Geschichte des globalen Christentums
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The way in which the world's religions are intertwined in the dynamics of global development has become obvious in the twenty-first century. This also applies to Christianity. In view of the fact that its historiography is still predominantly regional or national, however, little is known about Christianity's historical process of development to become a religion that is globally active and plurally differentiated.The third volume presents - for the first time in the German-speaking countries - a comprehensive, interdenominational and interdisciplinary history of global Christianity in the twentieth century. Renowned (church) historians and religious studies specialists trace developments during the century of world wars into the postmodern age. In addition to geographically arranged essays, supra-regional thematic issues such as ecumenism and Christian anti-Semitism are presented in an authoritative and comprehensible fashion.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783170315075

Afrikanisches Christentum im 20. Jahrhundert – Teil 1

Akintunde E. Akinade

1. Einleitung: Die Kühnheit des Glaubens

Keine Zivilisation ist einfarbig. In Afrika ist das kulturelle Gepräge des Kontinents durch die reizvollen Nuancen des Christentums verändert worden. Das Bild des afrikanischen Christentums im 20. Jahrhundert ist vielgestaltig, unvorstellbar komplex und bunt. Wellen spiritueller Unabhängigkeit haben es ebenso definiert wie strikte Orthodoxie. Während die kirchliche Macht von Konfessionen wie der katholischen und der anglikanischen Kirche nach wie vor eine dominante Größe darstellt, sind die unabhängigen afrikanischen Kirchen im 20. Jahrhundert rasant gewachsen. Es war eine Zeit der spirituellen Konsolidierung und Erneuerung. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat sich das Christentum zu einem wesentlichen Bestandteil der religiösen Landschaft Afrikas entwickelt. Während dieser Zeit ist das afrikanische Christentum in „eine neue Phase in der Geschichte des Christentums [eingetreten], in der sich die Tradition in intellektuellen, sozialen und religiösen Milieus ausdrückt, zu denen sie bis dato keinen Zugang hatte.“1 Diese Worte des britischen Kirchenhistorikers Andrew Walls eröffnen neue Einsichten in das der Religion innewohnende Potenzial, sich veränderten Umständen anpassen zu lassen.
Das Verständnis von Religion als einem kulturellen System, wie der US-amerikanische Ethnologe Clifford Geertz es formuliert hat, ist ein gutes Hilfsmittel, um die Beständigkeit religiöser Identitäten und Normen in afrikanischen Gesellschaften zu verdeutlichen. Religiöse Identitäten und Bekenntnisse haben in vielen afrikanischen Gesellschaften kulturelle Bedeutung. Frömmigkeit und Spiritualität wurden im 20. Jahrhundert von zahllosen kulturellen Vorschriften und Sensibilitäten begleitet. Dennoch blieb die theologische Orthodoxie eine relevante und nützliche Richtschnur. Sie diente als letztgültiger Maßstab, um bestimmte kulturelle Praktiken und Überzeugungen zu beurteilen. Umgekehrt wirkte die indigene Kreativität dem starren Zwang vorgefertigter Theologien und Doktrinen entgegen.
Charakteristische Merkmale des afrikanischen Christentums im 20. Jahrhundert waren Widerstand, Innovation und Kreativität. Erfahrung und Ausdrucksformen des christlichen Glaubens in Afrika haben viele robuste Formen und Modelle hervorgebracht. Das 20. Jahrhundert war von kreativen Initiativen geprägt, die darauf abzielten, das Christentum in den afrikanischen Kontext zu integrieren. In diesem Zusammenhang haben afrikanische Christen den Glauben in ihre Gesellschaften inkultiert und viele neuartige Projekte und Initiativen auf den Weg gebracht, um diesen kühnen Anspruch zu untermauern. Eine neue Erzählung des christlichen Glaubens, die im 19. Jahrhundert vielerorts eingeführt worden war, nahm nun neuartige Formen an und folgte innovativen Modellen. Es war eine ehrgeizige Phase in der historischen Entwicklung des Christentums in Afrika. In dieser Zeit der konzertierten Veränderung gründeten afrikanische Propheten und Priester Bewegungen mit charismatischer und pfingstlicher Ausrichtung, die die Bedeutung indigener Akteure bei der Ausdehnung des Christentums in Afrika unterstrich. Dieser spirituelle Zeitgeist hat sich in vielen afrikanischen Kontexten niedergeschlagen und nicht zuletzt faszinierende Fallstudien zur Geschichte des Glaubens und der Gläubigkeit hervorgebracht. So oder so verdankt das afrikanische Christentum des 21. Jahrhunderts diesen Erneuerungsmodellen wichtige Impulse. Außerdem kann man in ihnen beredte Zeugnisse für die angeborene Kraft des Christentums sehen, inmitten neuer Herausforderungen und Chancen wiederaufzuleben und sich zu erneuern. War das 19. Jahrhundert eine Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit in der religiösen Landschaft Afrikas, so kann das 20. Jahrhundert als Phase der religiösen Konsolidierung und Neuausrichtung beschrieben werden. Das daraus resultierende religiöse Modell trägt den unauslöschlichen Stempel der religiösen Kreativität und Innovation der Bevölkerung. Die Erfahrung des Mysterium tremendum et fascinans, um auf die klassische Beschreibung des deutschen Religionswissenschaftlers Rudolf Otto zurückzugreifen, hat in Afrika langlebige Bewegungen hervorgebracht. Der kämpferische Gott des 19. Jahrhunderts ist im 20. Jahrhundert kleinlauter geworden. Die Zeit war reif für eine kreativere Aneignung der christlichen Botschaft. Das afrikanische Christentum des 20. Jahrhunderts war zutiefst kontextuell. Gottes ewige Worte erhielten je nach Kontext neue und kreative Bedeutungen. Der ungehemmte Geist des religiösen Aufschwungs im 20. Jahrhundert wurde durch ein neues soziales und politisches Bewusstsein verstärkt. Die Aufgabe, den Augiasstall einer fremden kirchlichen Vorherrschaft zu reinigen, mit der man im ausgehenden 19. Jahrhundert begonnen hatte, erreichte im 20. Jahrhundert eine neue Stufe. Zu dieser Zeit nahmen ältere Versuche, den christlichen Glauben in Afrika zu kontextualisieren, neue institutionelle Formen und Strukturen an. Die grenzenlose Hybris ausländischer Missionare wurde von den abweichlerischen Stimmen der religiösen Autonomie und Freiheit unerbittlich zurechtgestutzt. Das politische Streben nach Gleichheit und Würde ging mit der Leidenschaft für religiöse Autonomie Hand in Hand. In der Vorstellung der Menschen waren religiöse und politische Selbstbestimmung Bedingungen des Fortschritts und untrennbar miteinander verbunden. Schließlich setzt echte Veränderung persönliche Umkehr und politisches Bewusstsein voraus. In einer von nationalistischem Überschwang angeheizten Atmosphäre fand die religiöse Unabhängigkeit einen fruchtbaren Boden. Die Bewegungen, die nach religiöser und politischer Anerkennung strebten, nahmen in der Kolonialzeit ihren Anfang. Nach der Unabhängigkeit wurde daraus ein voll ausgebildetes Phänomen. Diese Entwicklung ist wie ein Faden, der in den Teppich und den Saum des afrikanischen Christentums hineingewoben ist.

2. Das 20. Jahrhundert: ein neuer Morgen

Die historische Metamorphose und Umgestaltung des afrikanischen Christentums lässt sich unter vielfältigen Aspekten betrachten, die miteinander verbunden sind: Missionen, Konversionen, Unabhängigkeitskämpfe, charismatische Erneuerungen und die kreativen Formen, die Afrikaner entwickelt haben, um sich das Christentum im Kontext ihrer eigenen Weltanschauung und Kultur zu eigen zu machen. Was Wachstum und kirchliche Vertretung betrifft, hält das afrikanische Christentum einen einsamen Rekord. Die Kreativität des afrikanischen Christentums tritt in den spannenden religiösen Bewegungen und Modellen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts in Afrika entstanden sind zu Tage. Auch im 21. Jahrhundert sind Wachstum und Wandel des afrikanischen Christentums bemerkenswert. Die Grundlagen für dieses Phänomen wurden im 20. Jahrhundert gelegt. Es scheint, als wäre das afrikanische Christentum am Schnittpunkt von Potenz und Akt oder sozusagen an der quintessentiellen Kreuzung von Hoffnung und Verheißung, menschlicher Gebrochenheit und Erlösung verortet. Diese Gegenüberstellung verweist auf die ewige Paradoxie des christlichen Glaubens in Afrika. Diese Perspektive ist ein festverwurzelter Bestandteil der afrikanischen Weltsicht und gewährt uns aufschlussreiche Einblicke in die beständigen Bemühungen der menschlichen Seele, mit der letztgültigen Wirklichkeit in Verbindung zu treten.

3. Das 20. Jahrhundert: ein pfingstliches Zeitalter

Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren überall in Afrika von einem geradezu explosionsartigen Wachstum der neuen Pfingstkirchen geprägt. In Afrika hat die Geschichte der Pfingstkirchen interessante pneumatologische Modelle und neue Aneignungsformen des Christentums hervorgebracht. Diese Prozesse haben ihren Ursprung nicht in der Azusa Street2 und sind auch keine Anhängsel der amerikanischen Electronic Church, sondern erwachsen aus dem tiefen spirituellen Bewusstsein des afrikanischen Kontinents. Der Historiker und Theologe Ogbu Kalu hat dies als den „nativen Charakter des afrikanischen Pfingstlertums“ bezeichnet.3 Zu den neuen Paradigmen dieser Kirchen gehören: religiöse Glaubenssätze des amerikanischen Evangelikalismus, das Wohlstandsevangelium, Heilungen, Errettung vor Mächten und Gewalten und charismatische Gottesdienste in einer technologisch durchgestylten Umgebung. Vor allem die städtische Jugend fühlt sich von der neuen Mode des pfingstlerischen Eifers angezogen. Überdies ist das Wohlstandsevangelium für Reiche eine willkommene Botschaft, weil es die Anhäufung von Reichtümern nicht verurteilt. Und es macht auch den finanziell weniger Erfolgreichen Hoffnung und eröffnet ihnen neue Aussichten und grenzenlose Möglichkeiten. Diese neue Welle des Pfingstlertums neigt dazu, einige der Riten und spirituellen Praktiken der unabhängigen afrikanischen Kirchen wegen ihres angeblich heidnischen Charakters abzulehnen. Und auch die Mainline-Kirchen werden zur Zielscheibe pfingstkirchlicher Streitschriften, weil, so der Vorwurf, sie einer Form des Christentums nachgäben, die der Macht und Gegenwart des Heiligen Geistes beraubt sei. Die Welle der pfingstkirchlichen Begeisterung, die den gesamten afrikanischen Kontinent erfasst hat, bietet eine neue Perspektive, was das Verständnis der Macht des Heiligen Geistes über die Mächte und Gewalten dieser Welt betrifft. Die afrikanischen Pfingstkirchen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von der älteren Gattung der unabhängigen afrikanischen Kirchen. Bei den Pfingstlern ist an die Stelle der charismatischen Persönlichkeit des Propheten eine neue Erzählung des radikalen Empowerment getreten, die darauf beruht, dass sich alle vom Heiligen Geist ergreifen lassen. Die Bewegung lehnt jedwede Hierarchie ab. Abgesehen von der Möglichkeit, eine charismatische Person zu salben, vertritt das moderne afrikanische Pfingstlertum die biblische Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen. Pfingstler glauben, dass Gott in der Erfahrung des Geistes unmittelbar zugänglich ist.

4. Begegnung mit einem nachwestlichen Christentum

Nach wie vor bietet die Verwandlung des Christentums in Afrika faszinierende Geschichten und mitreißende Fallstudien. Das Bild des afrikanischen Christentums ist bemerkenswert dynamisch, stets veränderlich und immer in Erneuerung und Wandel begriffen. Die Unabhängigkeitsbewegungen, die im späten 19. Jahrhundert in Afrika um sich griffen, haben auch den religiösen Bereich nachhaltig beeinflusst. Als wirksamen Protest gegen ausländische Missionare, die sie als eigennützige, scheinheilige Seelenfänger darstellten, haben afrikanische Propheten und charismatische Anführer ihre eigenen religiösen Bewegungen gegründet. Es ist unstrittig, dass nationalistische Begeisterung und die geringe Bedeutung, die das Missionschristentum dem Ethos und der Weltsicht der indigenen Bevölkerungen beigemessen haben, zu den unabhängigen afrikanischen Kirchengründungen beigetragen haben. Das Aufkommen dieser African Initiated Churches unterstreicht die dringende Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass die christliche Botschaft in den afrikanischen Kontexten und Verhältnissen Relevanz erhält. Westlichen Missionaren und den von ihnen gegründeten religiösen Institutionen wurde häufig ein mangelndes Verständnis für die afrikanische Kultur und Religiosität nachgesagt. Dementsprechend stellen die African Initiated Churches eine echte Protestbewegung gegen die hegemonischen Strukturen und Verhaltensweisen historischer Kirchen dar. Die Genialität der African Initiated Churches besteht in der Kreativität, mit der sie die Gute Nachricht in den afrikanischen Gesellschaften kontextualisiert haben. In den von ihnen geschaffenen religiösen Institutionen können sich afrikanische Christen zuhause fühlen und spirituell ausdrücken. Ihre Bibelauslegung, ihre einmaligen gottesdienstlichen Formen, ihre charismatische Begeisterung, ihr pneumatologischer Blickwinkel und das Priestertum der Gläubigen sind nachhaltige Beiträge zur Geschichte des Christentums in der Welt von heute.
Eines der spirituellen Elemente, die die African Initiated Churches mit den pfingstlichen und den charismatischen Bewegungen gemeinsam haben, ist der hohe Stellenwert der Taufe im Heiligen Geist. Mit dem Empfang des Heiligen Geistes geht häufig die Zungenrede einher. In diesen afrikanischen Gemeinden wird der Heilige Geist als wichtiger Faktor der Liturgie, des sozialen Engagements und der Heilung erfahren und ausdrücklich benannt. Für sie ist der Heilige Geist das wahre Feuer vom Himmel, das alle Ränke des Teufels und alle böswilligen spirituellen Kräfte verzehrt. Die Betonung der menschlichen Ganzheit stimmt sowohl mit der biblischen Tradition als auch mit der Weltsicht der indigenen Bevölkerung Afrikas überein.
Die African Initiated Churches sind inzwischen ein fester Bestandteil ökumenischer Überlegungen und Beratungen. Vier Kirchen aus der Tradition dieser unabhängigen afrikanischen Gründungen sind mittlerweile Mitglied im Weltkirchenrat: die Afrikanische Kirche des Heiligen Geistes (aus Kenia); die Afrikanische Israel-Kirche Ninive (ebenfalls aus Kenia); die Kirche des Herrn (eine Aladura-Kirche aus Nigeria) und die Kirche Jesu Christi auf Erden durch seinen Boten Simon Kimbangu (aus dem Kongo). Ihre Mitgliedschaft im Weltkirchenrat unterstreicht die zunehmende Offenheit dieser ökumenischen Organisation. Der Oikos Gottes ist eine Gemeinschaft von Kirchen mit unterschiedlichen Gottesdienststilen, ethischen Auffassungen, Spiritualitäten und Theologien.
Die weltweite Wiederauferstehung und Erneuerung des christlichen Glaubens ist ein faszinierendes Phänomen. In den postkolonialen Gesellschaften wächst und verbreitet sich das Christentum wie nie zuvor. Das Christentum ist zu einer Weltreligion erblüht, wobei mit „Welt“ nicht mehr nur die westliche Welt gemeint ist. Im Jahr 2016 hatte Europa mit 532 Millionen die meisten Christen weltweit, gefolgt von Lateinamerika mit 525 Millionen und Afrika mit 417 Millionen Christen. Im Jahr 2025 wird jedoch, Prognosen zufolge, Afrika 634,6 Millionen Christen haben, gefolgt von Lateinamerika mit 634,1 Millionen, während die Zahl der Christen in Europa auf 531 Millionen gesunken sein wird. Im Norden verliert das Christentum an Lebenskraft und Identität, während es sich im globalen Süden im Aufschwung befindet. In Großbritannien zum Beispiel gehen nur etwa eine Million der 26 Millionen Mitglieder der Church of England sonntags in den Gottesdienst. In Nigeria leben über 18 Millionen Anglikaner, und ihre Kirchen sind sonntags brechend voll. Inzwischen lebt die Hälfte aller Anglikaner weltweit in Afrika. Diese Wendungen und Umbrüche in der Demographie der Christen in aller Welt werden sich tiefgreifend darauf auswirken, wie Glaube wahrgenommen und verstanden wird. Historischer und kultureller Ballast macht die Menschen im Westen oft blind für die tatsächlichen Dimensionen des Weltchristentums. Im 21. Jahrhundert gibt es faszinierende Beispiele und Fakten, die Menschen im nachchristlichen Westen helfen können, die Macht des Heiligen Geistes zu erkennen, der „weht, wo er will“ (Joh 3,8). Der kometenhafte Aufstieg des nicht westlichen Christentums kam für Theologen und Kirchenhistoriker völlig überraschend. Außerhalb der westlichen Welt war die Verbindung zwischen Christentum und kolonialer Herrschaft so eng gewesen, dass sein natürlicher Tod in der postkolonialen Ära absehbar schien. Tatsächlich aber geschah genau das Gegenteil. Seit dem Ende der Kolonialherrschaft ist das Christentum aufgeblüht. Afrika ist dafür ein sehr beeindruckendes Beispiel. 1900 gab es in Afrika nur etwa neun Millionen Christen. Im Jahr 1950, als noch viele Länder unter kolonialer Herrschaft standen, war die Zahl auf 30 Millionen gestiegen. 1970 jedoch, nach der Unabhängigkeit, hatte sich ihre Zahl mit 117 Millionen nahezu vervierfacht. Heute leben in Afrika etwa 397 Millionen Christen.

5. Eine komplexe Beziehung: Christen und Muslime im 20. Jahrhundert

Eine der entscheidenden Herausforderungen für die Kirchen im Afrika des 20. Jahrhunderts bestand darin, eine tragfähige Grundlage für den Umgang mit der beträchtlichen muslimischen Präsenz auf dem Kontinent zu erarbeiten. Mit der Unabhängigkeit wurde ein tieferes Verständnis des Islam zu einem wichtigen Aspekt der christlichen Verantwortung im subsaharischen Afrika. Im Jahr 1959 fand dieses Anliegen seinen Ausdruck in der Gründung des Islam in Africa Project4 oder des Programms für christlich-muslimische Beziehungen in Afrika (PROCMURA: Programme for Christian-Muslim Relations in Africa), wie es seit 1987 heißt. Das Projekt ging von dem kühnen Entschluss aus, den Islam zu verstehen und die Ressourcen der traditionellen afrikanischen Weltsicht zu nutzen, um eine bessere Verständigung zwischen Christen und Muslimen in Afrika zu erreichen. PROCMURA hat sich auch aus der für die Kirchen bestehenden Notwendigkeit heraus entwickelt, ihre Mitglieder so zu erziehen, dass sie ihrer Verantwortung gegenüber ihren muslimischen Mitmenschen nachkommen können, und verfolgt den faszinierenden und dynamischen Anspruch, das Verständnis der Religionen untereinander zu fördern. Vorrangiges Ziel des Projekts war,
„den Kirchen in Afrika ihre Verantwortung vor Augen zu führen, den Islam und die Muslime ihrer Region zu verstehen und dabei die Aufgabe der Kirchen im Blick zu behalten, das Evangelium Jesu Christi in der muslimischen Welt getreulich zu interpretieren.“5
Unter der Schirmherrschaft von PROCMURA wurden in Ghana, Sierra Leone, Benin, Nigeria, Kamerun, Äthiopien, Kenia und Malawi Bezirkskomitees gegründet. In einer Reihe von Ländern haben Muslime an PROCMURA-Projekten teilgenommen und den Teilnehmern zu einem besseren Verständnis des Islams verholfen. Welche Art von Beziehung zu Muslimen das Programm anstrebt, kommt in d...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Einleitung – Das Christentum im 20. Jahrhundert (Jens Holger Schjørring)
  5. Das Christentum im Ersten Weltkrieg (Jens Holger Schjørring)
  6. Das Christentum in Europa und Nordamerika zwischen den Weltkriegen 1918–1939 (Andrew Chandler)
  7. Die Kirchen im Zweiten Weltkrieg (Harry Oelke)
  8. Das Christentum in Europa und Nordamerika zur Zeit des Kalten Kriegs (Andrew Chandler)
  9. Christentum, Menschenrechte und sozialethische Neuorientierungen (Katharina Kunter)
  10. Die ökumenische Bewegung und die Entstehung eines Weltchristentums im 20. Jahrhundert (Melanie A. Duguid-May)
  11. Das Zweite Vatikanische Konzil: Wie das erste globale Konzil den Katholizismus transformierte (Gerard Mannion)
  12. Antisemitismus, Holocaust und Neuorientierung (Siegfried Hermle)
  13. Das Christentum im Kontext anderer Weltreligionen: Interreligiöse Dynamiken und Entwicklungen im 20. Jahrhundert (Frieder Ludwig & Ulrike Schröder)
  14. Christentümer im Asien des 20. Jahrhunderts (1910‒2010) (Peter C. Phan)
  15. Afrikanisches Christentum im 20. Jahrhundert – Teil 1 (Akintunde E. Akinade)
  16. Afrikanisches Christentum im 20. Jahrhundert – Teil 2 (Kevin Ward)
  17. Das Christentum in Lateinamerika und der Karibik im 20. Jahrhundert (Veit Straßner)
  18. Die Geschichte des Christentums im Nahen Osten zwischen 1917 und 2017 (Mitri Raheb)
  19. Das Jahrhundert des Christentums? Eine Geschichte des Christentums in Nordamerika im 20. Jahrhundert (Heath W. Carter)
  20. Das Christentum in Europa nach 1945 (Grace Davie)
  21. Australien, Neuseeland und Ozeanien (Geoffrey Troughton)
  22. Das Christentum in Russland und im östlichen Europa (Thomas Bremer)
  23. Zusammenfassung und Ausblick (Kevin Ward)
  24. Kurzbiographien der beteiligten Personen in alphabetischer Reihenfolge
  25. Ortsregister
  26. Personenregister
  27. Abbildungsverzeichnis