1. Kapitel – Einleitung
A. Phänomen und Begriff der Korruption
Jede Auseinandersetzung mit dem Thema Korruption setzt voraus, dass Klarheit darüber herrscht, was unter diesem Begriff zu verstehen ist. Auch wenn eine allgemeingültige Definition fehlt, haben sich doch im Rahmen kriminologischer Forschungen Merkmale herausgebildet, die allgemein anerkannt werden.1
Diese Merkmale der Korruption sind folgende:
- Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats
- zugunsten eines anderen
- auf dessen Veranlassung oder aus Eigeninitiative
- zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten
- mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils
- für die Allgemeinheit (in amtlicher oder politischer Funktion) oder
- für ein Unternehmen (in wirtschaftlicher Funktion)
Kernelement von korruptem Verhalten ist das Ausnutzen einer Machtposition – sei es auch bei einer geringen Macht – für den persönlichen Vorteil und unter Missachtung universalistischer Verhaltensnormen – seien es moralische Standards, Amtspflichten oder Gesetze. Im Sinne einer sozialen Interaktion werden für die Beteiligten vorteilhafte Leistungen ausgetauscht, beispielsweise Entscheidungsbeeinflussung gegen Geld. Die Sichtweise der Korruption als einfacher Tausch ist aber verfehlt. Würde man Korruption nur als Tausch zwischen zwei Akteuren zu ihrem gegenseitigen Vorteil ansehen, könnte man sie nicht von anderen Austauschbeziehungen (z. B. auf einem Markt) unterscheiden. Auch der Zusatz, dass es sich um einen illegalen Tausch handelt, ist nicht eindeutig. Hehlerei ist z. B. auch ein illegaler Tausch. Dabei handelt es sich aber nicht um Korruption.
Am besten kann man Korruption als ein Phänomen mit drei beteiligten Akteuren verstehen: dem Bestechenden, dem Bestochenen und dem Auftraggeber des Bestochenen. In der ökonomischen Literatur werden diese als Klient, Agent und Prinzipal bezeichnet. Prinzipal und Agent haben eine vertragliche Beziehung, in der der Prinzipal den Agenten mit einer Aufgabe betraut und ihm zur Erfüllung dieser Aufgabe Spielraum und Mittel überlässt, innerhalb dessen er sich bewegen kann. Dies stellt die bereits angesprochene Machtposition dar. Diese nutzt der Agent aus, um dem Klienten etwas im Tausch anbieten zu können.
Korruption bezeichnet die Aktivitäten des „Gebenden“ wie des „Empfängers“. Mindestens einer der Kooperationspartner missbraucht eine Macht- bzw. Vertrauensposition und gerät deshalb in einen Normkonflikt zwischen offiziellen, universalistischen Normen und partikularistischen. Die Beteiligten müssen abwägen, ob sie den erzielbaren Vorteil durch Korruption höher gewichten als die erwartbaren negativen Sanktionen bei einer möglichen Aufdeckung.
B. Korruption im Bereich der Privatwirtschaft
Dieses Buch behandelt ausschließlich private Wirtschaftskorruption sowie ihre typischen Begleittaten und juristischen Folgen. Auf Korruptionsfälle im Bereich Politik, Justiz und öffentliche Verwaltung, die in der Regel eher im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, wird nicht eingegangen.
Ziel ist es Unternehmen, ihren Organen und ihren Beratern ein Handbuch zur Verfügung zu stellen, das alle juristischen Facetten der Wirtschaftskorruption erfasst. Korruption kann ein Unternehmen auf den Prüfstand stellen, so dass die Kenntnis der Rechtslage für das Unternehmen von existentieller Bedeutung sein kann.
Allein die Zahl registrierter Korruptionsfälle zeigt, dass man von einer deutlichen Zunahme der Wirtschaftskorruption ausgehen muss:
Das Bundeskriminalamt veröffentlicht jährlich ein Lagebild zur Korruption. Dabei wurde insbesondere gegenüber dem Vorjahr eine deutliche Zunahme der Korruption im Bereich der Privatwirtschaft – dem Thema dieses Buches – konstatiert.
Eine Statistik der Korruptionsstraftaten nach Strafnormen 2007/2008 zeigt folgendes Bild:2
Bezogen auf die polizeilich bekannt gewordenen Korruptionsfälle ergibt sich im Jahr 2008 ein Rückgang im Bereich öffentliche Verwaltung von 79 % im Jahr 2007 auf 46 %, während im Bereich Wirtschaft eine Zunahme von 15 % auf 37 % zu verzeichnen ist:3
Allerdings muss man bei Korruptionsdelikten von einem erheblichen Dunkelfeld tatsächlich begangener Straftaten ausgehen.
Häufig fehlt in den Unternehmen die Bereitschaft, eigene kriminelle Mitarbeiter nach der Aufdeckung schwerwiegender Delikte bei den Behörden anzuzeigen.
C. Ursachen der Wirtschaftskorruption
Korruption ist ein Phänomen, das von jeher die Menschheitsgeschichte begleitet. Allgemein werden als Ursache wachsender Korruption genannt:
- Zunehmende Verflechtung von Staat und Wirtschaft sowie verstärkte Zusammenarbeit zwischen den sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gesellschaftsteilen. Dies führt zur Zunahme von Kontakten, wobei oft erhebliche finanzielle Interessen eine Rolle spielen, mit der Folge, dass die Gefahr korrupter Einflussnahmen steigt.4 Abnehmende behördliche Kontrolldichte als Folge der Ausweitung der Staatstätigkeit insbesondere auf den privaten Bereich.
- Gesellschaftlicher Wertewandel in der Weise, dass in Wirtschaft, Politik und Verwaltung an die Stelle gemeinschaftsbezogener Werte eine egoistisch-materialistische Grundhaltung tritt.5
Im Bereich der Wirtschaftskorruption dürfte weitestgehend der letzt genannte Grund von Bedeutung sein.
Der erwähnte Wertewandel hat dazu geführt, dass Arbeiten überwiegend zum Erwerb materieller Güter angesehen wird. Oft fehlt es an der Identifikation des Mitarbeiters mit seinem Unternehmen oder mit seiner Tätigkeit.
Dabei ist nicht die materielle Not ausschlaggebend, sondern das Ziel durch Gelderwerb zu den „Gewinnern“ zu gehören. Bei Dölling6 wird der typische Täter der Korruption wie folgt beschrieben:
„Unauffällig, verfügt über eine gute Ausbildung, hat im Unternehmen Entscheidungsbefugnisse, ist nicht vorbestraft, hat keine Schulden, investiert viel in seinen Beruf und zeichnet sich durch Fachkompetenz aus. Er ist ein Aufsteigertyp, legt Wert auf einen gesellschaftlichen Status und hat einen hohen Lebensstandard.“
Es handelt sich also häufig um sozial angepasste und ansonsten rechtstreue Personen, die als Täter im Bereich Wirtschaftskorruption in Betracht kommen.
D. Auswirkung der Wirtschaftskorruption
Wirtschaftskorruption ist das Gegenstück echten Leistungswettbewerbs. Das wettbewerbliche Gleichgewicht wird durch die Berücksichtigung von nicht marktwirtschaftlich orientierten Auswahlkriterien zerstört.7
Ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg ist nicht das bessere Produkt oder das bessere Unternehmen, sondern die Bestechungshandlung.
Im Ergebnis führt dies dazu, dass ein schlechteres Produkt zu einem höheren Preis in den Wirtschaftskreislauf kommt, was wiederum zu einer Schadensverlagerung auf den Endkunden führt.
Korruption gefährdet somit das gesamtwirtschaftliche System des fairen Wettbewerbs und benachteiligt das „bessere“ Unternehmen.
1 Vahlenkamp/Knauß, Korruption, BKA Forschungsreihe Band 33, Wiesbaden 1995, S. 20 f.; Korruption, Bundeslagebild 2008, Bundeskriminalamt, S. 3; Dölling, in Dölling, Handbuch der korruptionsprävention, S. 3.
2 Quelle: Bundeskriminalamt, Korruption Bundeslagebild 2008.
3 Quelle: Bundeskriminalamt, Korruption Bundeslagebild 2008.
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