Schule und psychische Störungen
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Schule und psychische Störungen

  1. 334 Seiten
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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Mit Beiträgen von Hedwig Amorosa, Michael von Aster, Manfred Döpfner, Barbara Gasteiger-Klicpera, Frank Häßler, Christian Klicpera, Klaus Sarimski, Peter F. Schlottke, Hans-Christoph Steinhausen, Lydia Suhr-Dachs, Andreas Warnke u.a.Die Institution Schule spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, indem sie Lernen und Leistung ebenso wie Verhalten und Befinden nachhaltig prägt. Die Schule wird ihrerseits durch Bedingungen beeinflusst, die in den Kindern und Jugendlichen liegen. Diese interaktiven Prozesse werden in diesem Buch mit einem speziellen Fokus auf abweichendem Verhalten und psychischen Störungen dargestellt. Diskutiert werden u.a. aktuelle Themen wie Mobbing, Gewalt und Leistungsängste. Dargestellt werden ebenso Programme, die der Schule helfen, die Ziele der Gesundheitsförderung, der Gewaltprävention und der Etablierung einer lösungsorientierten Konfliktkultur umzusetzen.

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Information

Jahr
2006
ISBN
9783170272842

II Psychische Störungen und
ihre Auswirkungen auf die Schule

Geistige Behinderung

Klaus Sarimski

1 Definition, Klassifikation und Häufigkeit

Psychische Störungen von Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung umfassen emotionale Reaktionen und Verhaltensweisen, die in Folge von oder zusätzlich zu der Störung der Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeiten die Beziehungen zu allen Bezugspersonen, anderen Kindern oder zur Umgebung belasten. Sie beeinträchtigen die Möglichkeiten zur Beteiligung am Unterricht und können den Erwerb neuer Kompetenzen nachhaltig hemmen. Mit einer hohen Rate emotionaler Störungen und problematischer Verhaltensweisen geht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit einher, dass die Selbstbestimmung des Kindes oder Jugendlichen eingeschränkt wird und es/er vom sozialen Leben der Gruppe oder von sozialen Beziehungen ausgeschlossen wird.
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Abb. 1: Psychiatrische Diagnosen bei 264 Kindern mit intellektueller Behinderung und einer Vergleichsgruppe (mit freundlicher Genehmigung von Blackwell Publishing entnommen aus Emerson, 2003, Prevalence of psychiatric disorders in children und adolescents with and without intellectial disability. Journal of intellectual Disability Research, 47, und übersetzt)
Grundsätzlich lassen sich psychische Störungen bei Kindern mit intellektueller Behinderung auf die gleiche Weise wie bei nicht behinderten Kindern mit den herkömmlichen (kinder-)psychiatrischen Schemata nach ICD-10 oder DSM-IV klassifizieren. Emerson (2003) berichtete z. B. über eine repräsentative Stichprobe von 264 Kindern zwischen fünf und 15 Jahren in England. Eine psychiatrische Diagnose wurde bei 39 % gestellt (7,3 mal häufiger als in der Vergleichsgruppe nicht behinderter Kinder). Die häufigsten Störungsbilder waren soziale Verhaltensstörungen (25 %), hyperkinetische Störungen (8,7 %), tiefgreifende Entwicklungsstörungen (Autismusspektrum, 7,6 %) und verschiedene Angststörungen (8,7 %).
Die Diagnoseschemata nach ICD-10 oder DSM-IV werden der Besonderheit psychopathologischer Merkmale in dieser Personengruppe allerdings nicht immer gerecht. Insbesondere die Diagnose von affektiven Störungen erfordert neben den Fremdbeurteilungen durch Eltern und Pädagogen eine psychiatrische Befragung des Betroffenen selbst. Sie scheitert jedoch bei vielen Kindern mit geistiger Behinderung am begrenzten Verständnis für die erfragten Symptome, ihre zeitlichen Zusammenhänge, Häufigkeit und subjektiv empfundene Schwere sowie am fehlenden sprachlichen Ausdrucksvermögen.
Auch wenn man auf die Klassifikation nach herkömmlichen Diagnoseschemata verzichtet und stattdessen die Häufigkeit erhebt, mit der Eltern und Pädagogen problematische Verhaltensweisen berichten, zeigt sich ein mehrfach erhöhtes Risiko für die Ausbildung von emotionalen Störungen und Verhaltensproblemen im Vergleich zu nicht behinderten Kindern und Jugendlichen (Dykens, 2000). Dekker et al. (2002) untersuchten 968 geistig behinderte Kinder und Jugendliche in den Niederlanden mit der »Child Behavior Checklist« (CBCL) und analysierten die Daten getrennt nach Schweregrad der Behinderung (IQ 60–80 bzw. IQ 30–60). Fast 50 % (gegenüber 18 % einer parallelisierten Normalstichprobe) hatten Skalenwerte im klinisch auffälligen Bereich. Aggressive und soziale Verhaltensprobleme sowie Aufmerksamkeitsstörungen traten signifikant häufiger auf als in der Vergleichsgruppe; dies galt für leichter und schwerer behinderte Kinder. Bei leichter behinderten Kindern waren darüber hinaus ängstlich-depressive Symptome sehr ausgeprägt, bei schwerer behinderten Kindern bestand oft ein Problem in sozialem Rückzug.
Tab. 1: Relativer Anteil von Kindern mit leichter intellektueller Behinderung (IQ 60–80), schwerer intellektueller Behinderung (IQ < 60) und unbeeinträchtigter Entwicklung mit klinisch auffälligen CBCL-Skalenwerten (n = 1855/668/300; Dekker et al., 2002)
Unbeeinträchtigt
IQ 60 – 80
IQ 30 – 60
Zurückgezogen
5,4
17,5
22,3
Körperliche Beschwerden
5,0
12,0
8,3
Ängstlich-depressiv
6,6
16,8
10,3
Soziale Probleme
5,1
35,5
51,7
Denkstörung
3,8
8,8
12,3
Aufmerksamkeitsstörung
6,0
30,7
38,0
Dissoziales Verhalten
5,5
18,0
11,0
Aggressives Verhalten
5,2
21,0
19,7
Erhebungen mit Instrumenten, die speziell für die Beurteilung behinderter Kinder entwickelt wurden, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Einfeld und Tonge (1996) untersuchten mit der »Developmental Behavior Checklist« (DBC; Einfeld & Tonge, 1995) 454 Kinder mit intellektueller Behinderung im Alter zwischen vier und 18 Jahren in fünf Regionen von Australien. 40,7 % wurden als auffällig im Sinne einer psychischen Störung beurteilt. Oppositionelle und soziale Verhaltensstörungen waren auch hier stärker ausgeprägt bei Kindern und Jugendlichen mit leichter Behinderung, autistische und selbstbezogene Verhaltensformen bei Kindern und Jugendlichen mit schwerer Behinderung.
Solche emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten haben eine hohe Stabilität. So konnten aus der holländischen Erhebung 772 Jugendliche und junge Erwachsene nachuntersucht werden (mittleres Alter 16,8 Jahre). Insgesamt nahm die Rate von Verhaltensauffälligkeiten, die die Eltern angaben, zwar bei den Kindern mit leichter intellektueller Behinderung ab; für jeweils mehr als 50 % der Kinder und Jugendlichen, die zum ersten Erhebungszeitpunkt hohe Werte für internalisierende oder externalisierende Auffälligkeiten erhalten hatten, traf dies aber auch fünf Jahre später noch zu (deRuiter et al., 2004). In der australischen Erhebung konnten bis zu vier Nachuntersuchungen vorgenommen werden. Von den Kindern, die bei der ersten Erhebung als klinisch auffällig beurteilt wurden, galt dies 14 Jahre später noch bei 48 %; 20 % zeigten dann signifikant weniger, 11 % signifikant mehr Probleme als im mittleren Kindesalter (Einfeld, 2004).
Tab. 2: Relative Prävalenz von Verhaltensstörungen (landesweite Studie, Kalifornien; Borthwick-Duffy, 1994; n = 91164)
Aggressives Verhalten
Selbstverletzendes Verhalten
Destruktives Verhalten
Männlich
2,6
9,7
8,5
Weiblich
1,5
8,7
5,3
Alter
4–10 Jahre
0,9
9,6
5,7
11–20 Jahre
1,7
10,7
7,9
> 21 Jahre
2,7
9,3
8,1
Grad der Behinderung
Leicht
1,4
3,5
4,4
Mäßig
1,8
6,7
6,7
Schwer
2,9
15,3
9,9
Sehr schwer
4,5
24,9
15,0
Die Prävalenzdaten variieren jedoch in Abhängigkeit von der Zusammensetzung der Stichprobe, die in der jeweiligen Studie gewählt wurde. So ist die Rate von aggressiven Verhaltensweisen, Stereotypien, selbstverletzendem Verhalten und autistischen Verhaltensmerkmalen höher, je mehr Personen mit schwerer intellektueller Behinderung in der Untersuchung berücksichtigt werden und je größer der relative Anteil von älteren Jugendlichen ist (Borthwick-Duffy, 1994).

2 Klinisches Erscheinungsbild

Soziale Probleme in der Interaktion mit Gleichaltrigen, oppositionelle und aggressive Verhaltensweisen, Störungen der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitssteuerung, sozialer Rückzug und Ängste entwickeln sich in einem komplexen Bedingungsgefüge von biologischen Funktionseinschränkungen und sozialen Erfahrungen, die Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung machen.
Das Verständnis für soziale Situationen, die Entwicklung von adaptiven Handlungsstrategien und die Lösung sozialer Konflikte werden durch kognitive und kommunikative Defizite erschwert. Die Beeinträchtigung der intellektuellen Verarbeitungsfähigkeiten (Aufmerksamkeitssteuerung, Informationsverarbeitung, exekutive Steuerung und emotionale Selbstregulation) und kommunikativen Ausdrucksmöglichkeiten hemmen den Erwerb sozial-kognitiver Kompetenzen und die Entwicklung befriedigender sozialer Beziehungen. Kinder und Jugendliche mit intellektueller Behinderung fühlen sich in sozialen Situationen deshalb häufiger unter Stress und reagieren ängstlich, abwehrend oder dysfunktional. Einzelne genetische Syndrome gehen zudem mit spezifischen Dispositionen einher, die die Toleranz für Anforderungen und die soziale Anpassung in besonderem Maße erschweren (Dykens, 2000; Sarimski, 2003).
Neben diesen organischen, biologisch bedingten Faktoren tragen die individuelle Lebensgeschichte und aktuelle Lebensumstände zur Ausbildung von emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei. Die frühen Eltern-Kind-Beziehungen sind durch die emotionale Auseinandersetzung der Eltern mit der Realität der Behinderung und eine Fülle alltäglicher Anforderungen belastet. Eltern sind unsicherer in Erziehungsfragen, so dass die Kinder weniger Anleitung zur emotionalen Selbstregulation erhalten, sich ungünstige Interaktionsmuster verstärken und problematische Verhaltensweisen verfestigen.
Ressourcen zur Ausbildung eines positiven Selbstbildes und emotionaler Zufriedenheit, z. B. die Anerkennung für schulische oder sportliche Leistungen oder die Wertschätzung durch Freunde und Freundinnen sind Schülern mit geistiger Behinderung weniger leicht zugänglich. Sie haben weniger Zutrauen in ihre eigenen Fähigkeiten (»gelernte Hilflosigkeit«), erfahren häufiger soziale Ablehnung und haben weniger Gelegenheit zur Selbstbestimmung und sozialen Partizipation am Spiel, Unterricht und Lebensalltag. Dieses Bedingungsgefüge (Abbildung 2) für die Ausbildung von emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten macht deutlich, dass es nicht um die Diagnose einer individuellen psychischen Störung eines Kindes oder Erwachsenen geht, sondern um die Analyse des Ge- oder Misslingens seiner Beziehung zur Umwelt.
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Abb. 2: Bedingungsgefüge bei der Ausbildung psychischer Störungen bei Kindern mit geistiger Behinderung

3 Auswirkungen auf Unterricht und Schule

3.1 Anpassungsbedarf in der Planung des Unterrichts

Der hohe Anteil von Kindern mit emotionalen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten unter den Schulkindern mit geistiger Behinderung stellt eine besondere Herausforderung für Päda...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
  6. Vorwort
  7. I Die Bedeutung der Schule für Befinden und Verhalten
  8. II Psychische Störungen und ihre Auswirkungen auf die Schule
  9. III Programme zur Prävention und Intervention in der Schule
  10. Stichwortverzeichnis