Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
eBook - ePub

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)

Ein integratives Lehrbuch für die Praxis

  1. 469 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)

Ein integratives Lehrbuch für die Praxis

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Autism spectrum disorders represent complex disease patterns with an extremely wide variety of manifestations. This volume presents a detailed and practically oriented account of the core symptoms and comorbid disturbances, the diagnostic procedure, clinical differential diagnosis, treatment and course of the disturbances. Special emphasis is given to the importance of early detection and interdisciplinary treatment. Additional topics emphasized in the book include school support for the patients affected and a survey of autism among adults.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) von Michele Noterdaeme, Karolin Ullrich, Angelika Enders im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Medicine & Psychiatry & Mental Health. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2017
ISBN
9783170268500

A Phänomenologie

1 Historischer Überblick

Hedwig Amorosa

Typischerweise wird in einem historischen Rückblick zum autistischen Syndrom damit begonnen, dass Kanner 1943 den »early infantile autism» und Asperger 1944 »die autistische Psychopathie» unabhängig voneinander zum ersten Mal beschrieben haben. Da Kanner in den USA lebte und Asperger in Wien, ging man davon aus, dass sie während des Zweiten Weltkrieges keine Kenntnis von der Publikation des anderen hatten und somit unabhängig voneinander die Kindergruppe beschrieben und mit dem Namen »autistisch« bezeichnet haben, im Rückgriff auf Bleuler, der diesen Begriff für ein Symptom der Schizophrenie geprägt hatte. In Übersicht 1.1 und 1.2 sind die wesentlichen Symptome, die von Asperger bzw. Kanner beschrieben wurden, zusammengestellt.
Vor den Veröffentlichungen von Kanner 1943 und Asperger 1944 gab es bereits Beschreibungen von Kindern, die heute die Diagnose einer autistischen Störung rechtfertigen (Wing 1997). Insbesondere die Artikel von Ssucharewa (1926) und von Asperger (1938) machen deutlich, dass der Begriff »autistisch« auf kindliche Störungen angewandt wurde (Schirmer 2002; Lyons & Fitzgerald 2007).
Im Jahr 1926 beschrieb Ssucharewa von der psychoneurologischen Kinderklinik in Moskau in einem Artikel der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie sechs Jungen im Alter von zehn bis 13 Jahren mit der Diagnose »schizoide Psychopathie« im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem Begriff des »Schizoiden« von Kretschmer. Die ausführliche Beschreibung der Fälle erlaubt eine gewisse diagnostische Einordnung. Fälle 1, 3, 4, 5 und 6 klingen wie Beschreibungen von Kindern mit einem Asperger-Syndrom. Als typisch wird eine motorische Ungeschicklichkeit bei den Kindern beschrieben. Alle Kinder sind intellektuell durchschnittlich oder überdurchschnittlich begabt, zeigen wenig oder gar kein Interesse am Spiel mit anderen Kindern, können sich schlecht in die Gruppe einordnen und zeigen wenig Interesse an anderen Menschen. Die Kinder sind musikalisch. Als ein Symptom aller Kinder wird eine »autistische Einstellung« beschrieben. »Alle Kinder dieser Gruppe halten sich abseits in dem Kindermilieu, passen sich nur schwer an dieses Milieu an und gehen in ihm niemals vollständig auf« (Ssucharewa 1926, S. 255; Manouilenko & Bejerot 2015).
Asperger beschrieb in einem Artikel von 1938 mit dem Titel »Das psychisch abnorme Kind« einen Jungen im Alter von siebeneinhalb Jahren. Zur diagnostischen Einordnung sagte er: »Innerhalb dieser wohl charakterisierten Gruppe von Kindern, die wir wegen der Einengung ihrer Beziehungen zur Umwelt, wegen der Beschränkung auf das eigene Selbst (autos) ›autistische Psychopathen‹ nennen, gibt es nun freilich wieder recht verschiedene, auch recht verschieden zu bewertende Menschen« (Asperger 1938, S. 1316). Man muss annehmen, dass dieser Artikel Kanner bekannt war, der die deutschsprachige Literatur kannte.
In seiner Habilitationsschrift, die 1944 veröffentlicht wurde, beschrieb Asperger dann eine Reihe von Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren, deren gemeinsames Merkmal in einer erheblichen Störung der Beziehung zu anderen Menschen und im sozialen Kontakt besteht. Es seien fast ausschließlich Jungen betroffen, die meist normal oder hochbegabt seien, einige haben zudem eine Sonderbegabung. Asperger beschreibt das Auftreten von auffälligen Persönlichkeiten in den Familien. Er geht von einer Vererbung aus. »Längst ist die Frage entschieden, dass auch psychopathologische Zustände konstitutionell verankert und darum auch vererbbar sind, freilich auch, dass es eine eitle Hoffnung ist, einen klaren einfachen Erbgang aufzuweisen: diese Zustände sind ja zweifellos polymer, also an mehrere Erbeinheiten gebunden« (Asperger 1944, S. 128).
Übersicht 1.1: Diagnostische Kriterien der autistischen Psychopathie nach Asperger 1944
• Starke Störung der sozialen Anpassung
• Schwierigkeiten, einfache praktische Fähigkeiten im Alltag zu erlernen
• Auffälliges Blickverhalten
• Wenig Mimik und Gestik
• Stereotype Bewegungen
• Sonderinteressen
• Auffällige Sprache und Intonation
• Störung der aktiven Aufmerksamkeit
• Prinzenhaftes Aussehen
• Motorische Ungeschicklichkeit
• Konstanz der Symptomatik ab dem 2. Lebensjahr
• Auffällige Persönlichkeiten in den Familien

Kurzer Lebenslauf – Hans Asperger (1906–1980)

1906
Geboren in Hausbrunn bei Wien
1925–1930
Studium der Medizin in Wien
1931
Promotion
1932
Leiter der heilpädagogischen Abteilung der Universitätskinderklinik in Wien
1938
Erster Artikel über ein Kind mit einer autistischen Psychopathie
1944
Habilitation mit der Arbeit über die autistische Psychopathie
1957
Vorstand der Universitätskinderklinik in Innsbruck
1962–1977
Professor für Pädiatrie und Leiter der Kinderklinik in Wien
1980
Verstorben im Alter von 75 Jahren in Wien
Trotz einer englischsprachigen Zusammenfassung der Beschreibungen Aspergers von van Krevelen und Kuipers 1962 wurde das Asperger-Syndrom erst allgemein bekannt, als Lorna Wing 1981 eine Zusammenfassung seiner Befunde in einer englischsprachigen Zeitschrift veröffentlichte. 1991 veröffentlichte Uta Frith in ihrem Buch »Autism and Asperger Syndrom« eine englische Übersetzung des Originaltextes.
Kanner, ein Kinderpsychiater aus Baltimore, beschrieb 1943 eine Gruppe von Kindern mit Auffälligkeiten im Kontakt mit anderen Menschen. »The outstanding, ›pathognomonic‹ fundamental disorder is the children’s inability to relate themselves in the ordinary way to people and situations from the beginning of life« (Kanner 1943, S. 242). Es handelte sich um eine Gruppe von elf Kindern (acht Jungen und drei Mädchen) im Alter bis zu elf Jahren. Er beschreibt die bis heute für die Diagnose wesentlichen Symptome: veränderte soziale Interaktion, auffällige Kommunikation, Stereotypien, eingeschränkte Interessen und Bestehen auf Gleichheit.
Übersicht 1.2: Diagnostische Kriterien des frühkindlichen Autismus nach Kanner 1943
• Unfähigkeit, soziale Beziehungen aufzunehmen
• Ausgeprägter sozialer Rückzug
• Sprache wird nicht kommunikativ eingesetzt
• Echolalie
• Pronominale Umkehr
• Bestehen auf Gleichheit
• Zwanghaftigkeit
• Monotone repetitive Handlungen
• Gute Intelligenz
• Gutes Gedächtnis
• Intelligentes Aussehen
• Symptomatik beginnt im ersten Lebensjahr
• Aus Familien mit hohem Bildungsgrad

Kurzer Lebenslauf – Leo Kanner (1894–1981)

1894
Geboren in Klekotow, Galizien, damals Österreich-Ungarn
1906
Kam er nach Berlin
1913
Begann er sein Studium der Medizin in Berlin an der Charité. Während des 1. Weltkrieges war er Soldat in der österreichisch-ungarischen Armee und setzte nach dem Krieg sein Studium fort
1919
Promotion in Berlin mit einer Arbeit über das Elektrokardiogramm
1920
Assistenzart an der 2. medizinischen Klinik der Charité
1924
Emigrierte er in die USA und arbeitete an einem Psychiatrischen Landeskrankenhaus. Dort hatte er viel Zeit zum Lesen und befasste sich intensiv mit der Literatur zu kinderpsychiatrischen Fragen
1928
Beginn einer Ausbildung bei dem berühmten Psychiater Adolf Meyer in Baltimore
1931
Eröffnete er dort die erste kinderpsychiatrische Abteilung in einer Kinderklinik der USA
1935
Erschien von ihm das erste Lehrbuch der Kinderpsychiatrie
1943
Beschrieb er elf Kinder mit frühkindlichem Autismus
1957
Wurde er zum Direktor für Kinderpsychiatrie ernannt
1959
Wurde er emeritiert, blieb aber weiter sehr aktiv im Fachgebiet tätig
1971
Gründung der Zeitschrift »Journal of Autism and Childhood Schizophrenia«
1981
Verstorben in Sykesville/Maryland im Alter von 86 Jahren
(Eisenberg 1981; Neumärker 2003)
Als Ursache geht er in dieser Arbeit davon aus, dass es sich um eine angeborene Störung im Bereich des affektiven Kontaktes handelt.
»We must, then, assume that these children have come into the world with innate inability to form the usual, biologically provided affective contact with people, just as other children come into the world with innate physical or intellectual handicaps. If this assumption is correct, a further study of our children may help to furnish concrete criteria regarding the still diffuse notions about the constitutional components of emotional reactivity. For here we seem to have pure-culture examples of inborn autistic disturbances of affective contact« (Kanner 1943, S. 250).
Kanner betont, dass die Kinder aus intellektuellen Familien kommen. Zusätzlich habe er in vielen Familien beobachtet, dass die emotionalen Beziehungen sehr kühl seien. »The question arises whether or to what extent this fact has contributed to the condition of the children. The children’s aloneness from the beginning of life makes it difficult to attribute the whole picture exclusively to the type of early parental relations with our children« (Kanner 1943, S. 250).
Sowohl Ssucharewa als auch Kanner und Asperger beschrieben die Störung als ein eigenes Krankheitsbild, das sich klar von der kindlichen Schizophrenie abhebt. Trotzdem wurde über längere Zeit der Begriff »Childhood Schizophrenia« z. B. von Lauretta Bender (1958) verwendet und ein Zusammenhang mit der Schizophrenie angenommen. In der neunten Revision der Klassifikation der Krankheiten (ICD-9) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die bis 1999 in Deutschland gültig war, wurde der frühkindliche Autismus erstmals aufgenommen und noch unter den »Anderen Psychosen« zusammen mit den »Schizophrenien« und den »Affektiven Psychosen« klassifiziert. Erst in der ICD-10 (Dilling et al. 1991), sind die autistischen Störungen als »Tiefgreifende Entwicklungsstörungen« mit den »Spezifischen Entwicklungsstörungen« zusammen als eigene Gruppe aufgeführt (Ousley & Cermak 2014).
Wie im Zitat von Kanner gezeigt wurde, nahm er eine angeborene Störung im affektiven Bereich als Ursache des frühkindlichen Autismus an. Sein Hinweis auf einen möglichen Einfluss des Umfeldes auf die Entwicklung des Kindes wurde von anderen Autoren dahin verändert, dass jetzt die alleinige Ursache der Störung in der gestörten Mutter-Kind-Interaktion gesehen wurde (Bettelheim 1967).
Seit den 1970er Jahren geht man wieder von biologischen Ursachen der Störung aus. Untersuchungen an Geschwistern, der Vergleich eineiiger und zweieiiger Zwillinge und molekulargenetische Untersuchungen in den letzten 30 Jahren sprechen für einen erheblichen Einfluss genetischer Faktoren auf die Ausbildung der Störung.
Seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts werden neuropsychologische Untersuchungen durchgeführt, um Funktionsstörungen zu beschreiben, die einerseits das auffällige Verhalten der Patienten erklären und andererseits spezifisch für den Autismus sind. Wesentliche Korrelate autistischen Verhaltens werden in Besonderheiten der Intelligenzstruktur, Störungen der Theory of Mind sowie einer schwachen zentralen Kohärenz gesehen (Poustka et al. 2004; Remschmidt 2008).
Neben dem frühkindlichen Autismus, den Kanner beschrieb, und der autistischen Psychopathie von Asperger, wurden zwei weitere Untergruppen zunächst dem Autismus zugerechnet, weil sie viele Gemeinsamkeiten im Verhalten zeigen: die »Heller’sche Demenz« und das »Rett-Syndrom«. Theodor Heller, ein Pädagoge aus Wien, beschrieb 1908 eine Gruppe von Kindern, die nach einer bis dahin unauffälligen Entwicklung plötzlich Fähigkeiten in der Sprache, aber auch in vielen anderen Bereichen verloren, ohne dass eine organische Ursache gefunden werden konnte. Nach der Regression zeigen die Kinder Verhaltensstörungen wie Kinder mit einem frühkindlichen Autismus. Das Syndrom wurde als »Desintegrative Störung des Kindesalters« unter den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen in ICD-10 und DSM-IV eingeordnet. In der ICD-11 bleibt die desintegrative Störung des Kindesalters eine Diagnose in der Gruppe der »Entwicklungsstörungen des Nervensystems«, im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen in der 5. Revision (DSM-5; Falkai & Wittchen 2015) wird diese Störung nicht mehr aufgeführt.
Im Jahr 1966 veröffentlichte der Wiener Sozialmediziner und Heilpädagoge Rett eine Beschreibung von 22 Mädchen, die sich zunächst unauffällig entwickelt hatten, dann aber durch Verlust ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. A Phänomenologie
  7. B Entwicklungspsychologie und Ätiologie
  8. C Diagnostische Einschätzung
  9. D Therapeutische Verfahren
  10. E Schulische Bildung
  11. F Erwachsenenalter
  12. G Versorgungsnetz
  13. Anhang