Adipositas
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Adipositas

Interdisziplinäre Behandlung und psychosomatische Perspektive

  1. 164 Seiten
  2. German
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Adipositas hat in den letzten Jahren weltweit zugenommen. Somatische und psychische Folgeerkrankungen mindern die Lebensqualität der Betroffenen. Mit diesem Band werden ausgewählte Aspekte der interdisziplinären Diagnostik und Therapie unter Berücksichtigung aktueller Ergebnisse der Adipositasforschung fallorientiert und praxisnah veranschaulicht. Der Schwerpunkt liegt auf psychosomatischen Aspekten der adipositaschirurgischen Therapie.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783170284876

II Die Behandlung und ihre psychosomatischen Aspekte

7 Einblick in die Praxis: Die Arbeit am Adipositaszentrum Frauenfeld

Corinne Eugster und Markus K. Müller

Für viele Betroffene ist eine Übergewichtsoperation nach oft mehrjährigen frustrierenden Diätversuchen die einzige Möglichkeit, langfristig Gewicht zu verlieren und das reduzierte Gewicht zu halten. Durch eine signifikante Gewichtsreduktion kann das Risiko für mögliche Folgeerkrankungen minimiert und assoziierte Krankheiten wie zum Beispiel Diabetes Mellitus, Bluthochdruck und Schlafapnoe gemindert und oft sogar geheilt werden.
Ist das Übergewicht eines Patienten bereits etabliert und der Body Mass Index BMI übersteigt 35 kg/m2, ist mit konservativen Therapiebemühungen oft kein anhaltender Gewichtsverlust mehr erreichbar. Die bariatrische Chirurgie (aus dem griechischen, Baros=Schwere, Last, Gewicht) bietet eine Möglichkeit, mit Hilfe von chirurgischen Eingriffen im Bereich des Magen und Darms das Essverhalten und das Sättigungsgefühl sowie die Nahrungsaufnahme im Darm so zu verändern, dass die Patienten ihr Gewicht nachhaltig reduzieren können.

7.1 Adipositaschirurgie am Kantonsspital Frauenfeld

Am Kantonsspital Frauenfeld (Kanton Thurgau/Schweiz) werden in einem zertifizierten Adipositaszentrum übergewichtige Menschen von einem interdisziplinären Team behandelt. Im Folgenden werden die prä- und postbariatrischen Abläufe am Zentrum beschrieben und mit einigen Fallbeispielen illustriert.
Das 2011 gegründete Zentrum bietet konservative und operative Therapiebausteine an. Es wird laparoskopische bariatrische Chirurgie am Zentrum durchgeführt. Neben dem Magenbypass (Roux-en-Y Gastric Bypass) werden bei entsprechender Indikation auch Schlauchmagen- (Sleeve Gastrektomie) und selten Magenbandoperationen durchgeführt. Es werden auch Revisionseingriffe und Operationen bei Risikopatienten durchgeführt.
Gemäß den gesetzlichen Richtlinien kann diese Chirurgie in der Schweiz bei Patienten angeboten werden, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
• BMI > 35 kg/m2
• Adäquate konservative Therapie von mindestens zwei Jahren Dauer war nicht erfolgreich
Im Adipositaszentrum werden die Patienten von Fachpersonen der verschiedenen Disziplinen der Chirurgie (viszerale und plastische Chirurgie), der inneren Medizin, Endokrinologie, Ernährungsberatung, Gastroenterologie, Psychiatrie, Anästhesie, Physiotherapie und Sozialdienst abgeklärt, behandelt und nachbetreut. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit den Hausärzten und anderen ambulant tätigen Berufsgruppen.
Rund 25 Fachpersonen der verschiedenen Disziplinen sind im Zentrum tätig. Einmal im Monat trifft sich das Gremium zur interdisziplinären Sitzung. In diesem Rahmen werden komplexe Patientenfälle besprochen und Therapien und Procedere diskutiert, geplant und reflektiert. Oftmals kommen die Patienten aus schwierigen sozialen und finanziellen Verhältnissen und leiden nebst physischen auch an psychischen Begleiterkrankungen. Dies verdeutlicht die Komplexität und Wichtigkeit der Zusammenarbeit der Fachdisziplinen auch über den Standort Frauenfeld hinaus.

7.2 Einblick in die Praxis

Zunächst sei ein Fallbeispiel aus der Arbeit am Adipositaszentrum beschrieben:
Herr Antonio Rossi (Name geändert), fünfzigjährig, aus Italien stammend, erzählt, dass er sich diesen Schritt lange überlegt habe. Seit über zwanzig Jahren kämpfe er mit seinem Gewicht. Er habe es mehrmals geschafft, 10–15 kg zu reduzieren, jedoch nicht dauerhaft, irgendwann sei er wieder in alte Muster verfallen und das Gewicht sei noch höher angestiegen als es ursprünglich war. Im Gespräch fällt auf, dass dem Patienten mehrere Zähne fehlen, was zu einer leicht undeutlichen Aussprache führt. Herr Rossi sitzt auf einem extrabreiten, besonders tragfähigen Stuhl in der Adipositassprechstunde und erzählt, wie es zum Übergewicht gekommen ist. Der gelernte Maler war selbständig tätig, hatte ein kleines Geschäft, welches er kürzlich aufgrund körperlicher Leiden aufgeben musste. Eine Hüftkopfnekrose bereite ihm starke Schmerzen, diese seien aktuell so ausgeprägt, dass er in seiner Beweglichkeit eingeschränkt und auf eine Gehhilfe angewiesen sei. Es sei ihm nicht leicht gefallen, sein Geschäft aufzugeben. Nach längerem Krankheitsstand sei nun ein Antrag auf Berentung eingeleitet worden.
Die Diagnoseliste von Herr Rossi ist lang, nebst der Hüftnekrose leidet er unter anderem an einem insulinpflichtigen Diabetes Mellitus Typ II, an obstruktiver Schlafapnoe und arterieller Hypertonie. Im Jahre 1993 wurde eine operative Versorgung einer Nabelhernie vorgenommen. Der Patient berichtet über ein erst spät einsetzendes Sättigungsgefühl, welches ihm erschwere, sich an eine normale Portionengröße zu halten. Es sei ihm klar, dass er zu viel esse. Auf zuckerhaltige Speisen verzichte er aufgrund des Diabetes schon länger, bei den Kohlenhydraten falle es ihm schwerer sich einzuschränken. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern berichtet, nun an einem Punkt angekommen zu sein, wo er selber nicht mehr weiter wisse. Sein Gewicht belaste ihn im wörtlichen Sinne. Deshalb sei er nun da, um sich beraten zu lassen, ob ihm allenfalls mit einer Operation gegen das Übergewicht geholfen werden könne.
In den Sprechstunden erhalten wir Einblick in verschiedene Lebensgeschichten. Deutlich wird ein hoher Leidensdruck, den viele Betroffene meist schon über mehrere Jahre mit sich tragen. Häufig ist nicht nur der adipöse Mensch selber, sondern auch das Umfeld betroffen. Soziale Isolation und verminderte Leistungsfähigkeit, mit verursacht durch die Adipositas, beeinflussen das gesellschaftliche Leben und den Alltag. Fachliche Hilfe aufzusuchen, fällt vielen nicht leicht. Es nicht selber zu schaffen, wird mit Versagen gleichgesetzt. Viele der übergewichtigen Patienten haben sich bereits vorab über verschiedene Medien über das Krankheitsbild der Adipositas und deren chirurgische Therapie informiert. Nicht selten befinden sich im näheren Umfeld bereits operierte Patienten, die ihre Erfahrungen mitteilen und somit Informationen aus Sicht des Betroffenen liefern.
Komplexe Patientenfälle werden einmal monatlich in der interdisziplinären Sitzung diskutiert. Hierbei sind die verschiedenen Fachdisziplinen anwesend. Die Zusammenarbeit erstreckt sich über den Standort Frauenfeld hinaus. Ein Klinikinformationssystem erleichtert eine reibungslose Zusammenarbeit. Oftmals sind es präoperative Situationen, bei denen es um die Indikationsstellung für eine Operation geht, die im Gremium besprochen werden.
Die Betrachtung eines Falles aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln ermöglicht ein sehr umfassendes Bild. Zusammen wird das weitere Procedere festgelegt und geplant. In manchen Fällen werden präoperative Auflagen gestellt, um die Compliance eines Patienten zu überprüfen oder es wird eine Psychotherapie bei schwerwiegender psychosomatischer oder psychiatrischer Erkrankung vorgeschaltet.
Nicht wenige der Patienten befinden sich wie im Fallbeispiel des Herrn Rossi in einer unsicheren Arbeitssituation oder in einer schwierigen finanziellen Lage. Fehlende Zähne oder eine schlecht sitzende Prothese können die Kautätigkeit stark beeinträchtigen und präoperativ eine Sanierung notwendig machen. Eine gute Kaufunktion und adäquate Ernährung sind im Hinblick auf eine bariatrische Operation sehr wichtig. Diese finanziellen Kosten können nicht immer vom Patienten selber getragen werden und es müssen Lösungen gesucht werden. In solchen Problemstellungen zeigt sich die Zusammenarbeit mit unserem Sozialdienst als sehr hilfreich.
Die Behandlungspfade werden von der Clinical Nurse überwacht und gesteuert. Sie stellt eine wichtige Person im ganzen organisatorischen Gefüge dar. Die Fäden der verschiedenen Fachleute laufen bei ihr in den Bereichen der Vorabklärung, Hospitalisation und Nachsorge zusammen. Für die Patienten und die Hausärzte ist sie eine wichtige Ansprechperson bei Fragen und Problemen.
Die gesetzlichen Behandlungsrichtlinien für die Adipositaschirurgie in der Schweiz werden von der SMOB (Swiss Study Group for Morbid Obesity), der Schweizer Dachorganisation, definiert. Darin sind die Indikationsstellung für einen Eingriff, die Durchführung, die Qualitätssicherung und die Nachsorge geregelt. Ist die Indikation für eine operative Therapie gegeben und entscheidet sich der Patient für diesen Weg, werden in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt verschiedene körperliche Abklärungen vorgenommen. Begleitend findet auch ein psychosomatisches Evaluationsgespräch statt.
Hilfreich für die Entscheidungsfindung des Patienten sind Informationen in mündlicher und schriftlicher Form. Einige engagierte Patienten stehen postoperativ persönlich für Auskünfte an andere Patienten zur Verfügung. Das Angebot wird rege genutzt. Die vielfältig erhältlichen Fachinformationen ersetzen nicht die Erfahrungsberichte aus erster Hand.
Alle Patienten werden ernährungstherapeutisch begleitet und geschult. Weil postoperativ die Nahrungsmenge stark eingeschränkt und damit das ganze Ernährungsverhalten umgestellt werden muss, soll die Zusammensetzung möglichst optimal sein.
Die Vorbereitungszeit vom ersten Gespräch bis zum Operationstermin dauert in der Regel ein halbes Jahr. In dieser Zeit werden die notwendigen Abklärungen und Ernährungsinstruktionen sorgfältig vorgenommen und die Operation geplant. Für die Patienten ist dies nicht nur Wartezeit, sondern auch Zeit, sich nochmals vertieft mit dem Thema auseinanderzusetzen, die bewusste Entscheidung für den Eingriff eingehend zu reflektieren und zu festigen.

7.3 Ein Fallbeispiel

Einen Einblick in die Gedanken einer sich in der präoperativen Phase befindlichen Patientin, zeigt dieser Beitrag aus dem Online-Selbsthilfe-Forum:
Guten Morgen zusammen,
als Therapeutin sitze ich ja normalerweise auf der helfenden Seite. Es ist nicht immer ganz einfach, einzusehen, dass ich den Stuhl eigentlich schon lange hätte wechseln müssen und auf der Patientenseite hätte Platz nehmen sollen. Seit meinem 14. Lebensjahr ist Übergewicht mein Thema. Unzählige Diätversuche. Meist mit mäßigen, einmal auch mit wirklich tollem Erfolg. Nur: Von Dauer war die Freude nie. Die Schwangerschaften waren da (zumindest für meinen Körper) auch nicht gerade hilfreich. Es gab Tage, da stand ich mit Tränen vor dem Spiegel und es gab auch viele Tage, da redete ich mir ein, dass ich eigentlich ja gar nicht sooo dick bin. Im tiefsten Innern wusste ich es aber natürlich schon. Nur, wer gibt schon gerne Schwächen zu? Ich schützte mich mit forschem Auftreten. Ganz nach dem Motto »Angriff ist die beste Verteidigung«. Ich war für meinen Humor, der oft auf Kosten anderer ging, bekannt. Tja, was soll ich sagen. Ich habe die Fertigkeit, von mir abzulenken, perfektioniert. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt. Er gab mir schnell zu verstehen, dass er mit dieser Art Mühe hat. Ich merkte, dass ich eigentlich auch nicht so bin. Ich wurde endlich sanfter und feiner in meiner Art. Nur mein Schutz vor der Welt war nun natürlich auch weg. Mein sanftes Inneres passte nun aber einfach nicht mehr zu der Walküre, die mich immer noch täglich im Spiegel begrüßte. Eine Lösung musste her. Wieder eine Diät, wieder Entbehrungen, wieder keinen Spaß am Leben, wieder versagen? Ich beschloss, meinen Arzt aufzusuchen. »Sie sind austherapiert. Eine Operation scheint die letzte Möglichkeit zu sein«, war seine Aussage. Ich war geschockt! Sollte es wirklich so sein, dass ich mit meinem starken Willen versagt hatte, wo ich doch sonst alles immer spielend erreichte? Es dauerte eine ganze Weile zu erkennen, dass das Ganze wenig mit meinem Willen zu tun hatte. All die morgendlichen Schmerzen, die Kurzatmigkeit, das Gefühl, in einem Körper zu stecken, der nicht mir gehört. Es war schwierig. Der Entscheid, mich operieren zu lassen, endlich gefasst. Dann all die Ängste, der Kummer, mein Leben zu riskieren, meine Kinder im Stich zu lassen, falls mir etwas passiert. Wieder viele Tränen und Sorgen, abgewechselt von der Vorfreude auf ein neues Leben. Mit jedem Tag fiel und fällt meine Maske mehr. Ich merke, dass die verzerrte Wahrnehmung meines Spiegelbildes immer mehr der Realität weicht. Das schmerzt, denn ich nehme nun wortwörtlich den vollen Umfang meines Körpers wahr. Gerad...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Reihenvorwort »Psychotherapie in Psychiatrie und Psychosomatik – Münsterlinger Reihe«
  5. Vorwort der Herausgeber
  6. Inhalt
  7. I Ein Problem für Leib und Seele
  8. II Die Behandlung und ihre psychosomatischen Aspekte
  9. Anhang: Gewichtsreduktion und Lebensqualität – eine Patientin hat das Wort
  10. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  11. Stichwortverzeichnis