Geschichte der Psychologie
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Geschichte der Psychologie

Strömungen, Schulen, Entwicklungen

  1. 270 Seiten
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Geschichte der Psychologie

Strömungen, Schulen, Entwicklungen

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Diese Einführung erschließt die historische Entwicklung der Psychologie über ihre wichtigsten Repräsentanten, Strömungen und Schulen. Leserinnen und Leser erleben das Entstehen psychologischer Fragestellungen, Untersuchungen und Theorien im geschichtlichen Zusammenhang, der besonders Studierenden ein tieferes Verständnis für die Psychologie geben soll. Der Schwerpunkt der Einführung, die auch auf sozialgeschichtliche Zusammenhänge eingeht, liegt auf der Darstellung des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu gegenwärtigen Teildisziplinen.Dieses Buch ist die verbreitetste Einführung in die Geschichte der Psychologie in deutscher Sprache. Es zählt an vielen Universitäten zur Standardlektüre.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170261433

1 Möglichkeiten und Methoden der Psychologiegeschichtsschreibung

1.1 Warum Geschichte der Psychologie?

Die Psychologiegeschichte hat seit etwa Mitte der 1980er Jahre auch in Deutschland einen Aufschwung erlebt, der nicht vorherzusehen war. Man könnte geradezu von einer Wende sprechen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Beschäftigung mit der Geschichte der Psychologie in den Jahrzehnten zuvor ein relativ wenig beachtetes Randgebiet war: Gegenstand von anekdotischen Rückbesinnungen, Nekrologen und Festreden. Nur gelegentlich entstanden größere psychologiegeschichtliche Abhandlungen. Psychologiegeschichte war kein Prüfungsfach im Rahmen der Ausbildung von Diplompsychologen. Im Bachelorstudiengang Psychologie wird Psychologiegeschichte nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gelehrt. Dass von einer Beschäftigung mit der Psychologiegeschichte kräftige Impulse auf das Fach selbst ausgehen können, hätte die Mehrheit der Psychologen vor ein paar Jahren als fragwürdig abgetan. Das Verhältnis der Psychologen zu ihrer Fachgeschichte war – und ist z. T. auch heute noch – distanziert.
Diese Distanz zur Geschichte der eigenen Wissenschaft kommt nicht von ungefähr. Sie lässt sich selbst wiederum historisch erklären: Die Psychologie hat geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Wurzeln. In dem Maße, wie Psychologen ein Verständnis ihrer Disziplin entwickelten, das an die Methodologie der Naturwissenschaften angelehnt war, erschienen ihnen frühere Forschung als überholt und die Beschäftigung mit ihr als mehr oder weniger überflüssig. In den letzten Jahrzehnten haben wir in der Psychologie eine Wiederbesinnung auf die geisteswissenschaftliche Tradition der Psychologie erlebt (vgl. z. B. Jüttemann, 1986), einschließlich einer Neubesinnung auf die Psychologiegeschichte mit kritischer Reflexion und multiperspektivischer Untersuchung derselben (Guski-Leinwand, 2010).
Dieser Umschwung hat verschiedene Gründe: Ein Grund ist methodischer Art: Es hat sich immer deutlicher die Unzulänglichkeit des empiristischen Denkens gezeigt. Kritische Psychologen haben früh auf Defizite der vorherrschenden experimentellen Psychologie aufmerksam gemacht und auf die historische Bedingtheit des Handelns verwiesen.
Aber auch von anderer Seite kamen starke Impulse für eine Neubesinnung auf die Psychologiegeschichte. So haben Wissenschaftshistoriker wie Thomas Kuhn (1962) und andere versucht, Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung von Wissenschaften aufzuzeigen. Nach Kuhn werden längere Phasen sog. Normalforschung durch »Krisen« erschüttert. Das bisherige Forschungsparadigma wird durch ein neues in Frage gestellt und schließlich abgelöst. Das Provozierende an Kuhns Überlegungen ist der Hinweis auf die Irrationalität wissenschaftlichen Handelns. Forscher halten nicht nur in Zeiten der Normalforschung an ihrem Paradigma fest, weil sich damit Probleme lösen lassen, sondern sie verteidigen u. U. eisern ihr lieb gewordenes Erklärungsprinzip, wenn sich die Schwäche des Paradigmas bereits deutlich gezeigt hat. So sehr diese beschriebenen Verläufe kritisiert wurden: Nach anfänglichen Widerständen ist die Bedeutung der Wissenschaftsgeschichte für die Wissenschaftstheorie ins Bewusstsein gerückt. Dies ist nun ein zweiter Grund für die intensivere Beschäftigung mit der Geschichte von Wissenschaftsdisziplinen – so auch der Psychologie.
Ein dritter Grund für ein lebhafter gewordenes Interesse an der Wissenschaftsgeschichte leitet sich von den Tendenzen in den Geschichtswissenschaften selbst ab. Geschichtswissenschaft war in der Vergangenheit meist auf politisches Handeln von Staatsmännern oder anderen Persönlichkeiten bezogen – und Geschichtsunterricht in der Schule auf entsprechende historische Ereignisse beschränkt. Dem hat die neuere französische Gesellschaftsgeschichte (sog. Schule der Annales, benannt nach der Zeitschrift Annales: Économies, Sociétés, Civilisations) dieser »Geschichte der Großen« eine »Geschichte der Vielen« oder gar eine »Geschichte von unten« entgegengesetzt und z. B. in Form der mündlichen Befragung von Zeitzeugen (Oral history) zunehmend Gebrauch von Methoden der empirischen Sozialforschung gemacht (
Images
Kap. 1.5.4). In den letzten Jahren hat diese »Geschichte von unten« geradezu den Charakter einer Expedition bekommen, in deren Rahmen Laien »dort graben, wo sie stehen«, nach der Geschichte eines Ortsteils, eines Vereins, einer Straße, einer Fabrik oder eines Berufsstandes.
Auch Psychologiegeschichte kann verschieden betrieben werden und verschiedenen Zwecken dienen. Diente sie früher häufig der Rechtfertigung eigenen Handelns, so hat die neuere psychologiegeschichtliche Forschung mit ihrer Betonung der gesellschaftlichen Bedingungen psychologischen Handelns in Forschung, Lehre und Anwendung der Geschichte der Psychologie einen neuen und höheren Wert beigemessen. Auch wurde so die Rolle der Psychologie für die Gesellschaft reflektiert. Unsere ursprüngliche Frage, warum denn eine Beschäftigung mit der Psychologiegeschichte sinnvoll sein kann und was man denn aus ihr lernen könne, muss daher zur Frage werden, wie man denn Psychologiegeschichte betreiben sollte, dass man aus ihr lernen kann.

1.2 Drei Beispiele für Fehleinschätzungen

Psychologen sind – wie gesagt – lange Zeit etwas nachlässig mit der Geschichte ihrer Disziplin umgegangen (vgl. Graumann, 1983). Dies hat zur Verbreitung von Irrtümern beigetragen. Drei Beispiele sollen zeigen, dass die historische Realität gelegentlich anders war, als man in Psychologievorlesungen hören oder in Psychologiebüchern lesen kann.

1.2.1 Beispiel eins: Psychologie im Nationalsozialismus

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Verhältnis der Psychologie zum Nationalsozialismus so gut wie gar nicht thematisiert – weder von Psychologen noch von Historikern. Wohl hatte ein Psychologiestudent gewisse Vorstellungen von der Wehrmachtpsychologie, vom Verbot der Psychoanalyse in der Nazizeit und von der erzwungenen Emigration bedeutender jüdischer Psychologen. An einigen Universitäten war aufmerksamen Psychologiestudenten auch nicht entgangen, dass ein Teil der psychologischen Fachliteratur aus dem Zeitabschnitt 1933–1945 aus der Bibliothek des psychologischen Instituts verschwunden war. Doch wurde das Verhältnis der Psychologie zum Nationalsozialismus kaum ernsthaft thematisiert; man kann von einem Tabu sprechen (Geuter, 1980, S. 6).
Im Allgemeinen waren Lehrende und Lernende froh, diese »dunkle« Zeit hinter sich zu haben. Weit verbreitet war die Auffassung, dass die psychologische Forschung unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatte; Nationalsozialisten seien überhaupt gegen die Psychologie eingestellt gewesen, denn z. B. sei ja die Psychoanalyse verboten worden und schließlich sei ja sogar die Wehrmachtpsychologie aufgelöst worden, kurz: Die Psychologie habe im Nationalsozialismus ihren Niedergang erlebt, von dem sie sich nur schwer erholt habe.
Diese Auffassungen wurden jahrzehntelang fast unwidersprochen verbreitet. Erst Anfang der 1980er Jahre erfolgten die ersten umfangreicheren Recherchen und kritischen Auseinandersetzungen mit der Psychologie im Nationalsozialismus (Geuter, 1984, Graumann, 1985). Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass über die Rolle der Psychologie im Nationalsozialismus bislang vielfach Halbwahrheiten verbreitet worden waren und dass dies z. T. auch absichtlich geschehen war. Die historische Wirklichkeit ist – wie so oft – recht komplex, und daher sollen hier nur wenige Fakten komprimiert dargestellt werden.
Schon bald nach der Machtergreifung und vor Inkrafttreten des Gesetzes »zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 07.04.1933, wonach Beamte sogenannter »nichtarischer Abstammung« in den Ruhestand zu versetzen seien, fanden Denunziationen gegen jüdische Psychologen in einschlägigen NS-Zeitungen statt. Auslöser war die Planung des XIII. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (Geuter, 1979). Von den Folgen des Gesetzes waren zunächst fünf von insgesamt fünfzehn Psychologieprofessoren betroffen: Adhemar Gelb, David Katz, Wilhelm Peters, William Stern und Max Wertheimer. Ferner wurde Otto Selz, Professor an der Handelshochschule Mannheim, entlassen. Selz emigrierte in die Niederlande und wurde später dort verhaftet, nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Kurt Lewin kam seiner Amtsenthebung durch Emigration in die USA zuvor, 1935 emigrierte auch der nichtjüdische Gestaltpsychologe Wolfgang Köhler, nachdem er sich nationalsozialistischer Eingriffe in sein Berliner Institut nicht mehr länger erwehren konnte. Der Münchener Professor Kurt Huber gehörte der Widerstandsgruppe Weiße Rose an, wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Viele weitere Professoren und Dozenten, jüdische Mitarbeiter an psychologischen Instituten, dortige Assistenten, Doktoranden und Studenten waren ebenfalls durch das Gesetz betroffen und in den Folgezeiten ebenso verfolgt bzw. existenziell bedroht. Die wenigen Zeugnisse jüdischer Psychologen, die Exil, Ghetto oder Haft im Konzentrationslager überlebt haben, sind bisher nicht zum Ausgangspunkt weiterer psychologischer Forschung nach den geistigen Wurzeln dieser Menschenrechtsverletzung geworden (vgl. hierzu z. B. Blumenfeld, 1936; Stern, E., 1937; Utitz, 1947; Kaufhold, 2000). Dass sich durch die Agitationen gegen jüdische Psychologen sehr früh 1933 ein sog. »wissenschaftlicher Antisemitismus« (Levinstein, 1896) ins Werk gesetzt hat, wurde erst spät erkannt und so benannt (Guski-Leinwand, 2010, S. 210 ff.).
Diesem Aderlass der deutschen Psychologie stand aber – quantitativ gesehen – ein Aufschwung der Psychologie gegenüber. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden die psychologischen Institute ausgebaut, einige neue Professuren eingerichtet oder andere, nicht besetzte Lehrstühle in psychologische Professuren verwandelt. Unter nationalsozialistischer Regierung erfolgte zudem ein gewaltiger Ausbau der Wehrmacht und der Wehrmachtpsychologie. Geuter (1986, S. 586 f.) nannte dazu folgende Planstellenzahlen für Psychologen in Heer und Marine:
1935: 69 Planstellen
1937: 127 Planstellen
1938: 170 Planstellen
Die Luftwaffe beschäftigte 1942 etwa 150 Psychologen. Gab es bis dahin kein klares Berufsbild und dementsprechend auch keinen berufsbildenden Studiengang für Psychologen, so erforderte der Bedarf an Wehrmachtpsychologen die Einrichtung einer entsprechenden Ausbildung. Für die Berufung zum Psychologieprofessor wurde die Erfahrung in Wehrmachtpsychologie, besonders in Diagnostik wichtig. In Form der Diplom-Prüfungsordnung für Psychologen, die 1941 in Kraft trat (vgl. dazu Lück et al., 1987, S. 114 ff. u. 145; Krampen, 1992), war ein entscheidender Schritt in Richtung auf die Professionalisierung der Psychologie getan, jedoch auch ihre prinzipielle Dienstbarmachung für das damalige politische System ablesbar geworden.
Der damalige Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie mit Felix Krueger im Vorsitz verhielt sich mit vorauseilendem Gehorsam und auffallend früher Systemtreue gegenüber dem Nationalsozialismus. Aus den Vorstandsreihen wurden die Agitationen gegen jüdische Psychologen als Kollegen oder Bürger nicht vereitelt oder verurteilt. Viele Psychologen stellten ihre Fähigkeiten in den Dienst des neuen Systems (Retter, 2001; Traxel, 2004), bei einigen lässt sich die Systemnähe auch eindeutig an ihren Publikationen erkennen (z. B. Hippius, 1943). Inwieweit Psychologen bei nationalsozialistischer Propagandaarbeit, in den Umsiedelungs- und Vertreibungsmaßnahmen systematisch eingesetzt oder gar bei Deportationen oder in Konzentrationslagern aktiv z. B. bei der sogenannten Selektion mitgewirkt haben, bedarf noch umfassender Untersuchung. Inzwischen gibt es allerdings Quellen, die sehr deutlich zeigen, dass Psychologinnen und Psychologen nicht nur diagnostisch-gutachterlich bei der Entscheidung zur Adoption von Waisenkindern im besetzten Polen tätig waren, sondern dass auch diagnostische Untersuchungen von Psychologinnen und Psychologen bei der »Kindereuthanasie« eine Rolle spielten, d. h., ob geisteskranke und retardierte Kinder getötet werden sollten. Benetka und Rudolph (2008) haben anhand wiedergefundener Krankenakten das Schicksal einzelner Kinder verfolgt und die Rolle von Psychologinnen und Psychologen an der Einrichtung Am Spiegelgrund untersucht. Ergänzend muss außerdem festgestellt werden, dass jüdische Psychologen seit 1933 überwiegend keine Teilhabe mehr an der wissenschaftlichen Gemeinschaft (wie z. B. Kongressteilnahmen) hatten. Auch wurden ihre Arbeiten nicht mehr gleichwertig hinzugezogen. Ihr Leid war in den nicht-jüdischen akademischen Kreisen kaum Thema.
Lange galt die Auffassung, die Psychologie als Disziplin sei von Nationalsozialisten verfolgt worden. Als Beweis wurde häufig die überraschende Entscheidung aus dem Jahre 1942 zur Auflösung der Heeres- und Luftwaffenpsychologie herangezogen. Der Hauptgrund für die Auflösung ist wohl darin zu sehen, dass eine differenzierte Prognose für die Kriegstauglichkeit nicht mehr nötig war. Die Verluste bei Heer und Luftwaffe waren außerdem inzwischen so groß, dass eine weitere Auslese kaum sinnvoll erschien. Was das Verbot der Psychoanalyse betrifft, so ist auch hier eine genauere Sicht notwendig. Es stimmt, dass die Schriften des Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud, schon im Mai 1933 zusammen mit Schriften anderer, von den Nationalsozialisten diskriminierter Autoren öffentlich verbrannt wurden und dass Freud, ebenso wie vielen seiner jüdischen Schüler, nach dem »Anschluss« Österreichs nur die Emigration verblieb, um einem noch härteren Schicksal zu entgehen. Das Wiener Psychoanalytische Institut und seine Einrichtungen wurden liquidiert und die Psychoanalyse wurde offiziell verboten. Es stimmt aber nicht, wenn man behauptet, Psychoanalyse sei als Therapie im Dritten Reich nicht mehr praktiziert worden. Nach Auflösung des Psychoanalytischen Instituts wurde in Berlin 1936 das »Deutsche Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie« gegründet, dessen Aufgabe die Entwicklung einer deutschen »Seelenheilkunde« war. In diesem Institut wurden die verschiedenen tiefenpsychologischen Richtungen zusammengefasst und unter medizinischer Leitung praktiziert. Somit ist die (von Psychoanalytikern lange gepflegte) Behauptung von der »Zerschlagung« der Psychoanalyse nicht ganz haltbar (vgl. dazu Lockot, 1985), wenngleich hinzugefügt werden muss, dass die Tiefenpsychologie nicht identisch mit der Psychoanalyse war, sondern zur damaligen Zeit (ab 1941 auch als Fach in der Diplom-Prüfungsordnung) mit weltanschaulichen Inhalten verknüpft und auf biologischer Basis angesiedelt war (Elliger, 1986, S. 145 ff.).
Wenn behauptet wird, die wissenschaftliche Psychologie in Deutschland habe zur Zeit des Nationalsozialismus ihre Qualität eingebüßt und den Anschluss an das internationale Niveau verloren, so ist dies sicher richtig (wenngleich es Hinweise darauf gibt, dass dieser Prozess schon vor 1933 begann). Die Paradigmenwechsel, die dafür grundlegend waren, sind bisher noch wenig untersucht worden (vgl. Guski-Leinwand, 2013). Dem Qualitätsverlust steht jedoch ein beachtlicher materieller Aufschwung und Ausbau der Psychologie als Beruf gegenüber. (Diese Aussage sollte natürlich nicht als Rechtfertigung nationalsozialistischer Ideologie missverstanden werden.) Eindeutig falsch ist aber die Aussage, Nationalsozialismus und Psychologie als a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort zur siebten Auflage
  6. 1 Möglichkeiten und Methoden der Psychologiegeschichtsschreibung
  7. 2 Strömungen und Entwicklungen im 19. Jahrhundert
  8. 3 Psychologische Schulen im 19. und 20. Jahrhundert
  9. 4 Wegweisende Entwicklungen: Von den Schulen zu den Richtungen in der Psychologie
  10. 5 Teildisziplinen der Psychologie im 20. Jahrhundert
  11. 6 Bewertung und Perspektiven
  12. Literatur
  13. Stichwortverzeichnis
  14. Personenverzeichnis