Griechische Kirchenväter
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Griechische Kirchenväter

  1. 176 Seiten
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Griechische Kirchenväter

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Über dieses Buch

Für das Werden der christlichen Kirche ist die Epoche der Patristik besonders wichtig, weil bei den Kirchenvätern die Auseinandersetzung des Christentums mit der antiken Welt, ihrer Philosophie, Sittlichkeit und Kultur beginnt und damit der Grund gelegt wird für die gesamte spätere kirchen- und geistesgeschichtliche Entwicklung. In zwölf Kapiteln werden die wichtigsten Gestalten der alten Kirche des Ostens behandelt: Justin, Irenäus, Klemens von Alexandrien, Origenes, Eusebios von Caesarea, Athanasios, Basilios der Große, Gregor von Nyssa, Synesios von Kyrene, Johannes Chrysostomos, Kyrill von Alexandrien.

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Information

Jahr
1994
ISBN
9783170314856

1. Kapitel
JUSTIN

Das Urchristentum hatte keine Theologie getrieben. Es hatte geistig von seinen Überlieferungen gelebt und von den Offenbarungen seiner Führer und Propheten. Ihre Prophetien, Unterweisungen und Briefe sind z. T. anonym, in der Vollmacht des heiligen Geistes gegeben, später auch pseudonym, im Namen der apostolischen Zeugen des Ursprungs. Theologische Lehrer, die sich bewußt auf ihre eigene geistige Arbeit stützen, eine wissenschaftliche Bildung und Ausbildung voraussetzen und von hier aus die christliche Wahrheit zu verteidigen, zu begründen und zu entfalten suchen, treten erst im Laufe des zweiten Jahrhunderts auf. Diese Entwicklung ist ohne den Einfluß des griechischen Geistes, des griechischen Vernunftbegriffs und der hellenistischen Bildungstradition nicht zu denken. Sie wirken nicht bloß äußerlich ein, obschon gewisse Berührungen auf alle Fälle unvermeidlich waren, seitdem sich die Kirche von ihrem jüdischen Mutterboden gelöst hatte und in das römische Weltreich und seine Weltkultur hineinwuchs. Die Aufnahme des griechischen Erbes war, wie die religionsgeschichtlichen Parallelen des Judentums und des Islam zeigen, vielmehr auch innerlich unumgänglich und notwendig, um das hervorzubringen, was wir heute als Theologie bezeichnen. Der erste Theologe in diesem Sinne war Justin – „der Philosoph“, wie man ihn damals nannte, oder auch: „Justin der Märtyrer“, weil er sein Leben als christlicher Philosoph mit dem Blutzeugnis für Christus „versiegelte“ und schloß.
Man kann freilich die Frage aufwerfen, ob Justin wirklich der erste gewesen ist, der sich um eine Erfassung des Christentums im Geiste der Griechen gemüht hat. Die Geistesgeschichte lebt in Übergängen, und jeder Einschnitt, jedes Aufhören oder Beginnen, das der Historiker setzt, ist eine symbolische Vereinfachung. Tatsächlich hat man schon vor Justin, d. h. schon in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, gelegentlich den Versuch gemacht, die christliche Botschaft in den Formen vernünftiger, „philosophischer“ Bildung zur Darstellung zu bringen, um sie so einer weiteren Öffentlichkeit zu erschließen. Aber wenn wir von den frühesten Ansätzen innerhalb der lukanischen Apostelgeschichte absehen, so sind diese älteren Versuche durchweg so stümperhaft, so unselbständig und primitiv geraten, daß man sie getrost beiseite lassen darf. Geistigen Rang und theologisches Gewicht gewinnen sie erst bei Justin, und insofern ist dieser eben doch ein Erster und ein Neuerer gewesen, obschon er sich nirgends als solchen gibt. Man tut Unrecht, wenn man ihn, wie meistens geschieht, mit den sonstigen „Apologeten“ des späteren zweiten Jahrhunderts zusammennimmt und dadurch stillschweigend nur als Vertreter einer größeren Gruppe und einer allgemeinen geistigen Strömung anerkennt. Die späteren Verteidiger des Christentums wie Tatian oder Athenagoras haben fast alle von ihm gelernt, und die früheren wie Aristides und den kaum näher bekannten Quadratus überragt er offensichtlich um mehr als Haupteslänge. Das ist nicht nur die Folge einer reicheren und tieferen Bildung, sondern vor allem einer neuen, veränderten Einstellung, die er selbst der Bildung gegenüber einnimmt. Justin will nicht nur vor Heiden als ein Philosoph erscheinen, sondern er will es auch sein, und das, was er ihnen zu sagen hat, interessiert ihn nicht bloß „apologetisch“, sondern er hat es sich selber zuvor gesagt. Seine christliche Philosophie ist nicht einfach ad hoc von jüdischen oder skeptischen Polemikern gegen den Götterdienst abgeschrieben, sondern ist das Ergebnis seiner eigenen Lebensentwicklung und selbständiger Wahl und geistiger Entscheidung. Das macht sie interessant, so vieles im einzelnen auch bei ihm noch übernommenes Schulgut ist und so bescheiden und unfertig diese Theologie im ganzen noch bleibt.
„Justinos, der Sohn des Priskos und Enkel des Bakcheios“ stammte nach eigener Angabe aus Flavia Neapolis (d. h. Machusa bei Sichem) in Palästina. Mit weltmännischer Liebenswürdigkeit bezeichnet er die Samaritaner einmal als seine Stammesgenossen; aber wir brauchen ihn uns darum nicht als einen „Orientalen“ vorzustellen. Die alte Stadt war von Vespasian im jüdischen Kriege bis auf den Grund zerstört und dann als griechisch-römische Kolonie neu errichtet worden. Jedenfalls war Justin von Haus aus Heide. Er wirkt wie ein typischer Vertreter des besseren städtischen Mittelstandes jener Zeit – loyal, von alten Traditionen gelöst und kosmopolitisch eingestellt, aber geistig regsam und interessiert, rechtlich gesinnt und wirtschaftlich unabhängig. Justin hat es nicht nötig, seinen Unterhalt zu verdienen; er lebt seinen Bildungsinteressen und wird „Philosoph“. Als solcher ist er den Christen begegnet und einer der Ihren geworden. „Dies ist die einzige wirklich zuverlässige und nützliche Philosophie, die ich gefunden habe.“ Die Bekehrung dürfte in Ephesos erfolgt sein, wo er seinen „Dialog mit dem Juden Trypho“ rückblickend lokalisiert hat. Später finden wir ihn in Rom. Hier ließ Justin in den fünfziger Jahren u. a. eine an die Heiden gerichtete „Apologie“ erscheinen, und hier wurde er dann auch, etwa ein Jahrzehnt später, als Märtyrer enthauptet.
Zu Eingang des „Dialogs“ hat uns Justin eine stilisierte Schilderung seines Entwicklungsganges gegeben. Er findet, platonisierend, die Überlegenheit des Christentums vorzüglich in der klaren Erkenntnis des wahren, göttlichen Seins, die nur bei gleichzeitiger Übung von Tugend und Gerechtigkeit möglich sei. In der Apologie hebt Justin besonders die Feindesliebe, die Geduld, die Keuschheit und Wahrhaftigkeit und vor allem den Todesmut der Christen hervor. Diese sollten allein schon ausreichen, um die landläufigen Verleumdungen über die christliche Lebensführung zu widerlegen, denen auch er zunächst Glauben geschenkt habe. Das Drängen auf die Praxis und die unbedingte Gewißheit der letzten Überzeugungen ist für Justins Christentum bezeichnend. Die Christen besitzen die Wahrheit; denn ihr Leben, ihre Sittlichkeit beweist es, und die Quellen, aus der sie ihre Gotteserkenntnis schöpfen, sind von unbezweifelbarer Verläßlichkeit. Insofern erfüllt ihre Lehre die eigentliche Aufgabe der Philosophie, die, wie Justin meint, entscheidend dazu da ist, das Göttliche zu erforschen.
Noch aufschlußreicher ist die Kritik, die er von hier aus gegen die philosophischen Schulen des Heidentums richtet. Justin will auf der Suche nach der Wahrheit mit allen Richtungen, dem ganzen „vielköpfigen“ Monstrum (dial. 2, 2) der Philosophie Bekanntschaft gemacht haben. Aber die Belehrungen des Stoikers blieben für ihn unergiebig, weil sie auf das eigentliche Gottesproblem überhaupt nicht eingingen. Noch mehr enttäuschte der Peripatetiker, als er schon nach wenigen Tagen mit der eines Philosophen unwürdigen Frage nach der Bezahlung herausrückte. Der Pythagoreer schreckte den Lernbegierigen ebenfalls ab; denn er verlangte von ihm eine solche Menge von musikalischen, astronomischen und geometrischen Voraussetzungen, wie sie Justin nicht besaß und zu erwerben auch nicht die Zeit hatte. Die Philosophie soll seiner Meinung nach eben keine Fachwissenschaft sein, und so hält er sich zuletzt an Plato und bezeichnet sich als einen Platoniker. Das Platobild wird nun freilich nach den neuen theologischen Bedürfnissen vereinfacht: die reine, dem reinen Denken der Vernunft zugängliche Wahrheit des wahren Seins, Gott, der einer ist, jenseits der geschaffenen Welt, und eines mit dem Guten und Schönen selbst – das sind die leicht dualistisch akzentuierten Hauptgedanken des Platonismus, auf die es Justin ankommt. Aber auch der heidnische Durchschnittsphilosoph besaß damals schwerlich ein sehr viel tiefer gehendes Verständnis für das, was Plato wirklich gelehrt hatte. Andererseits ist es nicht zu bezweifeln, daß Justin Plato nicht bloß zitiert, sondern auch selbst gelesen und in seiner Weise lebendig aufgefaßt und verstanden hat. Er hat ihn in seinen Schriften wiederholt angezogen und nachgeahmt. Plato ist für ihn wie für so viele nach ihm zur geistigen Brücke geworden, die zu den besseren, „älteren Philosophen“ (dial. 7, 1) hinüberführt, die jener gekannt und benutzt haben soll, d. h. zu den Propheten des Alten Testamentes und damit zu Christus selbst. Bei diesen hat Justin von nun ab seinen geistigen Standort, und Plato ist aus einem Führer zum Vorläufer und Bundesgenossen geworden.
Justin hatte also nicht die Absicht, so etwas wie eine philosophische Durchdringung der christlichen Botschaft durchzuführen und Plato mit Christus zu verschmelzen. Das Christentum ist für ihn die philosophische Wahrheit selbst; Plato stimmte mit dieser nur schon weithin überein. Gott wirkte zu allen Zeiten und bei allen Völkern. Er ließ ihnen durch Christus von jeher und auch außerhalb des jüdischen Volkes Fragmente und Brocken seiner Wahrheit zuteilwerden. Aber in Jesus Christus ist seine ewige Vernunft endgültig erschienen. Darum kann man auch sagen, daß „alle Menschen, die der Vernunft gemäß gelebt haben“, Christen gewesen seien, bei den Griechen z. B. Sokrates und Heraklit und bei den „Barbaren“ Abraham, Elias und viele andere (apol. I 46). Mit einem kühnen Griff wird so die ganze Geschichte des menschlichen Geistes, dessen Größe in der „Philosophie“ erscheint, in Christus zusammengefaßt und zum Abschluß gebracht. Jesus Christus war Gottes Sohn. Für diese Grundlehre des Christentums hat Justin vor den Heiden auch so etwas wie eine vernünftige, philosophische Begründung gegeben, mit der der Verdacht des Polytheismus zerstreut werden sollte. Christus war der „Logos“, d. h. die göttliche „Vernunft“ selbst, die Gottvater ohne Minderung seines Seins aus sich hervorgehen ließ. Durch ihn wurde dann auch die Welterschaffung vollzogen. Und als Gottes „Wort“ konnte der Logos zuletzt sogar Fleisch annehmen, um die Menschen in der vollkommenen Wahrheit und Weisheit zu unterrichten. Der sicherste Beweis für die Wahrheit dieser Aussagen liegt in der wunderbaren Erfüllung aller Weissagungen, die Jesus Christus mit seinem Erscheinen gebracht hat. Im Verein mit den Wundern, die er wirkte und heute noch wirkt, und mit der Erhabenheit der christlichen Verkündigung selbst ist ein Zweifel an seinem göttlichen Ursprung nicht mehr möglich. Christus ist „der neue Gesetzgeber“, der alle dämonischen Widerstände überwindet und der Welt vor ihrem nahen Ende das uneingeschränkte Heil bringt. Sein Leiden und sein Tod dürfen uns so wenig daran irre machen wie die gegenwärtigen Verfolgungen, die über die Christen ebenso ergehen wie über die wahren Philosophen zu jeder Zeit.
Man ist überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit Justin seinen Glauben als eine jedermann einleuchtende, vernünftige Erkenntnis verficht und wie wenig er sich auch an solchen Lehren stößt, die der antik-philosophischen Denkweise geradezu ins Gesicht schlugen und Spott und Kritik von jeher herausgefordert hatten. Die Kreuzigung des Gottessohnes, die wunderbaren Wirkungen seines Abendmahls, die Fleischesauferstehung, ja sogar die alte, damals bereits in der Kirche selbst umstrittene Hoffnung auf das tausendjährige Reich mit der erneuerten Stadt Jerusalem im Mittelpunkt werden von Justin auf Grund der biblischen Zeugnisse als unumstößliche Gewißheit hingenommen und machen ihm offenbar keine ernsthaften Schwierigkeiten. Man sieht daraus, wie fest und selbstverständlich er, all seiner philosophischen Bildung zum Trotz, in der Glaubens- und Vorstellungswelt seiner Gemeinde verwurzelt ist und welche unbedingte Gültigkeit die Bibel für ihn besitzt. Wahrscheinlich würde dies noch viel deutlicher hervortreten, wenn nicht all seine im engeren Sinne kirchlichen, d. h. ausschließlich für christliche Leser geschriebenen Werke heute verloren wären. Denn einer späteren Zeit konnten sie nicht mehr genügen und mußten ihr vielleicht sogar bedenklich erscheinen.
Trotzdem, Justin weiß sich als Philosoph, und gerade als Christ beginnt er nun auch selbst zu lehren und aktiv tätig zu sein. Er bezieht in Rom „oberhalb des Timotinischen Bades“ (?) ein eigenes Lokal und sammelt Schüler um sich, darunter auch solche, die später ihrerseits als christliche Lehrer und Schriftsteller bekannt geworden sind. Als ein echter Lehrer der Weisheit nimmt er für den Unterricht selbstverständlich keine Bezahlung an. Er teilt „die Lehre der Wahrheit“ ohne weiteres jedermann mit, „der zu ihm zu kommen wünscht“ (act. Just. 3). Nach wie vor trägt er mit Stolz seinen Philosophenmantel. Natürlich kann man ihn seiner Wirkung nach auch als einen Missionar der christlichen Kirche bezeichnen. Aber er tritt dabei im eigenen Namen auf und wirkt nicht mehr wie die früheren, urchristlichen „Lehrer“ innerhalb der Gemeinde, sondern in dem neuen soziologischen Rahmen einer privaten philosophischen „Schule“. Er und seine Schüler werden auch in den üblichen Konkurrenzstreit der philosophischen Schulen und Cliquen hineingezogen, nur daß diese Zänkereien jetzt durch den dahinter stehenden religiösen Gegensatz an Schärfe und Gefahr gewinnen. Justin selbst berichtet (apol. II 8 [3]), wie er den kynischen Philosophen Crescenz, der die Christen angegriffen hatte, persönlich gestellt und ihm seine völlige Unwissenheit nachgewiesen habe, natürlich erfolglos. Dieser bösartige Aufschneider hörte trotzdem nicht auf, die Christen zu verleumden und über Dinge zu reden, die er nicht verstand oder nicht verstehen wollte; er verdient darum nach Justin gar nicht den Namen eines Philosophen. Wie er sich selbst eine ernsthafte philosophische Diskussion über Glaubensfragen denkt, zeigt er uns in seinem Dialog. Der Christ und der Jude, die hier miteinander im Streit liegen, bemühen sich beiderseits um einen würdigen Ton und um eine vernünftig argumentierende Sachlichkeit und Unparteilichkeit. Einer läßt dem andern sein Recht und verzichtet auf billige Triumphe. Es geht einzig darum, zu erkennen, was die Wahrheit sei, und diese Wahrheit muß sich in leidenschaftsloser, sozusagen wissenschaftlicher Diskussion an den Tag bringen lassen. Das ist die neue, „philosophische“ Haltung, die sich auch in der gefälligen, an Plato orientierten Urbanität des Umgangs spiegelt; die älteren Wortführer der Kirche hatten etwas derartiges noch nicht gekannt.
Blickt man auf das Inhaltliche, so ist der Zusammenhang mit der älteren christlichen Tradition freilich überall erkennbar, und die philosophische Stilisierung der Einleitung erscheint fast wie eine zufällige und im Grunde entbehrliche Verkleidung. Justin sagt einmal selbst, daß er auf (methodisch und rhetorisch) kunstgerechte Darlegungen verzichten müsse. An Stelle einer systematischen Behandlung der christlichen Ethik bringt er, katechismusartig geordnet, einfach die Gebote des Herrn; an Stelle einer prinzipiellen Darlegung dessen, was die Kirche sei, erzählt er, wie es in ihr zugehe, und beschreibt ihren Gottesdienst. Auch in theologischen Zusammenhängen begnügt er sich gelegentlich mit den überkommenen Formulierungen, etwa des trinitarischen Bekenntnisses. Seine vornehmste Aufgabe sieht Justin in der Auslegung der heiligen Schriften, vorab noch des Alten Testaments. Dazu bekennt er – wie ein urchristlicher Lehrer – von Gott die „Gnadengabe“ empfangen zu haben. Nur kommt es jetzt auch hier, wie eigens betont wird, auf ein klares und vernünftiges Vorgehen an. Das bloße, mechanische Herzählen von auswendig gelernten Sprüchen erregt eher Widerspruch und Verachtung. Und noch in einer anderen Hinsicht strebt Justin über seine Vorgänger hinaus: er möchte den Schriftbeweis erschöpfend führen. So wird der Dialog zu einem umfassenden Kompendium aller alttestamentlichen Belegstellen für den Christusglauben. Er ist in seiner Reichhaltigkeit auch später nur selten übertroffen worden. Natürlich stützt sich Justin bei dieser Arbeit in erster Linie auf die Mittel der schon im Judentum verwandten allegorisch-typologischen Methode, verbunden mit einer wahrhaft rabbinischen Sorgfalt im Sammeln scheinbar zusammengehöriger Stichworte und oft ganz versteckter Beziehungen. Das „Holz des Lebens“ im Paradiese, die Stöcke, mit denen Jakob die Lämmer färbt, die gesalbte Stein-„säule“ von Bethel und alle „Gesalbten“ überhaupt, der Stab Aarons und Mosis und alle sonstigen Stäbe und Hölzer des Alten Testaments bis hin zu dem „Baum, gepflanzt an den Wasserbächen“ und zum „Stecken und Stab“, den der Psalmist besingt – sie sind für Justin sämtlich klare Hinweise und Vorbilder, „Typen“ von Christi Kreuz und damit Weissagungen auf Christus selbst. Aber so kraus und ermüdend solche Darlegungen in ihrem umständlichen und keineswegs gefälligen Stil heute auch wirken mögen, man kann trotzdem nicht sagen, daß Justin die großen, beherrschenden Gesichtspunkte darüber verloren habe; er steht über seinem Stoff. Und eindrucksvoll sind insbesondere seine abschließenden Darlegungen über die Christenheit als das neue Gottesvolk, seine Heiligkeit und Geistigkeit und die wunderbare Universalität seiner alle Welt umspannenden Gemeinschaft. In dieser Deutung der Kirche meldet sich erneut die aufgeklärtkosmopolitische Grundhaltung zum Wort, aus der heraus unser Philosoph das Christentum als die neue Weltreligion begrüßt, die einzige Wahrheit, die es seinem Zeitalter zu verkünden gilt.
So viel ist überall deutlich: Justin wendet sich an alle Menschen, gleichviel ob er insbesondere zu Juden, Ketzern oder Heiden spricht, und das geschieht nicht aus bloßer Freude an der Diskussion, auch nicht zu allgemeiner geistiger Förderung und Belehrung, sondern es geschieht, um eine klare Entscheidung zu erzwingen. Die Wahrheit steht nicht mehr in kühler Neutralität über den streitenden Parteien, sondern sie ist selbst in Christus konkret geworden und lebt in einer bestimmten Gemeinschaft, in einer bestimmten Lehre, in einem bestimmten Wort. Daß sie in dieser Gestalt nicht nur den Gebildeten, den Philosophen im bisherigen Sinne, sondern wirklich jedermann zugänglich geworden ist, erscheint als ein neuer Beweis ihrer endgültigen Vollkommenheit. Darum soll man jetzt auch gegen alle Vorurteile und Verleumdungen öffentlich für sie eintreten, unerschrocken, wie es den Philosophen ziemt, und wenn es sein muß, auch unter Einsatz des eigenen Lebens. Philosoph-sein heißt eine Mission haben und ihr dienen.
Das eindringlichste Zeugnis für diesen Willen ist Justins noch vor dem Dialog in Rom entstandene „Apologie“. Sie trägt die Form einer förmlichen Beschwerde, mit der er sich öffentlich Klage führend an die Kaiser – Antoninus Pius samt seinen Mitregenten –, den Senat und das „ganze römische Volk“ wendet. Es ist Unrecht, erklärt er darin, daß die Christen als eine Sekte von Verbrechern angesehen und immer von neuem verfolgt werden. Man weise ihnen die angeblichen Untaten erst einmal nach; sie selbst werden die Schuldigen dann am allerwenigsten beschützen. Denn in Wahrheit sind sie die gerechtesten, loyalsten und frömmsten Untertanen, die das Reich hat; sie sind die eigentlichen, natürlichen Bundesgenossen der Herrscher in dem Kampf für den Frieden der Welt. Daß sie die verrotteten Vorurteile des Aberglaubens nicht teilen, wird ihnen eine aufgeklärte Regierung nicht zum Vorwurf machen wollen. Hinter den Christenverfolgungen der heidnischen Menge stecken in Wirklichkeit nur feindselige Dämonen, die an ihrer Macht über die Menschen nicht rühren lassen wollen. (Justin greift damit eine volkstümliche Vorstellung auf, die jetzt auch schon in philosophischen Kreisen eine Rolle spielt, und gibt ihr eine neuartige apologetisch-polemische Wendung.) „Wer aber wirklich fromm und philosophisch empfindet, dem befiehlt die Vernunft die Wahrheit allein zu ehren und zu lieben; er wird es ablehnen, bloßen überkommenen Meinungen zu folgen, wenn sie verkehrt sind“ (apol. I, 2, 1). Justin sucht die Kaiser so bei der Ehre ihres Philosophennamens und dem oft betonten Anspruch einer aufgeklärten, neuzeitlichen Regierungsweise zu fassen. Aber diese Captatio hat nichts mit Schmeichelei zu tun. „Ihr hört es allenthalben, daß man euch als fromme und philosophische Herrscher, als Hüter der Gerechtigkeit und Freunde der Bildung preist. Ob ihr es wirklich seid, das wird sich zeigen. Ich bin nicht gekommen, um euch in dieser Schrift zu schmeicheln oder nach dem Munde zu reden, sondern um eine Forderung vorzubringen: ihr sollt nach einer genauen und sorgfältigen Prüfung ein Urteil fällen, damit ihr nicht unter dem Druck der Vorurteile und des Aberglaubens, aus Nachgiebigkeit gegen die dumpfe Menge oder in unverständiger Übereilung auf Grund der alten, üblen Verleumdungen euch selbst das Urteil sprecht. Uns aber ... könnt ihr wohl töten, aber nicht schaden“ (apol. I, 2, 2).
Das Bedeutsame der justinischen Apologie liegt in der neuartigen Verknüpfung des moralisch-theologischen mit dem juristischpolitischen Moment. Die letzte Voraussetzung der Christenverfolgungen: die grundsätzliche Verknüpfung von Staat und Religion, die das römische Reich wie jede antike Ordnung und Staatlichkeit voraussetzen und fordern mußte, hat Justin zwar nicht durchschaut oder nicht sehen wollen. Die Rhetorik seiner quasi-juristischen Ausführungen wirkt daher zum Teil etwas künstlich und gesucht. Aber im ganzen sind seine Argumente und auch seine praktischen Hinweise auf die Christen als Steuerzahler, auf die Zwecklosigkeit der Verfolgung und die moralische Peinlichkeit eines solchen Vorgehens doch recht geschickt. Es hat etwas Rührendes, wie eifrig Justin bei jedermann Interesse für sein Anliegen voraussetzt und beispielsweise die Vermutung äußert, auch die Kaiser würden von ihm und seinen Auseinandersetzungen mit Creszenz gewiß schon gehört haben. Aber statt über solche Naivitäten zu lächeln und die Schnitzer nachzurechnen, die Justin in seinen langen polemischen Darlegungen über die heidnische Mythologie und Philosophie gelegentlich unterlaufen sind, sollte man doch vor allem die Ehrlichkeit, den Freimut und die beispiellose Kühnheit bewundern, mit der ein Mann hier für die Sache einer Gemeinschaft eintritt, deren hoffnungslose Lage ihm selbst am allerwenigsten verborgen sein konnte. Es ist kein Wunder, daß er zuletzt auf der Strecke geblieben ist.
Der Bericht über das Ende Justins ist uns noch erhalten. Unter dem Stadtpräfekten Rusticus (163–167 n. Chr.) wird er mit noch sechs weiteren Christen zusammen ergriffen. Er gilt als „vernünftig und wohlunterrichtet“ und wird im Verhör zu ihrem Wortführer. Wie seine Genossen lehnt er es kategorisch ab, dem Befehl des Richters nachzukommen und Jesus Christus, den Heiland, zu verleugnen; denn dessen Lehre hat er nach sorgfältiger Prüfung für wahr erkannt, und bei ihr will er bleiben, „auch wenn sie den im Wahn befangenen Leuten nicht paßt“ (act. Just. 2. 3). Er bekennt seinen festen Glauben an die Auferstehung und das Jüngste Gericht und empfängt ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. STATT EINES VORWORTS
  6. 1. Kapitel: JUSTIN
  7. 5. Kapitel: EUSEBIOS VON CAESAREA
  8. 8. Kapitel: GREGOR VON NAZIANZ
  9. ZEITTAFEL