1 Grundlagen
1.1 Kommunikation – ein Annäherungsversuch
1.1.1 Kommunikation – was ist das und warum so viele?
Anhand des »Kommunikations-Scrabble« erkennt man, wie vielfältig das Phänomen »Kommunikation« ist (
Abb. 1). Mit Kommunikation bringt man üblicherweise solche Erscheinungsformen wie etwa die Körpersprache (z. B. verschränkte Arme während einer Präsentation), direkte persönliche Kommunikation (z. B. ein persönliches Gespräch bei einer Tasse Kaffee) oder computervermittelte persönliche Kommunikation über ein elektronisches Kommunikationsmedium in Verbindung (z. B. das Versenden von Mitteilungen über den WhatsApp-Messenger). Als Kommunikation können aber auch alle Inhalte aufgefasst werden, die über die Medien an ein Massenpublikum gerichtet sind: publizistisch angelegte journalistische Artikel und Sendungen, Videos von Youtubern, auf die Vermarktung ausgerichtete Inhalte wie klassische Plakatwerbung, das neuere Content Marketing (z. B. in Unternehmensblogs), Markenkommunikation, Public Relations zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit oder zur Unterstützung der politischen Willensbildung. Zum besseren Verständnis all dieser Phänomene wenden wir Modelle als vereinfachte Abbilder der Realität an.
Abb. 1: Das Kommunikations-Scrabble – eine mögliche Lösung
Übungshinweis: Versuchen Sie das Kommunikations-Scrabble aus Abbildung 1 mit eigenen Begriffen zu füllen.
Was bedeutet Kommunikation? Versuchen wir uns zunächst an einer etymologischen Ableitung (Etymologie – die Lehre von der Herkunft der Wörter), so finden wir ähnlich klingende lateinische Worte wie »communicatio« (Mitteilung), »communicare« (mitteilen) oder auch »communis« (gemeinsam). Bei der Kommunikation geht es scheinbar nicht nur um die allgemein angenommene Übertragung von Mitteilungen, sondern auch die Herstellung von Gemeinsamkeiten zwischen den Kommunizierenden.
»Come on and smile, communicate, learning English is great!«, heißt es in einem Lied aus einem Englisch-Lehrbuch der Klasse 1 (GERNGROSS/PUCHTA 2009, S. 28). Die Kommunikation prägt unseren Alltag dermaßen, dass scheinbar selbst Grundschüler wissen, was Kommunikation bedeutet. Damit wären sie den Wissenschaftlern einen bedeutenden Schritt voraus. Denn so vielfältig wie das Phänomen »Kommunikation« selbst, sind auch die verfügbaren Definitionen. So hat MERTEN 1977 (S. 168-182) die zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden 160 Definitionen des Begriffes zitiert und sich dabei »nur« der Quellen aus der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (PuK) bedient. Nach einer inhaltsanalytischen Auswertung ließen sich die Definitionen nach ihrer Bedeutung wie folgt kategorisieren (MERTEN 1999, S. 79): Transmission (26,9%), Reiz-Reaktion (12,5%), Austausch (11,3%), Interaktion (8,8%), Interpretation (7,5%), Verhalten (6,3%), Teilhabe (5,6%), Beziehung (5,0%), Verständigung (3,1%) und sonstige Definitionen (13,1%).
Bis heute hat sich kein Konsens zu den vorhandenen Definitionen des Kommunikationsbegriffes herausgebildet. Daher wollen wir uns hier mit der scheinbar einfachsten Definition begnügen, die als gemeinsamer Nenner gilt. Das in Abbildung 2 enthaltene Container-Modell stellt den Kommunikationsprozess als den Transport eines Containers vom Kommunikator zum Rezipient dar. Der Container kann eine Botschaft oder einen Stimulus beinhalten, der durch die Anordnung vom Kommunikator zum Empfänger/ Rezipienten den Kommunikationspartnern eine entsprechende Rolle zuweist, z. B. Redner und Zuhörer, Autor und Leser, Chef und Angestellter etc. (MERTEN 1999, S. 54). Im Folgenden wollen wir uns dem Kommunikationsbegriff aus der Perspektive der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und des Marketings nähern – beide sind in diesem Lehrbuch vorrangig.
Ein Beispiel soll die Sichtweise der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft auf die Kommunikation verdeutlichen: Haben Sie von der Massenpanik nach dem Hörspiel »Krieg der Welten« im Jahr 1938 gehört? Hierzu schreibt
Abb. 2: Das Container-Modell als einfachster Nenner des Kommunikationsbegriffes aus der PuK-Perspektive (Quelle: In Anlehnung an MERTEN 1999, S. 54-55)
MERTEN (2013, S. 117): »Ein Hörspiel über die Landung von Marsmenschen wurde am Abend des 30.10.1938 von neun Millionen Amerikanern gehört. Ein verschwindend geringer Anteil war sich jedoch nicht der Tatsache bewusst, dass diese Landung fiktiv war. In Sorge geraten griffen sie zum Telefon, um sich bei der Polizei zu erkunden. Deren Leitung war jedoch wegen solcher Anrufe blockiert, was – typisch für Panik – falsch, also panikbezogen gedeutet wurde: Die Polizei sei bereits im Einsatz, hieß es etc. Als die ersten Personen ihre Häuser verließen, konnten andere dies sehen und folgten dem Beispiel und dies in immer größeren Scharen – eindeutig eine Orientierung am Verhalten anderer (Reflexivität in der Sozialdimension) und eine sichtbare Beschleunigung der Panik (Reflexivität in der Zeitdimension: immer mehr Personen verlassen ihre Hauser, weil sie mehr und mehr Menschen beobachten, die ihre Hauser verlassen).« Auch wenn es inzwischen Zweifel an der Geschichte über die Massenpanik gibt (POOLEY/SOCOLOW 2013), ist die Forschungsrichtung dieser Erklärung klar: Es geht um eine offene Erklärung gesellschaftlicher Phänomene. Hier ist Kommunikation ein sich verstärkender Verhaltenseffekt von Menschen, die sich gegenseitig beobachten.
Wenden wir uns dagegen der Marketingperspektive zu. Nach einer typischen Marketing-Definition (BRUHN 2015, S. 3) dient auch hier die Kommunikation der Übermittlung von Informationen und Bedeutungsinhalten, jedoch um gezielt Meinungen, Einstellungen, Erwartungen und Verhaltensweisen von bestimmten Adressen zu steuern. Dabei geht es konkret darum, das Unternehmen und seine Leistungen den externen (z. B. Kunden) wie internen Zielgruppen (z. B. Mitarbeitern) darzustellen, um beispielsweise die Markenbekanntheit zu steigern und mit diesen Zielgruppen in Interaktion zu treten (z. B. um zum Kauf zu überzeugen). Merken Sie den Unterschied zur PuK-Perspektive?
Um je nach Disziplin unterschiedliche Forschungsperspektiven auf ein und dasselbe Kommunikationsphänomen aufzuzeigen, wird hier die Selektivität der menschlichen Wahrnehmung näher betrachtet.
Übungshinweis: In einem Test soll aufmerksam gezählt werden, wie oft der Basketball von Spielern im weißen T-Shirts geworfen wurde. Den Test zum Nachweis der selektiven Wahrnehmung nach SIMONS/CHABRIS 1999 finden Sie in einem Video, indem Sie auf Youtube.com nach »selective attention test« suchen. Bevor Sie weiterlesen, machen Sie unbedingt diesen Test!
Wurden Sie auch in die Irre geführt? Nicht schlimm, denn das ist der Zweck des Tests! Dann werden Sie das Phänomen der selektiven Wahrnehmung nicht so schnell wieder vergessen. Nun zur Deutung des Phänomens: Während die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft dieses verstehen und erklären wollen, werden Marketingvertreter eher das Ziel verfolgen, Werbebanner auf einer Webseite so zu platzieren, dass diese stärker auffallen und nicht aufgrund der allgemein verbreiteten »Bannerblindheit« übersehen werden. In diesem zweiten Fall ist die Erklärung eher zweitrangig, der wirtschaftliche Erfolg tritt in den Vordergrund.
Vergleicht man die obigen beiden Definitionen mit entsprechenden Beispielen, die wir aus der PuK- und aus der Marketing-Disziplinen uns herausgepickt haben, so können wir bei oberflächlicher Betrachtung erkennen, dass die PuK die Kommunikation eher erklärender und offenerer interpretiert. Die Definitionen betrachten die Kommunikation als Element persönlicher und gesellschaftlicher Relevanz. Die Marketing-Definition ist dagegen recht »eng« formuliert mit dem Fokus auf Zielgruppenbeeinflussung.
Doch warum gibt es so viele unterschiedliche Definitionen? Definitionen sollen stets als Mittel in der Modellbildung verwendet werden, sie sind niemals Selbstzweck. Modelle aus verschiedenen Disziplinen verfolgen verschiedene Ziele, z. B. um die Selektivität der Wahrnehmung zu erklären (Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) oder um werbewirksame Kommunikationsmaßnahme zu entwerfen (Marketing). Aufgrund unterschiedlicher Blickwinkel von Disziplinen (
Kap. 1.1.4) müssen Definitionen immer an den Modellzweck angepasst werden. Auch jedes später erörterte Modell bringt eine eigene Sicht auf die zu untersuchenden Kommunikationsphänomene mit sich, zu der man eine eigenständige Definition der Kommunikation formulieren könnte.
1.1.2 Individual- versus Massenkommunikation – eine vorläufige Abgrenzung
Kommunikation kann man grob in Individual- und Massenkommunikation aufteilen. Die Individualkommunikation hat dabei einen zwischenmenschlichen
Bezug und kann ohne Medien stattfinden. Im Gegensatz dazu wird Massenkommunikation als Kommunikation über die Medien verstanden. Hier wird der Medienbezug als Abgrenzungskriterium verwendet. Diese Abgrenzung soll für den Augenblick genügen, aber im weiteren Verlauf eine Verfeinerung erfahren (
Kap. 1.2.3).
Innerhalb der Individualkommunikation (
Abb. 3) unterscheidet man wiederum zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation (EMRICH 2008, S. 18-19). Die verbale Kommunikation, welche sich in Worte fassen lässt, kann durch die gesprochene, aber auch geschriebene Sprache mitgeteilt werden. Hier ist interessant zu beobachten, wie vielfältig Sprachen als Werkzeuge verbaler (und nonverbaler) Kommunik...