Die katholische Kirche und die "Zeichen der Zeit"
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Die katholische Kirche und die "Zeichen der Zeit"

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax nach 1989

  1. 304 Seiten
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Die katholische Kirche und die "Zeichen der Zeit"

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax nach 1989

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Über dieses Buch

Am Beispiel der Deutschen Kommission Justitia et Pax untersucht Lüer den Umgang der katholischen Kirche in Deutschland mit den neuen friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen seit 1989/90. Die weltpolitische Wende stieß einen friedensethischen und friedenspolitischen Lernprozess an, der unterschiedliche politisch-kulturelle, strukturelle sowie prozedurale Voraussetzungen hatte. Die katholische Kirche wird dabei als lernendes System erkennbar, das in der unhintergehbaren Spannung von Tradition und Innovation die Auseinandersetzung um angemessene Antworten auf die zeitgeschichtlichen Probleme ringt und entsprechende Antworten formuliert. Die Studie stellt in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzungen dar, die zum richtungweisenden bischöflichen Friedenswort "Gerechter Friede" im Jahr 2000 geführt haben, und macht sie als organisationale Lernbewegung verständlich.

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Information

Jahr
2013
ISBN
9783170271944

1 Einleitung

Die katholische Kirche mit ihrer 2000-jährigen Geschichte ist eine der ältesten Institutionen der Menschheit. Für viele Menschen verkörpert sie bewundernswerte Kontinuität und vorbildliche Treue zur Tradition des Glaubens, andere sehen in ihr das Paradebeispiel für konservativ-reaktionären Starrsinn und die hoffnungslose Verknöcherung von Strukturen. In Wirklichkeit stellen sich die Dinge erheblich komplizierter dar. Die römisch-katholische Kirche zeigt sich als ein spannungsreiches Geflecht von Kräften der Beharrung und des Wandels, die beständig miteinander ringen. Dieser stets wirkende Konflikt manifestiert sich in besonderer Weise in Zeiten fundamentaler Veränderungen in Kultur, Gesellschaft und Politik, in denen sich die Kirche zu bewähren hat. Tatsächlich jedoch entzieht sich die Problematik einfacher Schematisierung. Die Geschichtlichkeit von Glaube und Kirche ernst zu nehmen, bedeutet, sich immer neu der schwierigen Aufgabe zu stellen, um der Identität willen Wandel zu akzeptieren und zugleich Kontinuität zu wahren. Die römisch-katholische Kirche hat das im Laufe ihrer langen Geschichte getan, wenngleich in unterschiedlichem Maß und mit wechselnden Ergebnissen. Manche Entscheidungen, wie etwa im sogenannten Ritenstreit, haben sich als falsch erwiesen, oft mit schwer wiegenden und langfristigen Folgen. Doch gehört ein solchermaßen wertendes Urteil bereits zu den Auseinandersetzungen, in denen der richtige Kurs der Kirche in der jeweiligen Gegenwart zur Debatte steht. Es liegt in der Natur der Sache, dass auch die Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils vom Widerstreit der Interpretationen geprägt ist. Dieses jüngste Konzil der römisch-katholischen Kirche hatte es sich bekanntlich programmatisch zum Ziel gesetzt, die Kirche im Licht damals aktueller Herausforderungen also der „Zeichen der Zeit“ zu erneuern. Dabei war es dem Konzil nicht um eine einmalige Renovierung der Kirche, sondern vielmehr um die Revitalisierung der grundlegenden und tief in der kirchlichen Tradition verwurzelten Sicht der „ecclesia semper reformanda“ zu tun. Dieser Erneuerungsprozess manifestierte sich nicht zuletzt in neuen Institutionen, Strukturen und Abläufen, die wesentlich zur Verwirklichung der Anliegen des Konzils beigetragen haben und sich zugleich in der Bewältigung von weiteren Herausforderungen wie z.B. dem Wandel von 1989/90 und seinen Folgen zu bewähren hatten. Auch diese Einrichtungen wiederum hatten sich der Notwendigkeit der kontinuierlichen Weiterentwicklung zu stellen. In diesen Rahmen gehört derjenige Bereich nachkonziliarer Entwicklung, der in inhaltlicher wie in struktureller Hinsicht in der vorliegenden Studie untersucht werden soll.

1.1 Ziel, Verfahren und Anlage der Untersuchung

In dieser Studie soll der Umgang der katholischen Kirche in Deutschland mit den durch die Wende 1989/90 gegebenen friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen exemplarisch nachgezeichnet werden. Die friedensethische und friedenspolitische Verarbeitung der weltpolitischen Wende und ihrer Folgen steht im Mittelpunkt des Interesses. Dabei sollen die politisch-kulturellen, strukturellen sowie prozeduralen Voraussetzungen dieses Verarbeitungsprozesses in den Blick kommen.
Die mit den Entwicklungen von 1989/90 einhergehenden Veränderungen stellten in vielfacher Hinsicht eine gravierende Herausforderung dar. Nachdem der klassische Ost-West-Konflikt und die damit verbundene fundamentale Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ihre Politik strukturierende Funktion verloren hatten, bestand die Notwendigkeit, die neuen politischen Bedingungen zu verstehen und Handlungsmuster zu entwickeln, die ihnen entsprachen. Besonderen Ausdruck fanden die Veränderungen im Prozess der deutsch-deutschen Vereinigung, den es nicht zuletzt institutionell zu bewältigen galt. Der Umbruch machte eine intensive Lernbewegung erforderlich.
Am Beispiel der Deutschen Kommission Justitia et Pax, die inhaltlich wie strukturell aus der Denkbewegung des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorgegangen ist, soll aufgezeigt werden, wie der friedensethische Lernprozess nach 1989/90 in der katholischen Kirche in Deutschland sowohl in thematischer als auch in struktureller Hinsicht verlaufen ist, welche Elemente und Arbeitsweisen ihn befördert haben und welche Grenzen ihm innewohnten. Da nicht das Gesamt der Kommissionstätigkeit in gleicher Weise einschlägig für die friedensethische und friedenspraktische Bewältigung des Wandels von 1989/90 war, legt die Untersuchung den Schwerpunkt auf die Entwicklungen im Arbeitsbereich Frieden.
Im Gefüge der römisch-katholischen Kirche in Deutschland kommt Justitia et Pax eine zentrale Position und herausragende Rolle in Bezug auf ihre Fähigkeit zu, gesellschaftspolitische Entwicklungen in den Bereichen Frieden, Menschenrechte, Entwicklungspolitik wahrzunehmen, ethisch zu reflektieren sowie praktische Konsequenzen zu ziehen. Auf Grund ihrer Eigenart fungiert sie als organisationelle Schnittstelle zwischen Amtskirche und Laienkatholizismus sowie zwischen römisch-katholischer Kirche und gesellschaftlicher und politischer Öffentlichkeit. Das Gewicht der Kommission und ihre exemplarische Bedeutung rechtfertigen die Hoffnung, durch die Studie zu einem vertieften Verständnis der Kirche im Blick auf die Beziehung zwischen Inhalten und Struktur einerseits sowie Reflexion und Praxis andererseits beitragen zu können. Indem die Untersuchung einen Teil der kirchlichen (Lern-) Prozesse im Gefolge des weltpolitischen Wandels 1989/90 einer kritischen Reflektion unterzieht, will sie die Prozesse selbst erkennbar und nachvollziehbar machen sowie einen Beitrag zu ihrem tieferen Verständnis leisten. Implizit plädiert sie mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil dafür, die kontinuierlichen sozial- und friedensethischen Lernbewegungen als unverzichtbaren Bestandteil des kirchlichen Selbstverständnisses zu betrachten sowie die strukturellen Voraussetzungen solcher Prozesse in die Betrachtung einzubeziehen.
Zur heuristischen Schärfung des Blicks auf das Material der Untersuchung wurde auf die Literatur zum organisationalen bzw. systemischen Lernen zurückgegriffen. So haben sich einige der von Chris Argyris und Donald Schön vorgelegten Annahmen und Begriffe – z. B. bei der Unterscheidung der verschiedenen Prozessebenen und Lernschleifen oder zum Verständnis organisationellen und organisationalen Lernens – als sehr hilfreich erwiesen:
Organisationales Lernen findet statt, wenn einzelne in einer Organisation eine problematische Situation erleben und sie im Namen der Organisation untersuchen. Sie erleben eine überraschende Nichtübereinstimmung zwischen erwarteten und tatsächlichen Aktionsergebnissen und reagieren darauf mit einem Prozess von Gedanken und weiteren Handlungen; dieser bringt sie dazu, ihre Vorstellungen von der Organisation oder ihr Verständnis organisationaler Phänomene abzuändern und ihre Aktivitäten neu zu ordnen, damit Ergebnisse und Erwartungen übereinstimmen, womit sie die handlungsleitende Theorie von Organisationen ändern. Um organisational zu werden, muss das Lernen, das sich aus Untersuchungen in der Organisation ergibt, in den Bildern der Organisation verankert werden, die in den Köpfen ihrer Mitglieder und/oder den erkenntnistheoretischen Artefakten existieren […], die im organisationalen Umfeld existieren.1
Auch den von Max Miller entwickelten, auf Konsens- und Dissensmuster fokussierenden Ansätzen ist manche Einsicht in die Dynamik der konkret zu beschreibenden Lernprozesse zu verdanken.2 Es wird aber in dieser Studie darauf verzichtet, in eine systematische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen zu treten. Wie in besonderer Weise an den für diesen Bereich grundlegenden Büchern von Chris Argyris3 ersichtlich wird, sind die einschlägigen Überlegungen im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit profitorientierten Unternehmen bzw. zu einem späteren Zeitpunkt mit Non-Profit- und Nichtregierungsorganisationen entwickelt worden. Um dem sehr spezifischen Großsystem „Katholische Kirche“ gerecht zu werden, wären umfangreiche systematische und ekklesiologische Reflektionen erforderlich, die den Rahmen dieser Untersuchung überschreiten würden.4 Diese Studie beschränkt sich daher auf die ihr eigenen Fragen, in der Hoffnung Material für zukünftige Studien zum systemischen Lernen in der Kirche bereitzustellen.
Der spezifische Ansatz dieser Arbeit besteht in der Verbindung von ideen- und institutionsgeschichtlichen Fragestellungen. Durch diese Verbindung kommen sowohl die thematischen Ergebnisse als auch die systemischen und strukturellen Voraussetzungen und Auswirkungen der genannten Prozesse in den Blick.
Entsprechend der Fokussierung auf den friedensethischen Umgang mit dem Wandel 1989/90 und seinen Folgen wird der engere Beobachtungszeitraum durch den Epochenwandel 1989/90 sowie die darauffolgenden zwei Amtsperioden der Deutschen Kommission Justitia et Pax markiert. Der Entschluss, die Darstellung auf zwei Amtsperioden der Kommission zu beschränken, hat wesentlich mit dem prägenden Einfluss der historischen Ereignisse in dieser Periode zu tun. Innerhalb dieses Zeitraums hatte die Kommission zum einen die Vereinigung der beiden deutschen Justitia-et-Pax-Kommissionen zu bewältigen. Zum anderen waren der Umbruch 1989/90 sowie die folgenden Geschehnisse mit großen friedenspolitischen Erwartungen sowie immensen Herausforderungen verbunden, auf die es im Rahmen der Arbeit der Kommission zu antworten galt. Die entsprechenden Lernbewegungen erhalten eine besondere Wirksamkeit für den Gesamtzusammenhang der katholischen Kirche in Deutschland im Zuge des Entstehungsprozesses des bischöflichen Wortes „Gerechter Friede“ (2000), an dem die Kommission respektive einige ihrer entscheidenden Akteure wesentlich mitgewirkt haben. Der Entstehung dieses Dokuments kommt in diesem Kontext die Bedeutung eines Fokuspunkts des friedensethischen Lernprozesses zu. Wesentliche Einsichten des Lernprozesses nach 1989/90 werden in „Gerechter Friede“ auf den Begriff gebracht. Zugleich wird mit der Verabschiedung des Dokuments eine neue bzw. erweiterte Ausgangsbasis für die weitere friedensethische Praxis und Reflektion der katholischen Kirche in Deutschland definiert. Eine ausführliche Befassung mit dem Entstehungsprozess des Friedensworts im Rahmen dieser Untersuchung liegt daher ebenso nahe, wie den Untersuchungszeitraum mit der Veröffentlichung des Dokuments abzuschließen.
Zu dieser sowohl inhaltlich als auch pragmatisch sinnvollen Begrenzung des Untersuchungszeitraums trug auch der Umstand bei, dass der Verfasser selbst seit August 1996 als Referent für friedens- und sicherheitspolitische Fragen der Deutschen Kommission Justitia et Pax Teil des zu untersuchenden Prozesses war. Die Grundentscheidungen zur Ausrichtung der Amtszeit von 1994 bis 1999 waren schon vor der Anstellung des Autors gefallen. Hingegen war er an der Vorbereitung der folgenden Amtszeit beteiligt. Die sich auch vom Material her nahelegende Einschränkung trägt damit dazu bei, die notwendige Distanz zum Gegenstand der Untersuchung einnehmen zu können. Die berufsbedingten Kenntnisse des Verfassers über den Untersuchungsgegenstand haben sich für den Zugang zu den in den Quellen geschilderten Vorgängen durchaus als hilfreich erwiesen. Letztlich stellt aber das Material selbst den Maßstab bereit, an dem überprüft werden kann, ob und inwieweit der Verfasser der Gefahr erlegen ist, aus der Position des teilnehmenden Beobachters heraus bloß persönliche und subjektive Urteile zu fällen. Er hat sich bemüht, die eigene Sicht durch Gespräche mit beteiligten Personen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Es hätte durchaus nahe gelegen, diese Möglichkeit durch ausgedehnte Zeitzeugengespräche noch intensiver und methodisch gezielter zu nutzen. Darauf wurde am Ende verzichtet, weil die Durchführung und Auswertung einer relevanten Zahl von Zeitzeugeninterviews einen Mehraufwand erfordert hätte, den der Verfasser aufgrund seiner beruflichen Lage nicht leisten konnte und der mit Rücksicht auf die Qualität des verfügbaren Quellenmaterials auch nicht unbedingt notwendig erschien.

1.2 Forschungsstand und Quellenlage zur Deutschen Kommission Justitia et Pax

Im Unterschied zum Zweiten Vatikanum als solchem und seinen innerkirchlichen Folgen wurde bislang weder die Geschichte der Justitia-et-Pax-Kommissionen im Allgemeinen noch die Arbeit der Deutschen Kommission im Besonderen wissenschaftlich untersucht. Zwar wurde aus Anlass des 40jährigen Jubiläums der Deutschen Kommission Justitia et Pax eine umfängliche Dokumentation veröffentlicht, die sicherlich eine erste Orientierung bietet5, aber keine spezifische Fragestellung verfolgt. Vor diesem Hintergrund betritt die Studie weitestgehend Neuland. Sie konnte sich kaum auf Vorarbeiten stützen. Ihre Einsichten beruhen daher wesentlich auf der Auseinandersetzung mit den Primärquellen der Deutschen Kommission Justitia et Pax. Die entsprechenden Aktenbestände, in denen sich auch viele Protokolle sowie anderweitige Unterlagen aus anderen Einrichtungen der Deutschen Bischofskonferenz sowie des deutschen Katholizismus finden, bilden eine reichhaltige und aufschlussreiche Materialbasis für Forschungen zur kirchlichen Zeitgeschichte. Während der Arbeit an der Studie waren diese Quellen noch nicht öffentlich zugänglich. Mittlerweile konnten sie aber erfreulicher Weise in das Historische Archiv der Erzdiözese Köln überführt werden. Sie bilden dort im Archiv der Deutschen Bischofskonferenz (Depositum) den Bestand „Deutsche Kommission Justitia et Pax“. Die Paginierung dieses Bestandes ist noch nicht erfolgt. Ein ausführliches Findbuch ermöglicht dennoch eine gute Nutzung.
Auch die Entstehung des bischöflichen Wortes „Gerechter Friede“ stellt bisher einen blinden Fleck der kirchlichen Zeitgeschichte dar, obgleich das Dokument breit diskutiert wurde.6 Da dieser Entstehungsprozess eng mit den Lernbewegungen der Kommission verbunden war, gehört seine Darstellung in eine Geschichte der Kommission. Zugleich soll diese Darstellung helfen, den Ansatz und die Kernaussagen des bischöflichen Wortes besser und tiefer zu verstehen.

1.3 Aufbau der Untersuchung

Im Anschluss an die Einleitung dienen die beiden folgenden Teile der Untersuchung dazu, die Gründung und Tätigkeit der Deutschen Kommission Justitia et Pax ideen- und institutionsgeschichtlich einzuordnen. Auf diese Weise wird der Bezugsrahmen geschaffen, der es ermöglicht, ihre Entwicklung sowie ihre Ergebnisse zu würdigen.
Die ideengeschichtliche Betrachtung nimmt sowohl den weltkirchlichen als auch den ortskirchlichen Aspekt in den Blick. Was die römisch-katholische Kirche als Weltkirche betrifft, so wird sie repräsentiert durch den Papst und die Bischöfe in ihrer Funktion als oberste Lehrer der Kirche. Daher wird der Schwerpunkt auf die päpstliche Lehrverkündigung7 seit Benedikt XV. gelegt, die aufgrund ihres Anspruchs auf gesamtkirchliche Verbindlichkeit eine wichtige Quelle und einen wichtigen Bezugspunkt auch für teilkirchliche Entwicklungen darstellt. Das betrifft insbesondere die kirchliche Friedenslehre, die vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs durch Benedikt XV. sowie die erste Enzyklika, die sich erstmals ausschließlich diesem Thema widmete, einen wesentlichen Impuls erhielt. Es liegt auf der Hand, dass diese Initiative des Papstes ohne den Ersten Weltkrieg kaum erfolgt wäre. Mit diesem Krieg lässt die Geschichtswissenschaft heute in der Regel das „kurze“ 20. Jahrhundert beginnen, das entsprechend mit dem Wendejahr 1989/90 endet.8 Die Untersuchung folgt dieser Periodisierung, denn es waren in erster Linie die weltpolitischen Rahmenbedingungen wie die beiden Weltkriege, der im Rahmen des Ost-West-Konflikts drohende dritte Weltkrieg oder der Prozess der Entkolonialisierung, die auf die Entwicklung der kirchlichen Friedenslehre Einfluss hatten. Zugleich tauchen mit dem Ende der auf der Logik des Kalten Kriegs beruhenden Weltordnung sowie dem Wegfall der weltpolitischen Herausforderung durch die kommunistische Sowjetunion neue Herausforderungen und Möglichkeiten auf, denen sich das kirchliche Friedenshandeln zu stellen hatte. Erst wenn man sich diese Zusammenhänge vergegenwärtigt, wird klar, welche Herausforderung der weltpolitische Umbruch von 1989/90 für die Friedensethik mit sich brachte.
In der Geschichte der kirchlichen Lehrentwicklung kommt dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine überragende Bedeutung zu. Diese beruht in hohem Maße auf der während des Konzils unter einer Mehrheit der Konzilsväter herangereiften Einsicht, dass die rein defensive Haltung, die das Erste Vatikanische Konzil gegenüber der Moderne eingenommen hatte, die Kirche in eine Sackgasse führen würde. Die Leistung des Zweiten Vatikanischen Konzils bestand, grob gesprochen, darin, die Wahrnehmung der Welt und das Selbstverständnis der Kirche in eine positive Beziehung zueinander zu setzen. Die Ergebnisse des Konzils wurden in Deutschland insbesondere durch die neu belebten synodalen Strukturen in die deutsche Ortskirche vermittelt. Die Synoden in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland sowie die Friedensworte der beiden Bischofskonferenzen stehen deshalb im Mittelpunkt der Darstellung, die zugleich als Vorgeschichte der Gründung der beiden Jus...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Grundlinien der Entwicklung der kirchlichen Friedens lehre im „kurzen 20. Jahrhundert“
  7. 3 Entstehung, Auftrag, Mandat und Arbeitsweise der Deutschen Kommission Justitia et Pax
  8. 4 Die Amtszeit 1988 – 1993
  9. 5 Die Amtszeit 1994 – 1999
  10. 6 Ausblick auf die Entwicklungen der Amtszeit 1999 – 2004
  11. 7 Die Entstehung des bischöflichen Wortes „Gerechter Friede“ (2000)
  12. 8 Von Justitia et Pax lernen heißt, …
  13. Dank
  14. Literaturverzeichnis
  15. Quellenverzeichnis
  16. Abkürzungsverzeichnis
  17. Organigramme