Kriterien stationärer psychiatrischer Behandlung
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Kriterien stationärer psychiatrischer Behandlung

Leitfaden für die klinische Praxis

  1. 192 Seiten
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Kriterien stationärer psychiatrischer Behandlung

Leitfaden für die klinische Praxis

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Dieser klinische Leitfaden legt erstmalig systematisch entwickelte Kriterien für die stationäre Behandlung psychiatrischer Patienten vor. Grundlage ist ein in der Autorengruppe entwickeltes diagnoseübergreifendes System aus zwei Indikationsbereichen und modulierenden psychosozialen Faktoren. Das Herzstück des Buchs bilden 43 Fallvignetten, die in Anwendung des Kriterienkatalogs ausführlich kommentiert und jeweils um die Diskussion der verfügbaren Empfehlungen aus Leitlinien und anderer relevanter Literatur ergänzt sind.Das Werk vermittelt fundiertes klinisches Handlungswissen und bietet Entscheidungshilfen für erfahrene Kliniker wie auch Ärzte in der Aus- und Weiterbildung. Eine besondere Aktualität erhält es durch die zu erwartenden Veränderungen der psychiatrischen Versorgung durch ein neues pauschaliertes Entgeltsystem.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783170287013

1          Einleitung: Warum und für wen entstand dieses Buch?

 
 
 
 
Die Humanmedizin ist eines der wissenschaftlichen/universitären Fachgebiete mit sehr langer Tradition. Zugleich ist die ärztliche Heilkunst einer der ältesten Lehrberufe der Welt. In dieser doppelten Tradition bewegen sich auch die heute ärztlich Tätigen in Krankenhaus, Ambulanz und Praxis jeden Tag. Die erste Phase der Ausbildung, das Medizinstudium, ist stark wissenschaftlich ausgerichtet. In manchen Untersuchungskursen und vor allem im Praktischen Jahr folgt dann eine langsame Einführung in die alltagspraktischen Themen und eine Heranführung an die dort notwendigen zusätzlichen Fähigkeiten und Kompetenzen. Im Idealfall lernt man dieses »praktische Rüstzeug« von erfahrenen Vorgesetzten, aber auch von den etwas älteren Kolleginnen und Kollegen, die gerade ein paar Schritte weiter sind und noch genau wissen, welche Fragen die Kolleginnen und Kollegen in Weiterbildung beschäftigen. Man kann die erforderlichen praktischen Kompetenzen auch aus Büchern lernen und die dort niedergelegten Erfahrungen anderer, kritisch reflektierend, aufnehmen und ggf. in die eigene Handlungsweise einbeziehen. Allerdings findet sich in den Erkenntnissen der Evidence based Medicine (EbM), die in der Welt des klinischen Alltags wissenschaftliche Orientierung gibt und an der sich unser fachliches Handeln ausrichtet, nur ein Teil des alltagsrelevanten klinischen Wissens. Viele wichtige Themen und medizinische Arbeitsbereiche erhalten dadurch keine ausreichende Fundierung.
Zu den Themen, mit der sich die international geprägte EbM bislang wenig beschäftigt hat, gehört die alltägliche Frage, wann denn eine Patientin oder ein Patient stationär aufgenommen werden sollte. Wohl gibt es Hinweise für eindeutige Zustandsbilder oder Extremfälle eines Krankheitsbildes. Diese sind auf den ersten Blick »evident« und in den entsprechenden Leitlinien erwähnt. Dennoch geben die Leitlinien häufig keine ausreichende Hilfe zur Entscheidung in den vielfältigen und vielgestaltigen Situationen des klinischen Alltags. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Der wahrscheinlich wichtigste Grund ist, dass die wissenschaftlichen Ausführungen, Lehrbücher und Leitlinien nur vereinzelt konkrete Empfehlungen für die Einschätzung der Erkrankungsschwere enthalten, dieser aber eine zentrale Bedeutung für die Entscheidung für oder gegen eine Aufnahme zukommt. Für das psychiatrische Fachgebiet können wir als Beispiel die S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression heranziehen (DGPPN 2009, AWMF-Registernummer nvl-005). Danach besteht eine Notfallindikation zur stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung bei Vorliegen einer akuten suizidalen Gefährdung oder Fremdgefährdung mit fehlender oder eingeschränkter Absprachefähigkeit sowie deutlichen psychotischen Symptomen. Dabei handelt es sich um den erstgenannten eindeutigen, auf den ersten Blick »evidenten« Fall. Darüber hinaus besteht laut Leitlinie meist eine Indikation zur psychiatrisch-psychotherapeutischen stationären Behandlung u. a. bei der Gefahr der depressionsbedingten Isolation und anderen schwerwiegenden psychosozialen Faktoren oder bei den Therapieerfolg massiv behindernden äußeren Lebensumständen oder bei so schweren Krankheitsbildern, dass die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht ausreichen (DGPPN 2009, H 3.2.3 Schnittstellen in der Behandlung, S. 87). Nun zeigt sich das zentrale Problem im klinischen Alltag: Welche psychosozialen Faktoren sind so schwerwiegend und welche äußeren Lebensumstände sind so problematisch, dass sie den Therapieerfolg massiv behindern würden? Und wie sieht konkret der Schweregrad des Krankheitsbildes aus, für den die ambulanten Therapiemöglichkeiten nicht ausreichen? Und wenn in diesen Fällen meist eine Indikation zur stationären Behandlung vorliegt, was entscheidet darüber, wann ausnahmsweise doch eine ambulante Behandlung versucht werden kann/sollte? Hier muss also der Kliniker bewerten, implizit quantifizieren und entscheiden, und dafür fehlt ihm ein präzises Messinstrument oder klinischer Algorithmus.
Darüber hinaus hängen Entscheidungen für eine stationäre Aufnahme von den Rahmenbedingungen des jeweiligen Gesundheitssystems ab, das international stark differiert. Auch die Rahmenbedingungen in der sozialen Versorgung von Menschen in der Gesellschaft spielen eine wichtige Rolle (z. B. der Ausbau des Sozialversicherungssystems), ferner die verfügbaren Ressourcen vor Ort (z. B. die regionalen Facetten der Eingliederungshilfe oder anderer Unterstützungsmöglichkeiten) und – ganz individuell – Aspekte, die das private Umfeld des Patienten, der Familie oder des Freundeskreises betreffen. Die Entscheidung hängt zudem von der Erfahrung, dem Sicherheitsbedürfnis und der persönlichen Einstellung des Arztes, der die Aufnahmeentscheidung trifft, ab. Nicht zuletzt gibt es relevante rechtliche Rahmenbedingungen (wie das Betreuungsrecht, das Patientenrechtegesetz oder die PsychKHGs mancher Bundesländer), die gerade in den letzten Jahren eine starke Modifikation erfahren haben.
Im Grundsatz betreffen die oben skizzierten Probleme des klinischen Alltags die gesamte Medizin. Im Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie scheint aber die Entscheidung zur stationären Aufnahme zumindest auf den ersten Blick oft noch weniger klar operationalisierbar zu sein als in anderen medizinischen Fachgebieten.
Nun gibt es in der Psychiatrie/Psychotherapie seit Verabschiedung der Psychiatrie-Enquête 1975 unbestritten den Grundsatz: »ambulant vor stationär«. Dies bedeutet, soviel psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, auch Akutbehandlung, ambulant oder teilstationär durchzuführen wie möglich, eine stationäre Aufnahme wenn möglich zu vermeiden – wo sie nötig ist, aber in guter Qualität anzubieten. Wo aber ist es nötig? Wie diese Entscheidung im Alltag getroffen werden kann, dazu gibt es im Bericht der Psychiatrie-Enquête wenig konkrete Hinweise.
In Diskussionen zur Weiterentwicklung der psychiatrischen Versorgung bei Fachtagungen des Verbandes der leitenden Ärztinnen und Ärzte an psychiatrischen Fachkrankenhäusern, kurz »Bundesdirektorenkonferenz« (BDK), wurde diese Frage in den letzten Jahren wiederholt aufgeworfen und als wichtiges Thema erkannt. Bei einer ersten Recherche wurde rasch deutlich, dass es zur Frage, wie denn die Indikation für eine stationäre Behandlung in einer Klinik/Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie zu stellen sei, wenig schriftlich niedergelegte Empfehlungen oder Handreichungen gibt. Lehrbücher für Psychiatrie und Psychotherapie widmen sich diesem Thema am ehesten in Nebenbemerkungen oder kurzen Hinweisen. Auch in der nationalen und internationalen wissenschaftlichen Literatur findet sich zur Indikationsstellung einer stationären Aufnahme in der Psychiatrie wenig. Dies hängt vermutlich mit den o. g. Unterschieden der Versorgungssysteme und grundsätzlichen methodischen Problemen zusammen. In Behandlungsleitlinien – wie den S3-Leitlinien unserer Fachgesellschaft DGPPN – werden, wie oben exemplarisch anhand der VersorgungsLeitlinie Depression dargestellt, dazu großenteils allgemeine Aussagen getroffen, die grundsätzliche Orientierung geben, im Einzelfall jedoch nur eingeschränkt hilfreich sind. Ein weiterer Grund für die eingeschränkte Verwendbarkeit der verfügbaren Leitlinien ist, dass die Entscheidung über eine stationäre Aufnahme oft schon getroffen werden muss, bevor die Diagnostik abgeschlossen wurde und eine sichere klinische Diagnose feststeht. Zudem sind im klinischen Alltag Mehrfachdiagnosen häufig, was die direkte Übertragbarkeit von Leitlinien in die klinischen Entscheidungsprozesse zusätzlich erschwert. Für eine Entscheidung über die stationäre Aufnahmenotwendigkeit sind die verfügbaren Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung einzelner Störungen letztlich weder erstellt worden noch geeignet.
Dieser Mangel an wissenschaftlicher Evidenz und umfassenden Empfehlungen kontrastiert mit der klinischen Relevanz der Fragestellung, die jährlich 100.000-fach beantwortet werden muss. Alle in Klinik, Ambulanz und Praxis tätigen Kolleginnen und Kollegen treffen diese Entscheidung täglich. Es ist anzunehmen, dass sie dies nicht willkürlich tun, sondern sich an bestimmten expliziten oder impliziten Grundsätzen, ergänzt bzw. geprägt durch die persönliche Erfahrung, orientieren. Es erscheint jedoch unbefriedigend, dass so wenig über die Art und Anwendung von Entscheidungsstrategien explizit verfügbar und bekannt ist. Sollte man nicht erwarten können, dass eine für den einzelnen Patienten oder die Patientin so wichtige Entscheidung wie eine stationäre Aufnahme, die zudem erhebliche relevante Kosten verursacht, nach rationalen Grundsätzen, replizierbar und in ganz Deutschland in ähnlicher Weise getroffen wird? Wäre es nicht gut, wenn die weniger erfahrenen Kolleginnen und Kollegen, die im Stationsalltag, vor allem auch im Nacht- und Wochenenddienst, in den Institutsambulanzen oder auch als Assistentinnen und Assistenten in der Praxis die Aufnahmeentscheidung treffen, konkretere und detailliertere Empfehlungen in den Händen hätten, an denen sie sich orientieren können? Wäre es ferner nicht hilfreich, wenn in der Weiterbildung, in Seminaren und Kursen, aber auch in Qualitätszirkeln anhand einer klaren Systematik die Wege zu einer solchen Entscheidung dargestellt und diskutiert werden könnten? Mitglieder der BDK haben diese Fragen bejaht und eine Arbeitsgruppe gebildet, um eine entsprechende Handreichung zu erarbeiten.
Ziel unserer Handreichung, die nun in diesem Buch vorliegt, ist es, die Vielfalt der zu berücksichtigenden Aspekte für die Entscheidung über eine stationäre Aufnahme aufzuzeigen, zu systematisieren und so eine Entscheidungshilfe bzw. einen Leitfaden für den Alltag zu geben. Wir wollen somit in erster Linie bei der alltäglichen Entscheidung helfen: Soll, kann, muss dieser Patient/diese Patientin stationär aufgenommen werden?
In der Entwicklung dieses Buches wurde sehr bald deutlich, dass sich die Arbeitsgruppe auf die Entscheidung beschränken muss, ob eine stationäre Aufnahme stattfinden soll oder nicht. Eine darüber hinausgehende, verfeinerte Fragestellung, wie denn die Versorgung im Detail sein sollte, wenn nicht stationär aufgenommen wird oder welchen Weg ein aufgenommener Patient innerhalb des stationären Settings nehmen soll, würde den Rahmen sprengen. Die Abgrenzung zwischen rein ambulanter Behandlung im KV-System, ambulanter Behandlung in der psychiatrischen Institutsambulanz (mit allen Unterschieden quer durch die Republik) oder intensivierter ambulanter Behandlung, halbtagesklinischer oder tagesklinischer Behandlung oder einer Nutzung eines hier und da vorhandenen Hometreatment-Angebots würde den Rahmen ebenfalls sprengen. Diese möglichen Formen der Behandlung werden zwar bedacht und diskutiert, aber nicht im Einzelnen detailliert ausgeführt und gegeneinander abgegrenzt. Die nach der Aufnahme erfolgende Behandlung wird ebenfalls nicht im Detail ausgeführt. Zur Frage der störungsspezifischen Behandlung kann auf die Vielzahl der klinischen Lehrbücher und natürlich auf die Leitlinien der Fachgesellschaften verwiesen werden. Schließlich wird in dem vorliegenden Buch die wichtige Frage der sinnvollen und erforderlichen Dauer des stationären Aufenthaltes nicht systematisch behandelt.
Hier geht es also um die Diskussion, ob eine Person, die in der Praxis sitzt, die sich in der Psychiatrischen Institutsambulanz vorstellt oder die nachts über die Notaufnahme den Arzt vom Dienst aufsucht, stationär aufgenommen werden soll oder nicht. In erster Linie geht es dabei um aktuelle, tagesgleiche Entscheidungen. Daneben findet auch die Frage nach den Bedingungen für eine elektive Aufnahme, ggf. auch nach längerer Wartezeit, Berücksichtigung. Schließlich wird die Frage einer Aufnahme zu einer spezialisierten, diagnosespezifischen Behandlung vs. einer weniger spezifischen stationären psychiatrischen Behandlung berührt. Der Fokus dieses Buches liegt aber auf der akuten, zeitnahen Entscheidungsnotwendigkeit. Das Buch soll helfen, diese Entscheidung nach definierten Kriterien zu treffen und zugleich der Individualität der einzelnen Patienten und den speziellen Rahmenbedingungen des Einzelfalles gerecht zu werden.
Dabei gehen wir von der aktuell in Deutschland bestehenden Versorgungsstruktur mit einer weitgehend strikten Trennung zwischen der ambulanten Behandlung (durch Niedergelassene oder in klinikeigenen Institutsambulanzen) und der stationären (und teilstationären) Behandlung in Kliniken aus. Versorgungsstrukturen, die diese tradierten Sektorgrenzen überwinden, werden derzeit modellhaft erprobt. Inwieweit sie sich in der Regelversorgung durchsetzen werden, ist schwer abschätzbar. An vielen Stellen haben wir darauf hingewiesen, was unter veränderten Versorgungsmöglichkeiten und anderen Finanzierungsmodellen ambulant machbar wäre. Die angeführten Möglichkeiten, z. B. intensiv ambulant oder im Rahmen von Hometreatment zu behandeln, sind jedoch in den meisten Regionen der Republik (noch) nicht realisiert. Andererseits wird die Frage, ob ein Patient stationär aufzunehmen ist, im Grundsatz bestehen bleiben, auch wenn die Zahl der möglichen Alternativen erhöht wird. Die Kriterien für die Einschätzung der stationären Behandlungsnotwendigkeit werden sich dadurch aller Voraussicht nach nicht wesentlich verändern.
Geplant hatten wir zunächst eine Handreichung in Form von Praxisleitlinien: Übersichtlich, konkret, einheitlich und leicht anwendbar. Sehr bald wurde deutlich, dass dies so nicht möglich ist. Bei der Entscheidung über eine stationäre Aufnahme handelt es sich um eine Frage der »ärztlichen Kunst«. Diese muss erlernt und entwickelt werden, im Idealfall unter Anleitung, in Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen, orientiert am Einzelfall. Ziel wäre ein klinisches Vorgehen, das auf den ersten Blick »intuitiv« wirken mag, das aber bei genauerer Betrachtung umfassend reflektiert ist und identifizierbaren Kriterien folgt.
Entsprechend ist das Buch nun orientiert an Leitkriterien zur Einschätzung des Einzelfalles, es stützt sich im Wesentlichen aber auf die Darstellung und Diskussion von Fallbeispielen. An ihnen wird exemplarisch herausgearbeitet, welche Überlegungen für die zu treffende Entscheidung relevant sein können.
Für die Nutzer kann das Buch damit zur persönlichen Lektüre und Auseinandersetzung mit den Beispielfällen dienen. Es kann aber auch im Rahmen von Weiterbildungsmodulen, Kursen und Seminaren eingesetzt werden, um eine fachliche Diskussion im eigenen Haus, in der Ambulanz oder im Qualitätszirkel zu führen und so die eigene Auseinandersetzung mit der Frage: »Wann nehmen wir auf?« zu fördern. Letztlich soll dieses Buch eine Strukturierungshilfe und »Denkschule« für eine häufige und wichtige klinische Entscheidung sein.
Die Autoren tragen zu dieser Auseinandersetzung ihre eigenen Erfahrungen bei. Diese wurden in ausführlichen Diskussionen zu den einzelnen Fallvignetten aufeinander abgestimmt. Die niedergelegten Empfehlungen sind der jeweils daraus entstandene Konsens, den alle Autoren/Mitwirkenden gemeinsam für alle Fälle mit tragen. Die jeweilige Empfehlung ist dabei das Resultat der ausführlichen Beschäftigung mit den Fällen. Nicht immer bestand ein Konsens schon zu Beginn der Falldiskussionen. Die Empfehlungen entsprechen daher nicht einer gesetzten »Wahrheit«, sondern fußen auf einer begründeten, kriterienorientierten, systematisch herbeigeführten Entscheidung. Diese Strategie wünschen wir uns auch für die Nutzer unseres Buches.
Im nachfolgenden Kapitel 2 werden die Methodik unseres Vorgehens, die Entwicklung der Indikatoren sowie die Ausarbeitung der Fallvignetten im Einzelnen dargestellt.

2 Wie entstand dieses Buch?

2.1 Mitglieder der Arbeitsgruppe

Im November 2011 wurde erstmalig eine Arbeitsgruppe (AG) aus erfahrenen Klinikdirektoren und Chefärzten unter der Leitung von Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank gebildet. Es wurde darauf geachtet, dass die AG-Mitglieder unterschiedliche klinische Schwerpunkte hatten (Allgemeinpsychiatrie, Gerontopsychiatrie, Sucht, ambulante Versorgung). Ziel der AG war die Formulierung eines Kriterienkatalogs für die stationäre psychiatrische Behandlung. Ursprünglich gehörten zu der Arbeitsgruppe neben Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank (Köln), Gerhard Längle (Bad Schussenried), Steffi Koch-Stoecker (Bielefeld) und Heribert Fleischmann (Neustadt) auch Lothar Adler (Mühlhausen) und Manfred Wolfersdorf (Bayreuth). Die zwei Letzteren mussten jedoch nach etwa einem Jahr aus Zeitgründen ausscheiden. Neu hinzu kamen im Jahr 2013 Beate Baumgarte (Gummersbach), Anke Brockhaus-Dumke (Alzey) und Urban Hansen (Ravensburg), die seither kontinuierlich an der Arbeitsgruppe mitwirkten.

2.2 Vorgehen

Als Ausgangsbasis wurden Papiere zusammengetragen und bewertet, die sich mit der Thematik beschäftigen und die den AG-Mitgliedern bekannt waren. Es handelte sich z. T. um allgemein zugängliche Dokumente wie beispielsweise die amtlichen Richtlinien über die Verordnung von Krankenhausbehandlung und z. T. um interne Papiere, die einzelnen AG-Mitgliedern zur Verfügung standen.

2.2.1 Sichtung der Literatur

In den Richtlinien über die Verordnung von Krankenhausbehandlung steht allgemein, dass die ambulante Behandlung Vorrang vor einer stationären Behandlung hat; es werden keine Besonderheiten einzelner Fachgebiete aufgeführt, insbesondere findet sich hier kein Verweis auf spezielle Aspekte einer psychiatrischen Behandlung (Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen 2003, Gemeinsamer Bundesausschuss 2015). In anderen Arbeitspapieren werden sehr detaillierte, aber wenig systematisch geordnete und z. T. wenig klar operationalisierte Aufnahmekriterien bei einzelnen psychischen Störungen präsentiert (z. B. Kriterien der Spitzenverbände der Krankenkassen und Rentenversicherungsträger für die Entscheidung zwischen ambulanter und stationärer Rehabilitation (Entwöhnung) bei Abhängigkeitserkrankungen, AOK-Bundesverband, Bundesverbände anderer gesetzlicher Krankenkassen und Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 2001; Indikationsliste einer Arbeitsgruppe eines Klinikverbundes geordnet nach ICD-10-Diag...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Geleitwort
  6. 1 Einleitung: Warum und für wen entstand dieses Buch?
  7. 2 Wie entstand dieses Buch?
  8. 3 Struktur des Kriterienkatalogs: Aufnahmeindikationen für eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung
  9. 4 Fallvignetten
  10. Literatur
  11. Die Autorinnen und Autoren
  12. Anhang: Kriterienkatalog