Inklusion im Sekundarbereich
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Über dieses Buch

Die Inklusionsdebatte ist über weite Strecken geprägt von bildungspolitisch-programmatischen Statements. Die Frage nach den Umsetzungen und nach den Herausforderungen eines inklusiven Bildungssystems wird bislang selten gestellt. Vor allem der Unterricht in den weiterbildenden Schulen, gestaltet von den hier tätigen Lehrern, wird zu einer Nagelprobe der Inklusion. Das Buch wird diesen bislang kaum behandelten Schauplatz der Inklusion vor einem möglichst breiten Themenhorizont erschließen. Es bietet auf diese Weise Basiswissen dazu, wie die weiterführenden Schulen und die Lehrkräfte die an sie gestellte Aufgabe Inklusion im realen Unterricht bewältigen können.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170263871
Auflage
1
Thema
Bildung

Spielräume nutzen – Perspektiven inklusiver Schulentwicklung

Barbara Koch, Annette Textor

1 Einleitung

Im Rahmen dieses Beitrags wird analysiert, wie Schulorganisation in der Sekundarstufe I mit dem Ziel der inklusiven Schule gestaltet werden kann. Zur Zielklärung wird zunächst der Begriff der Inklusion theoretisch gefasst, bevor die Schwerpunkte dieses Beitrages vorgestellt werden.
In der Theorie bedeutet Inklusion, dass niemand wegen individueller Merkmale bzw. Zugehörigkeitszuschreibungen zu bestimmten Gruppen aus dem jeweiligen System und seinen Subsystemen ausgeschlossen wird – weder organisatorisch noch auf der Ebene des sozialen Miteinanders. Statt dessen sollen in einem inklusiven Bildungssystem » alle Schülerinnen und Schüler in der Erreichung ihrer individuellen Lernziele unterstützt werden« (Powell, 2013, S. 141f.) und die individuellen Unterschiede der Schüler von allen Beteiligten – pädagogischem Personal, aber auch Mitschülern und Eltern – akzeptiert und produktiv für das Lernen verwendet werden (vgl. Sander, 2004; Löser/Werning, 2013, S. 22). Weitere Merkmale, die den Begriff »Inklusion« präzisieren, sind (vgl. Wocken, 2010; Sander, 2004; Hinz, 2004):
1. Einbezug aller Heterogenitätsdimensionen: Inklusion schließt alle Heterogenitätsdimensionen ein – die Leistungsfähigkeit in unterschiedlichen Bereichen, die ethnische Zugehörigkeit, den sozioökonomischen Hintergrund und das Geschlecht.
2. Systembezogene Sichtweise: Inklusion legt den Schwerpunkt auf die Beschreibung von Systemen, nicht von Personen – das Bildungssystem oder eine Schule kann inklusiv sein oder nicht, indem es bzw. sie einzelne Personengruppen ein- oder ausschließt. Einzelne Personen können hingegen zwar »inklusive Werte« (Booth/Ainscow, 2011) vertreten, aber nur schwerlich »inklusiv« sein.
3. Verzicht auf gruppenbezogene Ressourcenzuweisung: Anstelle einer an sonderpädagogischen Förderschwerpunkten orientierten Ressourcenzuweisung für Einzelschüler wird eine systembezogene Ressourcenzuweisung für Einzelschulen gefordert, damit die Schulen die individuellen Bedürfnisse aller Schüler berücksichtigen können (vgl. Abschnitt 4).
4. Rechtlicher Anspruch: der Anspruch auf Inklusion legitimiert sich durch die Anwendung allgemeiner Menschenrechte und ist in Deutschland völkerrechtlich bindend, seitdem die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK), die das Recht auf ein inklusives Schulsystem festschreibt (UN-BRK, 2008, Art. 24), auch im Bundesrat ratifiziert wurde (vgl. Abschnitt 2).
Vor dem Hintergrund dieses Inklusionsbegriffes werden im Folgenden einige für die Sekundarstufe I wesentliche Aspekte der Schulorganisation aufgegriffen. Um die Relevanz dieser Thematik zu verdeutlichen und Argumentationshilfen für die Elternarbeit o. Ä. zu geben, beschreiben wir zunächst unterschiedliche Argumentationslinien, in welche die Diskussion um Förderschulen und Inklusion strukturiert werden kann. Auf welche spezifischen Probleme Inklusion in der Sekundarstufe trifft, wird im darauf folgenden Abschnitt analysiert. Schließlich werden verschiedene schulorganisatorische Modelle zur Umsetzung von Inklusion diskutiert und Möglichkeiten der Entwicklung der Einzelschule vorgestellt.

2 Das Schulsystem in Deutschland im Spannungsfeld von Segregation und Inklusion

Trotz der Unterzeichnung der Salmanca-Erklärung im Jahr 1994 (UNESCO, 1994) und trotz einer Integrationsquote1, die sich zwischen 2001 (12,4 %) und 2010 (22,3 %) fast verdoppelt hat (vgl. KMK, 2012a, XIII), ist das Schulsystem in Deutschland nicht weniger segregierend geworden – die Förderquote2 und auch die Förderschulbesuchsquote3 sind im selben Zeitraum sogar gestiegen (vgl. KMK, 2012a, S. 3ff.). Da offenbar politische Absichtserklärungen und die tatsächliche Umsetzung von Inklusion in der Praxis bisher einander zuwiderlaufen, werden im Folgenden entlang von drei Argumentationslinien die Gründe für die Einführung von Inklusion vorgestellt und es wird diskutiert, was für und was gegen die Beibehaltung von Förderschulen – ggf. auf freiwilliger Basis – spricht.

Die demokratietheoretische Argumentation

Im Rahmen der demokratietheoretischen Argumentationslinie wird Inklusion als eine bewusste, demokratisch geprägte Positionierung wahrgenommen, etwa wenn Kobi (1997) sie als einen »Programmpunkt innerhalb eines umfassend egalitären Bildungssystems« (S. 77) bezeichnet, oder sie bei Muth (2009), der Inklusion als »politisches Phänomen« (S. 43) beschreibt, mit der Notwendigkeit, Demokratie auch im Alltag zu leben, begründet wird4 (vgl. auch Beer, 2003, S. 31). Diese Argumentation geht von der Prämisse aus, dass Demokratie, soll sie nicht nur Herrschafts-, sondern auch Lebensform sein, auch im schulischen Alltag gelebt werden muss und entsprechende demokratische Wertvorstellungen einen Ausschluss bestimmter Schülergruppen nicht erlauben.
Diese demokratietheoretische Argumentation verbindet Slavin (1993, S. 537) folgendermaßen mit einer evidenzbasierten: Die empirische Beweislast, effektiver zu sein, liegt ihm zufolge bei den Befürwortern einer äußeren Differenzierung, denn während sich eine äußere Differenzierung ausschließlich über vermutete bessere Leistungen begründet, begründet sich die Bildung heterogener Lerngruppen zudem noch über die Umsetzung und Vermittlung demokratischer Werte. Letztere sollte daher nicht nur dann bevorzugt werden, wenn sie zu besseren Schulleistungen führt, sondern auch, wenn sie zu ähnlich guten Leistungen führt.
In dieser Hinsicht zeigt die empirische Forschung, dass es möglich ist, in inklusiven Schulen ähnlich gute oder auch bessere Schulleistungen zu erzielen als im segregierenden System: Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zeigen in unterschiedlichen Varianten inklusiver Schulen durchweg bessere Schulleistungen als in Förderschulen (vgl. Tent/Witt/Zschoche-Lieberum/Bürger, 1991; Haeberlin, 2002; Dessemontet/Benoit/Bless, 2011; Myklebust, 2006; Newman, 2006 sowie die Übersichten bei Walter-Klose, 2013, S. 63; Möller, 2013, S. 20ff.) und ihre berufliche Integration gelingt leichter (vgl. Ginnold, 2008, S. 258ff.; Eckart et al., 2011, S. 63ff. sowie die Übersicht bei Löser/Werning, 2013, S. 24). Ein Teil der Studien weist allerdings darauf hin, dass dies u. U. mit einer höheren psychosozialen Belastung dieser Schüler »erkauft« werden könnte (vgl. Tent et al., 1991; Möller, 2013). Außerdem ist die Forschungslage zu den Schulleistungen der Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf nicht ganz eindeutig, in den meisten Studien ist sie aber in inklusiven Klassen nicht schlechter als in Klassen ohne Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (vgl. Feyerer, 1998; Dumke/Schäfer, 1993; Textor, 2010; Textor/Funger, 2012; Dessemontet et al., 2011 und die Übersicht bei Möller, 2013, S. 27f.). Die uneinheitliche Forschungslage hinsichtlich sozialer und emotionaler Variablen der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie der Schulleistung der Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf lässt vermuten, dass die konkrete Art der Umsetzung von Inklusion auf diese Bereiche einen besonders hohen Einfluss hat. Die schlechteren Schulleistungen von Schülern in Förderschulen hingegen scheinen tatsächlich mit dem generellen Setting zusammenzuhängen. Sie können vermutlich auf Kompositionseffekte, also Effekte, die sich aus der Zusammensetzung der Schülerschaft heraus ergeben, zurückgeführt werden, wie sie auch in Hauptschulen zu finden sind (vgl. Schümer, 2004, S. 101ff.).
Im Rahmen der demokratietheoretischen Argumentationslinie lassen sich Förderschulüberweisungen unter der Prämisse, dass die Aussonderung bestimmter Gruppen nicht mit demokratischen Werten vereinbar ist, somit nicht rechtfertigen. Zumal die empirische Forschung darauf hinweist, dass Förderschulüberweisungen für die Förderschüler selbst in der Regel nicht vorteilhaft sind, weil sie weder zu besseren Schulleistungen führen noch sicher ist, dass sie Schüler in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung unterstützen. Die Ergebnisse der Schulforschung zeigen vielmehr, dass gute Konzepte inklusiver Schule (vgl. Abschnitt 4 und 5) sowie eine angemessene Ausstattung der Schulen mit Ressourcen durchaus dazu führen können, dass eine inklusive Schule ohne Zwang zur Segregation jeder Schülerin und jedem Schüler gerecht werden kann. Von einer solchen Verwendung von Ressourcen zur sonderpädagogischen Förderung würden u. E. auch Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf stark profitieren.

Die menschenrechtsorientierte Argumentation

Die Prämisse der menschenrechtsorientierten Argumentationslinie ist, dass eine menschenwürdige Gesellschaft jedem Menschen unabhängig von seiner individuellen Situation gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen muss. Inklusion im Bildungssystem wird in diesem Zusammenhang damit begründet, dass sie besser als ein segregierendes Bildungssystem eine solche Teilhabe ermöglicht und daher ethisch geboten und rechtlich umzusetzen ist (vgl. Wocken, 2010, S. 218f.). So enthält das Grundgesetz bereits seit 1994 den Passus, dass niemand »wegen seiner Behinderung benachteiligt werden« darf (GG Artikel 3), im selben Jahr wird Inklusion in der Salamanca-Erklärung empfohlen (UNESCO, 1994) und seit 1994 wird die sonderpädagogische Förderung in Deutschland nicht mehr an den Förderort Förderschule gebunden (vgl. KMK, 1994). Allerdings hat erst die Ratifizierung der UN-BRK (2008) in Bundestag und Bundesrat dazu geführt, dass schulische Inklusion in Deutschland auch einklagbar geworden ist. Diese rechtliche Fundierung von Inklusion führt zurzeit zu einem massiven Ausbau inklusiver Bildungsangebote in allen Bundesländern.
Die UN-BRK schließt mit dem »Rechtsanspruch auf eine inklusive, wohnortnahe und hochwertige allgemeine Bildungseinrichtung« (DIM, 2012, S. 275) eine »zwangsweise Zuweisung an eine Sondereinrichtung gegen den Willen des Kindes beziehungsweise der Erziehungsberechtigten« (DIM, 2012, S. 275) und somit eine Förderschulbesuchspflicht für Schüler mit Behinderungen der vorherrschenden Rechtsauffassung zufolge aus. Nicht ausgeschlossen wird hingegen, dass der Besuch einer Förderschule auf freiwilliger Basis angeboten wird (vgl. auch Avenarius, 2012, S. 68). Dann wäre allerdings – unabhängig von Art und Schwere der Behinderung! – die Entscheidung gegen ein inklusives Bildungsangebot von Seiten der Eltern und nicht die Entscheidung gegen eine Förderschule zu rechtfertigen (vgl. DIM, 2012, S. 277). Ein solches freiwilliges Angebot wäre mit der UN-BRK vereinbar, sofern die Entscheidung der Eltern tatsächlich freiwillig bleibt und aus ihrer Sicht auch die finanziellen, strukturellen und didaktischen Voraussetzungen für inklusive Settings mindestens ähnlich gut sind wie für separierende Settings. Hier besteht eine ernstzunehmende Gefahr latenter Steuerung, beispielsweise indem die Inklusion seitens der Bildungspolitik so schlecht ausgestattet wird, dass dies für Eltern offensichtlich ist und sie ihre Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf »freiwillig« an Förderschulen anmelden.
Kontrovers diskutiert wird, inwiefern für Schüler, die durch ihre Anwesenheit den Unterricht in einer Regelschule gefährden, Förderschulen weiterhin empfohlen oder sogar verpflichtend vorgesehen werden sollten (vgl. Avenarius, 2012, S. 69). Avenarius führt als Beispiel einen Schüler an, der »beispielsweise durch fortdauerndes Schreien den gemeinsamen Unterricht zum Erliegen bringe« (Avenarius, 2012, S. 69), womit eine Förderschule für den Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung besser umgehen könne als eine Regelschule. Hier wird damit argumentiert, dass die Kinderrechtskonvention insofern eine Einschränkung des Rechts auf Inklusion darstellt, als dass durch die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls sowohl der Schüler mit Behinderungen als auch der Mitschüler »die Zuweisung eines Kindes zur Förderschule im konkreten Fall auch nach den Regelungen der Konvention sogar geboten sein kann« (Avenarius, 2012, S. 68). Mehrere Argumente sprechen aber gegen die Beibehaltung von verpflichtenden Förderschulüberweisungen für wenige Gruppen von Schülern. Erstens blieben in diesem Falle die mit der Förderschulzuweisung verbundenen diagnostischen Probleme bestehen: Die Ausprägungen von emotionalen, sozialen, kognitiven, kommunikativen und motorischen Kompetenzen bilden Kontinuen, und die Grenze, ab wann Segregation als legitimierbar gilt, hängt stark von den jeweiligen gesellschaftlichen, institutionellen und individuellen Verhaltens- oder Leistungsnormen ab (vgl. Textor, 2007, S. 18ff.). Zweitens hängt es stark von den zur Verfügung gestellten Ressourcen und der Qualität inklusiver Praxis ab, welche Problemlagen eine Schule bewältigt und welche...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort der Reihenherausgeber
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Einleitung: Inklusion im Sekundarbereich – ein schwieriges Feld
  7. Was bedeutet Inklusion für das Anforderungsspektrum von Lehrerinnen und Lehrern in der Sekundarstufe?Sabine Weiß
  8. Gemeinsamer Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf – ein empirischer ÜberblickMarkus Gebhardt
  9. Unterrichtsgestaltung und InklusionRolf Werning, Ann-Kathrin Arndt
  10. Spielräume nutzen – Perspektiven inklusiver SchulentwicklungBarbara Koch, Annette Textor
  11. Professionalisierung für Inklusion – Impulse für die Lehrer/-innenbildung der SekundarstufeBettina Amrhein
  12. Autorenverzeichnis