Schule, Migration und ethische Bildung
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Schule, Migration und ethische Bildung

Ethische und pädagogische Herausforderung

  1. 275 Seiten
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Schule, Migration und ethische Bildung

Ethische und pädagogische Herausforderung

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Analyse, Bewertung und Gestaltung von Migration gehören zu den zentralen Aufgaben der pluralistischen Gesellschaft. Auch Wissenschaft und Bildung sind in besonderer Weisegefordert. Es kommt darauf an, die Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen zusammenzutragen und neue Forschungsansätze zu entwickeln. Gleichzeitig bedarf es didaktisch-methodischer Konzepte, um Erfahrungen und Probleme mit Migration und kulturellem Pluralismus zu thematisieren, sowie normative Diskurse zu organisieren. Der Band will dazu ermutigen, Schule im Allgemeinen und Philosophieunterricht im Besonderen für die Erörterung ethischer Fragen der Migration zu nutzen. Die Beiträge thematisieren fachphilosophische, fachdidaktische, allgemeindidaktische Fragestellungen von Migration, Universalismus, Kulturpolitik, Lehrerausbildung und Bildungsarbeit. Die Praxisbeiträge präsentieren Unterrichtseinheiten für verschiedene Klassenstufen, in denen normative Aspekte der Migrationsgesellschaft thematisiert werden.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783170335172

I

Grundsätzliche Positionen und empirische Befunde

Ethische Aspekte der Armutsmigration*

Julian Nida-Rümelin

Es gibt sehr unterschiedliche Motive, die Menschen dazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen und in andere Welt-Regionen aufzubrechen. Eine davon ist der völlig legitime Wunsch, seine sozio-ökonomische Lage zu verbessern. Wenn man Migration im weitesten Sinne als die Veränderung des Wohnortes fasst, dann fallen auch die großen Wanderungsbewegungen, die Italien im 20. Jahrhundert erlebt hat – vom Landesinneren an die Küsten, vom Land in die Städte, vom Süden in den Norden – unter (Binnen-)Migration. Im engeren Sinne wird unter Migration nur der Wohnortwechsel vom einen Land in ein anderes verstanden, also unter Überschreitung von Staatsgrenzen. Aber auch diese engere Bestimmung ist insofern unscharf, als dadurch die Zufälligkeiten der staatlichen Organisation eine allzu große Rolle spielen. So besteht die USA aus 50 Bundesstaaten, wenn man deren Grenzüberschreitungen zur Migration hinzuzählte, würde Nordamerika1 weltweit vermutlich zumindest im Anteil der Migrierenden an der Gesamtbevölkerung, möglicherweise sogar in absoluten Zahlen, die stärkste Migration aufweisen, angesichts der ungewöhnlich hohen Mobilität der US-amerikanischen Gesellschaft.
Nicht jede Migration kann als eine Flucht bezeichnet werden. In Italien wird das Phänomen, dass junge Akademikerinnen und Akademiker das Land in großen Zahlen verlassen, um ihre berufliche Zukunft im Ausland, in Deutschland, in Großbritannien, in den USA zu suchen, als cervelli in fuga (Hirne auf der Flucht) bezeichnet. Der Hintergrund sind die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit und die schlechten Job-Aussichten für Hochschul-Absolventen. Auch die Abwanderung hoch qualifizierter Ärzte aus Südamerika in die USA oder aus Afrika, auch nach Europa wird man jedenfalls nicht mehr als eine Flucht bezeichnen können, da diese in ihren Heimatländern zu den bestbezahlten Arbeitskräften zählen. Flüchtlinge, so können wir vorläufig definieren, sind folglich diejenigen Migranten, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Mehrere Millionen Deutsche flohen nach dem Zweiten Weltkrieg aus den sogenannten deutschen Ost-Gebieten, da sie dort nicht mehr geduldet wurden. Vor dem Hintergrund der Nazi-Gräueltaten im Osten eine durchaus nachvollziehbare Reaktion, die die unmenschlichen Begleitumstände der Vertreibung allerdings nicht rechtfertigen kann. Das Flucht- und Vertreibungsmuster während und nach dem Zweiten Weltkrieg entspricht ähnlichen Vorgängen auf der ganzen Welt. Wenn Krieg oder Bürgerkrieg wütet, werden die jüngeren Männer im Kampf eingesetzt, ihre Familien versuchen sich in Sicherheit zu bringen. Die betroffenen Regionen und Städte entvölkern, zurück bleiben die Kämpfer in ihren Stellungen und die Toten auf der Straße. Die neuen Kriege, in denen nicht Staaten gegeneinander, sondern Ethnien, Sprachgemeinschaften, örtliche Warlords gegeneinander kämpfen, erhöhen den Blut-Zoll der Zivilbevölkerung und üben oft einen über Jahre anhaltenden Vertreibungsdruck aus. Wenn das Leben an einem Ort unerträglich geworden ist, wenn die Gefahr für Leib und Leben immer größer wird, suchen Menschen Zuflucht an anderen Orten. Aber auch Hungersnöte, zum Beispiel durch anhaltende Trockenheit, können Fluchtbewegungen auslösen. Insbesondere in Regionen, in denen die Subsistenzwirtschaft dominiert, in denen also Nahrungsmittel für den eigenen Gebrauch angebaut werden, zwingen Dürreperioden dazu, das Land zu verlassen, wenn Menschen nicht durch Nahrungsmittelhilfe von außen Unterstützung erhalten. Die Ausdehnung der Wüstenregion in der Sahelzone in Afrika, vermutlich eine Folge des Klimawandels, hat zu lokalen Fluchtbewegungen beigetragen.
Das, was gelegentlich als Bottom Billion in der Debatte bezeichnet wird, also die untere Milliarde der Bevölkerung, diejenigen, die von weniger als 1,25 US-Dollar Kaufkraft am Tag leben müssen2 – auch die zweite und möglicherweise sogar noch die dritte Milliarde der Ärmsten der Welt –, kann, wenn sie ihre Heimat verlassen will, sich nicht auf den Weg in die USA, nach Kanada, Australien, ja in der Regel nicht einmal nach Europa machen. Die Kosten, die transkontinentale Migration für jede Person bedeuten, sind derart hoch, dass der ärmste Teil der Weltbevölkerung davon weitgehend ausgeschlossen ist.3 Die Armuts- und Elendsmigration bleibt daher in der Regel lokal.4 Es hat in den vergangenen Jahrzehnten massive Bevölkerungsverschiebungen auf dem afrikanischen Kontinent gegeben, die von der Weltöffentlichkeit kaum wahrgenommen wurden. In den ärmsten und trockensten Gebieten Ostafrikas dünnt die Bevölkerung aus, trotz einer hohen Fertilitäts-Rate.5
China hat, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, eine Art Apartheid-Regime eingeführt, das die Einwanderung in die chinesischen Metropolen für die Landbevölkerung reglementiert.6 In großen Teilen des Landes herrscht trotz einiger Jahrzehnte starken Wirtschaftswachstums bitterste Armut, die ohne diese staatliche Reglementierung vermutlich zur Ausbildung von größeren Slum-Regionen in den und am Rande der Metropolen, wie Shanghai, Peking usw., geführt hätte, wie man dies aus südamerikanischen und afrikanischen, auch indischen Städten gewohnt ist. Die Landbevölkerung verlässt ihre Heimat, weil sie selbst in einer Favela in Rio de Janeiro eine bessere und kontinuierliche Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Kleidung vorfindet und notfalls auch medizinische Hilfe erwarten kann. Armuts- und Elendsmigration wird durch die Vernachlässigung der ländlichen Bevölkerung und der Entwicklung der Landwirtschaft, durch klimatische Veränderungen, aber auch ethnische Konflikte, Bürgerkrieg und Krieg ausgelöst. In diesem Kapitel klammern wir allerdings die Bürgerkriegs- und Kriegsflüchtlinge aus der Betrachtung aus, hierfür ist ein eigenes Kapitel vorgesehen.
Die These, die ich im Folgenden begründen möchte, lautet: Transkontinentale Migration ist kein geeignetes Mittel, um Armut und Elend in der Welt zu bekämpfen. Auch wenn man diese These am Ende akzeptiert, sind die konkreten ethischen Implikationen für die Migrationspolitik erst noch zu klären. Wir werden sehen, dass wir dabei mit komplexen Fragen konfrontiert sind.
Aus einer kosmopolitischen Perspektive ist Armutsmigration in der Regel die schlechteste Form der globalen Armutsbekämpfung. Auch wenn die Migrierenden selbst aus den Armutsregionen des globalen Südens oder Ostens in die Reichtumsregionen Nordamerikas und Mittel- und Nordeuropas gelangen, dort Aufnahme finden und sich auf dem Arbeitsmarkt und längerfristig auch in die neue Gesellschaft integrieren, zeigen Untersuchungen doch die immensen psychischen, kulturellen und sozialen Belastungen, die damit verbunden sind.7 Die europäischen Gesellschaften, in die diese Menschen aus Afrika gelangen, sind ihnen in vieler Hinsicht fremd, die Organisation des Alltags, die Familienstrukturen, der Arbeitsmarkt, das Rechtssystem etc. Ein Land wie Italien, das einen großen Teil der Flüchtlinge aus Afrika in den letzten Jahren aufgenommen hat, kümmert sich wenig um ihre soziale und ökonomische Integration, lässt sie aber gewähren.8 Die Folge ist, dass Tausende von jungen schwarzen Männern sich in Hunderten von italienischen Städten, nicht nur den Großstädten, sondern auch Mittel- und Kleinstädten, damit verdingen, Menschen auf der Suche nach einem Parkplatz auf eine freie Lücke hinzuweisen und sich dies durch einen oder zwei Euro vergüten lassen. Andere organisieren sich und klappern die Restaurants und Bars, auch die öffentlichen Plätze der Stadt, mehrmals am Tage ab, um Rosen zu verkaufen. Ein Teil bettelt auf den Straßen,9 ein Teil – auch das gehört zur Realität – verdingt sich mit halblegalen oder illegalen Tätigkeiten ein Zubrot. Es sieht nicht danach aus, dass die italienische Ökonomie und die Zivilgesellschaft die Migranten, von denen Tausende auf dem Weg durch die Sahara und über das Mittelmeer ihr Leben lassen mussten, integrieren werden. Wenn die Kosten, die auch der italienische Staat für die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge aus Afrika aufwendet, für die Armuts- und Elendsbekämpfung vor Ort eingesetzt würden, wäre dies um ein Vielfaches wirksamer.10 Die Integration wird auch deswegen erschwert, weil es sich ganz überwiegend um junge, alleinstehende Männer11 handelt, die den beschwerlichen Weg, Tausende von Kilometern durch die Sahara und oft durch das lybische Bürgerkriegsgebiet, dann eine hoch gefährliche Überfahrt mit meist nicht seetüchtigen Booten, geschafft haben. Älteren, Kindern, Frauen würde dies noch weit schwerer fallen. Die zurückgebliebenen Familien haben meist alles verfügbare Bargeld zusammengekratzt, um die Auswanderung nach Europa, die Fahrtkosten, die Schlepper etc. zu finanzieren. Sie erwarten, dass diese Mittel zurückgezahlt werden, dass weitere Familienmitglieder nachkommen können, dass am Ende die Hoffnungen, die mit der Migration verbunden sind, erfüllt werden. Dies ist aber offenbar nur in den seltensten Fällen der Fall. Die Qualifikationen, die die Immigranten mitbringen, werden auf dem europäischen Arbeitsmarkt nicht gebraucht oder in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern, die in Frage kämen, gibt es schon heute eine hohe einheimische Arbeitslosigkeit.12 In vielen aufnehmenden Ländern wird die Aufnahme einer geregelten Arbeit sogar während des laufenden und oft langandauernden Verfahrens unterbunden.
Es ist verständlich, dass die wenigsten Immigranten die Bereitschaft aufbringen, sich in einem mühsamen Verfahren nachzuqualifizieren, etwa in Gestalt des deutschen dualen Systems, das zwischen zwei und fünf Jahren in Anspruch nimmt und mit einem geringen Einkommen verbunden ist.13 Der Arbeitsmarkt für ungelernte Hilfskräfte ist aber angesichts der hohen Arbeitslosigkeit von Unqualifizierten in allen europäischen Ländern gedeckt. Die Folge ist, dass bezahlte Tätigkeiten außerhalb von Mindestlohn-Regelungen und Tarifverträgen für die Eingewanderten am erfolgversprechendsten sind. Damit geraten sie in einen Interessenkonflikt zum einheimischen Prekariat, das sich zudem die Stadt-Quartiere mit Neuankömmlingen teilt. Die sozialen, politischen und kulturellen Spannungen nehmen zu, was die ökonomische Besserstellung, die nach Untersuchungen meist mit erfolgreicher transkontinentaler Migration verbunden ist, beeinträchtigt. Viele der Immigranten berichten, dass es ihnen psychisch schlecht geht, auch wenn sie die erhofften ökonomischen Vorteile erreicht haben.14
Utilitaristische Effizienz-Kriterien, also die Beurteilung einer Handlung danach, in welchem Umfange sie dazu beiträgt, Leid zu mindern und Wohlergehen zu mehren, ist immer dann zulässig, ja geboten, wenn die Erfüllung dieses Prinzips nicht im Konflikt mit anderen – gewichtigeren – Handlungsgründen gerät. Halten wir deswegen an dieser Stelle fest, dass transkontinentale Migration von Armen in reiche Regionen unter utilitaristischen Gesichtspunkten ethisch unzulässig ist, da die Integrations- und Migrationskosten pro Kopf so hoch sind, dass der Einsatz dieser Mittel zur Armutsbekämpfung bei weitem sinnvoller wäre. Die Abwehr-These, dass sich diese Alternativen nicht stellen, ist auch angesichts der jüngsten migrationspolitischen Entwicklung abwegig. So hat sich die deutsche Bundesregierung unterdessen entschieden, der Bekämpfung der Migrationsursachen hohe Priorität einzuräumen, und ist dazu bereit, viele Milliarden zu investieren.15 Auch der – unter politischen wie ethischen Gesichtspunkten hochproblematische – 2016 geschlossene Vertrag mit der Türkei16 sieht umfangreiche Zahlungen vor, die eine menschenwürdige Existenz für die Flüchtlinge in der Türkei garantieren sollen.
Auch unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Zustimmungsfähigkeit, also einer kontraktualistischen Perspektive internationaler Gerechtigkeit, schneidet die transkontinentale Migration als Methode der Armutsbekämpfung aus. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Herkunftsregionen unter der Abwanderung leiden, dass also die ohnehin schon schlecht gestellten Gruppen noch schlechter gestellt werden. Dies ist übrigens ein Begleitphänomen fast aller dokumentierter größerer Migrationsbewegungen, etwa auch die aus Europa in den USA: Diese hat den verarmten Regionen in Ir...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort: Schule, Migration und ethische Bildung
  6. I Grundsätzliche Positionen und empirische Befunde
  7. II Didaktische Herausforderungen der ethischen Bildung
  8. III Unterrichtspraxis
  9. Die Autorinnen und Autoren