Kiel in der Geschichte
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Kiel in der Geschichte

Facetten einer Stadtbiografie

  1. 272 Seiten
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Kiel in der Geschichte

Facetten einer Stadtbiografie

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Kiel ist vielfältig: alte Hansestadt, Residenzstadt, Universitätsstadt, Arbeiterstadt, Sailing City, Landeshauptstadt – Großstadt. Kenntnisreich vermittelt Oliver Auge ein farbiges Bild einer Stadt mit Geschichte, Lebensqualität – und Zukunft. Tauchen Sie ein in eine abwechslungsreiche Stadtbiografie, so facettenreich und lebendig wie Kiel, seine Geschichte und seine Menschen.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783529092534

1.Kiel als Hauptstadt

Seit 1946 ist Kiel die Hauptstadt von Schleswig-Holstein. Wenn diese Rolle auch heute nicht mehr wesentlich in Frage gestellt wird, schaut Kiel doch auf eine bewegte Geschichte auf dem Weg zur Hauptstadt zurück. Kiel war tatsächlich keineswegs immer eine Hauptstadt im Norden. Wie aber stand es vorher um die Stadt? Um Kiels Entwicklung zur Hauptstadt nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die regionalgeschichtliche Perspektive heranzuziehen und zu fragen: Wie sah es denn um Kiel herum aus? Ganz in diesem Sinne wird in diesem Kapitel auch nach der Funktion der Stadt für das Land Schleswig-Holstein und nach Kiels Rolle innerhalb der deutschen Geschichte gefragt.
Kiels Weg zur Landeshauptstadt war geprägt von etlichen Zäsuren und Brüchen, ein Umstand, der so schon eine Kieler Besonderheit darstellt. Dies lag an den spezifischen schleswigholsteinischen Verhältnissen: Wie der Historiker Hartmut Lehmann darlegt, gab es in Schleswig-Holstein keine Stadt, die selbstverständlich von allen als Hauptstadt angenommen und akzeptiert wurde. Von einer Hauptstadt könne man nur dann sprechen, so Lehmann, wenn von ebendieser Stadt wesentliche Funktionen ausgeübt würden, die für die Region im Ganzen bestimmt und wichtig seien und zwar in politischer, rechtlicher, verwaltungsmäßiger, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Und dies traf keineswegs alles für Kiel zu – und tut es eigentlich bis heute nicht. Zwar ist nun Kiel Sitz der Landesregierung und des Landesparlaments, auch befindet sich hier die einzige Volluniversität Schleswig-Holsteins. Aber auch Flensburg und Lübeck firmieren mittlerweile erfolgreich als Universitäts- und Wissenschaftsstandorte. Das Oberlandesgericht als juristisches Zentralorgan, das Landesarchiv und das Landesmuseum als Gedächtnis des Landes sind hingegen in Schleswig zu Hause. In Kiel gibt es eine bunte kulturelle Szene, aber auch andernorts im Land, z. B. in Schleswig oder in Lübeck, wird ein interessantes Theater- und Kulturprogramm geboten. In Richtung Hamburg hat die Landeszentralbank, ehemals mit Sitz in Kiel und Lübeck, 2014 das Bundesland verlassen. Auch andere wirtschaftlich bedeutsame Zweige verlagerten und verlagern ihren Sitz mehr und mehr an die Elbe. So gibt gegenwärtig die Landesbausparkasse ihren zweiten Hauptsitz in Kiel zugunsten des Standortes Hamburg auf, was in der Kommunalpolitik für Unmut sorgt. Kiel ist ohne Frage auch weiterhin ein zentraler Standort für Industrie, Handwerk und Dienstleistungssektor, doch die Konkurrenz ist groß. Die Randbezirke der Metropolregion Hamburg – manche sprechen despektierlich vom »Hamburger Speckgürtel« –, wie beispielsweise der Kreis Stormarn, verfügen über vergleichbare ökonomische Potentiale. Dazu spielt die ehemalige Freie Hansestadt Lübeck am Rand des heutigen Bundeslandes Schleswig-Holstein in vielerlei Hinsicht eine so von vielen Lübeckern auch bewusst gewollte Sonderrolle. Schließlich war man dort bis 1937 selbstständig!
Schon diese erste Auflistung, die man mühelos noch erweitern könnte, macht deutlich: Schleswig-Holsteins Städtelandschaft ist nicht zentral ausgerichtet, sondern erstreckt sich über mehrere Städte, die jeweils als ein Knotenpunkt fungieren. Dies hängt ganz wesentlich mit der spezifischen Vergangenheit Schleswig-Holsteins zusammen.
Im 13. Jahrhundert begann man, das Land nördlich der Elbe zu urbanisieren. In diese Zeit fällt auch die Gründung oder vielmehr Erhebung Kiels zur Stadt. Kiels »Gründung« war tatsächlich kein isolierter Akt, sondern ein wohlüberlegter Schachzug einer weit gefassten Städtepolitik der holsteinischen Grafen aus dem Hause Schauenburg. Diese verfolgten das Ziel, ihre Landesherrschaft nachhaltig auszubauen und dauerhaft zu festigen. Zwischen 1201 und 1223/27 hatten sie diese nach einer Niederlage gegen den dänischen König Waldemar II. (*1170; †1241), der fortan den schillernden Beinamen »der Sieger« führte, verloren und wollten nun verhindern, dass sich solches wiederholte. Die gräfliche Städtepolitik sah vor, dass die frisch gegründeten Städte wichtige politische, militärische und wirtschaftliche Aufgaben wahrnehmen und zu herrschaftlichen Stützpunkten werden sollten. Gerade im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung ging es den Schauenburger Grafen zumal darum, der Konkurrenz der damaligen »Boomtown« Lübeck Paroli zu bieten, wie der Historiker Thomas Hill nachweist. Lübeck gewann im 13. Jahrhundert als Handelspartner von Hamburg zusehends an Wichtigkeit – Hamburg an der Elbe als Tor zur Nordsee und Lübeck an der Trave mit dem Hafenzugang zur Ostsee, mit einer lediglich schmalen Landstrecke zwischen beiden –, was den Schauenburgern ein Dorn im Auge war. Kiel war offenbar gemeinsam mit der nahezu zeitgleich 1238 mit Stadtrecht versehenen Stadt Itzehoe an der Stör als ein ähnlich miteinander korrespondierendes Städtepaar gedacht, zwischen dem der Handel auf Ost- und Nordsee enger zusammenrücken sollte.
Doch eine wirkliche ökonomische Gefahr für die hansische Handelsachse zwischen Hamburg und Lübeck stellte dieses neue Städteduo Kiel-Itzehoe aufgrund seiner exzentrischen Verkehrslage zu keiner Zeit dar. Gleichwohl darf man nicht vergessen, dass Kiel vom Ausgang des 13. Jahrhunderts an – nachweislich seit 1283/84 – bis zu seinem offiziellen Ausschluss im Jahr 1544 ein mehr oder minder aktives Mitglied der Hanse gewesen ist. Allein schon die Mitgliedschaft in der Hanse sowie die für Kiel früh belegte Existenz einer eigenen Gilde von Schonenfahrern sind Ausdruck der Bemühungen, die Stadt als neues ökonomisches Zentrum im Handel zwischen Ost- und Nordsee zu installieren. Für Kiel als ein solches neues ökonomisches Zentrum sprach darüber hinaus, dass in dessen Umkreis ein Ort lag, der eine Verbindung nach Westen, zur Nordsee hin, bereits sicherstellte: Gemeint ist Flemhude, dessen Name anzeigt, dass sich hier ein Landeplatz flämischer Fernhändler befand, die, von der Nordsee über Treene und Eider kommend, mit ihren wertvollen Waren die Ostsee zu erreichen suchten – wohl weil die protektionistischen Lübecker Kaufleute dies weiter südlich erfolgreich zu verhindern wussten.
Kiel als Dreh- und Angelpunkt in internationalem Handel – um dies zu erreichen, wagte Friedrich III. (*1597; †1659) in den 1630er Jahren einen neuen Vorstoß. Er knüpfte an den mittelalterlichen Versuch an, über die »Gründung« Kiels eine weitere Handelsroute im Fernhandel zu etablieren und bemühte sich in den 1630er Jahren, Kiel gemeinsam mit dem erst 1621 gegründeten Friedrichstadt zu einem neuen korrespondierenden Städtepaar zu machen. Dieses sollte eine führende Rolle im internationalen Seidenhandel zwischen Persien und Westeuropa einnehmen. Diese ehrgeizigen Pläne Herzog Friedrichs und seiner höfischen Umgebung scheiterten, besser gesagt: Sie scheiterten nicht einfach, sondern der Verantwortliche, Kaufmann Otto Brüggemann (1600; †1640), wurde 1640 wegen vermeintlicher Inkompetenz öffentlich hingerichtet. Aber immerhin legten die Persianischen Häuser, die zwischen 1632 und 1638 am Kieler Alten Markt aus dem Holz der zunächst für den gedachten Warenumschlag am Hafen errichteten Packhäuser erbaut worden waren, bis zu ihrer Zerstörung im Bombenkrieg des Jahres 1944 in gewisser Weise ein Architektur gewordenes und namentliches Zeugnis der Fernhandelsfunktion ab, welche Kiel seinerzeit einnehmen sollte.
Solche ehrgeizigen Pläne und die durchaus längere Verortung der Stadt auch in der Hanse konnten nichts daran ändern, dass Kiels Handel und Wirtschaft stets eine allenfalls regionale Ausrichtung hatten. Diese Beschränkung auf regionalen Handel stellte ein konstantes Problem in der Kieler Geschichte dar. Noch nicht einmal durch den 1895 eröffneten Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Kanal) als Tor zur Welt vor den Mauern Kiels ließ sich dies ändern: Die Welt fuhr auf dem Kanal nur noch besser an Kiel vorbei.
Ökonomisch betrachtet ist Kiel lange Zeit und bis heute also keinesfalls ein Monolith in der schleswig-holsteinischen Städtelandschaft gewesen. Anders sah es phasenweise auf der politischen Ebene aus. Schon in seiner ersten städtischen Grundstruktur zeichnete sich Kiel durch eine feste Verbindung zur stadtherrlichen Burg aus, die den nördlichen Landzugang zur Stadt wirksam abschirmte. Hier etablierte zwischen 1261 und 1316/21 die sogenannte Kieler Linie des Schauenburger Grafenhauses ihre namengebende Hauptresidenz, wie noch näher beleuchtet werden wird. Diese Seitenlinie der Schauenburger existierte jedoch nicht lange. Mit dem Verschwinden der gräflichen Nebenlinie verlor auch Kiel seinen Status als gräflichen Hauptsitz rasch wieder. Immerhin fungierte die Burg, die in der frühen Neuzeit zum repräsentativen Schloss um- und ausgebaut wurde, nunmehr des Öfteren als Witwensitz, so etwa zur Zeit der Herzoginwitwe Friederike Amalie (*1649; †1704). Diese zog hier nach dem Tod ihres fürstlichen Gemahls Christian Albrecht (*1641; †1694) ein und lebte bis zu ihrem eigenen Ende im Jahr 1704 in Kiel. Ihr Kieler Witwenhof entwickelte sich in kürzester Zeit zum kulturellen Zentrum im Gottorfer Machtbereich.
Nach der schweren Niederlage im Großen Nordischen Krieg 1721 musste der Gottorfer Herzog seine Anteile am Herzogtum Schleswig an den dänischen König abtreten. Kiel profitierte von diesem Verlust, denn es trat nun an die Stelle der bisherigen Hauptresidenz Gottorf und wurde zur neuen Hauptstadt des Miniaturstaates Holstein-Gottorf. Zur dynastischen Grablege wurde die Kirche des ehemaligen Chorherrenstifts in Bordesholm anstelle des ehrwürdigen Schleswiger Domes erkoren. Kurz darauf, am 26. August 1727, zogen in das Kieler Schloss neue illustre Bewohner ein: Der damals 27-jährige Herzog Carl Friedrich (*1700; †1739) mit seiner schwangeren Gemahlin Anna Petrowna (*1708; †1728), einer Tochter Zar Peters des Großen (*1672; †1725), hielt feierlichen Einzug in seine Hauptstadt, nachdem er aus Russland vertrieben worden war. Hier, im Kieler Schloss, wurde wenig später sodann der einzige Sohn und Erbe, Carl Peter Ulrich (*1728; †1762), geboren. Der Kieler Zarenverein rückte dies durch ein 2014 im Kieler Schlossgarten aufgestelltes Denkmal des russischen Bildhauers Alexander Taratynov (*1956) ins öffentliche Bewusstsein. Dieser Carl Peter Ulrich machte später in Russland eine ungewöhnliche Karriere, indem er bald von seiner kinderlosen Tante, der Zarin Elisabeth (*1709; †1762), zum russischen Thronfolger erklärt und nach St. Petersburg geholt wurde. Doch die Regentschaft von Carl Peter Ulrich stand unter keinem guten Stern: Er trat zwar als Peter III. im Jahr 1762 die Nachfolge Elisabeths auf dem Zarenthron an, doch er wurde nach nur sechsmonatiger Regierungszeit gestürzt und ermordet. Seine daran nicht ganz unbeteiligte Frau und Nachfolgerin, Katharina die Große (*1729; †1796), suchte anders als ihr Gatte im Bemühen um Frieden im Norden einen Ausgleich mit Dänemark, was zum Tauschvertrag von Zarskoje Selo führte, demzufolge Holstein-Gottorf samt Kiel 1773 an den dänischen Gesamtstaat fiel.
Kiel büßte damit seine Hauptstadtfunktion wieder ein. Immerhin wurde es aber am 1. Oktober 1834 Sitz des Oberappellationsgerichts, welches in einem Gebäude in der Flämischen Straße untergebracht wurde. Diese Einrichtung, die eine endgültige Trennung von Justiz und Verwaltung im Gesamtstaat mit sich brachte, machte Kiel zum Standort eines letztinstanz- lichen Gerichts für Holstein, Schleswig und Lauenburg, das seit 1815 ebenfalls zum Gesamtstaat gehörte. Kiel erfüllte damit eine zentrale juristische Funktion für den gesamten Bereich zwischen Elbe und Königsau. Allerdings behielt es diese nur bis zur Schleswig-Holsteinischen Erhebung. 1852/54 wurde dann ein eigenes Oberappellationsgericht in Flensburg installiert. Erst im Rahmen einer Justizreform von 1879 erlangte Kiel seine wichtige Rolle innerhalb der Rechtsprechung für den gesamten Bereich der nunmehr preußischen Provinz Schleswig-Holstein zurück, indem es Sitz eines Oberlandesgerichts wurde. Dieses wurde in einem stattlichen neoromanischen Bau am Lorentzendamm untergebracht, der zwischen 1892 und 1894 errichtet wurde. Heute befindet sich darin das schleswig-holsteinische Justizministerium.
Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 wurde Holstein in der Gasteiner Konvention vom 14. August 1865 unter die Verwaltung einer österreichischen Statthalterschaft gestellt, die ihren Hauptsitz in Kiel hatte. Für Schleswig und Lauenburg war hingegen Preußen zuständig. Kiel selbst wurde in der genannten Konvention zur geteilten Stadt erklärt, hieß es doch im Artikel 2: Die Vertragspartner »wollen im (Deutschen) Bunde die Herstellung einer deutschen Flotte in Antrag bringen und für dieselbe den Kieler Hafen als Bundeshafen bestimmen. Bis zur Ausführung der desfallsigen Bundesbeschlüsse … wird das Kommando und die Polizei über denselben von Preußen ausgeübt. Preußen ist berechtigt, sowohl zur Verteidigung der Einfahrt Friedrichsort gegenüber die nötigen Befestigungen anzulegen, als auch auf dem holsteinischen Ufer der Bucht die dem Zweck des Kriegshafens entsprechenden Marineetablissements einzurichten. Diese Befestigungen und Etablissements stehen gleichfalls unter preussischem Kommando, und die zu ihrer Besatzung und Bewachung erforderlichen preussischen Marinetruppen und Mannschaften können in Kiel und Umgebung einquartiert werden.« Um die konkrete Umsetzung dieser Vereinbarung zu regeln, wurde eine eigene Kommission aus preußischen und österreichischen Offizieren gebildet. Unter dem Kommando dieser Kommission wurden in Kiels Westteil österreichische, in seinem Osten preußische Truppen stationiert. Die Trennlinie zwischen den Besatzungsgebieten verlief entlang der Straßen Hamburger Chaussee, Sophienblatt, Klinke, Vorstadt, Holstenstraße, Schlossstraße, Kattenstraße, weiter bis zur Wasserallee. Der Exerzierplatz, das Exerzierhaus beim Schloss, der zwischen Knooper Weg und Schreventeich befindliche Schießstand sowie die Badeanstalt in Düsternbrook standen für eine gemeinschaftliche Nutzung offen. Auf dem Marktplatz, dem heutigen Alten Markt, hatten die Österreicher das Sagen. Zudem wurden den preußischen Truppen am Ostufer der Förde alle Orte von Gaarden bis Laboe zugesprochen, auf dem Westufer noch Düsternbrook und die Wik. Damit befand sich der unmittelbare Fördebereich zum größten Teil in preußischer Hand. Kiel wurde somit zwar zur geteilten Stadt, doch die Übergänge blieben fließend. Eine Demarkationslinie, an der Personenkontrollen hätten durchgeführt werden können, wurde nicht eingerichtet. Die städtischen Bezirke wurden auch nicht unterschiedlich verwaltet, sondern blieben in einer Hand. Während der preußische Gouverneur für Schleswig, Edwin von Manteuffel (*1809; †1885), seinen Amtssitz auf Schloss Gottorf einrichtete, übernahm der verdiente österreichische General Ludwig Freiherr von Gablenz (*1814; †1874) – an den heutzutage in Kiel die 1910 errichtete Gablenzbrücke bzw. die darüber führende Gablenzstraße erinnern, die das Sophienblatt mit der Werftstraße verbinden – auf Seiten der Österreicher das Statthalteramt mit Sitz in Kiel. Im Volksmund wurde der populäre Mann als »Fürst von Kiel« betitelt.
Die österreichische Regierung über Holstein währte allerdings nur bis 1866: Durch den Deutschen Krieg gewann Preußen ganz Holstein für sich und setzte Carl Freiherr von Scheel-Plessen (*1811; †1892) zum Oberpräsidenten für die beiden Herzogtümer ein. Seinen Dienstsitz etablierte der frisch berufene Oberpräsident in Kiel, wo er bald darauf in den Mitteltrakt des Kieler Schlosses einzog. Kiel wurde damit 1866 wieder zur Hauptstadt Schleswigs und Holsteins. Dementsprechend fand auch in Kiel im großen Saal des Schlosses unter Salutschüssen und Glockengeläut am 24. Januar 1867 die feierliche Inbesitznahme der Herzogtümer durch genannten Scheel-Plessen im Namen des preußischen Königs Wilhelm I. (*1797; †1888) statt.
Doch wieder war Kiel der »Hauptstadtstatus« nicht lange vergönnt. Bereits zwei Jahre später, am 1. Oktober 1868, wurden nämlich die bisher getrennten Provinzialregierungen für Schleswig und Holstein zu einer einzigen zusammengefasst, die ihren Sitz nun nicht in Kiel fand, sondern in Schleswig. Oberpräsident Scheel-Plessen hatte hierzu seine eigene Meinung, hatte er doch schon im Juni 1866 verlautbaren lassen: »Mit Entschiedenheit ist auszusprechen, daß Kiel der passendste Sitz der Regierung beider Herzogtümer sein wird. Hier konzentriert sich das politische Leben des Landes.« Um gleichwohl die damalige Entscheidung der preußischen Regierung pro Schleswig und contra Kiel nachvollziehen zu können, sei daran erinnert, dass Kiel zu diesem Zeitpunkt nur eine mittelgroße Stadt mit rund 24 000 Einwohnern war. Flensburg beispielsweise war fast genauso groß, hier wohnten mit 22 000 Einwohnern fast ebenso viele Menschen. In Schleswig waren zwar im Gegensatz dazu lediglich 14 000 Personen beheimatet, doch hatte sich Schleswig wegen der Gottorfer Residenzzeit im Bewusstsein der Menschen stärker als rechtmäßige Hauptstadt der Lande festgesetzt. Vor allem aber gab die Nationalitätenfrage den Ausschlag: Mit dem Beschluss, den Regierungssitz nach Schleswig zu verlegen, sollte das Deutschtum im Schleswiger Landesteil gestärkt werden. Baulicher Ausdruck dieses Beschlusses wurde der bis heute architektonisch imposante Neubau des Regierungsgebäudes in Schleswig, welches bewusst genau gegenüber dem Gottorfer Schloss platziert wurde. Am 22. März 1876 erfolgte die Grundsteinlegung zu diesem »roten Elefanten« aus Backstein, der innerhalb von drei Jahren fertiggestellt wurde, sodass der Dienstsitz des Oberpräsidenten offiziell im Oktober 1879 von Kiel nach Schleswig verlegt werden konnte.
In Kiel blieben nur noch die Einrichtungen der provinziellen Selbstverwaltung zurück, bis auf den Provinziallandtag – dieser wurde im Frühjahr 1880 aus Rendsburg nicht nach Kiel verlegt, sondern ebenfalls nach Schleswig, wo er fortan im alten Ständesaal des Schleswiger Rathauses tagte. Ende des 19. Jahrhunderts jedoch wuchs Kiel zu einer Großstadt heran und übte eine immer stärkere Sogkraft auf das wirtschaftliche und politische Leben im ganzen Land aus. Folgerichtig wurden Pläne zu einer Rückverlegung des Oberpräsidentensitzes nach Kiel geschmiedet und sogar von Kaiser Wilhelm II. (*1859; †1941) unterstützt. Er bezeichnete die Schleswiger Lösung selbst als »größte Dummheit«. Ihren schriftlichen Niederschlag fanden die neuen Absichten in der Denkschrift des seit 1901 amtierenden Oberpräsidenten Adolf Wilhelm Kurt von Wilmowsky (*1850; †1941). Darin hieß es, dass der Oberpräsident nur in Kiel den Pulsschlag des Lebens fühlen und er nur hier am öffentlichen Leben der ganzen Provinz teilhaben könne. Doch das Staatsministerium beharrte in einem Beschluss vom 2. Juli 1904 auf Schleswig als Sitz des Oberpräsidenten. Anders verhielt es sich mit dem Provinziallandtag, der aus Schleswig fortzog und seit dem 19. März 1905 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in der Aula der Christian-Albrechts-Universität tagte. Danach zog er in den Sitzungssaal des 1911 bezogenen neuen Kieler Rathauses.
Die Pläne zu einer Rückverlegung des Oberpräsidiums nach Kiel wurden nun aber keineswegs fallengelassen, zumal die Stadt Kiel selbst Morgenluft witterte und ein lukratives Angebot unterbreitete: Die Stadt wollte ein kostenloses Grundstück für den Bau eines repräsentativen Oberpräsidiums zur Verfügung stellen und bis zu dessen Errichtung für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren auf ihre eigenen Kosten Räume im Stadtgebiet anmieten, um einen möglichst raschen Umzug nach Kiel bereits während der Bauzeit gewährleisten zu können. Zu diesem Angebot hatte man sich in Kiel entschlossen, da ein Wiedereinzug des Oberpräsidenten ins Kieler Schloss mittlerweile unmöglich geworden war. Hier residierte seit 1888 der Kaiserbruder Heinrich (*1862; †1929) mit seinem Hof. Als Umzugsdatum wurde der 1. Oktober 1907 vorgeschlagen. Der 1906/07 amtierende Oberpräsident Kurt von Dewitz (*1847; †1925) begrüßte die Initiative. Er hatte sich krankheitshalber einige Zeit in der Kieler Universitätsklinik aufhalten müssen und seinen Worten zufolge mehr hochgestellte Leute am Krankenbett empfangen als in seiner ganzen vorangegangenen Amtszeit in Schleswig. Insbesondere liebäugelte er mit einem attraktiven Grundstück zwischen der Förde und dem Düsternbrooker Gehölz für den Neubau. Hier herrschte ein sauberes Klima, und von hier aus konnte er die großen kaiserlichen Schiffe sehen. Um von dem damals noch etwas abgelegenen Standort schnell ins Zentrum zu gelangen, hatte er die Idee eines überdachten Motorbootes, mit dem er die längere Wegstrecke problemlos zurücklegen wollte. Doch verhinderte das Preußische Abgeordnetenhaus die Umsetzung all dieser Pläne mit seinem Beschluss vom 5. März 1907. Als Kompromisslösung schlug der nachfolgende Oberpräsident Friedrich von Bülow (*1868; †1936) eine Teilung des Regierungsbezirks Schleswig-Holstein vor, wonach die Etablierung eines zweiten Regierungssitzes in Kiel möglich geworden wäre. Aber auch diese Idee stieß im Abgeordnetenhaus auf Ablehnung: Man fürchtete, einen Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich andere preußische Regierungsbezirke berufen könnten. Vor allem aber hätte die Umsetzung dieser Kompromisslösung das schleswig-holsteinis...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort des Herausgebers
  6. Vorwort des Autors
  7. Ein neues Kiel-Buch und sein Konzept
  8. 1. Kiel als Hauptstadt
  9. 2. Kiel – dreimal gegründet
  10. 3. Kiel als Fürstensitz, Hansestadt und Adelszentrum
  11. 4. Kiel als Finanzplatz und Bankenstandort
  12. 5. Kiel als Wohnort und Lebensraum
  13. 6. Kiel in Bewegung
  14. 7. Kiel als Universitätsstadt
  15. 8. Kiel – Stadt der Skandale
  16. 9. Kiel und die Marine
  17. 10. Kiel und seine braunen Schatten
  18. 11. Kiel als Herausforderung moderner Stadtplanung
  19. 12. Kiel als Stadt der Sport- und Volksfeste
  20. Ein kurzes Resümee
  21. Anhang
  22. Über den Autor