Bilingualer Geschichtsunterricht
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Bilingualer Geschichtsunterricht

Didaktik und Praxis

  1. 216 Seiten
  2. German
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Bilingualer Geschichtsunterricht

Didaktik und Praxis

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Der Bilinguale Geschichtsunterricht findet an immer mehr Schulen in ganz Deutschland statt. Dass Geschichte zumindest zeitweise auf Englisch unterrichtet wird ist also ein Erfolgsmodell, dessen Ergebnisse allerdings aus fachdidaktischer Sicht kaum untersucht und teils fragwĂŒrdig sind. Dieses Buch zeigt anhand von Unterrichtsbeispielen wie moderner bilingualer Geschichtsunterricht auf Grundlage der historischen Fachdidaktik gelingen kann, welche Vor-, aber auch welche Nachteile diese Unterrichtsform mit sich bringt, und wie Lehrende die unterschiedlichen Methoden im Stile eines Method Guide effizient nutzen können.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783170292567

1 Einleitung

1.1 GrĂŒnde fĂŒr bilingualen Geschichtsunterricht

Es gibt ihn, den bilingualen Unterricht. Er tritt unter verschiedenen Namen auf, wie z. B. bilingualer Sachfachunterricht, CLIL oder EMILÉ – manche reden sogar von einem „babylonischen Sprachengewirr“ (Keßler/Schlemminger 2013). Die Zahl der Schulen, die ihn anbieten, wĂ€chst bestĂ€ndig: 1999 waren es 366, 2005/2006 schon 840, nun sind es wohl schon ĂŒber 1000 (KĂŒppers/Trautmann 2013, S. 285). WĂ€hrend die meisten bilingualen ZĂŒge an Gymnasien eingerichtet werden, lĂ€sst sich mittlerweile auch eine Ausweitung auf andere Schulformen feststellen. So wurde zum Beispiel im Jahr 2007 in Nordrhein-Westfalen das Programm „Bilingual fĂŒr alle“ aufgelegt und in Baden-WĂŒrttemberg startete im gleichen Jahr ein 6-jĂ€hriger Schulversuch mit der Schwerpunktsetzung „Bilinguale ZĂŒge an Realschulen“ (MSW 2011; Hollm u. a. 2013a; Schwab 2013). Von Anfang an war Geschichte eines der FĂ€cher, die bilingual unterrichtet wurden. Welche GrĂŒnde gibt es dafĂŒr? Eine mögliche Antwort könnte so lauten: Im Vergleich zu anderen FĂ€chern bietet der Geschichtsunterricht die besondere Möglichkeit, ĂŒber das Lernziel einer erhöhten Sprachkompetenz hinaus, durch MultiperspektivitĂ€t und KontroversitĂ€t das interkulturelle Lernen und Fremdverstehen zu fördern (vgl. auch Kuhn 2009, S. 6). Somit stellt der bilinguale Geschichtsunterricht fĂŒr die Fremdsprachendidaktik Englisch eine Art Eldorado dar. Neben dem Zuwachs an Sprachfertigkeit bietet diese Unterrichtsform die Chance eines tiefgrĂŒndigen Englischunterrichts, in dem die Lernenden vielleicht auch „transkulturelle Kompetenz“ entwickeln und das ĂŒbergeordnete Ziel der fremdsprachigen „DiskursfĂ€higkeit“ erreichen können (HKM 2011a, S. 11). Es leuchtet unmittelbar ein, dass z. B. in der Jahrgangsstufe 8 bei der Behandlung des Themas the crusades kognitiv mehr in den Köpfen der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler stattfindet als bei der Auseinandersetzung mit dem Freizeitparkangebot in Florida. Diese vorherrschende GoldgrĂ€bermentalitĂ€t fĂŒhrt gelegentlich sogar zu Erfolgsmeldungen, die deutlich ĂŒber das Ziel hinausschießen. So berichtet Oliver Meyer (2009, S. 9) in einem Werbemagazin des Cornelsen-Verlags folgendes: „Mittlerweile ist der Mehrwert sowohl aus Sicht der Fremdsprachen als auch aus der der beteiligten SachfĂ€cher in zahlreichen Studien wissenschaftlich bestĂ€tigt worden.“ Das stimmt allerdings so nicht. Die Belege fehlen, da es bisher zu wenige empirische Befunde zur DurchfĂŒhrung und zu den Wirkungen des bilingualen Lernens gibt. Meistens handelt es sich um Werkstatt- oder Zwischenergebnisse auf sehr schmaler Materialbasis, die aufgrund der fehlenden NĂ€he zum geschichtsdidaktischen Diskurs die Untersuchungskategorien aus historischer Sicht nicht prĂ€zise genug erfassen. Diese Studien sind nicht reliabel und dementsprechend im Ergebnis nicht valide, worauf Wolfgang Hasberg (2004; 2007, S. 38) wiederholt hingewiesen hat. John Hattie, momentan der vielleicht bekannteste und meistdiskutierte Vertreter der empirischen Unterrichtsforschung, hat in seinem meta-analytischen Werk Visible Learning (Hattie 2009) deutlich darauf hingewiesen, dass eigentlich jede Maßnahme bzw. Intervention im schulischen Bereich fĂŒr sich beanspruchen kann, eine positive Auswirkung auf die Lernentwicklung von SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern zu haben:
„When teachers claim that they are having a positive effect on achievement, it is a trivial claim, because virtually everything works: the bar for deciding ‘what works’ in teaching and learning is so often, inappropriately, set at zero. [
] Setting the bar at an effect size of d = 0.0 is so low as to be dangerous. We need to be more discriminating. For any particular intervention to be considered worthwhile, it needs to show an improvement in student learning of at least an average gain – that is, an effect size of at least 0.40” (Hattie 2012, S. 2f.).
Im Bereich des bilingualen Geschichtsunterrichts sind wir weit davon entfernt, Metaanalysen zu betreiben und Effektmaße zu bestimmen. Die bisher vorliegenden empirischen Untersuchungen, wobei es sich vor allem um Dissertationsprojekte aus dem Bereich der Fremdsprachendidaktik handelt, können uns nur Hinweise und Anhaltspunkte geben – Tendenzen, die in weiteren Forschungen genauer untersucht werden mĂŒssten.
Im Hinblick auf die Theoriebildung gab (und gibt) es viele meinungsbildende Postulate, aber wenig gesichertes Wissen. Die Diskussion ĂŒber die mit dem bilingualen Unterricht verbundenen Möglichkeiten und Chancen bewegte sich vor allem auf politischem, weniger auf im engeren Sinne wissenschaftlichem bzw. didaktischem Gebiet (Breidbach 2007, S. 16). Stefan Breidbach hat 2007 eine umfassende Ideen- und Problemgeschichte der Theoriebildung zum bilingualen Sachfachunterricht vorgelegt. Darin stellt er drei große BegrĂŒndungslinien fĂŒr diese Unterrichtsform dar, deren GedankenfĂŒhrung sich zum Teil noch in neueren Positionen wiederfindet:
Images
Abb. 1.1: Drei BegrĂŒndungslinien fĂŒr bilingualen Unterricht nach Breidbach (2007, S. 49ff.)
Ein Postulat, das sich sehr hĂ€ufig in BeitrĂ€gen zum bilingualen Unterricht findet und bis heute eines der zentralen Argumente zur bildungspolitischen Legitimation dieser Unterrichtsform darstellt, ist die Annahme, dass dieser quasi automatisch, aus sich heraus, reflexive Lernprozesse auslöse. Diese Lernprozesse werden als interkulturelles Lernen beschrieben, vermittelt durch das Aufeinandertreffen zweier Weltdeutungen, die durch die Schulsprache Deutsch und die fremde Arbeitssprache des bilingualen Unterrichts reprĂ€sentiert wĂŒrden (ebd., S. 17). Laut Stefan Breidbach hat sich diese Hypothese mit Blick auf erste empirische Lernprozessstudien – wie die von Andreas Bonnet (2004) fĂŒr das Fach Chemie – als wenig ĂŒberzeugend erwiesen, da Lernende nicht bereits dadurch in eine interkulturelle Kommunikationssituation eintreten, dass sie sich im Unterricht einer (Fremd-)Sprache bedienen (vgl. Breidbach 2007, S. 17, 238).
Oliver Meyer spricht wie viele andere – seit Uwe Krambröckers (2002) diese Bezeichnung wohl zum ersten Mal verwendete – vom „Mehrwert“ des bilingualen Unterrichts fĂŒr Fremdsprache und Sachfach und europaweit scheint sich die Bezeichnung „CLIL“ (Content and Language Integrated Learning) als pragmatische Kombination von Sachfach- und Sprachunterricht durchzusetzten (vgl. Vollmer 2000, S. 60; die französische Version heißt EMILÉ: enseignement d’une matiĂšre par l’intĂ©gration d’une langue Ă©trangĂšre). Bei Mehrwert denke ich an Marx und Engels und daran, dass der Kapitalist durch Abschöpfung des Mehrwerts den Arbeiter ausbeutet. Bedient sich der Englischunterricht hier nicht anderer FĂ€cher, um auf deren Kosten seine Lern- bzw. Kompetenzziele (besser) zu erreichen? Ziele, die im Fach Geschichte schon lange im „monolingualen“ deutschsprachigen Unterricht angestrebt werden. Ist hier ein Gewinn fĂŒr das Fach Geschichte erkennbar oder wird das historische Lernen eher einem verbesserten Fremdsprachenunterricht geopfert? Solche Skepsis wĂŒrde Helge Schröder, Vorsitzender des Hamburgischen Verbandes der Lehrer fĂŒr Geschichte und Politik, zurĂŒckweisen, da seine Erfahrungen in eine andere Richtung deuten:
„Als bilinguales und damit profilgebendes Fach ergeben sich neue Entwicklungsmöglichkeiten fĂŒr das Fach Geschichte. KĂŒrzungen zugunsten anderer FĂ€cher drohen nicht mehr. [
] EuropĂ€ische und globale Perspektiven sind gleichsam eine ‚NormalitĂ€t‘, die durch die englische Sprache mitgebracht werden. [
] So ergeben sich europĂ€ische und globale Geschichte, MultiperspektivitĂ€t, der Blick von ‚außen‘ auf die deutsche Geschichte und vieles mehr gleichsam ‚automatisch‘ aus der BilingualitĂ€t!“ (Schröder 2010, S. 29f.).
Im Zeichen von Globalisierung und der europĂ€ischen Einigung wird Englisch zunehmend als lingua franca und Konzernsprache vorausgesetzt. Der Arbeitsmarkt stellt angeblich hohe fremdsprachliche Anforderungen an die BerufsanfĂ€nger. Somit wird von vielen im Kontext der Einheit und Vielfalt Europas die Ausbildung von Mehrsprachigkeit als notwendige Kulturkompetenz betrachtet (vgl. Bach 2000; HKM 2002, S. 2; Wolff 2013). Viele Fremdsprachendidaktiker/innen sehen deshalb im in einer Fremdsprache erteilten Sachfachunterricht eine „Antwort auf die Herausforderungen von Lebensbedingungen der Heranwachsenden im 21. Jahrhundert“ (Doff 2010, S. 11). Bilingualer Unterricht ist eine Trumpfkarte der BildungsbĂŒrokratie im Hinblick auf die Herausforderungen des europĂ€ischen Einigungsprozesses. Dementsprechend ist dieses Schulangebot politisch gewollt und erfreut sich einer gewissen FĂŒrsorge der Ministerien und des Europarates sowie eines großen Interesses der Eltern, scheinen bilinguale Angebote doch besonders geeignet, um auf die Anforderungen eines europaweiten Arbeitsmarktes vorzubereiten (vgl. Hollm 2013b; Schlemminger/Buchmann 2013; Dallinger 2013 fĂŒr den Schulversuch in Baden-WĂŒrttemberg) und einen Abschluss mit höherer sozialer Reputation zu erlangen (vgl. Bernhardt 2011, S. 223). FĂŒr Schulleitungen im Konkurrenzkampf um die knapper werdenden SchĂŒler/innen stellt diese Unterrichtsform eine Möglichkeit zur Profilbildung dar, um sich vorteilhaft von Schulen ohne bilinguales Angebot abheben zu können (vgl. auch schon Wittenbrock 1995, S. 107; Breidbach 2013, S. 13).
Breidbach (2000, S. 179) hat kritisch darauf hingewiesen, dass das BegrĂŒndungsangebot „Globalisierungsrelevanz“ dem Wunschdenken der Fremdsprachendidaktik entspringt und als „strategisches Alliierungsangebot“ an die Fachdidaktiken zu verstehen ist, das dort auf fruchtbaren Boden fĂ€llt, „wo selbst keine rechte Klarheit ĂŒber die eigene Globalisierungsrelevanz besteht“. Ein Blick auf die Geschichtsdidaktik macht dies deutlich: So heißt es in einer ersten grĂ¶ĂŸeren Stellungnahme des ansonsten eher lange Zeit mit ZurĂŒckhaltung begegneten Trends in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) von 2002 bei Rohlfes (2002, S. 75), dass Fremdverstehen, interkulturelles Lernen, europĂ€ische und globale Perspektiven und komparatistische Herangehensweisen „in der Welt von heute zu den fĂŒr unser Fach konstitutiven SchlĂŒsselqualifikationen gehören, die sich im bilingualen Zugriff besonders wirksam entfalten lassen“. Woid (2002, S. 78) geht davon aus, dass es fĂŒr die Verbesserung der Studien- und Berufschancen zunehmend notwendig wird, die Fremdsprache als Arbeitssprache im Geschichtsunterricht zu nutzen: „In einem zusammenwachsenden Europa und in einer Welt, die von zunehmender Globalisierung bestimmt wird, fĂŒhrt am bilingualen Unterricht kein Weg vorbei“. In dieselbe Richtung gehen Überlegungen, das zentrale didaktische Konzept „Geschichtsbewusstsein“ europaweit in die Diskussion zu bringen. „EUSTORY“, das von der Körber-Stiftung initiierte Geschichtsnetzwerk fĂŒr junge EuropĂ€er, hat eine Reihe mit dem Titel Shaping European History publiziert. Ziel dieser Anstrengungen ist die VerstĂ€ndigung ĂŒber und die Bildung eines European Historical Consciousness, das aus den Perspektiven der Teilnehmerstaaten zentrifugale und zentripedale KrĂ€fte der europĂ€ischen Geschichte aufzeigt und kritische Anfragen aus der Geschichte an die Gegenwart stellt (vgl. Macdonald/Fausser 2000; Woid 2002, S. 81). Diese hochgradig normativen Überlegungen gehen vom politisch WĂŒnschenswerten aus, nicht von der RealitĂ€t und werden außerhalb Europas durchaus kritisch wahrgenommen (vgl. Laville 2004). Auch der sogenannte Bologna-Prozess scheint eher eine „MobilitĂ€tsbremse“ zu sein. Aktuelle Studien zeigen tendenziell eher eine Abnahme, zumindest aber keine Zunahme der studentischen MobilitĂ€t, die durch die Reform vereinfacht werden sollte (Grigat 2011; PflĂŒger 2013, S. 237). In Zeiten der Übernahme des Bildungssystems durch die Wirtschaft bzw. der Ausrichtung desselben an ökonomischen Denkmodellen und der damit einhergehenden Output-Orientierung wird der Erwerb ökonomischer Wettbewerbsvorteile zunehmend als wichtig erachtet. Aber können diese dadurch erworben werden, dass historische Sachverhalte in einer zweiten Sprache ausgedrĂŒckt werden können? Breidbach hat dazu kritisch angemerkt:
„Den Verkehrswert, den historisches Wissen auf nationalen wie ĂŒbernationalen ArbeitsmĂ€rkten hat bzw. eben nicht hat, lassen jedenfalls Zweifel daran aufkommen. Der Zugang zu einkommenstrĂ€chtigen TĂ€tigkeiten, die als zukunftsorientiert gelten und mit einem entsprechend hohen sozialen Prestige belegt sind, scheint doch eher ĂŒber ökonomisches, technisches und naturwissenschaftliches Wissen eröffnet zu werden“ (Breidbach 2000, S. 178).

1.2 Bilingualer Geschichtsunterricht zwischen Geschichts- und Fremdsprachendidaktik

Bislang beherrscht die Fremdsprachendidaktik das Feld des bilingualen Geschichtsunterrichts. Im Handbuch Bilingualer Unterricht (Hallet/Königs 2013) wird der Verbreitungsbewegung Rechnung getragen, indem der aktuelle Stand von Forschung und Praxis des bilingualen Unterrichts in Deutschland in kompakter und selbstbewusster Form zusammengefasst wird. Das besondere Interesse der Fremdsprachendidaktik an dieser Unterrichtsform ist nicht weiter verwunderlich, verbindet sich mit ihr doch eine Aufwertung der Sprachen im FĂ€cherkanon. Erstaunlich ist jedoch die ZurĂŒckhaltung der Geschichtsdidaktik, deren Vertreterinnen und Vertretern vorgeworfen werden kann, eine folgenschwere Entwicklung in der schulischen Praxis lange Zeit ignoriert zu haben. Die Themenhefte der Zeitschriften GWU und Praxis Geschichte aus dem Jahr 2002 zeigten zwar, dass die Geschichtsdidaktik nun langsam aufwachte, ĂŒber einige Warnhinweise und die Reproduktion von Positionen der Fremdsprachendidaktik ist sie aber bisher kaum hinausgekommen (vgl. Woid 2002, S. 78; Wildhage 2002; Geschichte fĂŒr heute 3/2010). Der Jahresband 2009 der Zeitschrift fĂŒr Geschichtsdidaktik mit dem Themenschwerpunkt „Geschichte bilingual“ zeigt vielleicht eine Trendwende zu einer eingehenderen BeschĂ€ftigung an. Auf jeden Fall lĂ€sst sich feststellen, dass die Vernetzung von Fremdsprachen- und Geschichtsdidaktik bisher nicht ausreichend ist, hier ist eine Intensivierung der Auseinandersetzung und Kooperation dringend angezeigt. Dabei mangelt es – seit vielen Jahren – nicht an konkreten Diskussionsangeboten der Fremdsprachendidaktik.
Das existierende Theoriedesign des bilingualen Sachfachunterrichts ist unbefriedigend. Von einer konzeptionellen Absicherung der Unterrichtspraxis durch eine Didaktik des bilingualen Sachfachunterrichts kann nicht die Rede sein und es wird auch von Seiten der Geschichtsdidaktik in Frage gestellt, ob es eine solche ĂŒberhaupt geben soll, da es sich um ein Unterrichtsprinzip, nicht aber um eine zu vermittelnde Sache handelt (Hasberg 2007, S. 55). Wolfgang Hallet hat auf das Fehlen einer Didaktik wiederholt hingewiesen. Mit seinem Bilingual Triangle hat er versucht, allgemeine Ziele fĂŒr den bilingualen Sachfachunterricht zu formulieren. Dabei bestehen die Seiten des bilingualen Dreiecks aus drei Feldern, welche die Ziele, Inhalte und GegenstĂ€nde des bilingualen Sachfachunterrichts konstituieren: (1) Die Grundseite umfasst PhĂ€nomene und Sachverhalte der eigensprachlichen Kultur und Gesellschaft, wĂ€hrend die oberen Seiten des Dreiecks (2) PhĂ€nomene und Sachverhalte der zielsprachlichen Kulturen und Gesellschaften sowie (3) kulturunabhĂ€ngige, kulturĂŒbergreifende, globale und universale PhĂ€nomene und Sachverhalte umfassen (Hallet 1999; S. 23 ff.). Hallets bilinguales Dreieck in seiner damaligen Form bot Auswahlkriterien fĂŒr Unterrichtsinhalte, aber keine lerntheoretische Absicherung der Unterrichtspraxis. Dennoch wurde und wird es in der Literatur oft als didaktisches Modell fĂŒr den bilingualen Sachfachunterricht diskutiert (so z. B. in Finkbeiner 2002; einschrĂ€nkend bei Gruner 2009, S. 41). Mittlerweile gibt es auch Positionen innerhalb der Fremdsprachendidaktik, die davon ausgehen, dass eine einzige integrative Didaktik aufgrund der Unterschiedlichkeit der FĂ€cher nicht zu verwirklichen sein wird. So halten beispielsweise BĂ€rbel Diehr und Lars Schmelter die Entwicklung „einer eigenstĂ€ndigen Didaktik des bilingualen Lehrens und Lernens in einer jeweils fachspezifischen AusprĂ€gung bei intensivem interdisziplinĂ€ren Austausch“ fĂŒr ein tatsĂ€chliches Desiderat (Diehr/Schmelter 2012, S. 10).

1.3 Welche Wirkungen hat bilingualer Geschichtsunterricht?

Die Geschichtsdidaktikerin Bettina Alavi hat sich mit Begriffsbildung im Geschichtsunterricht beschĂ€ftigt und berichtet ĂŒber folgende Seminarerfahrung:
„Eine ruhige, aber angestrengt aufmerksame Studentin gab in einem Seminar zur Weimarer Republik eine Hausarbeit ab, die aufgrund ihrer ungewöhnlichen Begrifflichkeit schwer verstĂ€ndlich war. Statt ‚Völkerbund‘ benutzte sie beispielsweise ‚Bund der Nationen‘. Daraufhin angesprochen erklĂ€rte mir die Studentin, dass sie in ihrer Schulzeit Geschichtsunterricht auf Englisch gehabt und deshalb in ihrem Studium mit erheblichen Verstehensproblemen zu kĂ€mpfen hĂ€tte. Den Terminus ‚bilingualer Geschichtsunterricht‘ wies sie weit von sich, weil sie in diesem eben nicht in zwei Sprachen kompetent wurde. Bei Diskussionen könne sie sich kaum beteiligen, weil ihr die Begriffe fehlten, bei Begriffen, die Problemstellungen beinhalten (‚Vertrag von Versailles‘) verstĂŒnde sie die mitschwingenden Wertungen nicht“ (Alavi 2004, S. 39).
Bei der Begriffsbildung im Fach Geschichte geht es um mehr als nur Vokabellernen, da die Begriffe in einen historischen Kontext eingeordnet werden mĂŒssen, um Vorstellungen und mitschwingende Wertungen abrufen zu können, es geht somit „um eine kulturelle Teilhabe, die Inklusion ermöglicht und Teilhabe auch verweigern kann“ (ebd., S. 39). Dieser Studentin hat der bilinguale Geschichtsunterricht augenscheinlich nicht geholfen, eine zweisprachige DiskursfĂ€higkeit und interkulturelle Kompetenz aufzubauen. Ich glaube nicht, dass es sich hier um EinzelfĂ€lle handelt, ich habe selbst rein englischsprachigen Geschichtsunterricht beobachtet, der – unter Gesichtspunkten des historischen Lernens betrachtet – sehr problematisch war. Wenn der Unterrichtsgegenstand auch in der Vergangenheit liegt, ist das noch kein ausreichendes Kriterium dafĂŒr, dass es sich bei bilingualem Unterricht um Geschichtsunterricht handelt. Die eingesetzten LehrkrĂ€fte besitzen Narrenfreiheit – wer will sie denn kontrollieren? – und die Schulleitungen sind hĂ€ufig froh, wenn sie jemanden finden, der „es macht“, auf die LehrbefĂ€higung im Fach Geschichte wird dabei gerne auch einmal verzichtet. Die Dominanz der Fremdsprachendidaktik birgt in der Tat die Gefahr, dass der ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Was ist guter bilingualer Geschichtsunterricht?
  7. 3 Historisches Lesen
  8. 4 Historisches Schreiben
  9. 5 Historisches Denken
  10. 6 Fazit: Umrisse einer Didaktik des bilingualen Geschichtsunterrichts?
  11. 7 Literaturverzeichnis