- 240 Seiten
- German
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Über dieses Buch
Inklusive Schulen entwickeln - wie geht das? Dieser Band definiert Mindestanforderungen, die bei Schulentwicklungen mit der Zielperspektive Inklusion zu beachten sind und erläutert praxisnah Ziele und Strategien der Umsetzung: Von der Klärung struktureller Voraussetzungen, dem Aufbau Regionaler Bildungslandschaften, über die Gestaltung eines inklusiven Unterrichts und prozessbegleitender Diagnostik bis hin zu Fragen institutioneller Übergänge, Konzepten für die Aus- und Weiterbildung und der Beratung. Zudem werden bereits erprobte Schulentwicklungsinstrumente vorgestellt und erläutert. Unter Beteiligung namhafter AutorInnen aus der Integrations- und Inklusionsforschung werden hiermit mustergültige Leitlinien für die Entwicklung inklusiver Schulen vorgelegt.
Häufig gestellte Fragen
Information
1 Rechtliche Grundlagen
schulischer Inklusion/
Angemessene Vorkehrungen
Eckpunkte der Monitoring-Stelle zur
UN-Behindertenrechtskonvention zur
Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems
(Primarstufe und Sekundarstufen I und II)1
1 Verfügbarkeit
- Das Gesetz sichert den Vorrang des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern in den Primar- und Sekundarstufen I und II (das heißt alle Schulformen einschließlich Gymnasium). Hierbei sollte eine qualitativ hochwertige Form des „Gemeinsamen Unterrichts“ standardisiert werden.
- Die Schulträger werden gesetzlich verpflichtet, im Rahmen einer Schulentwicklungsplanung die Einrichtungen und Dienste im Sinne der Inklusion zu entwickeln. Die hierfür notwendigen Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für Schulen und Lehrkräfte sollten rechtlich abgesichert werden.
- Das Landesrecht bietet die Grundlagen, die Verfügbarkeit der erforderlichen Kompetenzen und Ressourcen im Regelschulsystem flexibel zu organisieren. Es befördert den schrittweisen und konsequenten Personal-, Finanz- und Sachmitteltransfer in den Regelschulzusammenhang. Etwaige beamtenrechtliche Fragen sind zu lösen.
- Das Gesetz enthält alle erforderlichen Regelungen, um die Aus-, Fort- und Weiterbildung von allen Pädagoginnen und Pädagogen an den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems auszurichten. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen und die Berufsbilder werden an die inklusive Pädagogik angepasst. Das bedeutet, dass sich der Anspruch inklusiver Bildung nicht nur an die verschiedenen Schulformen richtet, sondern sich auch in der Fachdidaktik niederschlagen muss. Insbesondere sollten zeitnah Programme für die Fort- und Weiterbildung für die Pädagoginnen und Pädagogen und andere Berufsgruppen, etwa für den Bereich der schulischen Sozialarbeit, angeboten werden.
- Das Gesetz reflektiert in den Regelungen zur Barrierefreiheit (etwa im Bauordnungsrecht) in Bezug auf Schulen in öffentlicher und in freier Trägerschaft die gewachsenen Anforderungen an Barrierefreiheit im inklusiven Schulsystem. Die zuständigen Stellen, etwa die Schulträger, sollten binnen einer erkennbaren Frist Pläne für den schrittweisen Ausbau der Barrierefreiheit vorlegen.
- Zugunsten des Ausbaus von allgemeinen Schulen werden keine neuen Sondereinrichtungen zur Beschulung geschaffen. Die Umwandlung von Förderschulen in Kompetenzzentren hin zu „Schulen ohne Schüler“ wird gefördert. Andere Entwicklungskonzepte werden nur genehmigt, wenn die Einrichtung nicht zugleich nur Lernort für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist. Bestehende Sonderklassen sowie Kooperationsklassen an allgemeinen Schulen laufen aus.
- Mithilfe geeigneter Maßnahmen stellt das Gesetz sicher, dass die Bedarfe blinder, gehörloser und hörsehbeeinträchtigter Menschen im Regelschulzusammenhang angemessene Berücksichtigung finden (siehe UN-BRK: Artikel 24 Abs. 4).
- Insbesondere sollte in Abstimmung mit den anderen Ländern dafür gesorgt werden, dass in Zukunft hinreichend Kompetenzen vorhanden sind, um die speziellen Bildungsbedarfe dieser Gruppen zu erfüllen.
- Es werden Maßnahmen ergriffen, um den Anteil der Lehrkräfte mit Behinderungen zu erhöhen.
2 Zugänglichkeit
- Der Zugang zur Regelschule wird durch einen Rechtsanspruch auf eine inklusive, wohnortnahe und hochwertige allgemeine Bildungseinrichtung abgesichert (Grundbildung sowie weiterführende Schulen) (siehe UN-BRK: Artikel 24 Abs. 2a) in Verbindung mit Artikel 5 Abs. 2). Dieser Anspruch umfasst auch „angemessene Vorkehrungen“ (angemessene Vorkehrungen nach Artikel 2 Unterabsatz 4 sind nicht Anpassungsleistungen, keine unbillige Belastung darstellen, um zu gewährleisten, dass eine Person mit Behinderungen in einer konkreten Situation ihre Rechte ausüben oder genießen kann) auf allen Stufen der schulischen Laufbahn mit korrespondierenden Verpflichtungen der staatlichen Organe und zuständigen (nichtstaatlichen) Stellen (siehe UN-BRK: Artikel 24 Absatz 2c)). Mit dieser gesetzlichen Klarstellung ist verbunden, dass der „Ressourcenvorbehalt“ im Sinne der BVerfG-Entscheidung von 1997 überwunden wird (vgl. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08. 10. 1997, 1 BvR 9/97, die in Folge des Inkrafttretens der UN-BRK nicht mehr maßgeblich ist).
- Die etwaige noch bestehende gesetzliche beziehungsweise untergesetzliche „Sonderschulverpflichtung“ oder andere den Zugang hindernde Barrieren werden in diesem Zuge abgeschafft. Die zwangsweise Zuweisung an eine Sondereinrichtung gegen den Willen des Kindes beziehungsweise der Erziehungsberechtigten wird verboten (Schulverweis denkbar, aber innerhalb des Regelschulsystems). Es wird rechtlich klargestellt, dass Erziehungsberechtigte keine Beweislast haben, im förmlichen Verfahren die „Integrationsfähigkeit“ des Kindes darzulegen.
- Das Landesrecht enthält für den Bereich Bildung ein justiziables Diskriminierungsverbot auf Grund von Behinderung (etwa im Schulrecht oder Landesgleichstellungsgesetz) (siehe UN-BRK: Artikel 2, 3, 5, 6 und 7). Dabei sollte sich das Gesetz am Verständnis von Behinderung im Sinne der UN-BRK, die Behinderung in der Wechselwirkung zwischen einer längerfristigen Beeinträchtigung und der Umwelt erkennt, orientieren (siehe UN-BRK: Artikel 1 Unterabsatz 1).
- In das Gesetz wird eine Legaldefinition von „angemessenen Vorkehrungen“ im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention aufgenommen (siehe UN-BRK: Artikel 2 Unterabsatz 3). Es anerkennt die „Verweigerung angemessener Vorkehrungen“ als einen Tatbestand der Diskriminierung (siehe UN-BRK: Artikel 2 Unterabsatz 2). Das Gesetz listet Regelbeispiele für angemessene Vorkehrungen im schulischen Bereich auf, etwa
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- die notwendigen baulichen Veränderungen,
- die Bereitstellung von kontinuierlicher sonderpädagogischer Förderung im Regelschulzusammenhang (Team-Teaching),
- die Gewährleistung von Hilfsmitteln,
- die Durchführung zieldifferenten Unterrichts,
- die Praxis des Nachteilsausgleichs (z. B. Schreibzeitverlängerung).
- Das Gesetz sollte eine (staatliche) Stelle bestimmen, der die Organisation und Koordination angemessener Vorkehrungen im Einzelfall obliegt. Die Kostenträger im Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers werden zur Kooperation mit der zuständigen Stelle verpflichtet. Die Art der Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten wird konkretisiert.
- Die Kostenträgerschaft der angemessenen Vorkehrungen wird klar geregelt. Die haushaltsrechtlichen Entscheidungen für die reibungslose Zuweisung der Ressourcen zur Durchführung angemessener Vorkehrungen werden gewährleistet.
- Für den Fall, dass Vorkehrungen abgelehnt werden, obwohl sie dem Verpflichtungsträger zumutbar sind, stellt das Gesetz die gerichtliche Überprüfbarkeit sicher. Die Beweislast dafür, dass bis zur Grenze der unbilligen Belastung alles unternommen wurde, liegt bei den staatlichen Trägern (siehe UN-Sozialpaktausschuss (2009): Allgemeine Bemerkungen Nr. 20: Nicht-Diskriminierung, UN Doc. E/C. 12/GC/20 vom 10. 6. 2009, Ziff. 40). Es existieren gesetzliche Sanktionsregeln für den Fall, dass ein staatlicher Träger nachweislich angemessene Vorkehrungen verweigert hat (siehe ebd.). Es sollte Regelungen wie Schadensersatz, Schmerzensgeld etc. zugunsten von Betroffenen geben.
- Der Grundsatz „Wohl des Kindes“ verbindet sich mit der Vermutung, dass das Kindeswohl im inklusiven Regelschulzusammenhang am besten verwirklicht werden kann. Dieser Grundsatz darf nicht als Schranke des Rechts auf inklusive Bildung gelten. Vielmehr leitet der Grundsatz die Interpretation der rechtlichen Bestimmungen und zwingt, das Individualrecht aus der Perspektive des Rechtsinhabers oder der Rechtsinhaberin zu sehen.
- Die in einigen Ländern vorgesehene Einführung des genannten Wahlrechts der Eltern, zwischen Regel- und Sonderbeschulung zu entscheiden, ist nur übergangsweise vertretbar: Sollte die Existenz eines Elternwahlrechts nachweislich den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems verzögern oder untergraben, beispielsweise weil es die erforderliche Reorganisation von Kompetenzen und Ressourcen für das Regelschulsystem erschwert und in diesem Zuge das Sonderschulwesen stärkt, ist das Elternwahlrecht mit dem Gebot der progressiven Verwirklichung des Rechts auf inklusive Bildung nicht in Einklang zu bringen.
- Das Recht auf Inklusion ist ein Recht der Person mit Behinderung. Die Eltern haben bei der Ausübung der elterlichen Sorge den Leitgedanken der Inklusion zu beachten und ggf. zu erklären, warum sie keine inklusiven Bildungsangebote wahrnehmen. Die Elternberatung, von welcher Seite auch immer, muss einbeziehen, Eltern das Recht auf inklusive Bildung vorzustellen und die Eltern hinsichtlich ihrer Gewährsfunktion aufzuklären.
3 Akzeptierbarkeit
- Das Gesetz reflektiert Bildungsziele der UN-Behindertenrechtskonvention (siehe UN-BRK: Artikel 24 Abs. 1 a)–c); Artikel 24 Abs. 3 Satz 1). Die Lehrpläne sollten in Bezug auf die erweiterten Zielstellungen hin fortentwickelt werden.
- Die Bildungsziele eines inklusiven Bildungssystems: Stärkung des Bewusstseins der menschlichen Möglichkeiten sowie des Bewusstseins der Würde und des Selbstwertgefühls des Menschen. Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt. Entfaltung der Persönlichkeit der Menschen mit Behinderungen, Förderung ihrer Begabungen und ihrer Kreativität sowie ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten mit dem Ziel der Befähigung zur wirksamen Teilhabe an einer freien Gesellschaft (siehe UN-BRK: Artikel 24 Abs. 1 a) bis c)).
- Das Gesetz enthält die Verpflichtung der relevanten staatlichen Träger, die Klasse zieldifferent und binnendifferenziert zu unterrichten. Alle Schülerinnen und Schüler erhalten ein Zeugnis, das der tatsächlichen Zieldifferenzierung im Klassenverbund angemessen Rechnung trägt.
- Das Gesetz stellt eine umfassende und unabhängige Beratung der Schülerin oder des Schülers und der Erziehungsberechtigten sicher. Die Beratung sollte über einen Rechtsanspruch abgesichert werden.
- Das Verfahren, mit dem der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt wird, ist in Zukunft an den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems auszurichten. Ein der Inklusion verpflichtetes Verfahren zielt darauf, alle Schülerinnen und Schüler zu begutachten und insbesondere in Bezug auf Menschen mit Behinderungen Art und Umfang der „angemessenen Vorkehrungen“ (siehe oben) zu bestimmen, die für die erfolgreiche und sinnvolle Integration und Förderung der Kompetenzen notwendig und angemessen sind.
- Es besteht die gesetzliche Verpflichtung, die betroffene Person sowie die Erziehungsberechtigten einzubeziehen (Grundsatz der Partizipation). Kinder haben das Recht, gehört zu werden (siehe UN-BRK: Artikel 7 Abs. 3). Betroffene und deren Erziehungsberechtigte erhalten Informationsrechte gegenüber den Schulen und Behörden.
- Die Länder steigern auf allen Ebenen das Bewusstsein für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (siehe UN-BRK: Artikel 8 Abs. 2 b)).
4 Anpassungsfähigkeit
- Der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sollte unter unabhängiger wissenschaftlicher Begleitung erfolgen und die eingeführten Maßnahmen mit Zwischenzielen versehen und nach wissenschaftlichen Kriterien evaluiert werden.
- Die Kultusministerien gewährleisten, dass die Konzepte und Programme zur Lehreraus-, fort- und -weiterbildung die wissenschaftlichen Erkenntnisse und internationale Erfahrungen in Bezug auf inklusive Pädagogik angemessen widerspiegeln.
- Die Kultusministerien sollten die Anpassung des Systems durch die Vermittlung guter Praxisbeispiele befördern.
- Die rechtlichen Grundlagen für die statistische Informatio...
Inhaltsverzeichnis
- Deckblatt
- Titelseite
- Impressum
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort zur 2. Auflage
- Einleitung
- 1 Rechtliche Grundlagen schulischer Inklusion/ Angemessene Vorkehrungen
- 2 Strukturelle Voraussetzungen und Ressourcen im Kontext von Schulentwicklung
- 3 Transitionen
- 4 Professionalisierung und Ausbildung
- 5 Inklusiver Unterricht
- 6 Lern- und entwicklungsbezogene Diagnostik
- 7 Unabhängige Beratung