Teil II
Kann man Kindern mit Autismus helfen?
In Europa werden derzeit 21 Behandlungsmethoden, die sich besonders für Menschen mit Autismus eignen, angewendet. Dies sind unter anderem:
• Im Bereich des Verhaltens und der Reizverarbeitung aller Sinne: Anwendung von Irlen-Brillen (bei Menschen mit einer visuellen Überempfindlichkeit), Tomatis-Methode, Gehörtraining AIT (Auditory Integration Training), Gehörtraining Auricula, Therapie nach Affolter, Therapie nach Delacato, sensorische Integration (Ayres).
• Im Bereich des sozialen Verhaltens: Verhaltenstherapie, Interaktionstherapie nach Hartmann, Option-Methode, Floortime-Therapie, Mifne-Therapie nach Hanna Alonim, Social Stories, Comic Stript Conversation, Empathietraining nach Baron-Cohen und Hadwin.
• Im Bereich der Sprachentwicklung: Verhaltenstherapie, kommunikative Sprachtherapie, Assoziationsmethode nach McGinnis, PECS – Pictures Exchange Communication System, gestützte Kommunikation, Gebärdensprache (Schirmer, 2006).
Manche Autoren zählen hierzu ebenfalls die logopädische Therapie, die Methode der Aktivitätenpläne, die Developmental Movement Methode Sherborne, die Musiktherapie, die Hundetherapie, das therapeutische Reiten, die Festhaltetherapie, die Methode des Bon Depart, die Montessoripädagogik, die Therapiemethode von Caroline Sutton sowie Entspannungsmethoden (Rozetti-Szymańska, Wójcik & Pietras, 2010, S. 196–213). Eine zusätzliche Einflussgruppe bildet die Anwendung von gluten-, kasein- und zuckerfreien Diäten sowie die Versorgung mit Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminen.
Auf dem »therapeutischen Markt« erscheinen stets neue Methoden für die Arbeit mit Kindern mit Autismus. Das Problem ist jedoch, dass bei der Mehrheit sowohl »alter« als auch »neuer« Methoden keine zuverlässigen empirischen Untersuchungen abgewartet wurden, die die Stichhaltigkeit dieser Therapie bei Menschen mit Autismus bestätigt hätten. Man weiß nicht, welche von ihnen wirklich helfen und welche schaden – sei es nur, indem man auf die Anwendung wirksamerer Methoden verzichtet. Wie es die in diesem Kapitel dargestellten Meta-Untersuchungen zu verschiedenen Einflüssen zeigen, ist auch die Anwendung eklektischer Methoden, die viele Vorgehensweisen miteinander verbinden, nicht begründet.
Im Folgenden werden ausgesuchte Ergebnisse der Diagnose- und Verifikationsuntersuchungen zur Wirksamkeit einer der Methoden dargestellt. Die Untersuchungen wurden in einem Zeitraum von zehn Jahren durchgeführt. Sie umfassen eine Gruppe von 30 Kindern, die mindestens sieben Monate an der Therapie mit Methoden der Applied Bahavior Analysis (ABA) teilgenommen haben. Aus dieser Gruppe wurden 23 Kinder, die zwei Jahre lang an der Therapie teilgenommen haben, einer zusätzlichen Untersuchungsanalyse unterzogen.
In Übereinstimmung mit den methodologischen Annahmen wurden Untersuchungsfragen und Hypothesen aufgestellt, die folgende Punkte betrafen:
• den Stand der Grundfähigkeiten bei Kindern der untersuchten Gruppe vor der Einführung der Methoden der Applied Behavior Analysis (ABA),
• die auftretenden Unterschiede im zu den einzelnen Grundfähigkeiten gehörenden Verhalten bei den untersuchten Kindern nach der Einführung der Methoden der Applied Behavior Anlysis (ABA),
• die Veränderungen im Bereich der Präsentation der Verhaltensweisen, die zu den einzelnen Grundfähigkeiten gehören, die bei den untersuchten Kindern aufgetreten sind,
• die Veränderungen im Verhalten, die bei den untersuchten Kindern im Bereich der axialen Symptome aufgetreten sind.
Es wurden zentrale und detaillierte abhängige Variablen definiert, wobei als Indikator das Auftreten oder das fehlende Auftreten des Verhaltens innerhalb einer fünfsekündigen Messung festgelegt war. Gleichzeitig wurden unabhängige und vermittelnde Variablen definiert. Die unabhängige Variable Alter der untersuchten Kinder wurde außerdem dichotomisiert und nahm für die untersuchte Gruppe zwei Werte ein20:
• Jüngere Kinder (Kinder zwischen dem 33. und 47. Lebensmonat),
• Ältere Kinder (Kinder zwischen dem 49. und 67. Lebensmonat).
Bei den Untersuchungen wurde bei einer Gruppe das Ex-post-facto-Verfahren angewendet. Man entschied sich für eine Gruppe, da der Autismus unter dem Gesichtspunkt der auftretenden Symptome und ihrer Ausprägung verschiedenartig ist und es somit unmöglich macht, vergleichbare Gruppen zu bilden. Man nahm an, dass man bei den Untersuchungen glaubwürdige Ergebnisse erhalten würde, wenn man nicht die Gruppen vergleichen, sondern die Veränderungen des Verhaltens im Laufe der Zeit bei einzelnen untersuchten Personen analysieren würde.
Um den Unterschied im Verhalten im Laufe von vier Wochen nach Einführung der unabhängigen Variablen zu bestimmen, wurde die folgende Untersuchungsprozedur durchgeführt:
• Anfängliche Messung des Verhaltens (Prätest) – Messung von zehn Proben des untersuchten Verhaltens vor der ersten Einführung der unabhängigen Variablen. Während der Testdurchführung wurden keine Hilfestellungen gegeben.
• Mittlere Messung des Verhaltens – wöchentliche Messung der Verhaltensveränderungen nach Einführung der unabhängigen Variablen.
• Endmessung des Verhaltens – letzte mittlere Messung.
Die Messung des bewerteten Verhaltens lag auf einer zweiwertigen Skala:
/ + / es trat korrektes, selbstständiges Verhalten auf
/ – / Verhalten trat nicht auf bzw. trat auf, erfüllte jedoch nicht die in der Definition festgelegten Kriterien.
Die Messung wurde in zehn oder mehr Testproben durchgeführt. Die Testproben erfolgten nicht eine nach der anderen, sondern waren durch andere Aufgaben getrennt. Im Verlauf der Messung konnten keine Lernsituationen entstehen.
Die bestätigten Messungen waren zwischen Beobachtern übereinstimmende Messungen (Messung die unabhängig von zwei verschiedenen Beobachtern durchgeführt wird, in Bezug auf die Übereinstimmung in der Bewertung des beobachteten Verhaltens). Die Messung wurde mit folgender Formel berechnet:
Um den Charakter und die Übereinstimmungen der geleisteten Veränderungen des Verhaltens im Bereich einzelner Fähigkeiten der untersuchten Kinder zu bestimmen, wurde die folgende Untersuchungsprozedur durchgeführt:
• Bewertungen des Anfangsniveaus auf der Grundlage der Liste der Zielverhaltensweisen, der Schaubilder der Verhaltensmessung, des Befragungsgesprächs mit den Eltern, des ergänzenden Gesprächs mit den Lehrern sowie der ergänzenden Beobachtung
• Bewertungen des quantitativen Unterschieds bei den Verhaltensweisen, die zu den einzelnen Grundfähigkeiten gehören, zwischen dem Prätest und den vier folgenden wöchentlichen Messungen nach der Einführung der Methoden der ABA.
• Bewertungen der qualitativen und quantitativen Veränderungen im Verhalten auf der Grundlage von Schaubildern der anfänglichen, mittleren und finalen Messungen sowie der Übereinstimmungsmessungen der Beobachter in Bezug auf einzelne Verhaltensweisen in einzelnen Bereichen
Den empirischen Untersuchungen wurden 30 Kinder unterzogen. Alle Kinder erhielten die Diagnose Frühkindlicher Autismus. Das Durchschnittsalter der Kinder betrug drei Jahre und neun Monate. 21 Kinder begannen die Therapie mit den Methoden der ABA vor der Vollendung des 4. Lebensjahres, neun Kinder danach. Das jüngste Kind begann die Therapie im Alter von zwei Jahren und neun Monaten, das Älteste im Alter von fünf Jahren und sieben Monaten. In der untersuchten Gruppe waren 28 Jungen und zwei Mädchen.
Der Wochenumfang der Therapie betrug bei jedem Kind zwischen 26 und 31 Stunden (20 Stunden im Kindergarten, eine Stunde Supervision zu Hause sowie zwischen fünf und zehn Stunden Therapie, die zu Hause von den Eltern und Kindergartenbetreuern durchgeführt wurde). Nach eingehender Beobachtung der Kinder und Analyse der Entwicklungsstörungen wurde ein individuelles Therapieprogramm erstellt. Die Kinder begannen mit einer Person zu lernen und wurden mit der Zeit, nach und nach, in die Gruppenarbeit eingeführt. Das Lehren neuer Verhaltensweisen verlief nach streng vorgegebenen Methoden. Diese wurden von den Kindergartenmitarbeitern eingeführt und beaufsichtigt.
5 Applied Behavior Analysis (ABA) – Grundlagen der therapeutischen Arbeit
Die Applied Behavior Analysis (ABA) bildet einen der drei Zweige der Verhaltensanalyse – der Lehre, die sich mit der Verhaltensuntersuchung sowie mit der Untersuchung der Umweltvariablen, die darauf Einfluss haben, beschäftigt (Ostaszewski et al., 2008, S. 8; Bąbel, 2011, S. 28). Die ABA bildet auf der Grundlage der Verhaltensregeln Verfahren, die sozial relevantes Verhalten formen sowie verändern, und verifiziert experimentell ihre Wirksamkeit. Die anderen beiden Zweige sind die experimentelle Verhaltensanalyse (experimental analysis of behavior), die das Verhalten unter Laborbedingungen untersucht, sowie die konzeptuelle Verhaltensanalyse (conceptual analysis of behavior), die die fachspezifische Geschichte sowie philosophische, theoretische und methodologische Analysen betrifft (Białaszek et al., 2008, S. 43; Bąbel et al., 2010, S. 18).
Das Hauptziel der ABA ist, bei der Lösung eines für die betroffene Person und die Gesellschaft wichtigen Problems zu helfen. Realisiert wird dies durch die Analyse des Einflusses von Umweltvariablen auf das Verhalten des Individuums. Ausgehend von der Definition der Applied Behavior Analysis beschreiben D. M. Bear und seine Mitarbeiter diese wie folgt:
• angewandt (engl. applied), da sie sich mit ausgesuchten, für die betroffene Person und die Gesellschaft wichtigen Problemen beschäftigt und ihre Untersuchungen zum Ziel haben, diese Probleme zu lösen,
• behavioristisch (engl. behavioral), d. h. sie untersucht und verändert konkrete, beobachtbare Verhaltensweisen, die der objektiven Messung unterliegen,
• analytisch (engl. analytic), d. h. sie klärt die Abhängigkeiten zwischen Variablen und konkretem Verhalten und erlaubt somit, auf diese Abhängigkeiten zu reagieren,
• technologisch (engl. technological), d. h. sie beschreibt detailliert die Abhängigkeiten, was ihre genaue Wiedergabe und Wiederholung ermöglicht,
• konzeptuell systematisch (engl. conceptual systems), bezieht sich in der Darstellung auf die ...