Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach
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Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach

Zur Geschichte ihrer religiösen und politischen Wahrnehmung und Wirkung

  1. 566 Seiten
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Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach

Zur Geschichte ihrer religiösen und politischen Wahrnehmung und Wirkung

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Seit den Anfängen der Kirche dienten die Passionsgeschichten der vier Evangelien auch dazu, die Entfremdung vom jüdischen Volk, alsbald Feindschaft, Verunglimpfung und Verfolgung "der" Juden zu begründen. Gleichzeitig wecken die Passionen Bachs mit ihrer wunderbaren Musik Eindrücke, die Gedanken an Judenverfolgung unerträglich machen, ja verhindern.Schmidt stellt die zunächst religiös, dann zunehmend politisch und rassistisch geprägte judenfeindliche Wahrnehmung und Wirkung der Matthäuspassion dar, und zwar seit ihrer Wiederaufführung 1829 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Das schafft Raum für unterschiedliche Wahrnehmung und Wirkung der Matthäus-Passion auch in der Gegenwart und soll Verständigung darüber ermöglichen. In einem zweiten Teil kommen das Werk selbst, deren biblische Grundlagen und kirchen- und zeitgeschichtliche Hintergründe zur Sprache.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170263680
Erster Hauptteil. Judenfeindliche Wahrnehmung und Wirkung der Matthäuspassion seit ihrer Wiederaufführung (1829) bis 1950

Erstes Kapitel: Die »(Wieder)Entdeckung« der Matthäuspassion (1800 bis 1850)132

1. »Die Geburtsstunde des ›Mythos Bach‹«133

»Bekanntmachung: In den ersten Tagen des März wird unter Direktion des Herrn Felix Mendelssohn Bartholdy ›Die Passionsmusik nach dem Evangelisten Matthäus‹ von Johann Sebastian Bach aufgeführt werden.
Nach einer hundertjährigen Zwischenzeit ersteht dieses grösste und heiligste Gebilde der Tonkunst, und wie die erste Morgensonne nach den Nebellasten der Sündfluth verkündet es einen neuen leuchtenderen Tag. Vermöcht’ ich doch in Einem Zuge die Bedeutung des Werks und seine Auferstehung von den Todten zu offenbaren, dass die Freude darüber allgemein verstanden und allgemein mitgefühlt würde! Dass auch Jedermann in dieser That des jungen Künstlers ein Zeichen der Erfüllung gewahrte für die Vorhersagung einer neuen und hochsinnigern Periode der Tonkunst …«134.
Mit diesen überschwänglichen Tönen kündigt Adolf Bernhard Marx die Wiederaufführung der Mt.Passion an. Hier finden sich alle Momente, die die Wiederaufführung der Mt.Passion damals ermöglichten und ihre begeisterte Aufnahme bestimmten, die aber weit darüber hinaus, z.T. bis in die Gegenwart hinein, die Hochschätzung des Werkes beherrschen: religiöse, biblisch-heilsgeschichtliche (Anspielung auf das Ende der Sintflut, Würdigung der Aufführung als »Auferstehung von den Toten«), protestantische, ästhetische, nicht zuletzt politische135.
Nicht ganz so überschwänglich klingt es in der Einführung, die Karl Friedrich Zelter für das Programmheft verfasst hat; doch auch er preist die gelungene Einheit von Kunst und Religion136. In seiner Charakterisierung der Volkschöre erklingen judenfeindliche Töne:
»Als Masse erscheint der Volkschor (turba), das alte Gesetz, unduldsam, eifernd, kalt, unzufrieden; dagegen die Jünger Jesu mit ihrem Anhange, theilnehmend, friedlich, liebend unter dem rohen Haufen zerstreut sind«137 (sic!).
Das Zitat verbindet traditionelle religiöse Fehlurteile (altes, d.h. veraltetes, überholtes, abgetanes Gesetz) mit traditionellen menschlichen Vorhaltungen (»unduldsam, eifernd, kalt, unzufrieden«); dabei sind die Grenzen zwischen beiden Vorurteilen fließend.
Die Zitate von Marx und Zelter wecken den Eindruck, dass die Begeisterung, die die Wiederaufführung der Mt.Passion ausgelöst hat, im Innersten eine religiöse war; diese schließt einen erkennbaren Anteil an traditionell judenfeindlichen Klischees ein. Das Gedicht eines Freundes, das Marx sich zueigen machte, bestätigt es:
»Horch! dort, wie das unseel’ge Volk sich richtet,
Im Schreckens-Wort den Mörder sich erlöst (erlöst),
Den Welten-Heiland frevelnd von sich stösst!
Du bebst, siehst es von Gottes Spruch vernichtet«138.
Hier wird der zentrale Inhalt traditionell religiös-kirchlicher Judenfeindschaft beschworen, das »unseel’ge« jüdische Volk habe zugunsten des Mörders Barrabas den »Welten-Heiland« verworfen und sich dadurch den »vernichtenden Gottes-Spruch« zugezogen.

1. 1 Reaktionen auf die Wiederaufführung

Welch ungeheuren Eindruck die Wiederaufführung der Mt.Passion weit über Berlin hinaus machte, spiegeln die von M. Geck breit dokumentierten Reaktionen; er wertet sie als nicht übertrieben. Bezeichnenderweise führt M. Geck »die erste Aufführung des Bühnenweihfestspiels Parsifal im Jahre 1882« von R. Wagner als einzige Parallele an. Sein Vergleich schließt die ideologischen Voraussetzungen ein, unter denen er beide zusammensieht139.
Um eine Vorstellung von der einzigartigen Wirkung, die die Wiederaufführung der Mt.Passion erzielt hat, zu gewinnen, stelle ich an den Beginn repräsentative Zitate von einigen Ohren- und Augenzeugen.

1. 1. 1 Felix Mendelssohn-Bartholdy

Von dem Hauptbeteiligten gibt es zwei eigene Äußerungen über die Aufführung: In einem Brief vom 16.4.1830 an F. Hauser schreibt er von den anfänglichen Widerständen in der Berliner Singakademie gegen das Werk:
»Im Anfang wollte (so. in Berlin) Keiner daran, sie meinten, es sei zu verwirrt und ganz unsinnig schwer. Doch schon nach einigen Proben war das Alles anders geworden, und sie sangen mit einer Andacht, als ob sie in der Kirche wären«140.
Über den Weg, den Mendelssohn von anfänglicher Weigerung bis zur Einwilligung, die Aufführung selbst zu leiten, zurücklegen musste, erzählt in seinen Erinnerungen ausführlich sein Freund und Mitstreiter E. Devrient, der selbst die Jesus-Partie sang141. Auch Mendelssohn selbst musste von seinem Freund nach einem guten Frühstück gewonnen werden; überzeugt habe ihn das Argument:
»Wir hätten die Matthäus-Passion als das größte und wichtigste deutsche Musikwerk erkannt, folglich dürften wir auch nicht ruhen, bis dasselbe wieder zu lebendiger Wirkung gekommen sei und wieder die Gemüther erbaue«142.
Hier klingen die Töne an, die schon Marx benutzte; sie signalisieren die Kräfte, die die Widerstände dann doch überwunden haben, neben dem Appell an das religiöse Kunstempfinden auch gesellschaftlich-politische Impulse: »das größte und wichtigste deutsche Musikwerk«.
Ende des 19. Jh.s brach der Streit darüber aus, wem das Hauptverdienst an der Wiederaufführung der Mt.Passion zukomme. Seitdem ist er mit judenfeindlichen, in der Zeit des Dritten Reiches auch mit antisemitischen Argumenten geführt worden143. Danach, nachdem die Diskussion von ideologischem Ballast befreit worden war, behauptete sich lange die Position, die M. Geck so formuliert hat:
»Es kann indessen kein Zweifel darüber herrschen, daß Zelter an eine öffentliche Aufführung der Matthäuspassion niemals gedacht hat und Mendelssohns Vorbereitungen dazu mißbilligt hat«144.
Neuerdings wird allerdings Zelter »als Initiator« auf Grund neuer Quellenfunde mehr Gewicht zuerkannt, auch von Geck selbst, als er ihm »seiner Zeit zugemessen« hatte145. So hat A. Glöckner Zelters Verdienste um die Pflege des Bacherbes insgesamt und auch der Joh.- und Mt.Passion mit detaillierten Nachweisen herausgearbeitet und gewürdigt: Seit 1815 habe Zelter beide Passionen mit der Berliner Singakademie studiert, die Joh.Passion am Karfreitag 1822, wenn auch unvollständig, erstmals aufgeführt - vollständig erst am 20.4.1832- und die Probenarbeit an der Mt.Passion in die 1820er Jahre hineinfortgeführt. Aus der seit 2001 wieder greifbaren Probenpartitur Zelters folgert A. Glöckner:
»Das Studium der … Partitur lässt indes keine andere Deutung zu, als daß Zelter eine Aufführung der Passion (in moderat gekürzter Fassung) ernsthaft vorbereitet hatte und Teile des Werkes auch tatsächlich mit der Sing-Akademie zur Aufführung brachte«146.

1. 1. 2 Gustav Droysen

Die Äußerungen des etwa gleichaltrigen engen Freundes Mendelssohns, des späteren berühmten Althistorikers, der sich auch rege politisch betätigte, spiegeln das weite Spektrum der Kräfte wider, die die Wiederaufführung haben gelingen lassen. Alles, was Droysen an der Mt.Passion als einem gottesdienstlichen Geschehen rühmt, mündet in die Mahnung, dieses Werk wie alle Kunst zu hören, mit
»Andacht und Ernst (als) ewige Wahrheit, denn sie ist göttlichen Wesens; man soll den Künstler hören mit gläubigem Ernst um zu begreifen, was er aus dem Innersten hervorschuf, nicht mit frecher Dreistigkeit ihn wägen, mit ungeweihtem Verstande über ihn richten, oder es kommt die Stunde und ist schon gekommen, daß man das Gottlose hoch achtet, weil man das Heilige besudelt, und die armseligste gemeinste Alltäglichkeit auf den Thron hebt, da man das Ewige, wie einst die Juden den Heiland geschmäht und geschlagen und gekreuzigt hat«147.
Bezeichnenderweise verbinden sich mit solch religiösen Tönen und biblischen Anspielungen (»es kommt die Stunde, und ist schon gekommen« Joh 5,25) judenfeindliche Akzente.
Die Stimme des jungen Droysen markiert den national-religiös-politischen, näherhin protestantisch-preußischen Anteil an der begeisterten Aufnahme der Mt.Passion. Mit ihm ist in besonderem Maß ein judenfeindliches Potential verknüpft. Es findet seinen Anhalt sowohl an der Person Mendelssohns (und seiner Familie) als auch an der Passion selbst. Für Droysen gelten die in der Passionsgeschichte agierenden Juden als abschreckendes Beispiel für gegenwärtige Erscheinungen. Das Erbe Luthers, die theologische Instrumentalisierung der Juden, wird hier ins Ästhetische und Gesellschaftlich-Politische gewendet.

1. 1. 3 Heinrich Heine

Aus dem Chor der Begeisterten klingt die Stimme H. Heines als eine Gegenstimme heraus. Er hatte das einzigartige Ereignis der Wiederaufführung der Mt.Passion miterlebt, sich aber von der allgemeinen Begeisterung nicht anstecken lassen. M. Geck führt ihn demgemäß als unverdächtigen Zeugen »aus kritischer Sicht« für das damals ausgebrochene »Bach-Fieber« an. Der Zusammenhang, in dem Heine mit kritischem Unterton Meyerbeers Rede von Berlin als »der Hauptstadt von Sebastian Bach« zitiert148, begründet meine V...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Ithamar Gruenwald Geleitwort Of What Am I Guilty? A Prelude to Matthew 27, 25
  6. Vorwort
  7. Einleitung
  8. Erster Hauptteil. Judenfeindliche Wahrnehmung und Wirkung der Matthäuspassion seit ihrer Wiederaufführung (1829) bis 1950
  9. Zweiter Hauptteil. Das Werk und seine Textgrundlagen
  10. Schluss
  11. Literaturverzeichnis