Jungen und Gesundheit
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Jungen und Gesundheit

Ein interdisziplinäres Handbuch für Medizin, Psychologie und Pädagogik

  1. 424 Seiten
  2. German
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Jungen und Gesundheit

Ein interdisziplinäres Handbuch für Medizin, Psychologie und Pädagogik

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Die gesundheitliche Lage von Jungen ist in vielen Bereichen prekär. Gleichwohl wird diese Tatsache kaum reflektiert oder fachlich berücksichtigt. Erstmalig wird nun ein umfassender Überblick über Themen der Jungengesundheit aus den drei relevanten Perspektiven - medizinisch, psychisch und sozial - gegeben.Das Buch vermittelt das breite Themenspektrum der Jungengesundheit fundiert und ermöglicht es Fachleuten aus verschiedenen Berufsgruppen, sich damit auch fachübergreifend befassen zu können. Es gibt Anstöße, den Umgang mit der Thematik Jungengesundheit zu qualifizieren, um Jungen eine angemessene Versorgung zu bieten.

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Information

Jahr
2012
ISBN
9783170274280

1 Jungengesundheit im epidemiologischen Zusammenhang

1.1 Die Gesundheit von Jungen und männlichen Jugendlichen in historischer Perspektive (1780–1980)

Martin Dinges

1 Epidemiologie

In dem hier gegebenen knappen Rahmen können nur wenige Aspekte des Themas dargestellt werden. Dabei kommen vorrangig Gesundheitsressourcen in den Blick, die anhand von Gesundheitsempfehlungen dargestellt werden. Passend zum Schwerpunkt des Bandes werden dann das Verhältnis zum eigenen Körper und Prägungen des Inanspruchnahmeverhaltens analysiert1. Dabei können die besonderen Problemlagen von Jungen nicht vertieft werden, die durch Armut, Illegitimität, Kindesaussetzung, als Ziehkind, nach Kindesmisshandlung, oder für behinderte Kinder, als Psychiatrieinsassen – immerhin fast 10 % Kinder und Jugendliche im 19. Jh. (Nissen 2005, S. 124) –, in der Jugendfürsorge oder bei anderen Anstaltsinsassen entstanden. Ebenso wurde die Kriegspsychiatrie, die ja oft noch sehr junge Männer betraf, ausgeklammert. Die genannten Problemlagen sind aber häufig gesundheitlich sehr belastend und würden besonders hinsichtlich ihrer geschlechterspezifischen Ausprägung grundlegender Forschung bedürfen. Dies gilt auch für spezifische Belastungen durch die Entdeckung der eigenen Homosexualität.

2 Gesundheitsdiskurse und -empfehlungen

Erst seit Kurzem gelten Jungen innerhalb des Gesundheitsdiskurses als Problemgruppe. Das war früher ganz anders: Jungen galten generell eher als stark und gesund – Mädchen als schwach oder gar kränklich. Die Aufklärungsanthropologie hatte solche Gegensätze zwischen Mann und Frau sehr akzentuiert und biologisch fundiert, indem sie den Frauen eine größere Naturnähe, Abhängigkeit vom Körper, damit aber auch Schwäche, den Männern dagegen eine größere Vernunftbegabung zuschrieb. Während des 19. Jahrhunderts arbeiteten die Mediziner dieses Bild weiter aus und erweiterten es um 1900 noch um passende psychische Komponenten. Allerdings gehörte zum Bild des Mannes als negativer Zug auch, dass er triebbedingt unbeherrscht sei und sich deshalb disziplinieren müsse (Kucklick 2008, S. 35–133). Zum Mann zu werden bedeutete eine doppelte Entwicklungsaufgabe, nämlich der zugeschriebenen Körperlichkeit und Vernünftigkeit gerecht zu werden.
Den Jungen legte man dazu nahe, ihre Fähigkeiten durch viel Bewegung zu entwickeln. Man empfahl ihnen seit 1800 Leibesübungen und später die Ertüchtigung durch den Sport. So heißt es in einem Gesundheitsratgeber 1892: »Die nützlichste Körperbewegung ist das Schwimmen, und darum sollte, wo es möglich ist, jeder gesunde Knabe zum Erlernen des Schwimmens veranlasst werden.« Ganz selbstverständlich ist hier nicht von Mädchen die Rede (Sepp 1892, S. 11). Der Bedarf des Staates und der Wirtschaft stand im Vordergrund dieses Diskurses. Die Jungen sollten leistungsfähige Soldaten, allenfalls auch kräftige Arbeiter werden (Frevert 1996, S. 147–154).
Immerhin kamen dabei besondere Gesundheitsgefährdungen in den Blick: Jungen galten als waghalsig. Schon 1792 meinte der Autor eines mehrbändigen Buches zur »medicinischen Policey«, des Vorläufers der Sozialhygiene, Johann Peter Frank (1745–1821), Jungen würden von Brücken in zu flaches Gewässer springen, beim Schwimmen ertrinken, zu brutal fechten, von der Baumschaukel fallen oder sich beim Klettern verletzen (Frank 1784, S. 627f., 661, 672). Er meinte also, die »kleinen Wagehälse« spielten insgesamt zu risikoreich. Damit zeigt sich bereits eine gewisse Zwiespältigkeit, mit der über Jungen geredet wurde: Einerseits sollten sie sich viel bewegen und dadurch ertüchtigen, andererseits warnte man sie aber auch stets vor Gefahren und vor ihrer Neigung zum Leichtsinn. Zu erlernen hatten sie also die Balance zwischen Mut und Übermut. Individuelle Gesundheit stand jedenfalls nicht im Vordergrund der Überlegungen. Nach der Jahrhundertwende wanderten in der Jugendbewegung dann fast ausschließlich Jungen durch die Wälder, in der bündischen Jugend verstärkte sich dieser Zusammenhang von Körperertüchtigung und Männerbund weiter (Speitkamp 1998, S. 145, 185).
Den Mädchen traute man weniger zu: Ärzte betonten immer wieder, dass junge Frauen durch die Menstruation regelmäßig geschwächt seien. Ihnen empfahl man allenfalls Spaziergänge. Erst ab ca. 1900 wurden auch ihnen einige Leibesübungen und leichtere, in der Zwischenkriegszeit dann weitere, Sportarten empfohlen. Die Nationalsozialisten setzten gezielt auf die Ertüchtigung mit dem Ziel, die Gesundheit der späteren Mütter zu fördern, die kräftige Kinder für einen starken »Volkskörper« gewährleisten sollten. Insgesamt ist das ein natalistischer Diskurs, der seit ca. 1800 im Staatsinteresse die Gebärfähigkeit der Frauen einseitig in den Vordergrund rückte. Bei den Jungen erreichte die geforderte Bereitschaft zum Soldatischen ebenfalls in der NS-Zeit den Höhepunkt (Werner 2008).
Diesem Ziel entsprach ein Leitbild von Männlichkeit, das schon bei Jungen eine vorrangige Festlegung auf Härte gegenüber sich selbst und anderen verlangte. Das Ausmaß an notwendiger »Abhärtung« von Kindern wurde zwar auch kritisch diskutiert, in einer ärztlichen Schrift von 1903 aber selbstverständlich fast ausschließlich mit dem Blick auf Jungen thematisiert (Hecker 1903, S. 8, 20–27; vgl. Rutschky 1988, S. 260). Bezeichnenderweise drängten im Zeitalter des Nationalismus besonders die Väter auf Abhärtung, später imitierten die Jüngeren dieses Modell (Reulecke 2001). Schmerzverdrängung, Distanz zum eigenen Körper, Abwehr von Schwäche, die als weiblich galt, gehörten zu diesem Syndrom. Traurigkeit oder schlechte Stimmungen sollten nicht artikuliert werden – ein Junge sollte funktionieren. Außerdem beobachten Forscher in der Gegenwart, dass in Erziehung und Alltag von Jungen ein höheres Maß an Toleranz gegenüber widerfahrener Gewalt als selbstverständlich vorausgesetzt wird (Jungnitz et al. 2007, S. 4, 64).
Der Onaniediskurs behinderte lange ein positives Verhältnis zum eigenen Körper (Eder 2002, S. 91 ff.). Seit dem 17. Jahrhundert bläuten Kleriker, Ärzte und Pädagogen den Jungen in einer Vielfalt von Schriften und Predigten ein, dass die Selbstbefriedigung eine höchst gesundheitsschädliche Praxis sei: Sie schwäche die örtliche Muskulatur, verbrauche die Kraft des männlichen Samens, den man sich als eine begrenzte Quantität vorstellte, ruiniere die Nerven, zerstöre das Rückenmark und generell die körperliche Leistungs- und spätere Zeugungsfähigkeit. Masturbation sei deshalb auch moralisch höchst verwerflich (Kucklick 2008, S. 288 ff.). Mit unterschiedlichen Akzentsetzungen wurde dieser medizinische Unsinn bis in die 1950er Jahre verbreitet und machte vielen Jungen und männlichen Jugendlichen erhebliche Schwierigkeiten, wie wir anhand von Selbstzeugnissen seit dem 18. Jahrhundert beobachten können (Piller 2007, S. 190f.). Ärzte empfahlen häufig, als Lösung des Problems eine Ehe einzugehen (Dinges 2002, S. 117; Schönenberger 1907, S. 21). So hieß es 1907: Junge Männer erholen sich bei sonst verständiger Lebensweise in der Ehe meist rasch« – gemeint war von Scham, Reue und Nervenzerrüttung.
Parallel zur wachsenden Körperfeindlichkeit während des 19. Jahrhunderts sollte der Bordellbesuch immer häufiger als Initiation in das Geschlechtsleben dienen. Wurde das vom Vater organisiert, konnte es als Enteignung einer eigenständigen Sexualität empfunden werden, in der Peergroup allerdings als kollektive Stärkung von Männlichkeit. Geschlechtskrankheiten waren jedenfalls besonders im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein viel diskutiertes Gesundheitsproblem. Etwa 5 % der Rekruten in Preußen und Bayern waren in den 1860er Jahren betroffen, bis 1900 sank der Anteil auf 2 % – wegen Soldkürzungen und stärkerer Disziplinierung (Sauerteig 1999, S. 75–80). Bei der Kaiserlichen Marine gingen in den 1870er Jahren durch energische Maßnahmen gegen Hafenbordelle die Geschlechtskrankheiten auf 12 % aller Krankheitsfälle zurück. (Bennink 2008, S. 42).
Die Kontrolle der Einberufenen bzgl. Geschlechtskrankheiten im Rahmen der sog. »Schwengelparade« dürften manche jungen Männer als belastend empfunden haben (Jütte 1998, S. 24–26). In der Gesamtbevölkerung waren um 1900 Männer dreimal so häufig von Geschlechtskrankheiten betroffen wie Frauen, 1919 nur noch doppelt so häufig. Während der Weimarer Zeit gingen diese Erkrankungen weiter zurück. Trotzdem diskutierte man weiter über Ehegesundheitszeugnisse, die auch SPD und Zentrum befürworteten, aber nicht durchsetzen konnten. Diese wurden erst 1935 durch die Nationalsozialisten verbindlich vorgeschrieben und betrafen neben den Geschlechtskrankheiten nun auch Erb- und Geisteskrankheiten. In den Folgejahren wurde etwa jedem 25. Paar die Eheeignung abgesprochen, allerdings mehr Frauen als Männern (bis 1943: 43 000 : 34 000) (Sauerteig 1999, S. 379). Geschlechtskrankheiten im Jugendalter verlieren bis in die 1980er Jahre weiter an Bedeutung (Biener 1991, S. 109f.).
Positive Impulse für ein gesundheitsförderliches Verhalten bieten allenfalls eine Reihe von Regeln: Ernährungsempfehlungen sind zwar oft geschlechterneutral formuliert, beziehen sich aber implizit doch auf männliche Jugendliche. In der Tradition solcher Werke seit der Antike orientieren sie darauf, Maß zu halten: »Der Jüngling weiß es nicht, wie sehr er sich durch Ausschweifungen mancherlei Art – durch einen Trunk in die [sic!] Hitze, durch Unmäßigkeit im Speisegenuß, verdirbt. Noch widerstehen seine muntern Kräfte ...« (Struve 1804, S. 49). Es wird also auf die langfristigen Folgen hingewiesen. Studierende werden besonders ermahnt, das rechte Maß zwischen »Speisegenuss« und Bewegung zu finden: »Wer sich fleißig Bewegung macht, kann reichlichere Mahlzeiten halten und verdauet besser« (Struve 1804, S. 44). Besonders um 1900 häufen sich Ernährungsempfehlungen, die aber geschlechterunspezifisch sind, auch wenn eine sehr fleischhaltige Nahrung als jungengerecht und »männlich« gilt, während die Mädchen besonders seit den 1920er Jahren mit Schlankheitsappellen traktiert werden (Wirz 1993, S. 21 f.). Auch deshalb bleibt die Anorexie bis in die 1980er Jahre fast ausschließlich eine Krankheit weiblicher Jugendlicher (Habermas 1990, S. 15, 23–30, 201, 206–210).
Hinsichtlich der Sauberkeit finden sich im medizinischen Schrifttum keine Hinweise, dass man Jungen für problematischer hielt als Mädchen. Empfehlungen zur Mundreinigung werden ebenfalls geschlechterneutral formuliert (Sepp 1892, S. 9, Struve 1804, S. 106). Ähnlich heißt es: »Die Ohren werden rein gehalten« (Struve 1804, S. 115). Erst beim Blick auf die Adressaten der Schrift – »gebildete Jünglinge« (und Lehrer) – wird klar, dass die männliche Jugend gemeint ist. Andere Empfehlungen betreffen die Kleidung. Sie soll sauber, dem Klima angepasst und locker sein, außerdem gewechselt werden, damit keine Hautkrankheiten entstehen können bzw. Ausdünstungen nicht behindert werden (Struve 1804, S. 108). Der reinliche Körper wird als Ausdruck der Sittlichkeit der Person gedeutet (ebd., S. 112). Ansonsten wird auch 1852 weiter das »Fußreisen« als Abhärtung empfohlen (Rutschky 1988, S. 287). Vom Rauchen rät Struve bei jungen Leuten ab, da diese Angewohnheit dem Körper Säfte entziehe, die er zum Wachsen brauche (Struve 1804, S. 151). Weiterhin gibt er Ratschläge, wie man Ansteckungen vermeiden kann (ebd., S. 160). Bis auf die Bezugnahme auf das Rauchen und die Studenten könnte das alles aber genau so auch in einer Schrift für junge Frauen stehen. Tatsächlich geschlechterspezifische Hygieneempfehlungen sind also eher selten.
Allerdings fungierte das Militär bereits im 18. Jh. als eine Art Schule der Reinlichkeit, was mit der praktischen Durchsetzung der allgemeinen Wehrpflicht vor 1900 immer bedeutsamer wird: Dort sollten die jungen Männer aus allen Schichten gewisse Standards von Sauberkeit erlernen. Diese bezogen sich vorwiegend auf das äußere Erscheinungsbild, also die Kleidung (Uniform, Ausrüstung etc.) weniger auf den Körper selbst (Dinges 1996, S. 82–85). Die Uniform konnte und sollte auch die Frauen beeindrucken (Frevert 1996, S. 169 f.). Während des 19. Jahrhunderts dürfte die Musterung viele junge Männer erstmals mit einer vergleichenden Bewertung ihres Gesundheitszustandes konfrontiert haben. Dabei wurde immerhin ein Drittel bis 45 % der jungen Männer als untauglich ausgemustert (Kaup 1925, S. 62f., 64, 68). Manche mögen sich darüber gefreut haben, für andere war dieses Musterungsergebnis eine Infragestellung ihres Selbstkonzepts als Mann. Diese Selbstzweifel wegen attestierten Körpermängeln scheinen im 19. Jh. zu wachsen (Schweig 2009, S. 72 f.). Im Ersten Weltkrieg lernten manche Soldaten dann Entlausungskampagnen kennen (ebd., S. 76).
Für die Gesundheitserziehung ist die Rolle der Familie viel wichtiger als das letztlich sehr eingeschränkte institutionelle Angebot von Schule und Militär. Im Vordergrund der bürgerlichen Medikalisierungskampagne stehen die Mütter. Sie dürften von den Söhnen mehr mit der Aufgabe des Ratgebers in Gesundheitsangelegenheiten assoziiert worden sein als die Väter (Dinges 2004, S. 105–107). Allerdings spielten auch diese schon im 19. Jahrhundert eine größere Rolle als es der bürgerliche Geschlechterdiskurs erwarten ließe. Väter beteiligen sich aktiv an der Kinderkrankenpflege und als Ratgeber (Schweig 2009, S. 49–54, 57f., 63–65, 68, Dinges 2010a). Von einer völligen »Feminisierung« des Themas Gesundheit kann also nicht die Rede sein.
Lange wurde bezeichnenderweise ein Thema gänzlich ausgespart: die psychischen Belastungen durch den Weltkrieg. Fliegeralarme, Ausbombungen, Evakuierung, Flucht, Vertreibung, Armut, langfristige Abwesenheit der Väter und anderer Bezugspersonen haben nach neueren Forschungsergebnissen langfristige psychische Folgen – bis in die dritte Generation (Franz et al. 2007, S. 216, 225). Es gab etwa 500 000 Kriegswaisen und ca. 20 Mio. Kriegshalbwaisen (Dörr 2007, Bd. 1, S. 443.). Insgesamt ist davon auszugehen, dass etwa ca. 25 % der nach 1929 bis 1948 Geborenen unter »lang anhaltenden« und ein knappes Viertel unter »dauerhaft beschädigenden Einflüssen« Kindheit und Jugend erlebten (Radebold 2005, 23). »30 % der Deutschen, die zwischen 1933 und 1945 geboren wurden, wuchsen kriegsbedingt ohne Vater auf« (Bode 2006, S. 53). Für die Geburtskohorte 1935 konnte exemplarisch gezeigt werden, dass die Vaterabwesenheit im weiteren Lebenslauf zu einer signifikant erhöhten Anfälligkeit für psychogene Erkrankungen bis heute führt (Franz 2005, S. 53). Für die Nachkriegszeit lässt sich außerdem zeigen, dass die Jungen durch die Erfahrung der Ausbombung langfristig stärker traumatisiert waren als die Mädchen (Brähler et al. 2005, S. 125). Auch wiesen Jungen nach den Ko...

Inhaltsverzeichnis

  1. Deckblatt
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort der Herausgeber
  6. 1 Jungengesundheit im epidemiologischen Zusammenhang
  7. 2 Körperliche und psychosoziale Entwicklung von Jungen
  8. 3 Jungenmedizin
  9. 4 Gesundheitsversorgung von Jungen
  10. 5 Mentale und psychische Jungengesundheit
  11. 6 Soziale Gesundheit
  12. 7 Gesundheitsbildung/-erziehung
  13. 8 Risikoverhalten
  14. 9 Aggression und Gewalt
  15. 10 Anhang
  16. Autoren und Autorinnen
  17. Stichwortverzeichnis