TAV - Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung bei Jugendlichen
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TAV - Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung bei Jugendlichen

Leitfaden für Gruppenleiter

  1. 92 Seiten
  2. German
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TAV - Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung bei Jugendlichen

Leitfaden für Gruppenleiter

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Über dieses Buch

Das Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung (TAV) stellt ein praktisch erprobtes und wissenschaftlich evaluiertes Programm zum Aufbau sozialer Fähigkeiten im Umgang mit schwierigen Situationen und zur Aggressions-Verminderung dar. TAV umfasst zwölf Sitzungen, die wöchentlich durchgeführt werden. Als Methoden werden Partnerübungen, Gruppendiskussionen und Rollenspiele eingesetzt. Vor allem soll an der Erfahrungswelt und den Einstellungen der Jugendlichen angesetzt und auf deren Probleme eingegangen werden.Der Leitfaden führt zunächst in den theoretischen Hintergrund des Programms und die Evaluationsergebnisse ein. Der Hauptteil enthält das komplette Leitermanual des Interventionsprogramms. Ein separates Arbeitsbuch (ISBN 978-3-17-019751-0) umfasst alle Materialien des Programms für die Jugendlichen.

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Information

Jahr
2008
ISBN
9783170280861

1 Aggressives Verhalten im Jugendalter

1.1 Aggressives Verhalten als Problem

Seit den erschreckenden Ereignissen von Erfurt im Mai 2002 ist eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit für das Thema Aggression zu beobachten. In diesem Zusammenhang wurde eine sehr emotionalisierte Diskussion über die Frage geführt, ob in den letzten Jahren die Gewalt unter Jugendlichen und an Schulen zugenommen habe und worin die Ursache dieser Gewaltphänomene zu suchen sei. Betrachtet man offizielle Statistiken wie beispielsweise die häufig zu Rate gezogene Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS 2006), so deuten einige Indizien darauf hin, dass es in den letzten Jahren zu einem Anstieg von (schweren) Gewaltdelikten kam. Andererseits wird das Heranziehen dieser Datenquelle zu Recht kritisiert: Da hier das Anzeigeverhalten der Bürger registriert wird, kann es zu spezifischen Verzerrungen oder zu einer Überschätzung einzelner Deliktgruppen wie z. B. Gewaltdelikten kommen. Ergebnisse von Längsschnittuntersuchungen wie sie beispielsweise an Schulen in Ostdeutschland durchgeführt wurden, wiesen darauf hin, dass die Gewaltquote zwar nicht zunahm, allerdings auf einem bedenklich hohen Niveau blieb (vgl. Finze 2005). Dies galt gleichermaßen für Gewalt unter Schülern wie für Gewalt von Schülern gegenüber Lehrern. Im Bericht des Innen- und Justizministeriums (Schäuble & Zypries 2006) hingegen wird betont, dass es in den letzten Jahren aufgrund wirkungsvoller Präventionsmaßnahmen zu einem Rückgang gewalttätiger Handlungen kam. Dieser Wirkzusammenhang stellt jedoch lediglich eine Behauptung dar, welche nicht durch wissenschaftliche Studien gestützt werden kann. Zu den Problemen bei der Interpretation erhobener Daten kommt noch ein weiteres methodisches Problem: Je nach Datenquelle bzw. Informanten ergeben sich sehr divergierende Ergebnisse, wie beispielsweise in einer Erhebung zum aggressiven Verhalten im Vorschulalter von Lösel und anderen (2005) gezeigt werden konnte. Insgesamt fehlen nach wie vor umfangreiche Längsschnittstudien mit repräsentativen Stichproben und unterschiedlichen Datenquellen, um die tatsächliche Entwicklung aggressiven Verhaltens besser und genauer beschreiben zu können.
Weitet man den Blick und betrachtet den neuesten Bericht über Gewalt der Weltgesundheitsorganisation WHO (Pinheiro 2006), so zeigt sich weiterhin, dass es sich bei dem Phänomen zunehmender oder zumindest gleich bleibend hoher Gewalt nicht um ein nationales Problem handelt, sondern dass dies eine derzeit weltweit brisante Thematik darstellt. Wie im Bericht der Weltgesundheitsorganisation aufgezeigt werden konnte, stellt eine hohe Auftretenshäufig-keit von Gewaltdelikten sowohl in Entwicklungs- als auch in Industrieländern eine schwerwiegende Problematik dar. Dies gilt sowohl für Gewalt gegen Kinder als auch für Gewalt an Schulen, in Erziehungseinrichtungen, Heimen und Justizvollzugsanstalten. Hierbei wird auf eine Reihe struktureller Probleme wie personelle Unterversorgung und Überbelegung von Anstalten eingegangen, welche häufig zu (emotionaler) Vernachlässigung und Gewalt zwischen Insassen von Haftanstalten und Erziehungsheimen führen können. In diesem Zusammenhang wird auch auf die hohe Rückfallquote in Justizvollzugsanstalten hingewiesen: Etwa 50 bis 70 Prozent der Inhaftierten werden durchschnittlich rückfällig (vgl. Pinheiro 2006).
Ungeachtet der Diskussion darüber, ob die Gewalt nun tatsächlich zugenommen hat oder gleich geblieben ist, sind sich die unterschiedlichen Autoren darüber einig, dass aggressives Verhalten im Jugendalter ein aktuell wichtiges Thema darstellt, auf das reagiert werden muss. Was versteht man in diesem Zusammenhang unter aggressivem Verhalten? Es wurden eine Reihe unterschiedlicher Definitionen aggressiven Verhaltens aufgestellt und zwischen verschiedenen Formen von Aggression unterschieden: offene und verdeckte Aggression, pro-aktive und reaktive Aggression und instrumentelle und feindselige Aggression. Diese möglichen Unterscheidungen sollen an dieser Stelle nur kurz genannt werden, da sie bereits hinreichend oft beschrieben wurden (vgl. Busch 1998, Essau & Conradt 2004, Fröhlich-Gildhoff 2006). Die verschiedenen Formen und Definitionen von Aggression haben einen gemeinsamen Kern: Aggression kann als ein Verhalten definiert werden, mit dem eine Person einer anderen Person gezielt Schaden, d. h. einen seelischen und körperlichen Schmerz, zufügt (vgl. Ulich 2000). Eine weitere Problematik bleibt in diesem Zusammenhang zu beachten: Aggressionsentwicklung findet in einem Spannungsfeld von Normalität und Pathologie statt. Hierbei ist es wichtig, Befunde aus der Entwicklungspsychologie und Entwicklungspsychopathologie zu berücksichtigen (Resch & Parzer 2005). Moeller entwickelte deswegen einige Richtlinien zur Kennzeichnung pathologischer Formen von aggressivem Verhalten (2001): Es weicht qualitativ (Art der Aggression) und quantitativ (Häufigkeit, Dauer, Intensität) von »normalen« Formen der Aggression ab, es stört in bedeutsamem Maße verschiedene Aspekte der eigenen Entwicklung (z. B. Schulleistung) und beeinträchtigt das Verhalten oder den Besitz anderer. Auf diese Formen der Aggression zielen demnach auch präventive und intervenierende Maßnahmen ab.

1.2 Psychologische Programme zur Prävention und Intervention bei aggressivem Verhalten

Es existieren eine Reihe von Übersichtsartikeln und Meta-Studien im Bereich der Prävention und Intervention (Durlak 1995, Durlak & Wells 1997, Greenberg 2001, Heinrichs et al. 2002). Die größte aktuelle Meta-Analyse zur Prävention von und Intervention bei Verhaltensstörungen wurde von Lösel und Beelmann (2003) durchgeführt: Hierzu wurde die Wirksamkeit von insgesamt 84 Programmen, die 135 unterschiedliche Maßnahmen umfassen, evaluiert (N = 16 723). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass sowohl eine früh ansetzende Prävention als auch eine späte Intervention sinnvoll sein kann: »it is never too early and never too late for intervention« (Lösel & Beelmann 2003, S. 99). Die Meta-Studie von Lösel und Beelman (2003) ergab weiterhin, dass die höchsten Effekte dann erzielt werden, wenn es sich um selektive oder indizierte Präventionsstrategien handelt, universelle Maßnahmen zeigten sich hingegen weniger erfolgreich, wie schon in früheren Übersichtsarbeiten festgestellt wurde (vgl. Durlak 1995, Durlak & Wells 1997, Greenberg 2002). Ein großer Vorteil dieser Programme besteht darin, dass sie zum einen genau auf die Jugendlichen abzielen, welche am stärksten von der Intervention profitieren, zum anderen kann gezielt auf das problematische Verhalten fokussiert werden (vgl. Guerra et al. 1994). Andere Autoren wie z. B. Tremblay (2006) hingegen betonen die Vorteile von Maßnahmen, welche bereits sehr früh ansetzen.
Eine Reihe von universellen Programmen setzen schon im Grundschulalter an und werden im Schulkontext curricular durchgeführt: Hierzu zählen beispielsweise Second Step (Grossmann et al. 1997), Promoting Alternative Thinking Strategies (CPPRG 1999) und das Good Behavior Game (Dolan et al. 1993). Bei anderen Projekten wie z. B. dem Child Development Project (Battistisch et al. 1996) gibt es keine einzelnen Programmsitzungen, sondern es wird die gesamte Schule in die Präventionsmaßnahme einbezogen. Eine etwas andere Strategie wählte Olweus (1993), welcher mit seinem Bullying Prevention Program gezielte Maßnahmen entwickelte, um Bullying (Schikanieren) in der Schule vorzubeugen.
Neben diesen universellen Präventionsprogrammen gibt es auch einige gezielte Interventionsprogramme zu Aggressionsstörungen im Kindes- und Jugendalter: Beispiele hierfür sind das Peer Coping Skills Training (Prinz et al. 1994), das Social Relations Program (Lochman et al. 1993) oder das Anger Coping Program (Lochman et al. 1984).
Des Weiteren existieren einige Mehr-Ebenen-Programme, bei denen die Problemfelder Schule, Familie und Freizeit in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken, wie z. B. das Adolescent Transitions Program (Andrews et al. 1995) oder Linking the Interests of Families and Teachers (Reid et al. 1999).
Geht man der Frage nach, warum viele Interventionsprogramme nur geringe Effekte aufweisen, liegt dies laut Guerra und anderen (1994) an folgenden Problemen: Die meisten Programme sind zu vage formuliert, d. h., es fehlt an einem konkret ausgearbeiteten Manual mit genauen Anweisungen, welches eine standardisierte Durchführung ermöglicht. Zudem sind es meistens eher unspezifische Angebote, denen es sowohl an einer theoretischen Fundierung als auch an inhaltlicher Fokussierung mangelt (vgl. Durlak & Wells 1997, Lösel & Beelman 2003).

1.3 Sozial-kognitiv orientierte Programme

Im Unterschied zu den bereits erwähnten Defiziten einer Vielzahl von Programmen weisen sozial-kognitive Programme bestimmte Charakteristika auf, wodurch sie zum Lösen interpersoneller Probleme besonders geeignet sind. Theoretisches Rahmenmodell dieser Vorgehensweise ist das Modell der Informationsverarbeitung von Crick und Dodge (1994). Sozial-kognitive Erklärungen von Aggression beschreiben soziales Verhalten als das Ergebnis eines Informationsverarbeitungsprozesses (vgl. Dodge 1986; Crick & Dodge 1994). Demnach ist aggressives Verhalten das Ergebnis einer unangemessenen oder fehlerhaften Verarbeitung von Informationen in sozialen Situationen. In unterschiedlichen Studien konnte mehrfach bestätigt werden, dass aggressive Jugendliche neutrale Situationen als für sie feindlich oder bedrohlich einschätzten (vgl. de Castro 2005, Crick & Kenneth 1996, Gerken 2002, Dodge 2006). Des Weiteren bevorzugen sie gewalttätige Lösungen gegenüber nichtgewalttätigen Lösungen und verfügen über wenige Handlungsalternativen (vgl. Crick & Dodge 1994, Lochman & Dodge 1994, Dodge et al. 1997). Sie neigen weiterhin zu Fehleinschätzungen dahingehend, dass sie die negativen Konsequenzen für das Opfer entweder überhaupt nicht wahrnehmen oder unterschätzen. Aufgrund dieser im Laufe der Entwicklung immer stabiler werdenden verzerrten Wahrnehmung und Bewertung sozialer Situationen werden von aggressiven Jugendlichen eher gewalttätige Lösungen gewählt (vgl. Coie & Dodge 1998, Crick & Kenneth 1996, Dodge 2006). Dieser Prozess kann dadurch verstärkt werden, dass ein Kind oder ein Jugendlicher langfristig Gewalt in seiner Umgebung ausgesetzt ist (vgl. Dodge & Pettit 2003, Guerra et al. 2003).
Sozial-kognitive Programme setzen bei den beschriebenen Fehlern in der Informationsverarbeitung an: Mit Hilfe von Dilemmageschichten wird versucht, die Wahrnehmung neutraler und ambivalenter Situationen zu schulen und stereotype Denkmuster (»Schwarz-Weiß-Denken«) aufzulösen. In Gruppendiskussionen werden gemeinsam Handlungsalternativen und verbale Strategien im Umgang mit schwierigen Situationen generiert. Mit Hilfe von Rollenspielen wird den Teilnehmern die Perspektive des Opfers vermittelt, werden die Konsequenzen des eigenen Handelns reflektiert, und die Anwendung gewaltfreier Lösungen wird im geschützten Rahmen erprobt (vgl. Guerra et al. 1994).
Beispiele für sozial-kognitive Programme sind das Interpersonal Cognitive Problem-Solving Program (Shure & Spivack 1982), das Responding in Peaceful and Positive Ways Program (Farrell et al. 1999) und das FAST Track Program (Conduct Problems Prevention Research Group 1999). In unterschiedlichen Studien konnte gezeigt werden, dass sozial-kognitive Programme sehr wirksam bei der Reduktion aggressiven und antisozialen Verhaltens sind (Durlak 1995, Kendall 1991, Pepler & Rubin 1991). Es zeigte sich in unterschiedlichen Maßen, wie z. B. Aggression, dass die Wirksamkeit der Programme auch nach einem Jahr noch nachweisbar war (Kendall et al. 1991, Kazdin 1994). Es wurde jedoch auch Kritik an den sozial-kognitiv orientierten Programmen geäußert, wie beispielsweise, dass die kognitiven Veränderungen nicht genau genug untersucht wurden und dass Umgebungsfaktoren nicht genügend berücksichtigt wurden (Durlak & Wells 1997). Dennoch kann aufgrund der empirischen Befunde davon ausgegangen werden, dass sozial-kognitive Programme speziell in Bezug auf aggressives und antisoziales Verhalten sehr erfolgreich sind (Durlak 1995, Kazdin 1994).
Ein sozial-kognitives Programm für Justizvollzugsanstalten evaluierten Guerra und Slaby bereits 1990 in Amerika: Sie entwickelten ein 12-wöchiges Interventionsprogramm für jugendliche Strafgefangene, welches auf die Verbesserung der Verarbeitung sozialer Informationen und eine Veränderung des sozialen Wissens zur Reduktion der Aggression abzielte. Folgende Fähigkeiten sollten verbessert werden: relevante und nichtfeindliche Hinweisreize zur Definition einer sozialen Anforderung (z. B. zwischenmenschliche Interaktionen) zu identifizieren, weitere Informationen einzuholen, Ziele zu formulieren und nach der Generierung unterschiedlicher Handlungsalternativen legale und gewaltfreie Lösungen zu finden. Das Programm verbesserte die Verarbeitung sozialer Informationen signifikant und führte zu statistisch bedeutsamen Veränderungen in Einstellungen und Bewertungen. Weiterhin zeigte sich eine Verringerung aggressiver, impulsiver und unflexibler Verhaltensweisen in der Haftanstalt (Verhaltensbeobachtung durch Betreuungspersonal), und die Rückfallquote in den ersten sechs Monaten nach der Entlassung ging zurück. In den Kontrollgruppen mit Aufmerksamkeitstraining oder ohne Treatment/Behandlung zeigten sich diese Veränderungen nicht (vgl. Guerra & Slaby 1990).

1.4 Forschungsstand in Deutschland

Fokussiert man auf Präventions- und Interventionsprogramme, die im deutschsprachigen Raum eingesetzt werden, wird deutlich, dass hier deutlich weniger Programme vorhanden sind, als im angloamerikanischen Raum. Nolting (1997) fasste in einer etwas älteren Meta-Studie die unterschiedlichen Ansätze zusammen, die zur Gewaltminderung an Schulen entwickelt wurden, und unterschied zwischen (1) schulzentrierten, (2) curricularen, (3) täterbezogenen, (4) opferbezogenen und (5) Mehr-Ebenen-Konzepten. Er kritisiert insbesondere das Fehlen kontrollierter Evaluationsstudien, welche die Wirksamkeit und spezifische Wirkweise dieser Verfahren überprüfen. Dieser Kritik schließen sich Heinrichs und andere (2002) an, welche die geringe Anzahl wirkungsvoller Präventions- und Interventionsprogramme in Deutschland im Vergleich zu den USA und Australien konstatieren. Eine neuere Übersichtsarbeit zu Gewaltprävention an Schulen wurde von Schick & Ott (2002) erstellt. Die Autoren kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass nur sehr wenige deutschsprachige Programme vorliegen, welche auch wissenschaftlich evaluiert wurden und ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen konnten. Sie kritisieren weiterhin, dass die methodische Qualität der Studien sehr heterogen ist, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert. Zudem fehlen Studien zu den Langzeiteffekten gewaltpräventiver Maßnahmen. Die neueste Überblicksarbeit zur Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen wurde von Beelmann (2006) erstellt: Hierzu wurden 23 quantitative Überblicksarbeiten und Meta-Analysen zu der Thematik zusammengefasst. Beelmann (2006) kommt zu dem Ergebnis, dass die meisten Arbeiten zur Prävention externalisierender Störungen vorliegen. Diesen folgen Maßnahmen zur Suchtprävention und allgemeinen Entwicklungsförderung. Es zeigte sich, dass gezielte Interventionsmaßnahmen höhere Effekte aufweisen als universelle Strategien. Hiermit wurde die Einschätzung früherer Übersichtsarbeiten (Heinrichs et al. 2002, Schick & Ott 2002) bestätigt.
Konzentriert man sich stärker auf Interventionsprogramme und hier speziell auf diejenigen, die in Justizvollzugsanstalten im deutschen Sprachraum durchgeführt wurden, ist die Übersichtsarbeit von Bosold und anderen (2006) hilfreich. In dieser Übersicht sind die Teilergebnisse einer laufenden Meta-Studie zur Wirksamkeit von Interventionsprogrammen in Justizvollzugsanstalten am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen dargestellt. Im Artikel wird deutlich auf die Defizite in der gegenwärtigen Interventionsforschung in Deutschland hingewiesen: Nur bei einzelnen Programmen gibt es eine feste Struktur bzw. ein zugrundeliegendes Manual oder einen festgeschriebenen Ablauf, welcher zum einen eine standardisierte Durchführung des Programms und zum anderen den Vergleich mit anderen Maßnahmen ermöglicht. Des Weiteren ist ein Großteil der Interventionsmaßnahmen entweder überhaupt nicht evaluiert, oder die Evaluation weist erhebliche methodische Mängel auf, wie z. B. geringe Standardisierung oder Fehlen einer Kontrollgruppe. Schließlich mangelt es den meisten Programmen an einer klaren theoretischen Fundierung, so dass man bei vielen Interventionsprogrammen nicht von einer systematischen, theoriegeleiteten Intervention sprechen kann (vgl. Bosold 2006).
Das in Deutschland in den letzten Jahren bekannteste Programm zur Intervention bei aggressivem Verhalten in Justizvollzugsanstalten stellt das Anti-Aggressivitätstraining von Weidner und anderen (1997) dar, welches sich auf das Konzept der Glen Mills School in den USA bezieht (vgl. Ottmüller 1988). In den USA wurde versucht, eine stationäre Alternative zum Jugendstrafvollzug zu finden, bei der gleichzeitig intensiv mit den Jugendlichen gearbeitet werden sollte. In Deutschland wurde das AAT von Heilemann und Fischwasser von Proeck in der JVA Hameln erstmals durchgeführt und seitdem weiterentwickelt. Das Training hat zum Ziel, die Täter mit ihrem Handeln zu konfrontieren und eine neue Struktur aufzubauen; hierbei werden extreme Methoden, wie z. B. der »heiße Stuhl«, eingesetzt und auf die Einhaltung von Regeln unter Androhung von Sanktionen gepocht (vgl. Heilemann & Fischwasser-von Proeck 2001, Heilemann 2004). Das Programm umfasst etwa 30 Sitzungen und läuft über mehrere Wochen. Es existiert keine Evaluationsstudie im Kontrollgruppendesign; eine externe Untersuchung des KFN Niedersachsen ergab, dass das AAT positive Effekte in Bezug auf die Rückfallquote zeigte, diese unterschieden sich jedoch nicht von den Effekten anderer Maßnah...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. 1 Aggressives Verhalten im Jugendalter
  7. 2 Methoden und Rahmenbedingungen des Trainingsprogramms
  8. 3 Ausgewählte Befunde der bisherigen Evaluierung des Programms TAV
  9. Das Trainingsprogramm zur Aggressions-Verminderung (TAV) – eine kurze Einführung
  10. Zu Beginn
  11. Leitfaden zu den Übungen
  12. Umgang mit Ärger und schwierigen Situationen
  13. Literaturverzeichnis
  14. Stichwortverzeichnis