessieren für das, was in Prag vor sich ging. Friedrich V. folgte damit einer seit der Mitte des 16. Jahrhunderts konstanten Linie der Pfälzer Politik: Internationale evangelische Solidarität, Anerkennung des Calvinismus, Freistellung weiterer Reformationen im Reich, Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts, Reformationsrecht für die Reichsstädte, Kampf gegen die vermeintliche Parteilichkeit des Kaisers, des Reichskammergerichts und des Reichshofrates sowie gegen die Jesuiten und die katholische Publizistik mit ihrer engen Auslegung des Religionsfriedens. Dieses Szenario war Bühne und Auftakt des großen Krieges.9

1.1.2. Spanien: Reconquista – katholisches Königtum – Inquisition

Eine zweite große Problemzone bildeten die in höchstem Maße konfessionspolitisch aufgeladenen Kämpfe Habsburg-Spaniens vor allem mit Frankreich und den Niederlanden; mit Frankreich um die Vorherrschaft in Europa, mit den Niederlanden um deren politische Unabhängigkeit und Religionsfreiheit. Spaniens Reconquista hatte seine Zugehörigkeit zum christlichen Europa einerseits befestigt. Andererseits schlug es einen katholisch-nationalistischen Kurs ein, der sich gegenüber den religionspolitischen Entwicklungen des 16. und 17. Jahrhunderts vollkommen abschloss. An dieser Entwicklung war die Inquisition in einem hohen Maße beteiligt.10 Die Gleichsetzung von Nationalbewusstsein und Katholizismus bestimmte auch die Haltung, welche die führenden Kreise Spaniens zu den europäischen Reformationen einnahmen. In diesem Klima wurde die blühende Frömmigkeitslandschaft des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spaniens gezielt ausgetrocknet.
Dies bestimmte die Haltung Spaniens am Vorabend des großen Krieges. Die spanischen Könige verstanden sich als Verteidiger des europäischen Katholizismus, verantwortlich für Sittlichkeit und Glaubensleben ihrer Länder. Eine in hohem Maße vom Königtum abhängige Kirche war über Bischofsbestellungen und Reformgesetzgebung, aber auch im Medium der Inquisition bestrebt, die Gesellschaft politisch und ideell zu binden und zu disziplinieren. Es war die europäische Dimension dieser Politik, welche die spanischen Habsburger zur äußersten Anstrengung, dann mehr und mehr auch zur Überanstrengung der Kräfte antrieb. Diplomatie und Kriege, weitgehend aus den Silber- und Goldvorkommen der ‚Neuen Welt‘ finanziert, zehrten durch die Rivalität mit Frankreich und England und durch den Kampf gegen die Niederlande immer mehr Substanz auf; bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts (Pyrenäenfrieden mit Frankreich 1659) musste Spanien seine europäische Führungsrolle an Frankreich abtreten.

1.1.3. Frankreich: Konfessioneller Bürgerkrieg – Machtpolitik jenseits des Konfessionellen

Frankreich unterschied sich religions- und mächtepolitisch in vielem von den übrigen europäischen Vormächten. Anders als in Deutschland, wo die Schwäche der Reichsinstitutionen und die Stärke der Territorien zu einem Konfessionskonflikt entlang der Grenzen der deutschen Länder führte, anders auch als in Spanien, in welchem Inquisition, Konformismus und religiös flankierter politischer Idealismus, trotz heftiger Konflikte, ein rein katholisches Land bewahrt hatten,11 stürzte das Übergreifen des Protestantismus Frankreich in einen jahrzehntelangen Bürgerkrieg.12 Die französischen Konfessionskriege sollten sich – als eine „Serie von Thronfolge- und Ständekriegen“13 – in Wellen bis in die 1620er Jahre hinziehen.
Im April 1598 bestätigte Heinrich IV. (*1553, 1589–1610) im Edikt von Nantes zwar den Katholizismus als französische Staatsreligion und begrenzte somit das weitere Wachstum der hugenottischen Partei, aber er gestand ihr Gewissensfreiheit und das Recht auf eigenen Gottesdienst zu. Öffentliche Ämter sollten ihnen nicht verweigert werden und paritätische Gerichtshöfe sollten Rechtsbeugung verhindern helfen. Geheime Zusatzartikel gewährten das Recht auf befestigte Sicherheitsplätze und eigene politische Organisationsstrukturen. Nur vorsichtiges Dissimulieren ermöglichte es den französischen Königen, nach einer Reihe politischer Morde und vier Jahrzehnten Bürgerkrieg so viel innenpolitischen Frieden herzustellen, dass sich die konfessionelle Koexistenz der katholischen Mehrheit und der protestantischen Minderheit als kulturell und wirtschaftlich fruchtbare Konkurrenz entfalten konnte. Das Königtum des Ediktes von Nantes sah sich nun als Schiedsrichter über den Religionsparteien, beanspruchte aber auch Titel wie „Schiedsrichter der Christenheit“, deren unverkennbar europäischer Anspruch zur Voraussetzung für das Selbstverständnis Frankreichs unter dem leitenden Minister Richelieu (1585–1642) werden sollte. Nach der Ermordung Heinrich IV. durch einen fanatischen Katholiken (1610) destabilisierte sich die innenpolitische Lage Frankreichs unter Ludwig XIII. (*1601, 1610–1643). Nach 1622 war Frankreich erneut Kriegsgebiet zwischen hugenottischen und königlichen Truppen. Militante beider Seiten fügten, wo sie dominierten, der jeweils anderen Konfession schwere Schäden und Demütigungen zu. Seit Richelieu 1624 Mitglied des Kronrats geworden war, dominierte er die königliche Politik; 1624 bis 1628 wurde La Rochelle als Hugenottenfestung belagert und am Ende zur Kapitulation gezwungen. Der „Gnadenfriede von Alès“ (27.6.1629) und das Edikt von Nîmes (1629) bestätigten zwar die religiösen Zugeständnisse des Ediktes von Nantes, suspendierten aber alle politischen Privilegien (Sicherheitsplätze, politisches Versammlungsrecht).
Daher wurde für die Haltung Frankreichs im Dreißigjährigen Krieg bestimmend, dass sich nach dem Ende des konfessionellen Bürgerkrieges in Paris die Partei der ‚Politiques‘ durchgesetzt hatte, gegen den rigiden tridentinisch-prospanischen Konfessionalismus, der die Hugenottenkriege lange genährt hatte. Nach der Beendigung der innenpolitischen Auseinandersetzungen auf die europäische Bühne zurückgekehrt, entschied das nun rasch wieder mächtige katholische Land unter der Führung der Kardinäle Richelieu und Mazarin (1602–1661) nicht mehr konfessions-, sondern machtpolitisch. Es wandte sich, zunächst nur durch seine Bündnispolitik mit den deutschen Protestanten und durch militärische Subsidienzahlungen, später dann mit einer direkten militärischen Intervention gegen den habsburgischen Machtblock in seinem Süden, Westen und Norden und gegen das Erstarken des katholischen Kaisertums im durch den Konfessionskrieg erschütterten Deutschen Reich.

1.1.4. Die Niederlande: Calvinismus – überseeische Expansion – politische Emanzipation

In den Niederlanden expandierten seit der Mitte des 15. Jahrhunderts Handel und Wirtschaft, die Städte wuchsen an Einwohnerzahlen und politischem Gewicht. Eine zunehmend mündige Bürgerschaft förderte den Ausbau der Bildungseinrichtungen (Stadtschulen, Lateinschulen und Universitäten). An dieser Bildungsexpansion waren in vielen Städten die der Devotio moderna verpflichteten ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘ beteiligt; ein christlich-biblischer Humanismus prägte den Unterricht und damit das gesamte geistige Klima. Die Reformation fand in den Niederlanden vor allem in ihrer oberdeutschen, zwinglianisch-calvinistischen Gestalt Eingang, und die Entscheidung für den Konfessionswechsel stand in engem Zusammenhang mit der Opposition gegen die Zentralisierungsbestrebungen der spanischen Habsburger. Der Widerstand richtete sich einerseits gegen die rigorose Durchsetzung eines als fremd und übergestülpt empfundenen politischen Systems zentralisierter Verwaltung, Rechtsprechung und Steuererhebung. Andererseits aber löste ebenso die unversöhnliche Inquisition gegen Täufer und Calvinisten zunehmenden Unmut aus. Die niederländischen Provinzen und sozialen Gruppen vor allem des Nordens – ansonsten keineswegs homogenen Traditionen und Interessen verpflichtet – fanden sich zunehmend zu einer Opposition zusammen.14
In den Kämpfen mit den Spaniern kristallisierten sich so zwei getrennte Staatenbildungen heraus: im Süden eine bleibend spanische, katholische Landesherrschaft, im Norden hingegen die als Staatenbund verfasste Republik der Vereinigten Provinzen, in der trotz der tatsächlich multikonfessionellen Struktur die niederdeutsch-reformierte Kirche als einzige den Status einer Öffentlichkeitskirche erlangte. In den Provinzialbehörden und städtischen Magistraten blieben die humanistischen Ideen individueller Religionswahl und Gewissensfreiheit dauerhaft einflussreich. Auf diese Weise entstand eine plurale Gesellschaft, in der die reformierte Kirche privilegiert war, ohne zur ausschließlichen Staatskirche zu werden. Die in der reformierten Kirche ausgebrochenen dogmatischen Auseinandersetzungen führten zwar 1618–1619 auf der Dordrechter Synode zu ihrer Spaltung, ein religiöser Bürgerkrieg oder ein Zerfall der Vereinigten Provinzen konnten aber vermieden werden. Staat, Gesellschaft und Wirtschaft konsolidierten sich ebenso wie das bleibend aufgefächerte religiöse Spektrum.
1609 konnten die nördlichen Provinzen einen zwölfjährigen Waffenstillstand mit den Spaniern schließen. Sie nutzten ihn, um fern vom europäischen Schauplatz die spanischen und portugiesischen Kolonien für ihre „Ostindische Kompanie“ zu erobern. Die Auseinandersetzungen Spaniens mit Frankreich und England hatten die spanische Vormachtstellung zur See dauerhaft in Frage gestellt und mit dem Untergang der spanischen Armada (bereits 1588) den Holländern Gelegenheit gegeben, auf Kosten der Spanier Handel und Schifffahrt auszubauen. Als daher nach 1621 der spanisch-niederländische Krieg als Teil des Dreißigjährigen Krieges fortgesetzt wurde, handelte es sich nicht mehr um einen auch religiös motivierten Unabhängigkeitskrieg, sondern um das „Ringen zweier europäischer Großmächte um politische und kommerzielle Einflusszonen in Europa und Übersee“.15

1.1.5. Der Ostseeraum: Konfessionelle Identitätsbildung – Kampf um das „Mare balticum“

Der Ostseeraum entwickelte sich gleichzeitig zu einem Konfliktherd, der für Verlauf und Ausgang des Dreißigjährigen Krieges von enormer Bedeutung werden sollte. Das ‚Dominium maris baltici‘ berührte unmittelbar die politischen, strategischen und wirtschaftlichen Interessen Dänemarks, Schwedens, Polens und Russlands.16 Dänemark war ein klar lutherisch gebundener Machtfaktor, der den norddeutschen Protestantismus verteidigte, sich damit aber auch den norddeutschen Raum als politische Einflusszone zu sichern versuchte. Insofern war Dänemark in den sich anbahnenden Auseinandersetzungen zwischen protestantischer Union und katholischer Liga bereits Partei. Schweden, in steter Konkurrenz mit der einstweiligen Vormachtstellung Dänemarks, stand gegen Ende des 16. Jahrhunderts im Spannungsfeld zwischen einer in Polen regierenden katholischen und einer im schwedischen Mutterland einflussreichen lutherisch-orthodoxen Linie des Hauses Wasa. Als Sigismund III. Wasa, König von Polen (*1566, 1587–1632) 1592 auch in Schweden die tridentinische Liturgie einzuführen und die Jesuiten zuzulassen versuchte, wies der Herzog Karl von Södermannland (1550–1611) diese Intervention in die Religionsautonomie der schwedischen Lande entschieden zurück, verbannte Jesuiten und katholische Priester und wurde im Gefolge der Auseinandersetzungen 1604 vom Reichstag gegen die katholisch-polnische Linie des Hauses Wasa zum König von Schweden gewählt. Zwischen Polen und Schweden entstand also gleichzeitig ein dynastischer wie konfessioneller Aushandlungsbedarf, obwohl die habsburgische Bündnispolitik noch auf eine große ostmitteleuropäische katholische Einflusszone von den habsburgischen Erblanden über Böhmen und Polen bis hinauf nach Skandinavien und ins Baltikum hinzuwirken versucht hatte. Schweden trat in den großen europäischen Krieg ein, als im Verlauf des deutschen Konfessionskrieges die Kaisermacht in den Norden Deutschlands vordrang, Schweden die kontinentale Gegenküste streitig zu machen und zudem die antischwedische polnische Politik zu unterstützen schien. Auch der Kriegseintritt Schwedens also, wie der Dänemarks und der westeuropäischen Mächte, war in einer komplexen Gemengelage aus Religionspolitik und Machtinteresse vorstrukturiert.

1.2. Die „Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit“

Der Faktor Religion nahm mithin auf die „Friedlosigkeit der frühen Neuzeit“17 in einer dreifachen Weise Einfluss: Ein erstes wesentliches Moment liegt darin, dass es nachreformatorisch unmöglich wurde, Idee und Anspruch der christlichen Universalmonarchie in politisches Handeln...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Einleitung Europäisches und globales Christentum in der Frühen Neuzeit (Hartmut Lehmann)
  5. Katholizismus in Spanien, Portugal und ihren Weltreichen (Mariano Delgado)
  6. Die Russische Kirche 1448–1701 (Alfons Brüning)
  7. Christen unter osmanischer Herrschaft (1453–1800) (Bruce Masters)
  8. Das Christentum in Afrika zwischen 1500 und 1800 (Kevin Ward)
  9. Das lateineuropäische Christentum im 16. Jahrhundert (Thomas Kaufmann)
  10. Das Christentum in Asien zwischen ca. 1500 und 1789 (Ronnie Po-chia Hsia)
  11. Christentum in Europa: Das 17. Jahrhundert (Andreas Holzem)
  12. Hungersnot, Seuchen, Krieg: Die dreifache Herausforderung der mitteleuropäischen Christenheit, 1570–1720 (Hartmut Lehmann)
  13. Christliche Kirchen und Gemeinschaften in Nordamerika bis 1800 (Jan Stievermann)
  14. Christentum im Europa des 18. Jahrhunderts (Carsten Bach-Nielsen)
  15. Zusammenfassung und Ausblick (Hartmut Lehmann)
  16. Kurzbiographien der beteiligten Personen in alphabetischer Reihenfolge
  17. Ortsregister
  18. Personenregister
  19. Abbildungsverzeichnis