Gesundheits- und Sozialpolitik
  1. 186 Seiten
  2. German
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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die Gesundheitspolitik hat sich in den letzten zwanzig Jahren als ein wichtiger Bestandteil der wirtschaftspolitischen Debatte etabliert. Nichtsdestotrotz lĂ€sst sich der Paradigmenwechsel der deutschen Sozialpolitik, der sich u.a. im RĂŒckzug des Solidarprinzips in unserer Gesellschaft ausdrĂŒckt, auch im Gesundheitswesen beobachten. Dies fĂŒhrt zu Zielkonflikten und Problemfeldern in den einzelnen Bereichen der Leistungserbringung, Finanzierung wie auch der Versorgung. Die Autoren stellen die Entwicklung im Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik aus unterschiedlichen Perspektiven und die daraus resultierenden Allokations- und Distributionsfolgen detailliert dar und zeigen neue, zukunftsweisende Wege auf.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170259621

1          Architektur des Buches

 
Gesundheits- und Sozialpolitik ist ein Thema, mit dem ein Politiker keine Wahl gewinnen kann. Ein Thema, das so vielschichtig ist wie kaum eines in der sozialen Sicherung. Ein Thema, welches wie kein anderes mit anderen Disziplinen verwoben ist und von vielen Seiten betrachtet werden kann. Ein Querschnittsthema, aber ein Thema mit extrem hoher Relevanz.
Gesundheits- und Sozialpolitik in Deutschland ist ein maßgeblicher Bereich unseres deutschen Sozialstaats. Gleichzeitig ist die Gesundheits- und Sozialpolitik von elementarer Bedeutung fĂŒr die gesamte Bevölkerung eines Landes. Dieses Instrument schĂŒtzt die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger in Risikolagen und bietet die Grundlage fĂŒr die gesunde ProduktivitĂ€t einer Volkswirtschaft.
Wir danken den Autoren der verschiedenen Artikel von ganzem Herzen, dass sie aus ihrer Perspektive sich dem Gesundheitswesen gewidmet haben und die verschiedenen Problemlagen in ihrem Bereich benennen. So ist ein vielschichtiges Werk entstanden, welches die Gesundheits- und Sozialpolitik vorstellt, Steuerungsprobleme benennt, Erfolge beleuchtet und Herausforderungen fĂŒr die Zukunft aufzeigt.
In den ersten beiden Artikeln des Buches erfolgt zum einen eine temporĂ€re Betrachtung der Gesundheitspolitik ausgehend von den UrsprĂŒngen des 19. Jahrhunderts, und zum anderen geht der Blick ĂŒber die letzten Reformen hinweg zu den großen ungelösten Problemen im Kontext des deutschen Sozialstaats. Typische Steuerungsprobleme der Gegenwart finden dabei genauso ErwĂ€hnung wie ein optionaler Blick in die Zukunft des Gesundheitswesens.
Eva-Marie Torhorst befasst sich in ihren AusfĂŒhrungen u. a. mit der potenziellen Steigerung des Patientennutzens, aber auch mit dem Abbau möglicher Fehlsteuerungselemente sowie Fehlanreize, wie mit der nach wie vor bestehenden sektoralen Fragmentierung oder, wie sie es nennt, der zersplitterten Versorgungslandschaft. Dabei geht der Blick auf die Vernetzung der Akteure wie auch auf die Art und Weise der derzeitigen Versorgung mit ihren StĂ€rken und SchwĂ€chen. Ihre Forderung konzentriert sich auf die Entwicklung systematischer Kooperationen, StĂ€rkung der interdisziplinĂ€ren Zusammenarbeit sowie einer deutlich höheren Gesundheitskompetenz aller Beteiligten.
Lilia Waehlert schĂ€rft den Blick fĂŒr eine gerechte Gesundheitsversorgung als das wesentliche Merkmal des Sozialstaats und diskutiert die Rahmenbedingungen einer gerechtigkeitsorientierten Gesundheitspolitik. Dabei widmet sie sich der Fragestellung, aus welchen GrĂŒnden ethische Dilemmata im Gesundheitswesen existieren und wie sich solche identifizierten Konflikte lösen lassen könnten.
Stefan Weber blickt aus seiner Perspektive der gesetzlichen Krankenversicherung unter besonderer Beachtung von QualitĂ€t und Wettbewerb auf das Gesundheitswesen und fokussiert hier insbesondere die Frage, wer in welchem KonkurrenzverhĂ€ltnis zueinandersteht. Nachfolgend beleuchten Roger Jaeckel und Philipp Zeitler das Gesundheitswesen aus Sicht der forschenden Arzneimittelindustrie. Sie stellen die berechtigte Frage nach dem neuen RollenverstĂ€ndnis der Arzneimittelindustrie. Nach einer theoretischen EinfĂŒhrung wird der Blick darauf gerichtet, wie sich die Pharmaindustrie in den nĂ€chsten Jahren aufstellen kann und sich möglichweise als Versorger konstituiert.
Andreas Beivers und Christof Minartz diskutieren aus der Sicht des ambulanten und stationĂ€ren Sektors. Betrachtet Andreas Beivers die Krankenhausversorgung mehr aus ordnungspolitischer Sicht, geht Christof Minartz ausfĂŒhrlich auf die Strukturen der ambulanten Versorgung bis hin zu dem jungen Bereich der spezialĂ€rztlichen Versorgung ein.
Ein wesentlicher und immer relevanter werdender Aspekt wird von den Kollegen Remi Maier-Rigaud, Michael Sauer und Frank Schulz-Nieswandt diskutiert, die EuropĂ€isierung der Gesundheits- und Sozialpolitik. Sie zeigen in aller AusfĂŒhrlichkeit die NĂ€he und VerknĂŒpfungen, wie sie sich transnational durch die Entwicklungen in der EU darstellen, auf.

2 Gesundheits- und Sozialpolitik in Deutschland

Clarissa Kurscheid und Andreas Beivers

Im Folgenden sollen nun die UrsprĂŒnge der Gesundheits- und Sozialpolitik in Deutschland betrachtet werden. Dabei erfolgen zum einen eine temporĂ€re Betrachtung des Gesundheitspolitik ausgehend von den UrsprĂŒngen des 19. Jahrhunderts und zum anderen geht der Blick ĂŒber die letzten Reformen hinweg zu den großen ungelösten Problemen im Kontext des deutschen Sozialstaats. Sozialpolitik wird inhaltlich als Querschnittsthematik betrachtet und ist per definitione eine »Intervention in Risikolagen« (Schulz-Nieswandt 2006). Gesundheitspolitik hingegen ist ein eigener Teil der Sozialpolitik und geht ĂŒber die Intervention in Risikolagen hinaus, wenn beispielsweise PrĂ€vention als ein Teil von Gesundheitspolitik betrachtet wird. BĂŒhrlen u. a. gehen in ihren jĂŒngsten Überlegungen davon aus, dass das Gesundheitswesen und die verantwortliche Politik Gesundheit als eine Wertschöpfung fĂŒr die Gesellschaft betrachten sollte (BĂŒhrlen et al. 2013). Allein mit diesen Gedanken wird ein breiter Spannungsbogen aufgezeigt, der in den nachfolgenden Darstellungen keinen Anspruch auf eine vollstĂ€ndige Betrachtung erhebt, aber deutliche Blitzlichter setzt, Geschehnisse aus der Vergangenheit beleuchtet und vorsichtige LösungsansĂ€tze fĂŒr die Zukunft benennt.

2.1 Die UrsprĂŒnge der Gesundheitspolitik und Sozialpolitik in Deutschland

Die Gesundheits- und Sozialpolitik in Deutschland ist einerseits in hohem Maße von dem Sozialversicherungsprinzip Bismarck’scher PrĂ€gung beeinflusst und zeichnet sich andererseits durch eine starke, barmherzig geartete FĂŒrsorge in der historischen Betrachtung aus. Dieser systemimmanente Leitgedanke spiegelt sich u. a. in dem im deutschen Sozialversicherungssystem tief verwurzelten SubsidiaritĂ€tsprinzip, aber auch im SolidaritĂ€tsgedanken wider (Schulz-Nieswandt 2006). Die Wurzeln der SubsidiaritĂ€t liegen in der katholischen Soziallehre und basieren auf dem Gedanken der Nachrangigkeit, das bedeutet, dass die Lasten, die nicht vom Einzelnen ĂŒbernommen werden können, im Bedarfsfall die Solidargemeinschaft mittrĂ€gt. Das Solidarprinzip hingegen ist eines der zentralen Sozialstaatsprinzipien und beinhaltet beispielsweise im Krankheitsfall, dass die Solidargemeinschaft sich gegenseitige UnterstĂŒtzung leistet und Hilfe gewĂ€hrt (Simon 2013).
Im Hinblick auf die Versorgung von Krankheit in Deutschland spielen zusĂ€tzlich enorme Errungenschaften herausragender Forscher (zu nennen sind Lorenz von Stein oder Robert Koch) eine große Rolle, auf die nachfolgend noch eingegangen werden soll. Bereits in Antike und Mittelalter gab es von Seiten des Staates mehrfach Versuche, die materielle Not der BĂŒrger zu lindern (Simon 2013; Rosenbrock und Gerlinger 2009), um Unruhen und AufstĂ€nde zu verhindern und politische StabilitĂ€t zu wahren. Hierbei gilt es festzuhalten, dass eine Vielzahl geschichtlicher, religiöser und auch ökonomischer Parameter zu der Ausgestaltung der einzelnen Sozialstaaten in Deutschland und in Europa beigetragen haben (Kahl 2005; Butterwegge 2005), welche hier allerdings nicht nĂ€her beleuchtet werden.
FĂŒrsorgeorientierte, christliche KrankenhĂ€user, welche noch im Mittelalter zum Teil aus ArmenhĂ€usern hervorgingen, waren in der stationĂ€ren Versorgung verbreitet. SpĂ€ter – nach der Reformation – wurde die Krankenversorgung grĂ¶ĂŸtenteils kommunalisiert und es entwickelten sich immer mehr stĂ€dtische SpitĂ€ler zur Versorgung kranker Menschen (Simon 2013). Hier wurden gerade in der Struktur der Leistungserbringung frĂŒh rollenbasierte Standards – wie beispielsweise die fĂŒrsorgliche Hingabe der »Schwester« und der schon frĂŒh auf Ă€rztliche Technik fokussierte Mediziner gesetzt. Ansonsten waren die HĂ€user stark mit dem Anstaltswesen verhaftet, da es sich insbesondere um eine in sich geschlossene FĂŒrsorge handelte. Es kann auch mit einer Mischung aus Versorgung und Verwahrung beschrieben werden. Allerdings bedeutete diese Form der gesellschaftlichen Trennung in erster Linie ein Schutz der anderen (gesunden) Menschen vor den Kranken. ZusĂ€tzlich herrschte ein hierarchisch orientierter, paternal geprĂ€gter Umgang der Mediziner und Pflegenden mit den Kranken (Foucault 2002 sowie 2005; Schulz-Nieswandt 2003).
Einen wichtigen Beitrag fĂŒr die GesundheitsfĂŒrsorge und darĂŒber hinaus fĂŒr die Entwicklung der sozialen Reformen in Deutschland leistete Lorenz von Stein (18. November 1815–23. September 1890). Von Stein entwickelt in seinen Schriften zur Gesellschaftspolitik (spĂ€ter nennt er sie auch Sozialpolitik) ein »ordnungspolitisches VerstĂ€ndnis«, welches in seinen GrundzĂŒgen auch heute noch der aktuellen Sicht entspricht. In diesem Sinne hat ein sozialer Staat nach der Auffassung von Lorenz von Stein die Pflicht, die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zu verbessern. Zu seiner Zeit standen hier insbesondere Fragen der Hygiene und der Gesundheit des Einzelnen im Vordergrund (Kaufmann 2003). Seine Motivation lag zudem in der Vermeidung möglicher KlassenkĂ€mpfe. Nach den Überlegungen von Steins war es notwendig, der nicht-herrschenden Klasse ein Minimum an sozialer Sicherheit, GesundheitsfĂŒrsorge und Bildung zur VerfĂŒgung zu stellen (Grosseketteler 1998). Ein weiterer – im Hinblick auf die historische Betrachtung der Gesundheitsversorgung – wesentlich zu nennender Akteur ist Robert Koch (11. Dezember 1843–27. Mai 1910). Mit seiner Forschung als Bakteriologe hat er in der Gesundheitsvorsorge wesentlich zur Erkennung von Ansteckung und deren Verhinderung mittels hygienischer Maßnahmen beigetragen. Mit seiner Forschung als Mediziner und Mikrobiologe hatte er im hohen Maß Anteil daran, dass die Erreger der Tuberkulose, aber auch der Cholera entdeckt wurden.
Als Geburtsstunde des deutschen Sozialstaates heutiger PrĂ€gung können die in den Jahren 1881 bis 1888/89 gegrĂŒndeten Zweige der Sozialversicherung durch die Bismarck-Administration bezeichnet werden, fĂŒr die vornehmlich der sozialpolitische Gedanke prĂ€gend war. So wurde 1883 das Krankenversicherungsgesetz, 1884 das Unfallversicherungsgesetz und 1889 das Invaliden- und Altersversicherungsgesetz (spĂ€ter Rentenversicherung) eingefĂŒhrt. Ziel war es vor allen Dingen, die industrielle Arbeitnehmerschaft, die sich mehr und mehr entwickelte, gegen die Risiken des Arbeitslebens abzusichern und so von den Gewerkschaften fernzuhalten. Um dies zu erreichen, stellten die damals fĂŒhrenden politischen KrĂ€fte die solidarische Selbsthilfe in den Mittelpunkt. Damit war Deutschland weltweit wegweisend. Nicht der Staat selbst sollte die soziale Absicherung ĂŒbernehmen, sondern die Betroffenen sollten sich durch solidarisches Zusammenschließen gegenseitig Hilfe gewĂ€hren. Damit entstand das SolidaritĂ€tsprinzip, das eng mit dem genossenschaftlichen Denken verwandt ist (Neubauer 2007; Butterwegge 2005).
Die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens und der Gesundheitsversorgung vollzog sich innerhalb des historischen Kontexts auf Basis der Standessicherung, wie sie zu Ende des 19. Jahrhunderts gelebt wurde. Ausgehend von dem Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Hilfskassenwesen etablierte sich mit der EinfĂŒhrung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Bismarck 1883 die »Gesetzliche Krankenversicherung«. Mit der zunĂ€chst ausschließlichen Absicherung der ErwerbstĂ€tigen bei Krankheit wurde zu diesem Zeitpunkt das GerĂŒst des Gesundheitssystems gelegt, das in seinen GrundzĂŒgen bis in die Gegenwart Bestand hat (Lampert, 2007; BĂ€cker, Bispinck, NĂ€gele, 2008). Die Leistungserbringung wurde bis zur GrĂŒndung der kassenĂ€rztlichen Vereinigung (1931) in EinzelvertrĂ€gen verhandelt und erst nach 1931 auf Basis kollektivvertraglicher Vereinbarungen. Die Organisationsprinzipien basierten auf zunftĂ€hnlichen Strukturen, ausgehend von der GrĂŒndung der Kassen (1883), und die Finanzierung basierte aus KrankenkassenbeitrĂ€gen (KassenĂ€rztliche Vereinigung Nordrhein 2012). Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich die Krankenversicherung durch das SolidaritĂ€tsprinzip, Bedarfsprinzip und den Aspekt der Umverteilung (Knappe et al 2002) auszeichnete. Das SolidaritĂ€tsprinzip ermöglicht die vom gesellschaftlichen Status des Einzelnen unabhĂ€ngige Leistung der Krankenversicherung im Bedarfsfall. Daraus ergibt sich das Bedarfsprinzip, d. h. diese Bedarfe werden in Form von Sachleistungen gewĂ€hrleistet. Die Genossenschaftsartigkeit ist durch den reziprozitĂ€ren Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung gekennzeichnet, welches sich mit dem Prinzip auf Gegenseitigkeit erklĂ€ren lĂ€sst. Die Umverteilung erfolgt horizontal wie vertikal. Beispielhaft sei hier die beitragsfreie Familienmitversicherung sowie die Umverteilung von jung nach alt – im Hinblick auf das sich im Alter entwickelnde höhere Krankheitsrisiko mit einer in der posterwerbstĂ€tigen Phase verbundenen geringeren Beitragszahlung – zu nennen (Kurscheid und Hartweg 2009).
Aufgrund der geringen MobilitĂ€t in der FrĂŒhindustrialisierung war der Beitritt zu einer Solidargemeinschaft in der Regel eine lebenslange Entscheidung. Die solidarischen Gemeinschaften waren somit ĂŒber eine Lebensspanne gedacht und in ihrer Zusammensetzung stabil. Der Staat seinerseits definierte die Versicherungspflicht der einzelnen Arbeitnehmer und wies sie in der Regel orientiert an den unterschiedlichen Branchen ganz bestimmten Solidargemeinschaften zu. Die Solidargemeinschaften ihrerseits waren gemeinnĂŒtzig angelegt und verwalteten sich selbst. Die soziale Selbstverwaltung entstand und ist bis heute noch ein prĂ€gendes Element der deutschen Sozialversicherung (Neubauer 2007).
So ist festzuhalten, dass die Bismarckschen Sozialversicherungen deutscher PrĂ€gung bis zum Ersten Weltkrieg und auch danach Vorbild fĂŒr viele Staaten waren und sind.

2.2 Die Gesundheits- und Sozialpolitik seit Ende des Zweiten Weltkriegs

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Aufbau der Bundesrepublik Deutschland als Soziale Marktwirtschaft nach dem Vorbild von Walter Eucken1, auf welchen spĂ€ter noch nĂ€her eingegangen wird, bestand auch unter den alliierten SiegermĂ€chten die Auffassung, dass neben dem Aufbau des Wirtschafts- und Rechtssystems auch der Aufbau einer umfassenden Sozialversicherung kommen sollte (Niehoff 2007). So wurde u. a. im Kontext der Krankenversicherung auf die Prinzipien der Bismarckschen Sozialversicherung zurĂŒckgegriffen und die Selbstverwaltung nach dem Vorbild der Weimarer Republik wiederhergestellt. In der Sozialpolitikgestaltung nach Ende des Zweiten Weltkriegs sind vor allem die ordnungspolitischen Ideen und Leitbilder kaum wegzudenken.
Somit erfĂ€hrt in der weiteren historischen Betrachtung die Fortentwicklung der Sozialordnung große Beachtung. In dieser geht es um weitaus mehr, als um die Frage vom Einsatz sozialpolitischer Ziele. Die Sozialordnung ist ein Ausdruck einer zeitgemĂ€ĂŸen politischen Anschauung, in der ethische, normative, aber auch weltanschauliche Grundlagen zusammenkommen und in praktischer Gesundheits- und Sozialpolitik niedergeschrieben werden. Wie schon in der anfĂ€nglichen Definition benannt, hat die praktische Sozialpolitik zum Ziel, in »Risikolagen zu intervenieren« (Schulz-Nieswandt 2006), das gestalterische Moment ist dann die Art und Weise, welche höchst unterschiedlich ausfallen kann (Kaufmann 200...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. Geleitwort zur Reihe
  6. Die Autorinnen und Autoren
  7. 1 Architektur des Buches
  8. 2 Gesundheits- und Sozialpolitik in Deutschland
  9. 3 Gesundheitspolitik – Herausforderungen fĂŒr die Zukunft
  10. 4 Ethische Dilemmata im Gesundheitswesen
  11. 5 QualitĂ€t und Wettbewerb – Die guten Leistungserbringer mĂŒssen profitieren!
  12. 6 Gesundheits- und Sozialpolitik aus Sicht der forschenden Arzneimittelindustrie
  13. 7 Gesundheits- und Sozialpolitik aus Sicht des ambulanten Sektors
  14. 8 Ordnungspolitisches Spannungsfeld der deutschen Krankenhausversorgung am Beispiel der Mengensteuerung
  15. 9 EuropÀisierung der Gesundheits- und Sozialpolitik