Praxis Entwicklungsneurologie
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Praxis Entwicklungsneurologie

Untersuchung auf Milde Neurologische Dysfunktion (MND)

  1. 176 Seiten
  2. German
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Untersuchung auf Milde Neurologische Dysfunktion (MND)

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Das Standardwerk ("Der Touwen") für die Untersuchung von Kindern mit minimen neurologischen Dysfunktionen (MND) wird jetzt in einer aktualisierten deutschen Übersetzung vorgelegt. Das Buch bietet sowohl die genaue Beschreibung des klinischen Zugangs (Fotos und Videos über ContentPLUS) als auch den konzeptuellen Rahmen. Mit dem Konzept der Minor Neurological Dysfunction (MND) wird der klinische Alltag strukturiert. Es gibt kein entwicklungsneurologisch traditionsreicheres und gleichzeitig moderneres Buch.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783170259607
Auflage
1

1 Einführung

Die Darstellung einer speziellen und ausführlichen Untersuchungsmethode für Kinder mit milden Auffälligkeiten neurologischer Funktionen muss gerechtfertigt werden. Warum sind die bislang von Neuropädiatern und Neurologen angewandten Techniken nicht ausreichend? Diese Frage lässt sich in zwei Fragen aufteilen. Warum eine Untersuchung speziell für Kinder? Und warum eine für milde Auffälligkeiten?
Bei der Beantwortung der ersten Frage muss berücksichtigt werden, dass sich das Nervensystem eines Kindes qualitativ von dem eines Erwachsenen unterscheidet. Es unterliegt raschen Veränderungen, während es beim Erwachsenen eine relativ stabile Entwicklungsphase erreicht hat. Die eindrücklichsten Veränderungen finden pränatal und in den ersten Lebensjahren, viele jedoch auch noch nach dem 2. Lebensjahr statt ( Abb. 1.1). Beispielsweise ist das Dendritenwachstum der corticalen Neurone erst im Alter von 5 Jahren abgeschlossen (Koenderik und Uylings 1995). Die wichtigsten cerebralen Veränderungen nach dem Vorschulalter bestehen aus einer komplexen und überschießenden synaptischen Reorganisation, die durch die Bildung und Elimination von Synapsen und die Myelinisierung zustande kommt (De Graaf-Peters und Hadders-Algra 2006). Diese Prozesse sind mit einem stetigen Hirnwachstum im Kindes- und Jugendalter verbunden. Sie sind das Ergebnis einer Volumenabnahme der grauen Substanz bei Volumenzunahme der weißen Substanz (Sowell et al. 2004; Wilke et al. 2007). Die Volumenabnahme tritt global, jedoch mit regionalen Unterschieden auf: Am deutlichsten ist sie occipital und rechts frontal, wohingegen es in der vorderen und hinteren perisylvischen Region, z. B. dem Broca- und Wernicke-Areal, zu einer Volumenzunahme (nicht Volumenabnahme) der grauen Substanz kommt. Vom Schulalter bis zur Adoleszenz finden die Veränderungen der weißen Substanz besonders präfrontal, im Bereich der inneren Kapsel, in den Basalganglien, an den Thalamusbahnen, den ventralen Sehbahnen und dem Balken statt (Barnea-Goraly et al. 2005).
Diese stetigen Veränderungen des sich entwickelnden Gehirns müssen bei der neurologischen Untersuchung berücksichtigt werden, und zwar sowohl bei der Technik als auch bei der Befundinterpretation. Die Untersucherin sollte also mit dem natürlichen Verlauf der neurologischen Entwicklung vertraut sein, da einige Befunde sich mit dem Alter lediglich verändern (z. B. Diadochokinese), während andere sich ganz verlieren (z. B. viele assoziierte Bewegungen). Zudem gibt es einige für das Kindesalter typische neurologische Befunde: Das gilt für choreatiforme Dyskinesien (sofern sie überhaupt auftreten), die beim Kind stärker ausgeprägt sind als beim Erwachsenen, und leichte Gangauffälligkeiten, die beim Kind deutlicher zu erkennen sind als später, wenn das Gangbild sich voll ausgebildet hat. Eine Untersuchungsmethode, die starr von den neurologischen Gegebenheiten des Erwachsenen ausgeht, ist daher für Kinder ungeeignet, denn damit können die spezifischen Eigenschaften des sich entwickelnden Nervensystems nicht beurteilt werden. Die Methode muss deshalb eine entwicklungsneurologische Untersuchung sein.
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Abb. 1.1: Zusammenfassung des zeitlichen Verlaufs der neurobiologischen Prozesse im Telencephalon während der menschlichen Ontogenese. Die Subplatte ist eine wichtige transiente Struktur im Telencephalon. Die gestrichelte Linie bedeutet, dass der Prozess aktiv, die durchgezogene Linie, dass der Prozess sogar sehr aktiv ist. Man beachte, dass die Zeitachse unten auf der Abbildung willkürlich ist. A = Beginn des Erwachsenenalters; M = postnatale Monate; P = Beginn der Pubertät; W = Wochen; J = Jahre (nach de Graaf-Peters und Hadders-Algra 2006).
Die Beantwortung der zweiten Frage (Warum eine Untersuchung für milde Auffälligkeiten?) hat mit der Indikation zur neurologischen Untersuchung an sich zu tun. Es gibt genaugenommen drei Indikationen für die neurologische Untersuchung, die insbesondere leichtere Auffälligkeiten erfassen soll:
  1. Es besteht der Verdacht auf eine neurologische Erkrankung im Anfangsstadium, ausgehend von den Symptomen des Kindes (z. B. Kopfschmerzen mit Erbrechen, Regression der geistigen und/oder motorischen Fertigkeiten) oder von Auffälligkeiten in der Familienanamnese (z. B. Tuberöse Hirnsklerose oder Muskelerkrankungen).
  2. Es handelt sich um Kinder mit gesicherten neurologischen Erkrankungen, wie z. B. einigen Formen der Cerebralparesen, bei denen es wichtig ist, sämtliche Facetten der neurologischen Störung zu erkennen, um sie bei der Therapie einzubeziehen. So können z. B. bei einem Kind mit einer unilateralen Cerebralparese auch geringe Koordinationsstörungen der nichtbetroffenen Hand erkannt werden, die behandlungsbedürftig sind. In beiden Fällen muss die Untersuchungsmethode empfindlich genug sein, leichte neurologische Funktionsstörungen zu erkennen.
  3. Die neurologische Untersuchung ist ein wertvolles Instrument zur Beurteilung von Kindern mit Lern-, Verhaltens- und Koordinationsproblemen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) und umschriebenen Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen (UEMF; Developmental Coordination Disorders, DCD, American Psychiatric Association 2000).
Mit der dritten Gruppe von Kindern beschäftigt sich dieses Buch hauptsächlich. Es soll der Untersucherin bei der Beantwortung der Frage helfen, ob eine neurologische Funktionsstörung als die neurobiologische Grundlage einer Verhaltensauffälligkeit anzusehen ist ( Kap. 2 und 10). Da die neurologische Dysfunktion sehr diskret sein kann, ist eine genaue und umfassende Untersuchungsmethode notwendig, die möglichst viele neurologische Mechanismen überprüft.
Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, was durch eine neurologische Untersuchung überhaupt erkannt werden kann. Lern-, Verhaltens- oder Koordinationsprobleme sind ja nur ein Teil komplexer Verhaltensmuster, die dem Kind zur Verfügung stehen, sich selbst in seiner Umgebung oder seine Umgebung in Bezug auf sich selbst zu verändern. Zweifellos wird komplexes Verhalten durch das Nervensystem vermittelt und die neurologische Untersuchung, die natürlich begrenzt ist, kann nur den Teil des Verhaltens beurteilen, der auch Gegenstand der Untersuchung ist (z. B. [senso]motorische Funktionen, Körperhaltung und Bewegungen, Reflexe und Reaktionen). Der fehlende Nachweis milder neurologischer Symptome ist kein Beweis für die vollständige Integrität des Gehirns und das Vorliegen milder neurologischer Dysfunktionen muss nicht die Ursache des beobachteten Verhaltens sein. Manchmal, längst nicht immer, gibt es doch einen solchen Zusammenhang: z. B. ungeschickte (»clumsy«) Bewegungen bei einem Kind, das eine milde neurologische Dysfunktion der Koordination oder eine choreatiforme Dyskinesie hat. Dieser Punkt wird weiter in Kapitel 2 behandelt; hier genügt die Feststellung, dass jedes Kind mit Lern- und Verhaltensstörungen neurologisch untersucht werden sollte, weil das Gehirn an der Entstehung dieses Verhaltens beteiligt ist und mit der neurologischen Untersuchung zumindest teilweise die Integrität des Gehirns beurteilt werden kann. Die Untersuchung muss keineswegs zu einer spezifischen ätiologischen Klärung der Verhaltensstörungen führen, sie ist jedoch ein wichtiger Bestandteil des gesamten diagnostischen Prozesses.
Zweifellos sollte die neurologische Untersuchung Funktionsstörungen erkennen oder sie ausschließen, sie sollte diese jedoch auch von einer Hirnreifungsverzögerung (einer Entwicklungsretardierung) unterscheiden können. Die umfassende und dem Alter des Kindes angepasste Untersuchung zielt nämlich genau auf diese Differenzierung ab. Hier ist es wichtig, noch einmal den Unterschied zwischen einer neurologischen Untersuchung und der Beurteilung des Entwicklungsstandes zu betonen. Letztere befasst sich hauptsächlich mit der Beurteilung von Fertigkeiten in ihrem zeitlichen Verlauf (Beurteilung dessen, was das Kind kann), im Gegensatz dazu beschäftigt sich die neurologische Untersuchung mit der Art und Weise, in der das Kind bestimmte Aufgaben durchführt, unter Berücksichtigung der entwicklungsbedingten Änderungen (Beurteilung dessen, wie das Kind Aufgaben erfüllt; siehe auch Touwen 1981).
Für die in diesem Buch beschriebene Untersuchung sollten die Kinder mindestens 4 Jahre alt sein. Manche Items (z. B. Muskeltonus, Muskeleigenreflexe, Mundöffnen-Fingerspreiz-Phänomen) können auch bei jüngeren Kindern, wenige andere (z. B. Finger-Oppositionstest) erst ab 5 Jahren untersucht werden. Eine obere Altersgrenze gibt es nicht; das bedeutet, dass die Untersuchung auch bei Jugendlichen und Erwachsenen durchführbar ist. Diese Untersuchung gehört zum Methodenrepertoire eines Arztes, der in der Neuropädiatrie, der Entwicklungsneurologie, der Entwicklungspädiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder der Pädiatrischen Rehabilitation arbeitet. Da sie das komplexeste System des Körpers betrifft, ist es nicht verwunderlich, dass die Methode ebenso komplex und damit schwierig und zeitaufwändig ist und spezielle Fertigkeiten und Kenntnisse erfordert. Es ist jedoch unmöglich, mit einigen kurzen neurologischen Tests zu entscheiden, ob das Gehirn typisch oder atypisch funktioniert. Der Ruf nach einem neurologischen Screeningtest ist verständlich, vernachlässigt aber die wesentlichen Gegebenheiten des Zentralen Nervensystems (ZNS). Ein Test, der nur einen einzelnen Teil des neurologischen Repertoires erfasst, beispielsweise das Gehen, kann zwar über diese spezielle Funktion Auskunft geben, nicht jedoch über die hier zugrunde liegenden neurologischen Mechanismen; aber genau diese müssen bei auffälligen Befunden erfasst werden. Darüber hinaus liefert die Untersuchung eines einzelnen Aspekts des Nervensystems, z. B. den der Koordination, nicht genügend Informationen über andere, z. B. über Muskelkraft oder Reflexe.
Selbstverständlich müssen auch das Sehen und Hören sowie die Sprache überprüft werden. Diese Untersuchungen sollten vom Spezialisten durchgeführt werden; sie werden daher in diesem Buch nicht erörtert. Auch sollten sie nicht an demselben Termin stattfinden, damit die Untersuchungen für das Kind nicht zu lange dauern, nicht zu ermüdend sind und somit unzuverlässige Ergebnisse liefern. Dieses Buch beschäftigt sich ausschließlich mit der neurologischen Routineuntersuchung und erfasst nicht die anderen Funktionen. Aus demselben Grund werden andere Untersuchungsmethoden des kindlichen Gehirns, wie die Magnetresonanztomographie (cMRT) und die Elektroencephalographie (EEG), hier nicht behandelt.
Die Beurteilung einer Milden Neurologischen Dysfunktion (MND) ist ein kriterienbasiertes Verfahren. Das bedeutet, dass für normale, also typische Befunde und auffällige, also atypische Befunde jeweils Kriterien definiert wurden. Die hier beschriebenen beruhen auf den Erfahrungen von Bert Touwen und Mijna Hadders-Algra, die sie über Jahrzehnte bei Untersuchungen von Kindern und Jugendlichen mit MND zusammengetragen haben. Die Kriterien für Items, die nicht oder nur gering entwicklungsabhängig sind, lassen sich einfach formulieren: Typisches Verhalten zeichnet sich hier durch das Fehlen von Funktionsstörungen aus, z. B. durch das Fehlen von Haltungs- oder Bewegungsstereotypien, von Muskeltonus- oder Reflexauffälligkeiten, von Dyskinesien, von sensorischen Störungen und von Hirnnervendysfunktionen. Weniger einfach ist die Definition der Kriterien für typisches Verhalten, das sich altersabhängig ändert (Beispiel: Diadochokinese oder Finger-Oppositionstest). Die Funktionen, die in diesen Tests geprüft werden, sind nicht nur abhängig von der Integrität des Gehirns, sondern auch von der jeweiligen Erfahrung. Das bedeutet, dass Befunde, die für eine Population typisch sind, für eine andere, z. B. aus einem anderen Lebensraum oder aus einer anderen Zeit, atypisch sein können. Dabei stellt sich die schwierige Frage, ob Kriterien für die typischen Befunde eines neurologischen Tests an eine bestimmte Population angepasst werden sollen. Hierzu lässt sich Folgendes sagen: Über Jahre haben wir uns an die »Groninger Normwerte« gehalten, nach denen in den 1980er Jahren etwa 10 % der Kinder eine nicht altersgerechte Diadochokinese zeigten; in letzter Zeit ist der Anteil dieser Kinder jedoch auf 50 % angestiegen. Zur gleichen Zeit ist die choreatiforme Dyskinesie von 13 % auf 8 % gesunken. Das spricht dafür, dass sich die neurologischen Bedingungen für Kinder in den nördlichen Teilen der Niederlande über die Jahre verändert haben und dass diese Veränderungen höchstwahrscheinlich multifaktoriell bedingt sind (Hadders-Algra 2007). Folgende Faktoren könnten eine Rolle spielen:
  • höheres mütterliches Alter bei der Geburt, verbunden mit dem Einsatz reproduktionsmedizinischer Techniken (Middelburg et al. 2008),
  • verbesserte Überlebenschancen sehr kleiner Frühgeborener (Allen 2008),
  • veränderte Ernährungsgewohnheiten, z. B. zunehmender Konsum von Fertigprodukten (Bouwstra et al. 2006),
  • veränderter Umgang mit Säuglingen, die beispielsweise seltener auf den Bauch als auf den Rücken gelegt werden und mehr Zeit halbsitzend in tragbaren Babysitzen verbringen (Monson et al. 2003),
  • veränderte Alltagsaktivitäten im Schulalter: Kinder spielen weniger im Freien und verbringen mehr Zeit beim Fernsehen oder bei Computerspielen (Li et al. 2008).
Da wir die Ursachen der veränderten neurologischen Befunde nicht sicher kennen, haben wir uns entschieden, in jedem individuellen Test bei den oben definierten Kriterien für die typischen Befunde zu bleiben. Diese Kriterien sind für jede einzelne Untersuchung beschrieben und werden durch Videobeispiele, die über ContentPLUS zugänglich sind, ergänzt.
Die Kapitel 4–9 befassen sich mit dem jeweiligen Untersuchungsablauf. Für jedes Item wird die Durchführung beschrieben, daran schließen sich Informationen zum Einfluss des Alters auf die Ergebnisse und zur Bewertung der Items an. Abschließend erfolgt eine Interpretation der Ergebnisse. Dabei sollte klar sein, dass nicht alle im wissenschaftlichen Sinne evidenzbasiert sind. Wo es möglich ist, werden Studien zitiert, die Hinweise auf die neurologischen Grundlagen liefern. Einige der hier beschriebenen Interpretationen basieren jedoch lediglich auf den allgemeinen klinischen Erfahrungen in der Neurologie.
Und zu guter Letzt: Eine Autorin, die über Personen schreibt, die männlich oder weiblich sein können, muss sich entscheiden: Sie kann versuchen, durch Formulierungen wie »Er/Sie« oder »Patient/Patientin« stets beide Geschlechter anzusprechen, oder sie entscheidet sich nur für eine, die männliche oder die weibliche Form. Die zweite Alternative ist einfacher zu lesen, »vernachlässigt« aber stets eines der beiden Geschlechter. Ich habe mich dennoch für die zweite, besser lesbare Form entschieden und verwende daher die weibliche Form für die Untersucherin und die neutrale Form für das Kind. Ich betone, dass ich hiermit keinerlei Wertung verbinde.

2 Untersuchung auf Milde Neurologische Dysfunktion (MND)

2.1 Geschichtlicher Hintergrund: milde Hirnfunktionsstörung und Milde Neurologische Dysfunktion

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam Interesse an den neurologischen Grundlagen kindlicher Lern- und Verhaltensauffälligkeiten auf. Die Vorstellung, dass bestimmte Verhaltensweisen als Folge kindlicher Hirnläsionen angesehen werden könnten, ging auf eine Beobachtung in den 1920er Jahren zurück, wonach Kinder, die eine Encephalitis durchgemacht hatten, später mit Hyperaktivität, dissozialem Verhalten und emotionaler Instabilität (Kessler 1980) auffielen. Später haben Strauss und Lehtinen (1947) die Ansicht vertreten, bestimmte Verhaltensweisen, besonders hyperkinetische Störungen, seien mit Hirnläsionen assoziiert. Sie postulierten, dass Hyperaktivität, Impulsivität und Ablenkbarkeit bei Kindern mit Lernproblemen Zeichen einer Hirnschädigung seien. Ein weiterer Aspekt wurde von Pasamanick und Kollegen in die Diskussion gebracht. Sie sahen einen Zusammenhang zwischen Lern- und Verhaltensstörungen einerseits und Hirnfunktionsstörungen andererseits, die ähnlich wie die Cerebralparesen auf pränatale und perinatale Auffälligkeiten zurückgingen (Konzept der »continuum of repro...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort zur deutschen Ausgabe
  6. Vorwort von Bert C. L. Touwen, Niederlande
  7. Vorwort von Rob J. Forsyth, Großbritannien
  8. Danksagungen von Mijna Hadders-Algra und Florian Heinen
  9. 1 Einführung
  10. 2 Untersuchung auf Milde Neurologische Dysfunktion (MND)
  11. 3 Untersuchungstechnik und psychometrische Eigenschaften
  12. 4 Die Untersuchung des Kindes im Sitzen: Teil 1
  13. 5 Untersuchung des Kindes im Stehen
  14. 6 Untersuchung des Kindes im Gehen
  15. 7 Untersuchung des Kindes im Liegen
  16. 8 Untersuchung des Kindes im Sitzen: Teil 2
  17. 9 Allgemeine Bemerkungen
  18. 10 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
  19. Literatur
  20. Register