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FrĂŒhes Lernen in Familie, Krippe und Kindergarten

  1. 215 Seiten
  2. German
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FrĂŒhes Lernen in Familie, Krippe und Kindergarten

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Über dieses Buch

Kinder spielen fĂŒr ihr Leben gern. Kindliches Spiel ist ein wichtiger Entwicklungsmotor fĂŒr Lernen und hat einen eigenstĂ€ndigen Bildungswert. Das Buch stellt einen inspirierenden Gegenentwurf gegen eine Verschulung des Elementarbereichs dar. An einer Vielzahl empirischer Studien zeigt der Autor, dass ein entwickeltes Spiel höchst ertragreiches Lernen ermöglicht - ein lustbetontes Lernen mit geringem Überwindungs- und Anstrengungsempfinden. Die entwicklungspsychologischen HintergrĂŒnde werden anschaulich erlĂ€utert und es wird gezeigt, wie Kinder in vielfĂ€ltigen Spielformen wie Bewegungs-, Funktions-, Rollen-, Regel- und Konstruktionsspielen sich wichtige soziale, sprachliche, geistige und emotionale FĂ€higkeiten aneignen. Das Buch liefert eine FĂŒlle an Hinweisen und Anregungen fĂŒr die Praxis, die den Kindern ausreichend Zeit zum entwicklungsförderlichen Spielen eröffnen.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783170301191

1 Spieldefinition und Bedingungen fĂŒr Spiel

„Fast alle Forscher, die sich mit Spiel befasst haben, anerkennen die Schwierigkeiten (
), Spiel zu definieren. Trotzdem haben die meisten Menschen kein Problem, Spiel zu erkennen, wenn sie es sehen.“
(Übersetzung v. Verf.)
Anthony Pellegrini, 2009, S. 8
Dieses Kapitel widmet sich ausfĂŒhrlich der Definition von Spiel. Auf die Diskussion, inwiefern Spiel auch Funktionen hat, die nicht mit Lernen im Zusammenhang stehen (vgl. Hauser, 2006), soll hier nicht eingegangen werden. Bei Kindern erscheint dies unwahrscheinlich: Die Kindheit als Lernzeit wurde von der Evolution wohl kaum fĂŒr etwas anderes „erfunden“ als fĂŒr das Lernen. FĂŒr den Luxus des Erlernens von fĂŒr eine Gesellschaft unnĂŒtzen Kompetenzen war der Aufwand bei unseren Vorfahren schlicht zu groß: Je frĂŒher die Kinder erwachsen waren, desto geringer war der Aufwand fĂŒr die Sippe. 18 Jahre Nahrung beschaffen, beschĂŒtzen, Lernmöglichkeiten anbieten usw. stellen einen großen Aufwand dar.

1.1 Intuitive Spieldefinition

Ob jemand spielt, kann nur aus Sicht des Spielenden entschieden werden. Es ist wie bei der Strafe: Ob eine Strafe auch als Strafe aufgefasst wird, ist stets nur aus der Sicht des bestraften Subjekts zu entscheiden. Strafen, ĂŒber welche Kinder lachen oder gar stolz sind, zum Beispiel weil sie dadurch im Ansehen der Gleichaltrigen gestiegen sind, verfehlen ihre Wirkung. Sie vermindern die Auftretenswahrscheinlichkeit eines Verhaltens nicht. Nur wenn eine Strafe vom Betroffenen als Strafe im Sinne eines als unerwĂŒnscht erlebten Reizes wahrgenommen wird, ist es auch eine Strafe. So ist es auch beim Spiel. Ein Spiel, welches von einem Spielenden nicht als Spiel wahrgenommen wird, zum Beispiel weil er dabei Angst hat, von einem Gleichaltrigen drangsaliert zu werden, oder aber weil er in einem Regelspiel nicht verlieren kann, ist kein Spiel, sondern Ernst.
FĂŒr den einzelnen Menschen in seiner Alltagspsychologie hat die Unterscheidung zwischen Spiel und Nicht-Spiel etwas Offensichtliches. Deshalb wird zunĂ€chst die intuitive Spieldefinition beschrieben, also die Definitionen von Spiel aus Sicht von Erwachsenen und Kindern.
Smith und Vollstedt (1985) untersuchten im Umgang mit Kindern erfahrene und unerfahrene Erwachsene, wie sie die damals gelĂ€ufigen Merkmale von Spiel bewerteten. Die 70 Erwachsenen bearbeiteten insgesamt ĂŒber 100 videografierte TĂ€tigkeiten von Kindern. Sie mussten fĂŒr jeden Film angeben, ob es sich um Spiel handelte und welche Spielmerkmale darin zu erkennen waren. Es waren fĂŒnf Spielmerkmale vorgegeben (Krasnor & Pepler, 1980; Rubin, Fein & Vandenberg, 1983): FlexibilitĂ€t, positive Emotionen, So-tun-als-ob, intrinsische Motivation (etwas aus Freude an der Sache tun) und Mittel-vor-Zweck (das damit erreichbare Ziel ist unwichtig, es geht vor allem um das gegenwĂ€rtige Tun). Es zeigte sich, dass Spiel mit der hohen Übereinstimmung von 80 % von Nicht-Spiel unterschieden wird. Weniger Übereinstimmung zeigte sich in den Merkmalen Mittel-Zweck-Unterscheidung (65 %) und die intrinsische Motivation (69 %). Hingegen fand sich fĂŒr das Merkmal So-tun-als-ob auch eine hohe Übereinstimmung. Damit wird nach Pellegrini (2009) die große Wichtigkeit des Als-ob oder des Fantasie-Elements als „paradigmatischer Fall“ (Mathews & Mathews, 1982) reflektiert.
McInnes, Howard, Miles und Crowley (2009) sind skeptisch in Bezug auf die Möglichkeit, Spiel zu definieren. Es gehe vielmehr darum, AktivitĂ€ten nach ihrem Spielgehalt (Spielhaltigkeit) zu untersuchen. Zur KlĂ€rung der Spielhaltigkeit einer TĂ€tigkeit soll das Urteil von Kindern im Zentrum stehen. Die Spielenden, also die Kinder, sollen ĂŒber ihre Erfahrungen befragt werden. Diesem Vorschlag folgend ließen Thomas, Howard und Miles (2006) Kinder selber beurteilen, welche TĂ€tigkeiten ihrer Ansicht nach Spiel waren. Dazu mussten die Kinder auf Fotos in Spiel und Nicht-Spiel unterscheiden. In Übereinstimmung mit Ă€lteren Studien (Howard, 2002; King, 1979) unterschieden die Kinder klar zwischen Spiel und Arbeit. Typisch fĂŒr SpielaktivitĂ€ten waren die Merkmale: im Freien sein, Konstruieren, TĂ€tigkeiten mit Sand, Rollenspiel, Gegenwart von Gleichaltrigen. Typisch fĂŒr Arbeit waren: Schreiben, Lesen, Benutzen von Papier, Gegenwart von Erwachsenen, an einem Tisch sitzen. Nicht klar eingeteilt wurden AktivitĂ€ten wie Malen und Zeichnen (vgl. Keating, Fabian, Jordan, Mavers & Roberts, 2000). Je mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten ein Kind hatte, desto eher wurde eine AktivitĂ€t als Spiel eingeschĂ€tzt.
Insgesamt finden sich fĂŒr die intuitiven Spieldefinitionen sowohl bei Erwachsenen wie bei Kindern mehrheitlich Übereinstimmungen, obwohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kriterien (wie Mittel vor Zweck) oder Merkmale (wie z. B. Konstruieren versus Zeichnen) vor den jeweiligen Untersuchungen ausreichend geklĂ€rt beziehungsweise eindeutig bestimmt gewesen wĂ€ren. Offenbar kommen Menschen hier schon mit wenig geklĂ€rten Begriffen ziemlich weit.
Ob eine TĂ€tigkeit ein Spiel ist, kann also stets nur aus der Perspektive des Kindes entschieden werden. Auch wenn es sich in der Kindergartendidaktik eingebĂŒrgert hat, bestimmte TĂ€tigkeiten als Spiele zu bezeichnen (z. B. „Freispiel“, „gelenktes Spiel“, „HĂŒpfspiel“, „Rollenspiel“, usw.), braucht es sich dabei nicht um Spiele (als Lernmodus) zu handeln, genauso wenig wie Lehren automatisch schon Lernen zur Folge haben muss. Ob ein Kind spielt, „entscheidet“ das Kind.

1.2 Zur Notwendigkeit einer klaren Definition

Nach wie vor sind wesentliche entwicklungs- und lernpsychologische Implikationen des Spiels noch zu wenig geklĂ€rt. So liegt zum Beispiel fĂŒr unterschiedliche DomĂ€nen wenig Wissen darĂŒber vor, welche Kompetenzen besser im spielorientierten und welche besser im instruktional-zielorientierten Lernen erworben werden. Bei so wenig Wissen und dem in den letzten Jahren durch PISA und einzelnen Exponenten der Hirnforschung verstĂ€rkten Druck auf eine Optimierung des Lernens in der frĂŒhen Kindheit lassen sich der – um es in der Wirtschaftssprache auszudrĂŒcken – „unfreundlichen Übernahme“ der schulorientierten Lernfraktion nur dogmatische Traditionen entgegensetzen. Dabei hat das Spiel schlechte Karten. Denn die andere Seite kann wissenschaftlich gestĂŒtzte Wirkungen vorweisen, wo das Spiel oft – mittlerweile trotz zunehmend ihre Position stĂŒtzenden wissenschaftlichen Befunden – sich fast nur mit Behauptungen begnĂŒgt. Nicht zuletzt deshalb haben wir in den letzten Jahren die rasche Verbreitung von – instruktional-lernorientierten – Trainings im Vorschulalter erlebt. Wissenschaftlich ĂŒberprĂŒfter Schulerfolg ist – berechtigt – zu einer EinflussgrĂ¶ĂŸe in der Schulentwicklung geworden. Wenn aber gleichzeitig Spiel und instruktional-zielorientiertes Lernen nicht klar genug auseinander gehalten werden bzw. ihre Überschneidungsmengen und exklusiven Anteile nicht ausreichend geklĂ€rt werden, kann es leicht geschehen, dass in 10 oder 20 Jahren infolge eines ungenau und global gefassten Spielbegriffs eine Vereinnahmung des Spiels durch die Schule stattgefunden hat, die im Nachhinein als Fehler bedauert wird.
In diesem Buch wird die Position herausgearbeitet, wonach nur Spiel ist, was die dafĂŒr wesentlichen Merkmale aufweist. Es wird die Position vertreten, dass eine TĂ€tigkeit nicht einfach auch ein bisschen „Spiel“ sein kann – genauso wenig, wie frau („man“) ein bisschen schwanger sein kann. Der Vergleich ist weniger an den Haaren herbeigezogen, wie es zunĂ€chst erscheinen mag: Wenn bei der gespielten Aggression mit FaustschlĂ€gen die echte Aggression „ins Spiel kommt“, dann ist es sofort und in umfassender Weise kein Spiel mehr. In solchen FĂ€llen kippen Spiele – wie die Umgangssprache so schön sagt – schlagartig um. Allen Kindern ist in diesen Situationen klar: Echtes Spiel vertrĂ€gt keinen Ernstfall, keine echte RealitĂ€t.
Ob und wo Verschulung des Vorschulalters die kindliche Entwicklung beeintrĂ€chtigt oder begĂŒnstigt, wissen wir noch zu wenig. Verschulung meint in der Regel vor allem die Reduktion der Zeit fĂŒr das Spiel zugunsten des instruktionalen Lernens. Das so genannte „spielerische Lernen“ als Zwischenform bedeutet vieles, was dem Üben im Kontext des instruktionalen Lernens nahe kommt, wie zum Beispiel das Lösen von Rechnungen, welche am Schluss einen bunt ausgemalten Hund ergeben. Ob das noch Spiel ist, muss geklĂ€rt werden. Letztlich geht es um die Frage, welche Kombinationen von AktivitĂ€ten in welchem Alter zum aufs ganze Leben gesehen nachhaltigsten Lernen fĂŒhren.
Ein Fehlen einer akzeptierten Definition von Spiel hat Implikationen fĂŒr die Forschung, welche den Einfluss von Spiel auf das Lernen zu zeigen versucht, und fĂŒhrt zu gegensĂ€tzlichen Sichtweisen bezĂŒglich seines entwicklungsförderlichen Potenzials. Einige sehen im Spiel einen Kern des Lernens (Christie & Johnson, 1983; Fein, 1985; Meadows & Cashdan, 1988; Smith, 1986), andere sind diesbezĂŒglich eher skeptisch (BERA, 2003). In diesem Buch wird unter anderem gezeigt, dass insbesondere in den ersten Lebensjahren herausforderndes Spiel ein nachhaltigeres Lernen darstellt als instruktionales Lernen. Um Spiel aber gegen die schon lĂ€ngst eingesetzten Verschulungsversuche zu schĂŒtzen, braucht es einen scharfen Spielbegriff.

1.3 Bisherige Beschreibungs- und Definitionsversuche

Das Spiel beschĂ€ftigte Philosophen und PĂ€dagogen schon seit Jahrhunderten. Schon Aristoteles (384–322 v. Chr.) sah das Spiel in einem Gegensatz zur Arbeit und sprach ihm Erholungs- und Heilungseffekte zu. Schleiermacher (1768–1834) hielt es Ă€hnlich wie Aristoteles fĂŒr einen Gegensatz zum mit der Schule einsetzenden „Ernst des Lebens“, wohingegen Fröbel (1782–1852) den Ernstcharakter von Spiel und den großen pĂ€dagogischen Nutzen der Spielfreude fĂŒr das Lernen herausstellte (Vernooij, 2005).
Im 20. Jahrhundert prĂ€gten vor allem Jean Piaget (1896–1980) und Lew Vygotsky (1896–1934) die Definition von Spiel (vgl. dazu auch Einsiedler, 1999; Pellegrini, 2009).
Nach Piaget (1945) beginnt Symbolisierung mit der verzögerten Imitation. Dabei haben Kinder eine Idee oder eine Vorstellung einer Handlung oder Person, welche sie spĂ€ter zu reproduzieren versuchen. Symbolspiel ist damit ein Ausbau dieses reprĂ€sentationalen Prozesses, in welchem Kinder erkennen, dass ein Ding fĂŒr ein anderes stehen kann. Durch wiederholtes Symbolspiel ĂŒbt das Kind die Substitution (Ersetzung) von einem Ding durch ein anderes. So kann ein Kind einen Holzklotz nehmen und damit Fahrbewegungen ausfĂŒhren, begleitet mit einem lautmalerischen „Brrrrrm“. Der Holzklotz ist das Symbol und das Auto das Gemeinte. Die SymbolisierungsfĂ€higkeit ermöglicht das VerstĂ€ndnis dafĂŒr, dass Wörter Objekte, Menschen oder Handlungen reprĂ€sentieren. Sie ist ein wesentlicher Motor der Sprachentwicklung.
Mit dem Erwerb wesentlicher sozialer FĂ€higkeiten löst nach Piaget das Regelspiel zunehmend das Symbolspiel ab. Das Symbolspiel geht in der mittleren Kindheit stark zurĂŒck, wird wirklichkeitsnĂ€her. Das hilft dem Kind, mit der objektiven RealitĂ€t zurechtzukommen. Piaget (1945/1969) schrieb dem Spiel in erster Linie eine Konsolidierungsfunktion zu: Das Spiel stellt gemĂ€ĂŸ dieser Auffassung den assimilativen Pol der Denkentwicklung dar, ist somit „eine Übung der aktuellen Intelligenz“. Im Spiel geht es danach weniger um Akkomodation: FĂŒr das Erkennen, Verstehen von neuen ZusammenhĂ€ngen, das Neuausrichten des Denkens und die KreativitĂ€t ist nach Piaget das Spiel weniger geeignet. Im Zentrum steht das Üben bereits erworbener Schemata, die Konsolidierung von FĂ€higkeiten.
Ganz Ă€hnlich wie fĂŒr Piaget war auch fĂŒr Vygotsky (1967) ein wesentliches Element von Spiel die FĂ€higkeit, die IdentitĂ€t eines Objekts in eine andere zu transformieren, also zum Beispiel eine Banane als Telefon zu verwenden. Diese Transformations-FĂ€higkeit gilt als Voraussetzung dafĂŒr, ein Symbol vom Gemeinten zu unterscheiden und ein beliebiges ReprĂ€sentationssystem wie zum Beispiel die Schrift zu verwenden. Auch Vygotsky (1980) sieht wie Piaget einen kontinuierlichen Übergang vom Fantasie- zum Regelspiel. Ganz anders als Piaget sah Vygotsky die Rolle der Gleichaltrigen: Wo Piaget diese eher als notwendige Bedingung fĂŒr das Auslösen von kognitiven Konflikten sah, betonte Vygotsky mehr die Rolle des kompetenten Anderen, von welchem Kinder lernen können. Dies galt auch fĂŒr Erwachsene. FĂŒr Piaget war der soziale Aspekt im Symbolspiel eher nebensĂ€chlich. Vygotsky hingegen sah im Symbolspiel vor allem eine Gelegenheit fĂŒr das Kind, von einem kompetenten Anderen gefördert zu werden. Vygotsky (1991) kritisierte deshalb auch Piagets Sicht, wonach das junge Kind nichtsozial und egozentrisch sei. In Anlehnung an Sigmund Freuds Theorie der WunscherfĂŒllung in TrĂ€umen (z. B. Freud, 1940/1991) und an die Vision einer gerechten Gesellschaft in „Das Kapital“ von Karl Marx (2011/1867) betrachtete er Spiel als etwas, was durch unerfĂŒllte WĂŒnsche motiviert sei. Die Spannung zwischen WĂŒnschen, welche in der RealitĂ€t und den damit verbundenen sozialen Normen nicht erfĂŒllt werden können, sollte ausgesöhnt werden durch Spiel, durch die Erschaffung einer imaginĂ€ren Welt. Zum Beispiel, wenn zwei Kinder spielen, auf einem Pferd zu reiten, obwohl sie dazu in der RealitĂ€t keine Gelegenheit haben. Solche unerreichbaren Möglichkeiten finden sich auch im Rollenspiel, wenn MĂ€dchen Prinzessin (z. B. Sissi) spielen oder Knaben Könige oder Helden (Spiderman) mimen. Das Symbol- oder Fantasiespiel steht fĂŒr einen Start der kindlichen FĂ€higkeit, Symbole zu nutzen und diese vom Gemeinten zu unterscheiden.
Die FĂ€higkeit, alternative RealitĂ€ten zu reprĂ€sentieren, entwickelt sich nach Vygotsky (1971) spĂ€ter in der Kunst zu Ă€sthetischem Ausdruck. Er sah im Symbolspiel den Anfang der individuellen FĂ€higkeiten zur Vorstellung alternativer RealitĂ€ten, wie TagtrĂ€ume, Spekulieren, kreative Erfindungen, und die Formulierung von Hypothesen. Wie fĂŒr Piaget war auch fĂŒr Vygotsky symbolisches Denken besonders wichtig fĂŒr die Sprachentwicklung (Pellegrini & Galda, 1993). „Symbolische ReprĂ€sentation im Spiel ist in seiner Essenz eine besondere Form von Sprache in einer frĂŒhen Phase, eine welche direkt zur geschriebenen Sprache fĂŒhrt“ (Vygotsky, 1978, S. 111).
Weder bei Piaget noch bei Vygotsky stand das Spiel im Zentrum ihrer Forschungen. Bei Piaget stand die kognitive Entwicklung im Zentrum, bei Vygotsky die sprachliche und die soziale Entwicklung. Erst spĂ€ter setzte eine spezifische Spielforschung ein, welche Spiel prĂ€ziser zu definieren suchte. Rubin et al. (1983) beschrieben Spiel – in Anlehnung an Krasnor und Pepler (1980) – mit fĂŒnf Merkmalen:
  • FlexibilitĂ€t: Grad, in welchem die Verhaltenssequenzen bezĂŒglich der funktionalen Variante variieren
  • Positiver Affekt: Spielgesicht oder Ă€quivalentes Merkmal
  • Intrinsische Motivation: Spielen aus freier Wahl oder nur um der Sache willen
  • So-tun-als-ob: Nicht-Ernstfall
  • Mittel-Zweck-Unterscheidung: Spieler sind mehr mit dem Prozess befasst (also den Mitteln) als mit dem Zweck oder Ziel.
Krasnor und Pepler (1980) und in der Folge auch Rubin et al. (1983) forderten ein Kontinuum zwischen Spiel und Nicht-Spiel. Einsiedler (1999) sprach deshalb in Anlehnung an Hassenstein (1976) von einem injunkten Spielbegriff. Nach Hassenstein sollen injunkte Begriffe bei PhĂ€nomenen zum Zug kommen, bei denen eine scharfe Unterscheidung nicht möglich ist, bei denen gleitende ÜbergĂ€nge (z. B. Krankheit – Gesundheit) vorliegen oder Gemeinsamkeiten offensichtlich sind (z. B. angeborenes und erlerntes Verhalten). Nach dieser injunkten Definition gilt: Je mehr dieser fĂŒnf Merkmale vorliegen, desto eher ist eine AktivitĂ€t Spiel. GemĂ€ĂŸ Einsiedler (1999) ließ sich mit der Studie von Smith und Vollstedt (1985) (vgl. Abschn. 1.1) die Annahme von Krasnor und Pepler ĂŒber die wahrscheinlichere EinschĂ€tzung einer Episode als Spiel, wenn mehrere Kriterien auftreten, bestĂ€tigen: Bei Auftreten von vier Merkmalen wurde eine TĂ€tigkeit zu 100 % als Spiel eingeschĂ€tzt, bei Auftreten von nur einem Merkmal jedoch nur zu 48 %.
Bilanzierend stellen McInnes et al. (2009) fest, dass Spiel bis jetzt schwierig zu definieren gewesen sei. Kategoriale (Piaget, 1975; Smilanski, 1968), kriteriale (z. B. Rubin et al., 1983) und kontinuierliche Definitionsversuche (z. B. Einsiedler, 1999; Krasnor & Pepler, 1980; Pellegrini, 1991) konnten nicht ganz ĂŒberzeugen, und es wird auch argumentiert, dass die KomplexitĂ€t von Spiel Definitionsversuche verhindert (Garvey, 1991; Moyles, 1989). Inzwischen hat die Diskussion um die Spieldefinition Fortschritte gemacht. Im nachfolgenden Abschnitt wird deshalb eine exklusive Definition von Spiel vorgeschlagen.

1.4 Exklusive Definition von Spiel

Die nachfolgend beschriebene exklusive ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort der Herausgeberin und der Herausgeber
  6. Einleitung
  7. 1 Spieldefinition und Bedingungen fĂŒr Spiel
  8. 2 Biologische Funktion
  9. 3 Die wichtigsten Spielformen
  10. 4 Kulturelle Funktion
  11. 5 AusgewÀhlte (kulturelle) DomÀnen des Spiels
  12. Literatur