PrÀvention von Amok und schwerer Gewalt an Schulen 1
Frank J. Robertz
Die Auseinandersetzung mit schweren Gewalttaten an Schulen und Gewaltandrohungen gehört mittlerweile zum Alltag von Schulpsychologen und schulbezogen arbeitenden Polizeibeamten. Konsequenterweise hat dies in den letzten Jahren zu einer deutlichen Verbesserung der Vorgehensweisen auf der Ebene der Schulpsychologie und der Polizei gefĂŒhrt. Auf der Ebene der einzelnen Schulen wird die Relevanz frĂŒhzeitiger Vorbeugung von schweren Gewalttaten jedoch noch weitgehend unterschĂ€tzt. Derzeit findet sich allzu oft eine Einstellung, die von der Risikoforschung als ânaiver Optimismusâ bezeichnet wird. Das subjektive GefĂŒhl, weniger gefĂ€hrdet zu sein als andere, verzerrt den objektiv-sachlichen Blick. Dies verhindert mitunter eine angemessene PrĂ€ventionsbemĂŒhung. WĂ€hrend die allgemeine Ăberlastung durch die vielfĂ€ltigen Probleme, mit denen sich Schulen konfrontiert sehen, verstĂ€ndlich ist, erstaunt demgegenĂŒber immer wieder die in der Praxis von Schulen gerne genutzte Argumentation, sich nicht mit der Thematik auseinanderzusetzen: Eine echte Tatabsicht sei doch ohnehin nicht zu verhindern, das Ereignis doch allzu selten und auĂerdem sei Amok ohnehin eher ein Problem von Schulen in anderen Regionen Deutschlands.
Defizite der Risikowahrnehmung
BerĂŒcksichtigt man alleine die beiden Risikodimensionen âBekanntheit des Risikosâ (also bspw. das Wissen ĂŒber und die Wahrnehmbarkeit von einem negativen Ereignis) und âSchrecklichkeit des Risikosâ (also bspw. die Unkontrollierbarkeit und das AusmaĂ jenes Ereignisses), dann werden die Defizite der schulischen Risikowahrnehmung schnell deutlich: Die Forschung hat ebenso wie die Praxiserfahrung in den letzten Jahren ĂŒberdeutlich gezeigt, dass eine frĂŒhe Wahrnehmung problematischer Entwicklungen gut zu erkennen ist und ihr mit Hilfe der PrĂ€vention effektiv begegnet werden kann. Relevant ist dabei keineswegs der bisherige geografische Ort begangener Amoktaten, sondern die Art und Weise des Umgangs mit potentiellen TĂ€tern und ihren Problemen. DarĂŒber hinaus ist ein verkĂŒrzter Blick auf die âSeltenheitâ des Ereignisses folgenschwer. Einerseits ist eine auftretende Tat auĂerordentlich gravierend, denn eine betroffene Schule und die sie umgebenden Systeme werden sich nie mehr völlig von dem Ereignis erholen. Daran können auch therapeutische BemĂŒhungen fĂŒr hunderte Menschen und aufwĂ€ndige Umbauten des Schultatorts nur wenig Ă€ndern. Andererseits wird vernachlĂ€ssigt, dass bereits ein Trittbrettfahrer mit der lapidar an die ToilettentĂŒr geschmierten Androhung eines Amoktattages einschneidende Folgen fĂŒr eine Schule haben kann. Zur Verdeutlichung der GröĂenordnung: Vor allem in der Nachfolge real umgesetzter Taten halten bundesweit jeweils hunderte von Trittbrettfahrern ihre Schule in Atem. Die Verwirrung darĂŒber, wie eine solche Schmiererei zu bewerten ist, wie mit der Androhung umzugehen ist oder wie die Reaktion dann SchĂŒlern, Kollegium und Eltern erklĂ€rt werden soll, spricht BĂ€nde. Problematische EntwicklungsverlĂ€ufe von SchĂŒlern, die ĂŒber intensive und umsetzungsorientierte Gewaltphantasien verfĂŒgen, bilden ebenso wie Amokdrohungen ein PhĂ€nomen, das flĂ€chendeckend auftritt. Schulen mĂŒssen zum fachmĂ€nnischen und somit gefahrlosen Umgang eigene Handlungskompetenz ausbilden und frĂŒhzeitig eine enge Vernetzung mit helfenden Institutionen etablieren.
Dabei muss jedoch berĂŒcksichtigt werden, dass Risikowahrnehmung nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum stattfindet. Sie wird etwa durch die Interpretation von Kollegen beeinflusst, welche die Betrachtung eines Risikos verstĂ€rken oder abschwĂ€chen können. Die Risikowahrnehmung von Schulen sollte daher verbessert werden können, insofern nicht nur im Lehrerkollegium ĂŒber dieses Thema diskutiert wird, sondern durch eine bessere Netzwerkarbeit auch Sichtweisen von Polizei, Sozialarbeit und Psychologie in die schulische Bewertung einflieĂen. Ebenso wichtig sind fĂŒr Schulen sicherlich die Haltung und das an die Schulen gesandte Signal der jeweiligen SchultrĂ€ger und Ministerien. Werden prĂ€ventive MaĂnahmen nicht angeregt und nicht unterstĂŒtzt bzw. werden unzureichende Informationsmaterialien fĂ€lschlicherweise als Weg einer gelingenden PrĂ€vention dargestellt, dann werden in der Konsequenz Risiken nicht gemindert, sondern verstĂ€rkt.
Grundlagenwissen ĂŒber School Shootings
Ist das Risiko erkannt, muss ĂŒber wissenschaftlich fundierte und praxistaugliche Wege zu einer effektiven PrĂ€vention nachgedacht werden. Zum besseren VerstĂ€ndnis dieser Lösungswege ist es jedoch zunĂ€chst sinnvoll, kurz an das Grundlagenwissen ĂŒber sogenannte âAmoklĂ€ufe durch Jugendliche an Schulenâ (Fachterminus: âSchool Shootingsâ) zu erinnern: Ein School Shooting liegt dann vor, wenn ein Jugendlicher an seiner Schule einen Tötungsversuch an mehreren Menschen begangen hat oder wenn er versucht hat, eine Person erkennbar aufgrund ihrer Funktion an der Schule zu töten. AuffĂ€llig ist dabei, dass die Schule stets eine symbolische Bedeutung fĂŒr den TĂ€ter besitzt. Er begeht die Tötungen nicht etwa auf dem Nachhauseweg oder in privaten Situationen, sondern demonstrativ an jenem Ort, an dem er aus seiner subjektiven Sichtweise die gröĂten KrĂ€nkungen seines Lebens erlitten hat. Durch seine Tat an der Schule soll aller Welt seine Kontrolle ĂŒber die Tatsituation gezeigt werden.
Meist handelt es sich bei den jugendlichen TĂ€tern um introvertierte EinzelgĂ€nger, die keine schwerwiegenden psychischen Störungen haben, jedoch eine depressive Symptomatik aufweisen. Zudem haben sie in der Regel vor ihrer Tat eine schwere persönliche Niederlage erlitten und verfĂŒgen ĂŒber ein dĂŒsteres, intensives und auĂergewöhnliches Phantasieerleben. Dies bewirkt einen weiteren sozialen RĂŒckzug und darĂŒber hinaus die fortgesetzte BeschĂ€ftigung mit gewalthaltigen Themen.
Als besonders gravierend erweist es sich, dass bei diesen Jugendlichen nicht hinreichend auf ihre Vereinzelung und ihren subjektiven Mangel an Lebensperspektiven reagiert wird und dass gleichzeitig in ihrem Leben jene Schutzfaktoren gering ausgeprĂ€gt sind oder gar völlig fehlen, die schwere Gewalttaten verhindern. Hierzu zĂ€hlen etwa funktionsfĂ€hige emotionale Bezugspersonen, denn fĂŒrsorgliche, stabile Beziehungen erlauben den Jugendlichen das Ansprechen von emotionalen Nöten und Hilfestellung in Krisensituationen. Zu diesen Schutzfaktoren wird auch ein Erleben von Selbstwirksamkeit gerechnet. Hiermit wird die Gewissheit bezeichnet, den eigenen Status quo in der Zukunft zum Positiven beeinflussen zu können und eine eigene Handlungsmacht zu spĂŒren. Es geht im Kern darum, den eigenen Lebensverlauf und das eigene Wohlergehen gezielt beeinflussen zu können. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Eingebundenheit in soziale Strukturen. Gemeint ist eine gute Einbindung in Schule, Hausaufgaben, Hobbys, Sport, Vereinsstrukturen etc., die das GefĂŒhl vermittelt, einer Gruppe zugehörig zu sein. Letztlich ist auch der Glaube an traditionelle Normen und Werte unserer Gesellschaft sehr relevant. Jugendliche TĂ€ter neigen dazu, deutliche Signale ihrer bevorstehenden Gewaltanwendung auszusenden und die Sichtweise der MitschĂŒler und Erwachsenen auf Normen und Werte aktiv abzufragen. Werden sie dabei nicht deutlich darauf hingewiesen, dass ihre geplante Gewalttat kein adĂ€quates Verhalten darstellt, werten sie eine ausbleibende RĂŒckmeldung oftmals als BestĂ€tigung ihrer Sichtweise.
DarĂŒber hinaus haben die jugendlichen TĂ€ter durchweg erhebliche Probleme, Anerkennung zu erfahren. Obwohl ihnen das sehr wichtig ist, nehmen sie aus subjektiver Sichtweise zum Tatzeitpunkt keine Möglichkeiten mehr wahr, diese Anerkennung zu erhalten. Ebenso sehen sie sich als nahezu völlig perspektivlos an und glauben, in unserer Gesellschaft keinen wertgeschĂ€tzten Platz fĂŒr sich zu finden. Vorangegangene Suchen nach einer solchen Perspektive sind zumeist gescheitert, und die Hoffnung auf eine gesellschaftliche Einbindung in ihrer Zukunft ist nicht mehr existent. Auch ihre Wahrnehmung des eigenen Kontrollvermögens ist desolat. Sie glauben, selbst kaum Kontrolle ausĂŒben zu können, aber einer erheblichen Kontrolle zu unterliegen. Eine schwerwiegende Gewalttat stellt aus ihrer Sicht eine Möglichkeit dar, die vermisste Kontrolle und Macht demonstrativ ausĂŒben zu können. ZusĂ€tzlich erweist sich ihre hohe KrĂ€nkbarkeit als problematisch. Die jugendlichen TĂ€ter leiden erheblich unter vorangegangenen Versagungen und Erniedrigungen. Dabei sind sie oftmals auch sehr empfindlich gegenĂŒber berechtigter Kritik.
Möglichkeiten der PrimÀrprÀvention an Schulen
Effektive PrĂ€ventionsarbeit kann diesen Problemlagen gut begegnen. Vor allem eignen sich hierzu frĂŒh ansetzende primĂ€rprĂ€ventive Möglichkeiten. WĂ€hrend die SekundĂ€rprĂ€vention und TertiĂ€rprĂ€vention bei bereits auffĂ€lligen bzw. straffĂ€llig gewordenen TĂ€tern ansetzt und versucht, jene Jugendlichen von weiteren Normabweichungen abzuhalten, geht es bei primĂ€rprĂ€ventiven Lösungen darum, frĂŒhzeitig und umfassend soziale Kompetenzen fĂŒr alle SchĂŒler zu vermitteln. Gerade der Ausbau von jenen FĂ€higkeiten, die bei School Shootern vor ihrer Tat nachweislich zu schwach ausgeprĂ€gt sind, ist hier relevant. Eine effektive PrimĂ€rprĂ€vention muss versuchen, die bereits skizzierten Schutzfaktoren aufzubauen und die benannten Risikofaktoren zu reduzieren. Sie muss also Wege aufzeigen, Anerkennung zu erhalten, Perspektiven in der Gesellschaft zu finden, Kontrollvermögen zu stĂ€rken und mit KrĂ€nkungen umzugehen. Ebenso muss sie auch dabei unterstĂŒtzen, soziale Kernkompetenzen herauszubilden, die es ermöglichen, Schutzfaktoren zu schaffen. Um Beziehungen zu emotionalen Bezugspersonen aufzubauen und aufrechtzuerhalten, um Selbstwirksamkeit zu erfahren, um in sozialen Strukturen eingebunden zu bleiben und um den Sinn traditioneller Normen und Werte fassen zu können, werden Kernkompetenzen benötigt, ĂŒber welche die jugendlichen TĂ€ter nicht in ausreichendem MaĂe verfĂŒgen. Diese können aber trainiert werden. Dazu gehören unter anderem die Förderung von Empathie und sozialer Wahrnehmung, von Konflikt- und Problemlösungskompetenzen, von KooperationsfĂ€higkeit und Zivilcourage sowie von prosozialen Mechanismen zur FrustrationsbewĂ€ltigung und Impulskontrolle.
Strukturell kann in erheblichem MaĂe zum Erfolg von Programmen zur Steigerung der sozialen Kompetenz beigetragen werden, indem familiĂ€re Strukturen und eine innerfamiliĂ€re âErziehungssicherheitâ gefördert werden. Auf diese Weise wird im familiĂ€r gelernten sozialen Verhalten die Basis fĂŒr eine gelingende schulische PrĂ€vention geschaffen.
Lebenswelt Schule
Doch auch schulische Strukturen sind ĂŒberaus relevant. So sollte darauf hingewirkt werden, dass die von internationalen Metastudien geforderte Verbesserung der Schulstrukturen greift und unsere Schulen von den SchĂŒlern wieder mehr als Lebensort statt nur als reine Lernvermittlungsinstanz begriffen werden. Anstatt sich immer stĂ€rker auf formalisierte Lerninhalte zurĂŒckzuziehen, sollte der Erziehungsauftrag der Schule wieder ernst genommen werden. Die Vorbereitung auf das Leben als Erwachsener gelingt nicht nur durch die AnhĂ€ufung von abstraktem Wissen, sondern auch durch das Erwerben von emotionaler und sozialer Kompetenz. Im Kontrast dazu hat sich unglĂŒcklicherweise der Leistungsdruck in den Schulen seit der Ergebnisse und Diskussionen um Schulleistungsstudien, wie etwa TIMSS, PISA und IGLU, sogar noch deutlich erhöht, und eine Fokussierung auf die Vermittlung von Lernhinhalten wurde in der Folge verstĂ€rkt. Dabei wird viel zu wenig beachtet, dass gerade die erfolgreichsten Schulsysteme in anderen LĂ€ndern das soziale Lernen auf vielfĂ€ltige Weise fördern. Es wird ĂŒbersehen, dass die Voraussetzung fĂŒr gutes Lernen die Freude an Schule und Unterricht ist.
Das der Freude an Schule zugrundeliegende Schulklima kann auf verschiedenen Ebenen verbessert werden. Unter anderem können erweiterte soziale HandlungsspielrĂ€ume fĂŒr möglichst alle SchĂŒler in Projektwochen, Ausstellungen und GruppenaktivitĂ€ten geschaffen werden, die das soziale Miteinander fördern und lehren. UnterstĂŒtzt werden kann dies durch soziale Partizipation, wie etwa bei der Gestaltung und Verantwortung fĂŒr Schulhof, Cafeteria, SchĂŒlerbibliothek, und direkte soziale Handlungen bei Schulveranstaltungen, in SchĂŒlervertretungen, Patenschaften, SchĂŒlerzeitungen oder auch Konfliktlösungsteams. Phasen sozialen, emotionalen und kooperativen Lernens können auch in den herkömmlichen Unterricht eingebaut werden. Methoden wie regelmĂ€Ăige Partnerarbeit, Diskussion und Darstellung von Lösungen bestĂ€rken nicht nur die Motivation und Beteiligung, sondern auch soziale Kompetenzen und Erfahrungen.
Die Schaffung eines Klimas von WertschĂ€tzung und Anerkennung an Schulen ist essentiell, um Leistungspotentiale und positive Entwicklungen zu erfahren. SchĂŒler brauchen die Möglichkeit, ihre StĂ€rken zu entwickeln und zu prĂ€sentieren sowie BestĂ€tigung zu erhalten.
Vernetzung mit Kooperationspartnern
Ein besserer Zugang zu Möglichkeiten der Schulsozialarbeit und Schulpsychologie kann das Schulklima ebenso unterstĂŒtzen, wie eine bessere institutionelle Vernetzung zur schnellen Lösung von problematischen Entwicklungen. Die Benennung spezieller Ansprechpartner in der Schulpsychologie, der Seelsorge, bei der Polizei, in den JugendĂ€mt ern und der Jugendpsychiatrie ist ebenso empfehlenswert wie sinnvolle Regelungen des Datenaustauschs. Hierbei bietet sich zur Förderung einer effektiven Vernetzung vor allem die Entwicklung funktionsfĂ€higer schulinterner Krisenteams an. Diese Krisenteams mĂŒssen jedoch auch durch die Schaffung von Ressourcen und gezielter Fortbildung gefördert werden, um real funktionsfĂ€hig zu sein.
Soziale StÀrkung statt Reduktion auf Anti-Mobbing-Programme
Wenn es darum geht, einzelne, konkrete MaĂnahmen zu ergreifen, werden in der öffentlichen Diskussion immer wieder vereinfachend Anti-Mobbing-Programme als Allheilmittel zur PrĂ€vention von Amoktaten propagiert. Diese treffen die notwendigen VerĂ€nderungen jedoch eher am Rande und nicht im Kern. Herkömmliche Anti-Mobbing-Programme und -Seminare sind oft ein wunderbares Mittel, um generelle Schulgewalt zu reduzieren und das Klima an unseren Schulen zu verbessern â in diesem Sinne sind sie daher durchaus nĂŒtzlich, um die PrĂ€vention von Amoktaten zu unterstĂŒtzen. Sie erweisen sich jedoch keineswegs als hinreichende Mittel, um AmoklĂ€ufen nachhaltig zu begegnen. Neuere Studien und Publikationen (vgl. Newman et al., 2004) belegen, dass die jugendlichen TĂ€ter keineswegs in der Mehrzahl klar erkennbare Mobbingopfer waren, sondern dass die Jugendlichen vielmehr als Gemeinsamkeit aufwiesen, dass sie sich subjektiv als âsozial randstĂ€ndigâ erlebten. Eine derartige âsoziale RandstĂ€ndigkeitâ kann vielfĂ€ltige AusprĂ€gungen haben. Jonathan Fast beschreibt den gemeinsamen Nenner treffend mit dem Begriff âpoorness of fitâ. Dabei kann es sich beispielsweise darum handeln, dass ein sehr intelligentes Kind in einer dysfunktionalen Familie aufwĂ€chst oder ein problembelastetes Kind neben einem sozial auĂergewöhnlich erfolgreich agierenden Ă€lteren Bruder. Will man derartige Problemlagen aufgreifen, so eignen sich Programme zur sozialen KompetenzstĂ€rkung erheblich besser als reine Anti-Mobbing-Programme.
Erst wenn Jugendliche Wege kennenlernen, Anerkennung zu bekommen, Perspektiven zu entwickeln, Kontrolle zu erleben, mit KrĂ€nkungen umzugehen und sich ein schĂŒtzendes soziales GefĂŒge aufzubauen, werden Grundvoraussetzungen fĂŒr die Entwicklung und Umsetzung von gravierenden und intensiven Tötungsphantasien neutralisiert.
Medienberichterstattung kann Nachahmungsphantasien erzeugen
In Bezug auf eine umfassende PrĂ€vention muss der Blick auch fest auf die Wirkung der Medienberichterstattung gerichtet sein. Zu Recht hĂ€lt der Expertenkreis Amok in seinem Abschlussbericht zur Amoktat in Winnenden als Leitsatz fest: âEine extensive, tĂ€terzentrierte und detaillierte Amokberichterstattung ist Katalysator fĂŒr Nachahmungsphantasien und -absichten amokgeneigter junger Menschenâ (2009, S. 59).
Aus der Medienwirkungsforschung, der Suizidforschung und aus Studien zur Nachahmung von Gewalttaten ist bekannt, dass eine vereinfachte Darstellungen von Motivlagen der TÀter, die Zentrierung der Berichterstattung auf die Lebensgeschichte des TÀters, konkrete und emotionale Darstellungen von Einzelheiten der Tat und der TÀterphantasien zur Nachahmung von instrumentellen Gewalttaten beitragen. Dies lÀsst sich unter anderem gut am Beispiel des School Shootings an der Columbine High School in Littleton verdeutlichen:
Viele europĂ€ische TĂ€ter werden immer noch maĂgeblich von jenem Amoklauf beeinflusst, der wenige Monate vor der ersten deutschen Tat in den USA stattgefunden hatte. Eric Harrisâ und Dylan Klebolds damaliges School Shooting wird von deutschen NachahmungstĂ€tern zitiert und subkulturell gefeiert. Die scheinbar Gleichgesinnten unterliegen hierbei jedoch einem folgenschweren Irrtum, der aufgrund einer damals wie heute allzu vereinfachten öffentlichen Motivdarstellung der TĂ€ter entstanden ist und zu einer einfacheren Identifikation mit den jugendlichen GewalttĂ€tern fĂŒhrte....