Der Psychotherapeut im Film
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Der Psychotherapeut im Film

  1. 134 Seiten
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Der Psychotherapeut im Film

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Schon kurz nach Entstehung der Psychoanalyse und des Films um 1900 gab es die ersten "Seelenheiler" auf der Leinwand; ihre Geschichte wird bis heute erzählt. Das Hollywoodkino schuf Klischees des allwissenden Heilers, des bösen Seelenmanipulators und der liebenswert-schrulligen "Shrinks". Die Figuren sind nicht nur von filmhistorischem Interesse, sondern prägen die Vorstellung vieler Patienten und Therapeuten darüber, wie "richtige" Psychotherapie gelingen kann. Auch die gesellschaftliche Wertschätzung von Psychotherapie und Psychiatrie wird maßgeblich durch die Darstellung im Kino geprägt. Die zahlreichen Fallbeispiele beinhalten nahezu alle großen Hollywoodfilme, die sich mit psychischen Erkrankungen und deren Behandlung auseinandersetzen.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783170281523
Auflage
1

1. Vorlesung
Zwischen Traum und Hypnose:
Der Psychotherapeut im Stummfilm
(1895–1933)

Das „Geburtsjahr“ sowohl des Kinos als auch der Psychoanalyse kann mit 1895 angesetzt werden: Freud veröffentlichte gemeinsam mit Breuer die Studien zur Hysterie1 in Wien, die Gebrüder Lumière präsentierten die ersten öffentlichen Vorführungen ihrer „bewegten Bilder“ in Paris.
Während Freud seine Traumdeutung2 schrieb, drehte George Méliès in Paris seine verblüffenden Kurzfilme: In drei bis fünf Minuten wurden dem Publikum „Zauberkunststücke“ präsentiert. So sah man etwa einen Mann, der eine senkrechte Wand hinauflief oder eine naiv-poetisch bebilderte Reise zum Mond. Während die Gebrüder Lumière das Publikum durch den Realismus ihrer Darstellungen eher erschreckten – bekannt ist die Anekdote vom Publikum, das entsetzt davonlief, als der Zug aus der Leinwand „herausfuhr“ –, versuchte George Méliès, die anti-realistischen Potenziale des Kinos auszutesten. In beiden Fällen aber ging es um Bewegung, um Darstellung von Bewegung. Der überwältigende Eindruck der ersten bewegten Bilder gründete auf dieser erstmaligen technischen Darstellbarkeit von Bewegungsabläufen.
Zur gleichen Zeit beschäftigte sich die Proto-Psychoanalyse mit der Frage, wie die statischen, unbewussten Bilder der traumatisierenden Szenen in der Seele ihrer Patienten durch Sprache, durch die „talking cure“ bewegt und dynamisiert werden könnten, um so eine Heilung zu bewirken. Verblüffend schnell und intensiv interessierten sich die damaligen „Psycho-Wissenschaften“ für das neue Medium des Kinematographen: Schon 20 Jahre zuvor hatten sich die Fotos von Charcots Patientinnen großer Beliebtheit erfreut. Seine Lieblingspatientin Augustine hatte Fotografien ihrer Anfälle für die Fans signiert. Jetzt wurden in der Salpêtrière von Charcots Nachfolgern auch filmische Darstellungen hysterischer Anfälle hergestellt.
Bereits kurz nach 1900 war die filmische Darstellung von abnormen Bewegungsabläufen bei neurologischen und auch psychiatrischen Krankheitsbildern zur Diagnostik und Ausbildung zum Standard in vielen neuropsychiatrischen Kliniken in Europa und den USA geworden. Trotz des Beharrens auf „Objektivität“ wurde kräftig inszeniert. Bekannt ist etwa das Beispiel eines italienischen „Lehrfilms“ über einen hysterischen Anfall von 1908: LA NEUROPATHOLOGIA. Camillo Negro war sowohl Regisseur als auch Darsteller des behandelnden Arztes. Dieser Film bot, wie viele andere Filme der damaligen Zeit, auch erotische „Schauwerte“. Nachdem schon Charcot nur seine weiblichen Patienten fotografieren ließ, blieb auch im Film die Exhibition der Krankheitssymptome von Frauen für ein männliches Publikum zentral.
Unabhängig davon gab es auch schon zahlreiche Versuche, das neue Medium therapeutisch zu nutzen: Bereits 1914 gab es in 24 psychiatrischen Anstalten in den USA regelmäßig Filmvorführungen für die Patienten, angeblich mit sehr positiven Auswirkungen auf deren Zustand. Gezeigt wurden kurze Filme dokumentarischen oder komödiantischen Inhalts: vor allem über Verfolgungsjagden, Tiere, „Eingeborene“ etc.
Am 07.12.1913 erschien in der römischen Zeitung Tribuna ein Bericht über eine Filmvorstellung in der Irrenanstalt von Perugia, in dem die heilsamen Wirkungen dieser Vorführungen betont wurden:
„Das Kino muss seine heilenden Wirkungen auf die kranken Geister übertragen und wird mehr erreichen als Zwangswaschung, Zwangsjacke und Gummizelle.“ 3
Noch in demselben Jahr wurde der Artikel mehrmals nachgedruckt, u. a. für eine österreichische Film-Fachzeitschrift mit dem Titel Das Kino im Irrenhaus.
Dass auch Patienten selbst von der therapeutischen Wirkung des Films überzeugt waren, zeigt ein frühes Beispiel aus Amerika: Mrs. Johanna Goldbach war (laut Motography 1912) der treueste Stammgast im Kino von Long Island. Sie liebte die Stummfilme, die sie in erster Linie als Therapie gegen ihre nervösen Beschwerden aufsuchte. Nun sei sie bereits völlig genesen, komme aber weiterhin aus Freude an den Filmen ...4
Sehr bald tauchten die ersten Therapeuten im Film auf (es handelte sich übrigens lange Zeit ausschließlich um Männer). Diese Filme waren wenige Minuten lang, daher darf man hier keine subtile Charakterzeichnung erwarten. Ein frühes Hollywood-Beispiel dafür ist DR. DIPPY’S SANATORIUM aus dem Jahr 1906: Es handelt sich bei diesem Film um eine harmlose Komödie für die ganze Familie. Die Insassen eines „Irrenhauses“ überwältigen ihre Wärter und brechen aus, können aber vom später im Film auftretenden Anstaltsleiter Dr. Dippy unschwer und gewaltlos wieder zur Räson gebracht werden. Er bringt ihnen einen großen Picknickkorb auf die Wiese, wo sie lagern, der Film endet mit dem gemütlichen gemeinsamen Schmausen von „Apple-Pie“. Natürlich ist dieser Streifen weder aus psychotherapeutischer noch aus filmhistorischer Sicht überhaupt von Bedeutung. Allerdings sehen wir hier bereits ein Klischee des Psychiaters, das in den nächsten fünfzig Jahren fast unverändert und häufig reproduziert wird.
In Dr. Dippy sieht Irving Schneider das erste Beispiel eines der drei „überdauernden Psychiater-Klischees im Hollywood-Film“: Die anderen beiden nennt er Dr. Wonderful und Dr. Evil:5
Dr. Dippy ist eigentlich liebenswert, allerdings ein bisschen lächerlich. Er trägt einen Frack, einen langen Bart und eine Brille. Er bewegt sich etwas ungeschickt, wirkt aber insgesamt freundlich und durchaus um seine Patienten bemüht. Die Vorläufer dieser Klischee-Gestalt finden sich in der Commedia dell’arte, bei Molière und als aufgeblasenpompöser Arzt in zahllosen Theaterstücken. Insgesamt lädt Dr. Dippy eher zum Schmunzeln oder lauten Lachen ein – ebenso wie andere Karikaturen, die eine Autoritätsfigur der Lächerlichkeit preisgeben.
Dr. Evil hingegen entspricht dem Klischee des verrückten Wissenschafters, der seine Patienten ausbeutet oder ihre Krankheit böswilligerweise erst erzeugt. Dr. Evils literarische Vorläufer entstammen der schwarzen Romantik: In der deutschen und englischen Literatur des 19. Jahrhunderts finden wir zahllose dunkle Hypnotiseure, Mesmeristen und sonstige Scharlatane oder Wunderheiler. Je nach Epoche variieren die Attribute dieser bedrohlichen Figuren vom Labor à la Dr. Frankenstein bis zu glitzernden High-tech-Apparaturen. Am gefährlichsten aber wirkt oft die Fähigkeit dieser Bösewichte, durch Suggestion und Einfühlung ihre Opfer zu steuern. Dr. Evil kann immer auch gelesen werden als Sinnbild der Angst vor mentaler Beeinflussung, Gedankenlesen, Gehirnwäsche etc.
Das positive Gegenbild zur Bedrohung durch Dr. Evil ist der idealisierte Heiler mit übermenschlichen Kräften: Dr. Wonderful! Dieselben empathischen und intellektuellen Qualitäten, die Dr. Evil zur Bedrohung für die ganze Welt machen, sind bei diesem positiven Kontrastbild die Garantie für Hilfe und Heilung – oft Heilung durch Liebe zu seinen Patientinnen. Dr. Wonderful evoziert (Übertragungs-)Gefühle von Bewunderung und Verliebtheit. Je nach Bedarf kann er edelvergeistigt und asketisch oder aber als sinnlicher Traumprinz auftreten.
Alle drei Psychiater-Klischees des Kinos sind Erben alter Figuren des Theaters oder des Rituals, alle drei Klischees illustrieren jeweils unterschiedliche Gefühle gegenüber geliebten, gehassten oder verlachten Autoritätsfiguren. Jedem dieser drei Klischees entspricht ein Filmgenre: Dr. Dippy eignet sich wunderbar als Komödienfigur, während Dr. Wonderful meist in Melodramen auftritt. Das Reich des Dr. Evil hingegen ist der dunkle Thriller, der Film noir. Über Jahrzehnte der Filmgeschichte kann man auch die Abfolge verschiedener Klischees bei der Darstellung einer ganz spezifischen therapeutischen Praxis nachzeichnen: So erleben wir Psychoanalytiker im Kino bis zu den Fünfzigerjahren meist als Dr. Wonderful, danach häufig als dämonische Vertreter des Dr. Evil, seit den Neunzigerjahren wahrscheinlich am häufigsten als skurrile Dr. Dippys. Diese Abfolge in der „Übertragungsbeziehung“ Hollywoods zur Psychoanalyse wiederum ist ein getreues Abbild des gesamtgesellschaftlichen Stellenwertes dieser Methode.
Eines der frühesten Beispiele für Dr. Wonderful im Kino zeigt uns einen Therapeuten, der durch die Macht der Filmbilder eine todgeweihte Patientin heilt und rettet:

Le Mystère des Roches de Kador (L. Perret 1912)

1912 entstand ein Stummfilm, der anlässlich seiner Wiederentdeckung bei einem Festival im Jahr 1995 in Pordenone als „erster Film über die Psychoanalyse”6 gefeiert wurde – eine fast schon rührende Fehleinschätzung: LE MYSTÈRE DES ROCHES DE KADOR (in Deutschland und Österreich wurde er unter dem weniger „trashigen“ Titel: EWIGE ZEUGEN gezeigt). Der Regisseur Léonce Perret schuf ein lupenreines Melodram mit einer klassischen Dreiecks-Konstellation:
Die junge Suzanne de Lormel lebt bei ihrem Vormund Graf Fernand de Kéranic in der Bretagne. Der verschuldete Vormund drängt sein Mündel zur Heirat, um an ihr Erbe zu gelangen. Sie aber ist glücklich verliebt in den Kapitän Jean d’Erquy. Als Graf Kéranic dies entdeckt, lockt er den Kapitän – durch Fälschung eines Briefes in Suzannes Handschrift – zu einem Stelldichein in der Meeresbucht bei den Felsen von Kador. Dort will er ihn und Suzanne töten, denn auch im Falle ihres Todes oder einer unheilbaren Krankheit fällt das Vermögen an ihn!
In einer hochdramatischen Szene sieht der getäuschte Kapitän die vom Grafen vergiftete und ohnmächtige Suzanne am Strand liegen, eilt verzweifelt zu ihr, wird vom Schurken de Kéranic angeschossen, versucht noch, sich und Suzanne ins rettende Boot zu schleppen, bricht zusammen. Suzanne erwacht aus ihrer Ohnmacht, sieht den Geliebten reglos im Sand liegen, hält ihn für tot – ihr schwinden neuerlich die Sinne … Viele Wochen später ist jedoch der Kapitän wieder genesen. Suzanne aber verharrt durch den Schock in Apathie und Stupor, in „unheilbarer Umnachtung“, reagiert auf keinerlei Reize. Der böse Vormund kann daher ihr Erbe für sich in Anspruch nehmen. Aber es gibt noch Hoffnung: Der verzweifelte Verlobte bittet den berühmten Professor Williams um Hilfe, „einen der bedeutendsten Ärzte der Neuzeit“, der „mit der Anwendung der Kinematographie auf Gemütskranke“ berühmt geworden ist. Dieser Professor dreht jetzt gemeinsam mit dem Verlobten einen „Film im Film“, in dem dargestellt wird, was in der für Suzanne traumatischen Szene wirklich geschah. Suzanne wird im Rollstuhl in den Vorführraum gebracht, der Film wird ihr gezeigt, und während der Vorführung erwacht sie wunderbarerweise aus ihrem halb-komatösen Zustand. Sie wankt auf die Leinwand zu, erkennt sich im Film und fällt geheilt und glücklich ihrem Verlobten in die Arme … (Zwischentitel des Stummfilms: „Sie weint, sie ist gerettet. Sie ist geheilt, ihre Erinnerung kehrt zurück.“).7
Sigmund Freud wäre wohl wenig amüsiert gewesen über die Rezension, die in der „Ersten Internationalen Filmzeitung“ von Hans Joachim von Winterfeld geschrieben wurde:
„Ärzte-Kreise wird der Film besonders interessieren. Versucht er doch die Freud’sche Theorie, daß das getrübte Unterbewusstsein durch Wiederholung der Vorgänge geweckt werden kann, zu erhärten.“8
Realistischerweise kann man die „Quellen“ des Regisseurs Léonce Perret eher in einen kulturellen Kontext des damaligen französischen Interesses sowohl für Parapsychologie als auch für moderne Technologien einordnen. Trotzdem ist der Verweis des Rezensenten auf die Psychoanalyse verständlich. Immerhin heißt es zu Beginn der „Studien zur Hysterie“:
„Wir fanden nämlich, anfangs zu unserer größten Überraschung, dass die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgrund zur voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen […] und wenn der Kranke den Vorgang in möglichst ausführlicher Weise schilderte und dem Affekt Worte gab.“ 9
Das Bild muss also zum Wort und zur Erzählung werden, damit die Heilung eintreten kann.
Die oben genannten frühen Beispiele aus jenen Jahren, als die Bilder im Kino „laufen lernten“, können w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1. Vorlesung Zwischen Traum und Hypnose: Der Psychotherapeut im Stummfilm (1895–1933)
  6. 2. Vorlesung Die goldenen Jahre: Psychoanalyse und Hollywood (1945–1965)
  7. 3. Vorlesung In Ungnade gefallen: Psychotherapie als Anpassungs-Agentur (1965–1975)
  8. 4. Vorlesung Clowns, Schurken und liebende Frauen: Pluralismus der Darstellungen von Psychotherapie im Film seit 1975
  9. 5. Vorlesung Die Heilung der Seele im Kino: Liebe statt Technik?
  10. Verzeichnis der Filme
  11. Literatur