Das Janusgesicht der Psychiatrie
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Das Janusgesicht der Psychiatrie

Nutzen und Risiken psychiatrischen Handelns

  1. 236 Seiten
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Das Janusgesicht der Psychiatrie

Nutzen und Risiken psychiatrischen Handelns

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Über dieses Buch

Psychiatric work aims to benefit those who are mentally ill, but it also holds a risk of adverse effects. This?dual face= of psychiatry is seen for example in the way in which benefits and risks are often assessed in different ways by the physician from the way in which they are experienced and evaluated by the patient.The aim of this volume is to develop solutions that can be understood in a complementary fashion for this tense relationship that is often described as being insolubly antagonistic. Using specific, historically based examples oriented towards a biopsychosocial model, the problem of psychiatric risk&benefit considerations is clarified and the ambivalence of psychiatric work is reflected on in a constructive and critical fashion in a trialogue between psychiatry, patient and society.

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Information

Jahr
2017
ISBN
9783170322950

1 Prolog

I

Psychiatrisches Handeln zielt auf Nutzen für den psychisch Kranken, enthält jedoch auch das Risiko unerwünschter Wirkungen. Diese Dualität ärztlichen Handelns entspricht der Doppelgesichtigkeit des in einander entgegengesetzte Richtungen schauenden altrömischen Gottes Janus.
Images
Abb. 1.1: Münze mit Januskopf2
Solche in die Janusgesichtigkeit der Moderne3 eingebettete Doppelgesichtigkeit der Psychiatrie kommt aber auch darin zum Ausdruck, dass Nutzen und Risiken vom Arzt oft anders beurteilt werden als sie der Kranke erlebt und einschätzt. Dies wird deutlich, wenn das Wohl des Kranken (salus aegroti) nicht ohne das Risiko einer möglichen Schädigung zu erreichen ist und damit das ethische Prinzip der Schadensvermeidung (nil nocere) in Frage steht. Es wird erst recht deutlich, wenn die Gesellschaft über ihre Institutionen, den Staat und die Verwaltung, den Umgang mit psychisch Kranken vorrangig unter dem Aspekt der Sicherung und der Finanzierung,4 der Psychiater aber primär im Hinblick auf die Behandlung des individuellen Kranken sieht.5 Daraus entstehen Spannungen. Wechselseitiges Verständnis für die Schwierigkeiten, Nutzen und Risiken psychiatrischen Handelns zutreffend einzuschätzen, soll dem entgegenwirken.
So wäre für einen als immanent unauflösbaren »Widerspruch der Psychiatrie« aufgefassten Antagonismus zwischen »therapeutischem Zweck« und »administrativ-politischen Funktionen sozialer Kontrolle«,6 zwischen »Freiheit der Person« und »öffentlicher Sicherheit«7 die Richtung einer Lösung aufzuzeigen, die in der reflektierten, verhandelten und balancierten Wechselwirkung zwischen der therapeutischen Indikation des Psychiaters und der Selbstbestimmbarkeit des psychisch Kranken bestehen könnte. Dabei soll eine Einschränkung der Selbstbestimmungsfähigkeit des Patienten als krankheitsbedingt ebenso reflektiert werden wie die »Dienstbarkeit (des Psychiaters) gegenüber der gesellschaftlichen Forderung nach […] Einsperrung«8 und damit der Verschleierung des oben genannten Widerspruchs entgegengewirkt werden. Der Widerspruch ist nicht auflösbar, aber erkennbar, und dieses Erkennen kann die Praxis verändern, so etwa im Umgang mit einem Patienten, der dem auf sein bestes Interesse und Wohl gerichteten Handeln des Psychiaters widerspricht.

II

Ein breites Verständnis psychiatrischen Handelns meint die Anwendung sowohl psychiatrischer Maßnahmen als auch spezifischer Verfahren der Diagnostik und Prognostik, der Prävention, Therapie und Rehabilitation bei Menschen mit psychischen Störungen.
Gemeint sind mit Maßnahmen solche der Fürsorge und Sicherung, Fürsorge für den durch krankheitsbedingte Ernährungsdefizite, Verwahrlosung, Obdachlosigkeit oder Mittelmissbrauch vital gefährdeten hilfsbedürftigen psychisch Kranken, Sicherung (auch durch Verwahrung oder mittels Zwang) zum Schutz vor selbst- oder fremdgefährdenden Handlungen.
Diagnostische Verfahren sollen 1. psychische Krankheit erkennen, sie also von Variationen, von der »Spielbreite« nicht kranken menschlichen Erlebens und Verhaltens abgrenzen; sie sollen weiterhin 2. psychische Störungen speziellen Krankheiten zuordnen, die durch bestimmte Ursachen, Erscheinungsbilder, Verlaufsformen und Ausgänge definiert sind; diagnostische Verfahren sollen schließlich 3. Bedingungen für Entstehung, Manifestation und Verlauf (Remission oder Chronifizierung) psychischer Krankheit feststellen.
Spezifische therapeutische Verfahren zielen 1. auf primäre oder sekundäre Vermeidung psychischer Krankheit (Prävention), 2. auf deren symptomatische oder kausale Beseitigung oder zumindest Abschwächung (Therapie i. e. S.) sowie 3. auf die (Rück-)gewinnung sozialer Kompetenz und Fähigkeit zu selbstbestimmtem Leben (Rehabilitation), insbesondere auch zu selbstbestimmtem Leben trotz Krankheit als »gelingendes bedingtes Gesundsein«9 wie dies etwa die Recovery-Bewegung anstrebt.10
Solange evidenz-basierte, d. h. hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit wissenschaftlich geprüfte Behandlungsverfahren noch nicht zur Verfügung standen, sondern Psychiater nur erfahrungsbegründete Behandlungen von psychisch Schwerkranken kannten, wurde jede erfolgversprechende kasuistische Erfahrung oder Idee aufgegriffen und angewandt, allenfalls nach der Methode Versuch und Irrtum geprüft.
So ist die Anwendung von mechanischem Zwang als Ausdruck sowohl therapeutischer Hilflosigkeit wie auch herrschender Überzeugungen zu verstehen. Gelegentlich wurden diese Überzeugungen mit theoretischen Annahmen begründet, die jedoch wieder verlassen wurden, wenn sie sich als unzutreffend erwiesen oder die durch sie begründeten Maßnahmen sich als erfolglos herausstellten, oder wenn diese wegen schwerwiegender Nebenwirkungen kritisiert wurden und außer Gebrauch kamen (
image
Kap. 3.2.2).
Vor dem Hintergrund weitgehender therapeutischer Ohnmacht wurden positive Wirkungen oft überschätzt und negative Effekte zunächst nicht wahrgenommen oder der Patient musste sie als notwendiges Übel in Kauf nehmen. Schwere Komplikationen führten dazu, dass Verfahren wieder aufgegeben wurden. Sie verschwanden aber vor allem, wenn sie durch Behandlungen ersetzt werden konnten, die wirksamer waren und/oder weniger unerwünschte Wirkungen, also ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis hatten.

III

Das Verhältnis von Wirksamkeit zu Sicherheit, von Nutzen zu Risiken einer Intervention verschob sich mit wachsender Erfahrung. Dabei war der zeitliche Ablauf bedeutsam. Meist hatten nur Verfahren eine Chance, deren Wirksamkeit relativ schnell, also unmittelbar oder in Tagen, höchstens Wochen, erkennbar war, während unerwünschte Wirkungen oft erst nach breiterer Anwendung, also nach Monaten oder Jahren erkannt wurden. Dementsprechend verschlechterte sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis sowohl individuell beim einzelnen Patienten als auch kollektiv bei der gesamten behandelten Patientengruppe mit längerer Anwendung einer Behandlung und verschob sich hin zu stärkerem Gewicht der Risiken (wie bei der modernen Psychopharmakotherapie). Das Nutzen-Risiko-Verhältnis konnte aber im Verlauf auch optimiert werden: so wurden – wenn ein Verfahren sich als einzig und eindeutig wirksam erwies – auch schwerwiegende Nebenwirkungen in Kauf genommen und es wurde versucht, sie durch Modifikation des Verfahrens abzumildern oder auszuschließen (so bei der Malariatherapie der progressiven Paralyse oder der antipsychotischen Elektrokrampftherapie). Dabei beeinflussten subjektive Faktoren die Nutzen-Risiko-Abwägung, hinsichtlich derer sich Psychiater untereinander und von ihren Patienten erheblich unterscheiden konnten, etwa durch die eigene Erfahrung mit Risiken und durch ein unterschiedliches Verständnis des Wahrscheinlichkeitscharakters dieser Abwägung.

IV

Diese subjektiven Faktoren werden von übergreifenden säkularen Veränderungen, vom soziokulturellen (heute zudem multikulturellen) Kontext, dem »Zeitgeist«, entscheidend beeinflusst. Deutlich wird dies, wenn man die letzten 200 Jahre in den Blick nimmt, in denen sich die Psychiatrie als medizinische Disziplin und Institution entwickelt und sich das Arzt-Patienten-Verhältnis11 grundlegend gewandelt hat: vom ehemaligen Irrenarzt, der im gestörten Erleben und vor allem im auffälligen und störenden Verhalten erfassbare krankheitsbedingte Normabweichungen in paternalistischer Weise zu korrigieren suchte bis zum heutigen Psychiater, der Wünsche, Werte und Interessen seines Patienten ernst nimmt und ihm partnerschaftlich hilft, seinen Weg aus der Störung heraus und dabei auch seinen Weg zu den von ihm selbst bestimmten Lebenszielen zu finden. Psychiater wissen, dass diese Zielbestimmung ihres Handelns in der Wirklichkeit nicht immer erreicht wird, noch viel weniger aber geschieht dies aus der Sicht mancher Patienten oder auch der Öffentlichkeit. Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf ihre zugrundeliegenden Erfahrungsunterschiede zurückzuführen, sollte Aufgabe aller Beteiligten an einem konkreten Problem sein, um Differenzen in der Bewertung von Nutzen und Risiken einer psychiatrischen Intervention zwischen Patient und Psychiater mit der erforderlichen Geduld und Toleranz zu ertragen und wenn irgend möglich einvernehmlich zu verringern.

V

Diese nur angedeuteten Probleme psychiatrischer Nutzen-Risiko-Abwägungen sollen im Folgenden durch konkrete Beispiele zur Anschauung gebracht werden, und zwar sowohl aus der Perspektive der Psychiatrie, d. h. von Psychiatern, Pflegekräften und weiteren in der Psychiatrie tätigen Menschen aus verschiedenen Berufsgruppen wie aus der Perspektive der psychisch Kranken, die ihre Erlebnisse und Sicht auf die Psychiatrie als »Psychiatrie-Erfahrene«12 oder »Psychose-Experten durch Erfahrung« in Trialog-Psychose-Seminaren13 zur Sprache bringen, sowie auch aus der Perspektive ihrer sozialen Umwelt, so besonders der ihrer Angehörigen,14 15 und letztlich auch der durch öffentliche Mei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort zur Reihe
  5. Inhalt
  6. Vorwort
  7. 1 Prolog
  8. 2 Zur Entwicklung psychiatrischen Handelns im 19. Jahrhundert
  9. 3 Zur Differenzierung psychiatrischen Handelns im 20. Jahrhundert
  10. 4 Nutzen und Risiken allgemeiner Interventionen im Kontext psychiatrischen Handelns
  11. 5 Epilog – Zur Zukunft der Psychiatrie
  12. Literatur
  13. Sachregister
  14. Personenregister